Kleine Bilder aus der Gegenwart/Der Fang der Eintagsfliege

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Autor: Dr. Karl Ruß
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Titel: Der Fang der Eintagsfliege
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 555–556
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Kleine Bilder aus der Gegenwart.

Der Fang der Eintagsfliege.

Wer in der ersten Hälfte des Monats August die Elbufer der Sächsischen Schweiz und des romantischen Böhmens besucht und Abends, von der Wanderung ausruhend, vor der Thür eines Wirthshauses seinen Schoppen Landwein trinkt, kann Zuschauer eines überraschenden Schauspiels werden. Da flammen längs des Stromes, wechselnd am rechten und linken Ufer, in geringen Abständen von einander zahlreiche Feuer auf, soweit wir unsere Blicke schweifen lassen. Unwillkürlich denken wir an eine großartige Illumination oder an Freudenfeuer zu Ehren irgend eines Ereignisses – bis wir belehrt werden, daß es sich um den sogenannten Weißwurmfang handele, um das Einheimsen der Eintagsfliegen oder Hafte zum Gebrauch als Vogelfutter u. dergl.

In der Ordnung der Insekten, welche die Geradflügler oder Kaukerfe (Orthoptera) umfaßt, bilden die Eintagsfliegen oder Hafte (Ephemeridae) eine Familie. Sie sind zarte, weichhäutige, schlanke Thiere mit vier netzadrigen Flügeln, deren hintere kleiner sind und bei einer Gattung (Eloë) fehlen, mit verkümmerten Mundtheilen, borstenähnlichen Fühlern und langen Schwanzborsten; der Körper ist weich, lang und dünn. Die Larve, welche zwei bis drei Jahre im Wasser lebt, sehr gefräßig ist und sich gewöhnlich in einer in die Uferwand gegrabenen Doppelröhre aufhält, kriecht dann auf einem Halm empor und das ausschlüpfende, vollkommene Insekt unterscheidet sich von allen Verwandten dadurch, daß es sich nochmals häutet. Den Vorgang der letzten Häutung des Uferhafts sehen wir, und zwar an einem Weibchen, rechts oben auf unsrer Abbildung dargestellt. Unten rechts erblicken wir die Haut selbst; links oben flattert ein Haftmännchen, während im Wasser Larven von Ephemera vulgata sichtbar sind. – Wo die Eintagsfliegen massenhaft aus dem Wasser [556] hervorkommen, kleben ihre leeren Häute überall an Steinen, Gesträuch und selbst an den Kleidern der Menschen fest, und davon mag das Kerbthier wohl den Namen Haft tragen. Die Bezeichnung Eintagsfliege finden wir bereits im Alterthum, und schon Aristoteles wußte, daß das entwickelte Insekt nur kurze Frist zu leben hat. Die Schwärme schweben oberhalb des Wassers hin und her. Etwa einen oder zwei Tage, sogleich nach stattgehabter Paarung lassen die Weibchen ihre gelben, länglichen Eier ins Wasser fallen und dann, nach vollbrachtem Lebenszweck, sterben sie, ohne Nahrung zu sich zu nehmen.

Eine unserer Abbildungen stellt den Fang der Hafte dar. Nach altherkömmlicher Gewohnheit, ohne Streit und Zank, nehmen die Leute familienweise von je einer Stelle am Ufer Besitz, errichten einen etwa 3 Meter großen viereckigen Herd, unmittelbar am Wasser und ein wenig in den Strom hinein, bauen in der Mitte eine kleine Feuerstelle auf und legen auf diese ein altes Drahtgeflecht. Darauf stellen sie einen weiten, irdenen Topf ohne Boden und entzünden in diesem Kienholz. Bald umschwärmen die Hafte jedes Feuer förmlich wie Schneeflocken zu Millionen, fallen mit versengten Flügeln auf ringsum ausgebreitete Sackleinwand nieder, werden zusammengekehrt und in Körbe geschüttet. So währt der Fang etwa von 8 Uhr bis 10 Uhr Abends und je nach der wärmern oder kühlern Witterung ist er mehr oder minder erfolgreich. Die an der Luft getrockneten, durch Schütteln und Abblasen von den Flügeln befreiten Hafte werden nun als Weißwurm in den Handel gebracht. Mein Gewährsmann, Herr Buchhalter F. Zwiflhofer in Prag, giebt an, daß die Leute dabei 10 bis 12 Gulden allabendlich und in den 14 Tagen dieser Ernte im Ganzen 120 bis 140 Gulden ohne Sorgen, Kosten und bei geringer Arbeit erwerben. Hier handelt es sich um die eigentliche Eintagsfliege oder das gemeine Haft (Ephemera vulgata, L.). In vielen anderen Gegenden, an der Elbe, Moldau, Theiß u. a. kommt nicht nur diese, sondern auch die nächstverwandte Art, die langschwänzige Eintagsfiiege (Palingenia longicauda, Oliv.), auch Theißblüthe genannt, in ungeheuren Massen vor. Namentlich die letztere zieht in dichten Schwärmen bis zur Höhe von 16 Meter langsam stromaufwärts und wird zuweilen in ganzen Wagenladungen als Dünger auf den Acker gebracht. Die Bewohner jener Gegenden können darum nicht dringend genug zur bestmöglichen Ausnutzung dieses werthvollen Materials angeregt werden.

Weißwurmfang an den Ufern der Elbe.
Originalzeichnung von E. Schmidt.

Bis vor Kurzem hatten wir nur zwei, gegenwärtig aber stehen uns drei hochwichtige Nahrungsmittel für kerbthierfressende Stubenvögel, also für unsere herrlichsten Sänger, zu Gebote: Ameisenpuppen, Mehlwurm und Weißwurm. Es bedarf wohl kaum des Hinweises darauf, daß wir auf die Ameisenpuppen, obwohl sie bis jetzt als geradezu unentbehrlich für die Vögel gelten, binnen verhältnißmäßig kurzer Frist werden völlig verzichten müssen, weil nämlich die Ameise an sich von höchster Wichtigkeit für die Erhaltung der Wälder ist und daher das Sammeln ihrer Puppen, beziehentlich das Zerstören der Ameisenhaufen bereits hier und da, namentlich in Preußen, verboten worden ist. Mehlwurmsfütterung ist für die Stubenvögel immerhin nur bedingungsweise zuträglich und dieser leckere Nahrungsstoff kann keineswegs in allen Fällen Verwendung finden; für gewisse, sehr zarte Vögel wird er sogar nur zu leicht verderblich. Unter allen Umständen allein als ein immer gedeihliches, überaus werthvolles und zweifellos zukunftsreiches Futtermittel dürfen wir daher nur den Weißwurm ansehen. Selbstverständlich müssen wir bei ihm, wie bei jedem Futterstoff für die Vögel überhaupt, die Anforderung stellen, daß er im allerbesten Zustand sei. Zunächst prüfen wir ihn auf Aussehen und Geruch. Er muß in gleichmäßig graugelbem, grobem Schrot bestehen, welches keinerlei fremde Beimischungen, wie Steinchen, Sand, Spreu, Thon-, Erd- oder gar Teigstücke, enthält. Der Geruch darf nicht faul, sauer oder scharf sein. Weißwurmmasse, welche feucht, schmierig, angeschimmelt ist, stockig oder dumpf riecht, ist vom Einkauf auszuschließen. Im guten Zustand ist der Weißwurm für zahlreiche Futtergemische zu verwenden, deren Vorschrift ich in meinem „Lehrbuch der Stubenvogelpflege, -Abrichtung und -Zucht“ gegeben habe.

Auf Grund meiner Erfahrungen im Laufe von Jahrzehnten kann ich mit Entschiedenheit behaupten, daß der Weißwurm ein naturgemäßes und gesundes Futter für alle Vögel ist, daß er von Kerbthierfressern und Körnerfressern, allen Edelsängern, Finkenvögeln, Papageien u. A. m. selber und zur Aufzucht ihrer Jungen gern verzehrt wird, sobald man ihn in den entsprechenden Gemischen darbietet und die Vögel allmählich an diese gewöhnt. Ferner kommt in Betracht, daß bei zweckmäßiger Ausbeutung des Weißwurms ein billigeres Vogelfutter als jedes andere geboten werden kann, und daß er auch noch nach zwei anderen Richtungen hin bedeutsamen Werth erlangen könnte und zwar in Folgendem. Es giebt keinen anderen Nahrungsstoff, der einen vollen und zugleich gesundheitszuträglichen Ersatz für die Ameisenpuppen zur Aufzucht von kalifornischen Wachteln, allerlei Fasanen und anderen kostbaren und edeln Hühnervögeln gewähren könnte, wie eben der Weißwurm. Schließlich ist derselbe entschieden als die vortrefflichste Fütterung für junge Fische anzusehen, und von der Aufzucht der Großflosser oder Makropoden im Zimmer-Aquarium bis zu der kostbarster Edelfische giebt es nach meiner Meinung kein vortheilhafteres Futter.

Weißwurm, Eintagsfliege (natürliche Größe).
Originalzeichnung von E. Schmidt.

Die Leser wollen es mir nicht verargen, wenn ich angesichts der hohen Wichtigkeit dieses Nahrungsmittels für unsere Vögel u. A. m. die Hauptbedingungen für die erfolgreichste Gewinnung und Verwerthung desselben anfüge. An der Theiß in Ungarn, wo die Eintagsfliegen am massenhaftesten auftreten, sollte der Fang in möglichst großartiger Weise betrieben werden, denn nach meiner festen Ueberzeugung könnten auch die größten Massen dieses Futtermittels entsprechende Verwendung finden. Hauptsache wäre es dabei freilich, daß einerseits die Zubereitung sachverständig und sorgfältig ausgeführt würde, und daß sich andererseits die Pfleger und Züchter von allerlei Stubenvögeln eben so wie die des kostbarsten Geflügels und nicht minder die Fischzüchter der Ausbeutung des bedeutsamen Nahrungsstoffs mit Eifer und Verständniß zuwenden möchten. Selbstverständlich müßte die Möglichkeit jeder etwaigen Verfälschung durchaus ferngehalten werden; das Trocknen, die Verpackung und Versendung müßte in der Hand kenntnißreicher und zuverlässiger Leute liegen. Wenn diese Bedingungen erfüllt werden, kann sich die Eintagsfliegenernte zweifellos als eine Goldquelle für weite Landstriche ergeben. Dr. Karl Ruß.