Kieler Sprotten und Bücklinge

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Autor: Georg Hoffmann
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Titel: Kieler Sprotten und Bücklinge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 42–47
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Kieler Sprotten und Bücklinge.

Von Georg Hoffmann. Mit Abbildungen von H. Haase.

Die Zeiten sind heute vorüber, in denen die Produkte der Kieler Fischräucherkammern es so ziemlich allein waren, welche den Deutschen im Binnenlande hin und wieder unter willkommenem Gaumenkitzel an die Existenz der stammverwandten Holstenstadt an der Ostsee erinnerten. Denn zum Vorort der deutschen Reichsmarine erhoben, ist die Stadt der Sprotten und Bücklinge zum wertvollen nationalen Besitz geworden, und dazu hat das letzte Jahr mit dem glanzvollen Akt der Eröffnung des Kaiser Wilhelm-Kanals auch den Namen Kiels auf immer in die Annalen internationaler Kultur- und Verkehrsgeschichte eingetragen.

Auf dem Heringsfang bei Kiel.

Indessen durch solche Vergünstigungen hat die Anwohnerschaft des deutschen Reichskriegshafens in der Ausübung praktischer Lebensgewohnheiten und nahrhafter Erwerbsthätigkeiten alten Herkommens sich keineswegs beirren lassen. Im Gegenteil! Den Bedürfnissen der erstaunlich schnell angewachsenen Bevölkerung Rechnung tragend, treibt man Handel und Schiffahrt kraftvoller als vor einem Vierteljahrhundert; energischer übt der Fischer von Ellerbek, Möltenort und Laboe sein schwieriges Handwerk, um, von der Konkurrenz gedrängt, ergiebige Fänge zu erzielen, und mächtig qualmen jahraus jahrein über den Räucherherden am Föhrde-Ufer Schlote und Strohdachfirste, damit die wachsende Nachfrage nach den goldglänzend geschwelten, schmackhaften Bewohnern der Ostsee Deckung finde. Gerade der Export und die Fabrikation von Fischräucherwaren haben in den letzten Jahren einen außerordentlichen Aufschwung genommen; mehr und [43] mehr haben diese Produkte auf dem Weltmarkt an Wertschätzung gewonnen.

Wer den ersten Kieler Sprott geräuchert, den ersten Herbsthering zum Bückling umgewandelt hat? – Ich habe mir redliche Mühe gegeben, dem Manne nachzuspüren; aber die vergilbten Blätter holsteinischer Lokalchroniken konnten mir seinen Namen ebensowenig nennen wie die gelehrten Volkswirtschaftler der Kieler Christian Albrecht-Universität oder die greisen Senioren der Föhrdefischerei. Und so gilt auch vom ersten Sprottenräucherer, wie von so manchem Menschenfreund, das Wort in der Eingangsstrophe zu Klopstocks bekannter Eislaufselegie:

„Vergraben ist in ewige Nacht
Der Erfinder großer Name zu oft!“

Im übrigen ist zwar die Kunst, Fische durch Räuchern zu konservieren, auch in Schleswig-Holstein hohen Alters; aber der geräucherte Fisch hat jahrhundertelang sein Absatzgebiet fast ausschließlich an den Stätten seiner Bereitung, das heißt an den Küstenorten und in deren unmittelbarem Hinterlande, gefunden, und noch heute giebt es in allen Fischerdörfern Leute, die es bezeugen, daß man in früheren Jahrzehnten dieses Jahrhunderts nach reichlichem Fang den Ueberschuß an Sprotten und Heringen als Dünger auf die Felder werfen mußte, weil man einer vorteilhafteren Verwertung desselben sich nicht zu erfreuen hatte. Denn nur in möglichst frischem Zustand üben Sprotten und Bücklinge ihren Reiz auf den Gaumen des Feinschmeckers, und daher hat es erst einer einigermaßen gesicherten und regelmäßigen Verkehrsverbindung zwischen Ostsee und Elbe bedurft, ehe der Hamburger Hausierer gemütlichen Angedenkens allmorgendlich mit einigem Erfolg sein eintönig rhythmisches „Kieler Bückeln!“ durch die Straßen der Freien Hansestadt johlen konnte. Heute aber machen es nur die schnellen Eisenbahnzüge und schnellsten Oceandampfer möglich, daß die Bewohner zweier Welten sich mit Behagen der Delikatesse erfreuen können, die der holsteinische Fischer in finsterer Nacht aus der Tiefe des Meeres emporhebt.

Auf dem Frischfischmarkt zu Kiel.

Freilich! wenn der holsteinische Fischer oder gar derjenige von der Kieler Föhrde allein den ganzen Weltmarkt mit Bücklingen versorgen sollte, dann würde es um diesen mager genug bestellt sein. Glücklicherweise ist indessen der Reichtum an Heringen, die ja in volkswirtschaftlicher Beziehung vor den Sprotten in Betracht kommen, in der ganzen Ostsee ein so großer, daß der an der westlichen Küste gemachte Fang durch Sendungen aus allen Teilen des Baltischen Meeres, insonderheit aber aus den schwedischen und dänischen Gewässern, seine überreichliche Ergänzung findet. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß die verschiedenen Arten des Fisches, deren es in der Ostsee einige dreißig giebt, was Nährwert, Geschmack und Verwendbarkeit für den Export anbelangt, keineswegs ebenbürtig nebeneinander stehen. Unterschieden werden diese Arten unter den Händlern einfach nach den Fangplätzen; denn, wie die Erfahrung interessanterweise gelehrt hat, kehrt der Hering zum Laichen stets an dieselbe Stelle zurück, an welcher die Brut ausgekrochen ist, so daß zum Beispiel im Schleibusen zur Frühjahrszeit seit Menschengedenken nur eine einzige, durch Schmackhaftigkeit und Fettheit ausgezeichnete Art gefangen wird, die man sonst in der ganzen Ostsee vergeblich sucht. Dieser allgemein gültigen Gewohnheit des Fisches gegenüber ist daher die bisher noch nicht aufgeklärte Erscheinung um so auffallender, daß der in den Kieler Räuchereien viel verarbeitete schwedische Hering, der alljährlich seit alten Zeiten die Gewässer von Gotenburg bevölkerte, dort zu Anfang dieses Jahrhunderts mit einem Male spurlos verschwunden war, um erst im Jahre 1873 ebenso plötzlich wieder aufzutauchen und seither in jedem Spätsommer in altgewohnter Massenhaftigkeit gefangen zu werden. Hunderttausende dieser schwedischen, sowie der dänischen Heringe werden während der Fangzeit täglich durch die Postdampfer nach Kiel befördert, um in den Räuchereien am Föhrde-Ufer sofort verarbeitet oder nach Lübeck und Eckernförde weiter gesandt zu werden; wozu gleich hier bemerkt werden mag, daß die Lübecker Exporteure mehr Gewicht auf den massenhaften Versand legen, während in Kiel und Eckernförde die Qualität der Ware die Hauptrolle spielt. Letzteres liegt zum Teil in der Thatsache begründet, daß kein anderer Ostseehering, mag er im Kattegat oder in den Belten, im Limfjord oder in einer anderen jütischen oder schleswigschen Bucht gefangen werden, was Zartheit des Fleisches und Feinheit des Geschmacks anbelangt, sich mit der an Größe zwar hinter den meisten Arten zurückstehenden Rasse der Kieler Föhrde und der unmittelbar benachbarten Eckernförder Bucht messen kann. Wie Professor Möbius, ehemals in Kiel, jetzt in Berlin, der beste Kenner der Ostseefauna, nachgewiesen hat, handelt es sich hier um zwei für den Laien äußerlich schwer unterscheidbare, durch Uebergänge verbundene Lokalrassen: den Herbst- oder Seehering, der im Herbst und Winter laicht, und den Frühjahrs- oder Küstenhering, der die Buchtungen zu gleichem Zweck im April und Mai aufsucht und sich dann gern in dem halbsalzigen Brackwasser vor den Flußmündungen aufhält. Da von den beiden, in denselben Gewässern vorkommenden Sprottarten die eine mit der ersteren, die andere mit der letzteren Heringsrasse gleichzeitig laicht, so ergiebt sich, daß der ganze Kieler Sprotten- und Heringsfang im wesentlichen in das Winterhalbjahr fällt.

Die ersten Schwärme von Fischen beider Art treffen allerdings auch an der schleswig-holsteinschen Küste schon Ende August und Anfang September ein; und vielerorts wird auch um diese Zeit mit dem Fang begonnen, ohne daß derselbe, da die Fische noch nicht recht ständig geworden, sonderliche Erträge lieferte. An der Kieler Föhrde aber, und insonderheit in Ellerbek, dem großen, stadtartig erweiterten, Kiel gegenüber hart am Terrain der Kaiserlichen Werft gelegenen Dorfe der Fischer und Räucherer, denkt selten jemand daran, den Sprotten und Heringen vor Beginn des Oktobermonats nachzustellen. Während daher die Räuchereien vielleicht schon seit Wochen mit der Verarbeitung schwedischer und dänischer Ware zu thun haben, beschäftigt sich der Ellerbeker Fischer noch mit dem Buttfang für den Frischfischmarkt und wartet [44] nach altem Übereinkommen, dem niemand zuwiderhandeln würde, ab, bis Sprotten und Heringe in und vor der Föhrde stationär geworden und die Millionen schleimiger Quallen, welche die Handhabung der Netze unter Umständen ganz außerordentlich erschweren, mit dem Eintritt kühler Witterung seewärts verschwunden sind. Naht aber die Zeit heran, dann heißt’s, das Fanggeschirr in Ordnung zu bringen; und während für die Sommerfischerei das aus feinstem Garn weitmaschig geknüpfte Setznetz verwendet wurde, wird nunmehr die aus bestem baumwollenen Bindfaden gefertigte, schwere, engmaschige Wate (Waade) hervorgeholt – ein Zugnetz, welches, von daumendicken Tauen eingerahmt, zwölf Meter breit und 140 Meter lang, in der Mitte in einen geräumigen, langen Beutel zusammenläuft.

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Das Waschen und Ausspülen der Fische.

Die Ausfahrt zum Fang erfolgt zu vorgerückter Nachmittagsstunde, früher oder später, je nach der Entfernung der Fangplätze, dem Charakter der Witterung und der Stunde des Sonnenuntergangs, in welcher der erste Zug stattfindet. In Ellerbek pflegt die ganze Fischerflottille von gegenwärtig 34 Booten, deren allemal zwei, mit je zwei Mann besetzt, zusammen arbeiten, möglichst gleichzeitig aufzubrechen. Ist der Wind günstig, so wird gesegelt; ist er flau oder konträr, so muß im Schweiße des Angesichts „gepullt“ werden, was bei der Schwere der Riemen in den mit allerlei Geräten vollgepackten Fahrzeugen kein leichtes Stück Arbeit ist. Und dabei muß sich jeder ins Zeug legen; denn in dem zwar niemals schriftlich festgesetzten, aber darum doch allerseits aufs peinlichste beobachteten Statut der Föhrdefischer besagt ein Paragraph, daß derjenige das Recht zum ersten Zuge hat, der zuerst an der betreffenden Fangstätte anlangt. Gegen diese Satzung zu fehlen, würde keinem Fischer einfallen, mag er der großen Ellerbeker Gilde angehören oder zu den Bewohnern der weiter seewärts gelegenen Stranddörfer Möltenort und Laboe zählen, welche in diesem Winter je vierzehn Boote mit sieben Waten stellen. Wenn daher je nach dem Ruf, dessen sich ein solcher stets in der Nähe des Ufers befindlicher Fangplatz erfreut, an demselben zwei, drei und mehr Paare von Fahrzeugen eintreffen, so legen sich die später ankommenden Fischer zunächst vor Anker, holen die „Etenbütt“, den altmodischen, kübelartigen Eßkober, hervor und zünden zwecks Aufwärmens des mitgebrachten Kaffees die Petroleummaschine im Boote an.Das zuerst eingetroffene Paar aber beginnt sofort mit dem Fang.

Zu diesem Zweck werden die Enden des auf beide Fahrzeuge verteilten Zugnetzes je mit einem 900 Fuß langen Tau verknüpft, deren eines in dem einen, das zweite in dem anderen Boote um eine quer über den letzteren liegende hölzerne Welle gehaspelt ist. Sodann wird der inmitten der Wate befindliche Fangbeutel zwischen den beiden Booten ins Wasser versenkt, und nun rudern die Fahrzeuge, indem jedes derselben seinen Netzflügel schubweise über Bord gleiten läßt, in entgegengesetzter, mit der Uferlinie paralleler Richtung auseinander. Hat jedes Boot seinen 70 Meter langen Flügel vollständig zu Wasser gelassen, so bildet der unter der Wirkung der nach unten sinkenden Gewichte und der aufwärts strebenden Schwimmhölzer gleichmäßig entfaltete Netzplan eine senkrecht auf dem Grunde stehende Wand, welche, 140 Meter lang und 12 Meter hoch, sich in mäßigem, seewärts vorspringendem Bogen von einem Fahrzeug zum anderen erstreckt und in der Mitte durch die hohe und breite, in den Fangbeutel führende Oeffnung unterbrochen wird. Nunmehr rudern beide Boote, ihren Abstand voneinander beibehaltend und die erwähnten Taue von den Wellen abhaspeln lassend, senkrecht gegen die Uferlinie ins seichte Wasser, soweit es eben das abrollende Tau zuläßt. Ist dies geschehen, und befindet man sich mithin 900 Fuß von der Wate entfernt, so wird jedes Boot an einem mit eiserner Spitze versehenen, in den seichten Grund gerammten starken Pfahl festgelegt, worauf man beginnt, die abgerollten Taue wieder aufzuhaspeln und damit allmählich die Netzwand, über den Grund hin, zu den Booten heranzuziehen.

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Das Trocknen der frischen Fische.

Hat jedes Boot auf diese Weise sein Ende der Wate wiedergewonnen, so fährt das eine Fahrzeug im Bogen zum andern hinüber, führt dadurch das eine Ende des Netzes zum andern, macht wiederum fest, und nun beginnt die auf unserem Bilde S. 42 veranschaulichte Schlußarbeit. Ruckweise wird das schwere Netz eingezogen, aus welchem ein Entweichen der Fische nur noch zwischen und unter den Booten hindurch möglich ist; und um auch dies zu verhüten, muß in jedem Fahrzeug ein Mann, mit der einen Hand ziehend, mit der andern den „Pultscher“ handhaben, einen am unteren Ende glockenartig sich erweiternden Schaft, der beim Einstoßen ins Wasser in diesem lebhafte Unruhe verursacht und die Fische dem nachschleppenden Fangbeutel zutreibt. Schon geraume Zeit bevor der letztere in die Boote emporgehoben wird, kann der Fischer wenigstens ungefähr beurteilen, ob der Zug, der durchschnittlich anderthalb Stunden in Anspruch nimmt, lohnend ist oder nicht. Denn war’s mit dem Fange [45] nichts, dann sind die Maschen der verkrauteten und verschlammten Netzflügel leer: hat’s aber geglückt, dann blitzt es und blinkert’s auch in ihnen schon von Sprotten und Heringen, daß die Fischer ihre liebe Not haben, sie unter dein Einziehen der Wate loszulösen.

Befindet sich nur ein Paar Boote an der Fangstelle, so beginnen die Insassen nach kurzer Pause, während welcher die gestörten Fische wieder zur Ruhe kommen, den nächsten Zug und so fort die Nacht hindurch; und da ist es denn vorgekommen, daß in der Travemünder Bucht, unweit des Seebades Niendorf, in einer Nacht und mit einer Wate 5000 Pfund Sprotten im Werte von 4000 Mark gefangen wurden; allerdings eine ganz seltene Ausnahme, die in der Kieler Föhrde so leicht nicht vorkommt. Denn dort werden die besten Fangplätze natürlich am stärksten belagert; und die erste Fischergruppe kann sich, nachdem sie sich aus „Etenbütt“ und Kaffeekanne gestärkt, zumeist in aller Ruhe, wenn auch keineswegs in aller Bequemlichkeit, in den Booten auf ein paar Stunden schlafen legen. Daß sie, wenn die Reihe wieder an ihnen ist, von den Kameraden geweckt werden, darauf können sie sich verlassen, weil solches jener ungeschriebene, nie verletzte Ehrenkodex der Föhrdefischer verlangt.

Auf der Rückfahrt von dem bei Sonnenaufgang geräumten Fangplatz sortieren die Fischer die gewonnene Ware, trennen, wenn, wie es meistens der Fall, beide Fischarten gleichzeitig gefangen wurden, die Sprotten von den Heringen, scheiden die mehr oder weniger zahlreich ins Netz gegangenen Dorsche für den Frischfischmarkt aus und sind somit bei der Ankunft am heimischen Strand für die sofort beginnende Auktion gerüstet. Denn ausnahmslos erfolgt der Verkauf der Sprotten und Heringe, mag es sich nun um schleswig-holsteinische, dänische oder schwedische Ware handeln, auf dem Wege der Versteigerung, die sich auf dem Kieler Großmarkte besonders lebhaft zu gestalten pflegt. Kommt der tägliche dänische Postdampfer morgens fünf Uhr in Kiel an, so stehen die mit dem Verkauf der Fische betrauten Kommissionäre bereits an der Landungsbrücke, um die in Kisten mit je fünf bis sechs Wall zu achtzig Stück verpackten, bereits am Abgangsort gesalzenen Heringe in Empfang zu nehmen. Die Entlöschung des Schiffes, das in der günstigsten Fangzeit oft Tausende solcher Kisten importiert, beginnt sofort; und schon um sieben Uhr jeden Morgen hebt die Versteigerung an. Die Preise sind ganz außergewöhnlichen Schwankungen unterworfen, so daß in der besten Fangzeit für das Wall Heringe heute vielleicht 25 bis 50 Pfennig und morgen schon eine bis anderthalb Mark gezahlt werden, Preise, die zur Zeit geringer Zufuhren bis zu sechs oder sieben Mark steigen.

„Kieler Bückeln!“

Unmittelbar nach der Versteigerung, die in gleicher Weise auch nach Ankunft des zweimal wöchentlich fälligen schwedischen Postdampfers vor sich geht, wird die Ware teils in die Kieler und Ellerbeker Räuchereien befördert, teils waggonweise nach Lübeck, Hamburg-Altona und Eckernförde versandt. An letzterem Ort, dessen ausgedehntes Räuchereigeschäft auch einen umfangreichen eigenen Fischfang bedingt, gestaltet sich die Auktion der über Nacht gefangenen Ware ganz besonders interessant. Denn dort stehen schon in der Frühe allmorgendlich die Räucherer und Exporteure am Quai des kleinen Hafens beisammen und harren der Ankunft der Fischer. Diese haben schon unterwegs ihre Ware auf den Bänken des Boots ausgebreitet; und nun beginnen die Käufer am Lande von weitem ihre Gebote zu den Fischern hinüberzurufen und erledigen das ganze Geschäft, ehe diese noch einen Fuß an Land gesetzt haben.

Ist in Ellerbek der Verkauf der über Nacht gefangenen Ware beendigt, so wandern die Sprotten und der größere Teil der Heringe direkt in die Räuchereien, welche zumeist selbständige Betriebe, teilweise aber auch Filialen größerer Kieler Geschäfte sind; der Rest der Heringe wird samt den gefangenen Dorschen in „grünem“, d. h. rohem Zustande von den Fischerfrauen, die das Ruder in ihrem etwas „seelenverkäuferischen“ Einbaum mit Geschick zu regieren wissen, nach Kiel gebracht, um daselbst am sogenannten Fischerleger, dem auf unserem Bilde S. 43 wiedergegebenen Frischfischmarkt der Marinestadt, an Hausfrauen und Mägde in kleinen Partien verkauft und in den Kieler Familien mariniert oder gebraten verspeist zu werden. Das Bild, mit dem großen Packhause im Hintergrund, zeigt uns ein paar echte Typen der an ihren Körben und Mulden feilschenden Weiber und läßt zur Linken, von der Rückseite gesehen, auch jene kleinen, aus etwa zwei Quadratmetern Grundfläche erbauten, in einer langen Reihe eng nebeneinander gerückten Ellerbeker Fischbuden erkennen, in denen die delikaten Produkte der Kieler und Ellerbeker Räuchereien - Sprotten und Bücklinge, Makrelen und Flundern, Aale und Aalquabben, den Passanten von teilweise recht wohlbeleibten Markthallendamen angepriesen werden. Natürlich alles „frisch aus dem Rauch!“ und, man kann fast sagen: frisch aus dem Wasser! Denn recht häufig haben die dort am Nachmittage verkauften Bücklinge noch in der Nacht zuvor als ahnungslose Heringe sich vergnügt in der Flut getummelt.

Die ganze Bearbeitung der Fische in den Räuchereien ist nämlich an sich recht einfach und nimmt verhältnismäßig kurze Zeit in Anspruch; zumal in den größeren Kieler Räuchereien, wo die große Zahl beschäftigter Leute, zumeist Frauen, eine praktische Arbeitsteilung ermöglicht und wo das Gros der verarbeiteten Ware aus dänischen oder schwedischen Heringen besteht, die bereits gesalzen in Kiel eintreffen. Bei den in der Kieler Föhrde gefangenen Sprotten und Heringen hingegen ist die Prozedur des Einsalzens zunächst noch vorzunehmen und währt durchschnittlich eine Stunde. Sodann werden die Fische in wassergefüllten Kübeln oder gemauerten Bassins durch Bearbeitung mit gewöhnlichen Reisbesen entschuppt, gewaschen und schließlich, wie überall, aufgespillt. Letzteres geschieht, wie auf unserem Bilde S. 44 ersichtlich, in Ellerbek noch vielfach unter freiem Himmel in der Weise, daß man die Heringe auf fingerdicken hölzernen, die Sprotten auf stricknadelstarken eisernen Stäben aneinander reiht, und zwar so, daß [46] dieselben durch das Kiemenloch hineingesteckt werden und aus dem Maul wieder hervorkommen. Sind zwanzig Heringe, bezw. eine entsprechend größere Zahl Sprotten, aufgespillt, so wird der gefüllte Stab, wie das zweite Bild auf S. 44 zeigt, in einen von vier senkrechten Pfeilern getragenen wagerechten, rechteckigen Rahmen, deren zwei oder mehrere übereinanderliegen, eingefügt; dein ersten Stab folgt ein zweiter, dritter etc., bis der oder die Rahmen vollständig durch die von den nebeneinanderliegenden Spillen herabhängenden Fische ausgefüllt sind. Letztere werden nunmehr eine Weile der Luft ausgesetzt, um zu trocknen; eine Prozedur, die in großen Räuchereien, in denen nur in geschlossenen Räumen gearbeitet wird, nicht mehr zur Ausführung gelangt. Alle folgenden Manipulationen hingegen sind in sämtlichen Betrieben, mögen dieselben einen einzigen oder vier und mehrere Räucheröfen umfassen, die gleichen.

In der Räucherkammer werden die aufgespillten Heringe, Stab neben Stab, in hölzerne, blechbeschlagene Rahmen eingefügt, welche, je 1000 Heringe oder 2400 Sprotten fassend, aus dem sie tragenden Gerüst herausgehoben werden können. Ist ein solcher Rahmen fertig ausgefüllt, so wird er mittels der sogenannten Kehrmaschine zum Herde befördert. Diese Maschine, aus dem nebenstehenden Bilde deutlich erkennbar, besteht in einem Flaschenzug, dessen obere „Flasche“ an der Achse einer Rolle hängt, die auf dem unter der verräucherten Decke ausgespannten, als Leitschiene dienenden Kabel läuft. An der unteren Flasche hängt wagerecht ein Kreuz aus Eisen, von dessen vier Enden je eine in einem Haken auslaufende Kette herabhängt. Die Haken greifen nun in die auf unserem Bilde sichtbaren, an jeder Seite des Rahmens angebrachten Oesen; der Flaschenzug wird angezogen, und wagerecht schwebend wird der aus dem Gerüst gehobene Rahmen dem Herde zugeführt und in die Nuten, welche in den Seitenwänden desselben sich befinden, hineingeschoben. Nachdem drei solcher Rahmen übereinander dem Herde eingefügt sind, wird auf dem Boden desselben zunächst aus Eichen-, Erlen- oder Buchenholz ein helles Feuer entzündet, über welchem der Hering im Laufe einer Stunde gar wird, und nun erst kommt es darauf an, ihm durch Räucherung den eigenen Geschmack und den tadellosen Goldglanz zu verleihen, auf den der Händler so viel Gewicht legt. Zu dem Zweck wird der untere Rahmen mit Decken und Säcken belegt und dadurch von den zwei oberen abgeschlossen, so daß er allein den vollen qualmigen Rauch erhält, der gleichzeitig durch Dämpfen des Feuers mittels aufgeschütteter Eichenlohe entwickelt wird. Nachdem der Hering auch in diesem Rauch eine Stunde gehangen, ist er zum fertigen Bückling geworden; der Rahmen wird durch die Kehrmaschine aus dem Herde, der übrigens in einigen städtischen Räuchereien durch blecherne Thüren verschließbar ist, herausgehoben und auf das Holzgerüst zurückbefördert, wo die Fische, um versandfähig zu werden, eine halbe Stunde abkühlen müssen. Inzwischen wird der zweite und nach ihm der dritte Rahmen in derselben Weise behandelt und dann der Ofen von neuem gefüllt. Auch die Sprotten werden genau in derselben Weise geräuchert: nur bedarf es bei ihnen, wie auch bei den kleinen Arten des Herings, nicht eines Aufenthalts von zwei, sondern nur von anderthalb Stunden im Herde. Eine besondere Methode der Zubereitung gelangt seit Jahren bei den hervorragend großen Heringen zur Anwendung, welche gleich den Makrelen durch einen Längsschnitt über den Rücken in zwei, nur durch die Bauchhaut zusammengehaltene Hälften auseinandergeteilt oder „gefleckt“ und dann erst geräuchert werden. Diese Fleckheringe gewinnen dadurch, daß sie intensiver vom Rauch durchdrungen werden, an Dauerhaftigkeit und Geschmack, sind aber im Binnenlands bisher nicht so bekannt, wie sie’s verdienen.

Während des Räucherns und der übrigen mit den Fischen vorgenommenen Hantierungen trägt natürlich mancher Bückling einen Schönheitsfehler davon, indem er bricht oder in der Farbe verfehlt wird. Dieser Ausschuß, der in großen Räuchereien, wo täglich Zehntausende von Heringen verarbeitet werden, bisweilen beträchtlich anwächst, ist von volkswirtschaftlichem Wert: denn, an Geschmack der tadellos geratenen Ware vollständig gleich, werden die verkümmerten Bücklinge zu sechs bis acht Stück für zehn Pfennig abgegeben; und so sind denn die Kieler Räuchereien schon in den frühen Morgenstunden von Arbeitern und Frauen belagert, welche sich die ebenso schmackhafte wie billige Zukost zum Frühstücksbrot nicht entgehen lassen wollen. Auch von der marktfähigen [47] Ware wird ein großer Teil in Kiel und der nächsten Umgebung verzehrt. Wer sie garantiert frisch haben will, kauft sie in der Räucherei selber direkt vom Spillrahmen; daneben aber giebt es außer den oben bereits erwähnten Ellerbeker Buden in der Stadt eine ganze Anzahl von Ladengeschäften, welche lediglich geräucherte und marinierte Fische feilhalten; und endlich fehlen auch die Hausiererinnen nicht, welche, oft wenig reizvoll von Gestalt und Angesicht, zwei Körbe am Arm, sich bald an dieser, bald an jener Ecke postieren oder in den Vororten von Haus zu Haus schleichen, um ihre „Kieler Bückeln“ stückweise und freilich nicht selten in ziemlich betagtem Alter an den Mann zu bringen.

Der bei weitem erheblichere Teil sämtlicher Fische gelangt jedoch zur Versendung nach sämtlichen Ländern Europas, sowie nach Amerika und selbst nach dem fernen Australien, wobei wir erwähnen wollen, daß ein Kollo Sprotten, nach Chicago geschickt, keine höhere Fracht erfordert, als wenn die gleiche Menge Ware nach München geht.

Was an Bücklingen innerhalb der Provinz Schleswig-Holstein oder nach Hamburg zum Versand gelangt, wird in Körbe verpackt; nach allen anderen Ländern des Kontinents hingegen erfolgt die Versendung in mit Pergamentpapier ausgelegten Kistchen, nach überseeischen Gebieten gelangen luftdicht verlötete Blechdosen zur Verwendung. Wie groß das Exportgeschäft in geräucherten Fischen in Kiel ist, läßt sich daraus ermessen, daß eine der hervorragenderen Räuchereien in einem Jahre 35 691 Postkolli, je im Gewicht von fünf Kilogramm, ausführte, eine Ziffer, die verneunfacht werden muß, um die Mengen von Bücklingen und Sprotten zu ermitteln, welche alljährlich allein von Kiel und Ellerbek aus in alle Welt geschickt werden.