Kreuzeswissenschaft/Die Herrlichkeit der Auferstehung

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1. In den Flammen der göttlichen Liebe 166
a) An der Schwelle des ewigen Lebens 167
b) Vereint mit dem Drei-Einen 174
c) Im Strahlenglanz der göttlichen Herrlichkeit 181
d) Verborgenes Liebesleben 190
e) Eigenart der Lebendigen Liebesflamme im Vergleich mit den älteren Schriften 194
2. Der Seele Brautgesang 196
a) Der Geistliche Gesang und sein Verhältnis zu den andern Schriften 196
b) Der leitende Gedankengang nach der Darstellung des Heiligen 210
c) Das beherrschende Bild und seine Bedeutung für den Gehalt des Gesanges 213
d) Das Brautsymbol und die einzelnen Bilder 215
e) Brautsymbol und Kreuz (Mystische Vermählung - Schöpfung, Menschwerdung und Erlösung) 226


[166]
§ 3. DIE HERRLICHKEIT DER AUFERSTEHUNG
l. In den Flammen der göttlichen Liebe


llama de amor viva[1]
lebendige liebesflamme
0 0
I
I
Oh llama de amor viva, O Flamme lebend’ger Liebe,
Que tiernamente hieres Die zart Du mich verwundest
De mi alma en el más profundo centro, In meiner Seele allertiefstem Grunde!
Pues ya no eres esquiva, Da Du nicht mehr voll Schmerzen,
Acaba ya si quieres, Vollende, wenn’s Dein Wille,
Rompe la tela de este dulce encuentro. Zerreiß den Schleier dieses süßen Treffens.
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II
II
Oh cauterio suave! O Feuerbrand, so lieblich!
Oh regalada llaga! O Wunde voller Wonne!
Oh mano blanda! Oh toque delicado, O linde Hand! O zarteste Berührung!
Que a vida eterna sabe, Läßt ew’ges Leben kosten
Y toda deuda paga! Und zahlest alle Schuld!
Matando, muerte en vida la has trocado. Die tötend Du den Tod in Leben wandelst.
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III
III
Oh lámparas de fuego, O lichte Feuerlampen,
En cuyos resplandores In deren Strahlenfluten
Las profundas cavernas del sentido, Des Sinnes abgrundtiefe Höhlen
Que estaba obscuro y ciego, So blind einst und so dunkel,
Con extraños primores In Schönheit sondergleichen
Calor y luz dan junto a su querido! Wärme und Licht vereint weih’n dem Geliebten!
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IV
IV
Cuán manso y amoroso Wie sanft und voller Liebe
Recuerdas en mi seno, In meinem Schoß erwachst Du,
Donde secretamente solo moras: Wo Du verborgen weilest ganz allein;
Y en tu aspirar sabroso Mit Deinem süßen Hauche,
De bien y gloria lleno Voll Glück und Herrlichkeiten,
Cuán delicadamente me enamoras! Wie zart läßt Du in Liebe mich entbrennen!


[167]
a) An der Schwelle des ewigen Lebens

Die Seele ist der Nacht entronnen. Was nun in ihr vorgeht, das ist viel mächtiger, als alle Worte es sagen können. Die Sehnsuchtsrufe „o“ und „wie“ suchen dem Ausdruck zu geben. Darum hat der Heilige gezögert, die Bitte seiner geistlichen Tochter Anna de Peñalosa um Erklärung der vier Strophen zu erfüllen. Er fühlte, wie unzulänglich die Sprache sei, um etwas so ganz Geistiges und Innerliches zu erklären. Nach einiger Zeit aber schien es ihm, daß der Herr ihm „in etwa das Verständnis erschlossen und einige Wärme verliehen“ habe, ja ihn selbst zu dem Werk aufmuntere[2].

„Einige Wärme“! In der Tat hat man den Eindruck, daß nicht nur die vier Strophen des Gesanges, sondern auch die ganze Erklärung ein Ausbruch des Lebendigen Liebesflamme sind. So können auch wir nur mit heiliger Scheu diesen göttlichen Geheimnissen im Innersten einer auserwählten Seele nahen. Nachdem einmal der Schleier gelüf­tet wurde, ist es aber nicht erlaubt, davon zu schweigen. Wir haben ja hier das vor uns, was Aufstieg und Nacht – so wie sie uns vor­liegen – uns schuldig geblieben sind: die Seele am Ziel des langen Kreuzwegs, in der beseligenden Vereinigung.

Es wurde früher gesagt, daß auch die ersten Schriften offenbar von jemandem verfaßt sind, der bereits am Ziel angelangt ist. Das Lied von der Dunklen Nacht ist kaum anders zu verstehen. Aber in der Erklärung der Strophen hat er sich zurückversetzt in die Zeit der Nacht und sie so geschildert, als ob er noch davon umfangen wäre. Nur vorblickend hat er etwas über das Ziel gesagt. Jetzt aber ist er eingetaucht in das strahlende Licht des Auferstehungsmorgens. Wenn er jetzt noch von Kreuz und Nacht spricht, so geschieht es rückblickend. Gerade dieser Rückblick macht die Schrift in unserem Zusammenhang bedeutungsvoll: das neue Leben ist aus dem Tod ge­boren, die Herrlichkeit der Auferstehung ist der Lohn für das treue Aushalten in Nacht und Kreuz. So „zahlt sie jede Schuld“.

Die Seele „fühlt, wie aus ihrem Innern Ströme lebendigen Wassers hervortreten“[3], und es kommt ihr vor, als sei sie „schon so wirksam in Gott umgewandelt, so mächtig von Ihm ergriffen und so über­reich mit Gaben und Tugenden ausgestattet, daß nur mehr ein leich­tes Gewebe sie von der ewigen Seligkeit trenne“. Wenn diese zarte Liebesflamme, die in ihr brennt, sie ergreift, so wird sie jedesmal „gleichsam verklärt in süßer und mächtiger Herrlichkeit ....“ und [168] meint, es werde das Gewebe des irdischen Lebens zerrissen und es fehle nur sehr wenig zum Besitz der ewigen Seligkeit und des ewigen Lebens. So ist sie ganz erfüllt von heftigem Verlangen und fleht um Befreiung von der sterblichen Hülle[4].

Die Lebendige Liebesflamme ist der Heilige Geist, „den die Seele nunmehr in sich fühlt .... als ein Feuer, das sie verzehrt und in wonnevolle Liebe umgestaltet“, darüber hinaus aber „als ein Feuer, das aus ihr hinausbrennt und .... in Flammen ausschlägt. Sooft nun diese Flamme auflodert, taucht sie die Seele in Wonne und be­lebt sie mit einer Art göttlichen Lebens“. Der Heilige Geist wirkt in der Seele ein Entbrennen der Liebe, worin der Wille der Seele mit der göttlichen Flamme eine einzige Liebe geworden ist. Die Umgestaltung in Liebe ist der Habitus, der dauernde Zustand, in den die Seele versetzt ist, das Feuer, das ständig in ihr brennt. Ihre Akte aber „sind die Flamme, die aus dem Feuer der Liebe hervorbricht und umso heftiger emporlodert, je intensiver das Feuer der Vereinigung brennt“. In diesem Zustand kann die Seele nicht selbst tätig sein. Alle ihre Akte werden vom Heiligen Geist angeregt und voll­bracht, sind darum ganz göttlich. Und so scheint es der Seele bei je­dem Emporlodern der Flamme, als werde ihr nun das ewige Leben verliehen: „sie wird ja erhoben zu einem göttlichen Tun in Gott“. Bei dieser Umgestaltung in eine Liebesflamme teilen sich ihr der Vater, der Sohn und der Heilige Geist mit, sie kommt darin Gott so nahe, daß sie einen Schimmer des ewigen Lebens erhascht; sie hat die Empfindung, als sei dies das ewige Leben[5].

Die Flamme des göttlichen Lebens berührt die Seele mit der Zartheit des göttlichen Lebens und verwundet sie so mächtig in ihrem tiefsten Innern, daß sie ganz in Liebe zerfließt. Wie kann hier noch von Verwundung die Rede sein? In der Tat sind diese Wunden „gleich den lichtesten Flammen zärtlichster Liebe“, Spiele der ewigen Weisheit, „Flämmchen der zärtlichsten Berührungen, wodurch die Seele unablässig von jenem Feuer der Liebe, das nie untätig ist, ge­troffen wird....“[6]

Das geschieht im allertiefsten Grunde der Seele, wohin weder der Teufel noch die Sinnlichkeit zu dringen vermögen, darum ganz ungestört, wesentlich und wonnevoll. „.... Je lieblicher und innerlicher etwas ist, umso reiner ist es, und je größer die Reinheit ist, desto reichlicher, häufiger und vollständiger teilt sich Gott mit, und umso tiefgehender ist auch der Genuß und die Freude der Seele.... Gott [169] ist es, der alles vollbringt; die Seele gibt von dem Ihrigen nichts“. Sie kann ja aus sich nur mit Hilfe der körperlichen Sinne tätig sein; denen ist sie aber in diesem Zustand völlig entrückt, und so „be­schränkt sie sich darauf, nur von Gott im Empfang zu nehmen; Er allein kann im Grunde der Seele .... ohne Vermittlung der Sinne Sein Werk vollbringen und die Seele bewegen....“ So sind alle Re­gungen der Seele göttlich, sind Gottes Akte, aber doch auch wieder Akte der Seele. „Denn Gott vollführt sie mit ihr in ihr, indem sie ihre Einwilligung und Zustimmung gibt“.

Wenn die Seele sagt, der Heilige Geist verwunde sie in ihrem tiefsten Grunde, so meint sie damit, daß es in ihr auch weniger tiefliegende Punkte gibt, den Graden der Gottesliebe entsprechend; nun aber wird ihr Wesen, ihre Wirksamkeit und ihre Kraft berührt und erfaßt. Sie will nicht behaupten, „daß dies ebenso wesentlich und vollkommen stattfinde wie in der seligen Anschauung im anderen Leben....“; sie spricht nur so, „um die überreiche Fülle von Wonne und Seligkeit zum Ausdruck zu bringen, die sie bei diesen Gnadenerweisen des Heiligen Geistes in sich fühlt. Die Wonne ist umso größer und innerlicher, je mächtiger und wesenhafter die Seele in Gott umgestaltet ist“. Das geschieht hier nicht so vollkommen wie im ewigen Leben. „Wohl kann vielleicht die habituelle Liebe der Seele in diesem Leben ebenso vollkommen sein wie im andern, aber nicht ihre Frucht und Wirksamkeit....“ Der Zustand wird aber dem Leben im Jenseits so ähnlich, daß die Seele in der Überzeugung, es sei so, auszusprechen wagt: im tiefsten Grunde meiner Seele. Wer von solchen Dinge keine Erfahrung hat, mag das für Übertreibung halten. Doch „der Vater der Lichter, dessen Hand nicht gekürzt ist und .... in Füllen Segen spendet, .... unterläßt es nicht, an einer Seele, die schon im Feuer der Trübsale .... geprüft, erprobt, gerei­nigt und treu in der Liebe erfunden ist, eben wegen dieser Treue schon in diesem Leben zu erfüllen, was der Sohn Gottes verheißen hat: ,Wenn jemand Ihn liebe, so werde die Heiligste Dreifaltigkeit kommen und Wohnung bei ihm nehmen‘ (Joan. 14,23). Dieses Wohnungnehmen besteht darin, daß der Verstand göttlich erleuchtet wird in der Weisheit des Sohnes, daß der Wille mit Wonne im Hei­ligen Geist erfüllt wird und der Vater die Seele mächtig und innig hineinversenkt in den Abgrund Seiner Liebe“. Bei der Seele, in der die lebendige Liebesflamme brennt, wirkt der Heilige Geist aber etwas noch weit Erhabeneres als jene Mitteilung der Liebe und Um­gestaltung. „Das eine gleicht einer Kohlenglut, das andere ist wie eine Glut, in der das Feuer .... nicht nur glüht, sondern auch als lebendige Flamme emporlodert“. Die einfache Vereinigung gleicht [170] dem „Feuer Gottes in Sion“ (Is. 31,9), d.h. in der streitenden Kirche, in der das Feuer der Liebe nicht bis zum Äußersten entbrennt, die Liebesvereinigung mit Entflammung der Liebe dem „Glutofen Gottes in Jerusalem“, dem Schauen des Friedens in der triumphie­renden Kirche, wo dieses Feuer wie in einem Glutofen in vollkom­mener Liebe entbrennt. Die Seele hat noch nicht die Vollkommen­heit des Himmels erreicht, aber sie glüht wie ein Feuerofen mit ru­higem, herrlichem, liebeglühendem Schauen. Sie nimmt wahr, wie die „Liebesflamme in lebendiger Weise ihr alle Gnadengüter er­weist“. Darum ruft sie aus: „O Flamme lebend’ger Liebe, die zart Du mich verwundest!“ und will damit sagen: „O brennende Liebe, die Du meine Seele entsprechend ihrer größeren Fähigkeit und Kraft mit Deinen Liebesanregungen so zärtlich verklärst! Du gibst mir eine göttliche Erkenntnis, wie sie der ganzen Fähigkeit und Empfänglichkeit meines Verstandes entspricht, Du schenkst mir eine Liebe entsprechend der erweiterten Kraft meines Willens und er­füllst das Wesen meiner Seele durch Deine göttliche Berührung und wesenhafte Vereinigung mit einem Strom von Wonne, wie sie nur die Reinheit meines Wesens und die Empfänglichkeit und Fassungs­kraft meines Gedächtnisses aufzunehmen vermag“. Wenn die Läute­rung aller Kräfte vollendet ist, dann „läßt die göttliche Weisheit .... die Seele mit ihrer göttlichen Flamme auf unergründliche, zarte und erhabene Weise in sich aufgehen, und in diesem Aufgehen der Seele in der Weisheit entsendet der Heilige Geist die beseligenden Schwin­gen Seiner Flamme“[7]. Es ist dasselbe Feuer, das der Seele in der Rei­nigung dunkel und schmerzhaft war. Nun aber ist es hellleuchtend, lieblich und beseligend. Darum sagt die Seele: „Da Du nicht mehr voll Schmerzen“. Früher hat das göttliche Licht sie nur ihre eigene Finsternis sehen lassen. Nun, wo sie erleuchtet und umgestaltet ist, sieht sie in sich das Licht. Früher war die Flamme für den Willen schrecklich, weil sie ihm seine eigene Härte und Trockenheit schmerz­voll empfinden ließ. Er konnte die Zartheit und Lieblichkeit der Flamme nicht spüren. Er konnte auch ihre Süßigkeit nicht schmecken, weil sein Geschmack durch entartete Neigungen verdorben war. Die Seele konnte den unermeßlichen Reichtum und die Wonne der Liebesflamme nicht fassen und empfand unter ihrer Einwirkung nur die eigene Armut und das eigene Elend. An all das denkt sie nun zurück und will mit jenen kurzen Worten sagen: „Du bist nun für meinen Verstand nicht mehr Finsternis wie ehedem, sondern ein [171] göttliches Licht, womit ich Dich schauen kann; Du läßt meine Schwäche nicht mehr in Ohnmacht geraten, sondern wirst vielmehr die Stärke meines Willens sein, unter deren Einfluß ich, ganz in die göttliche Liebe umgewandelt, Dich lieben und genießen kann. Du bist nun für das Wesen meiner Seele keine Last und keine Bedrängnis mehr, vielmehr Beseligung, Wonne und Erweiterung....“[8] Und weil sie sich nun dem Ziele so nahe weiß, bittet sie um das Letzte: „Vollende, wenn Du willst!“

Es ist die Bitte um die vollkommene mystische Vermählung in der beseligenden Anschauung. Zwar ist die Seele auf dieser Stufe durchaus gelassen und fast wunschlos; sie möchte um sonst nichts mehr bitten. Da sie aber immer noch in der Hoffnung lebt und noch nicht im vollen Besitz der Gotteskindschaft, sehnt sie sich nach der Voll­endung, und das umso mehr, als sie den Vorgeschmack und Genuß davon schon hat, soweit das auf Erden möglich ist. So hoch ist dieser Grad, daß sie glaubt, ihre Natur müsse sich auflösen, da der niedere Teil nicht imstande ist, ein so mächtiges und erhabenes Feuer zu ertragen. Und sie würde auch wirklich vergehen, wenn Gott nicht der Schwäche ihrer Natur zu Hilfe kommen und sie mit Seiner Rechten stützen würde. Übrigens sind die kurzen Lichtblicke der Beschauung derart, „daß es ein Beweis schwacher Liebe wäre, die Bitte um den Eintritt in jene Vollkommenheit und Vollendung der Liebe zu unterlassen“. Sie nimmt auch wahr, daß der Heilige Geist selbst sie zur Beseligung einladet, ähnlich wie die Braut im Hohenlied gerufen wird: „Mach Dich auf und eile, meine Freundin, meine Taube, meine Schöne, und komm....“ (Cant. 2,10 ff.). „Vollen­de – wenn Du willst“, damit spricht die Seele „jene zwei Bitten aus, die uns der Bräutigam im Evangelium lehrt: ,Zukomme uns Dein Reich – Dein Wille geschehe’“[9].

Damit die vollkommene Vereinigung stattfinden könne, muß je­des trennende Gewebe zwischen Gott und der Seele beseitigt werden. Es kann ein dreifaches sein: „ein zeitliches, das alle Geschöpfe in sich begreift; ein natürliches, das alle rein natürlichen Tätigkeiten und Neigungen umfaßt; .... ein sinnliches, das die Vereinigung der Seele mit dem Leibe, das sinnliche und animalische Leben in sich schließt....“ Das erste und zweite mußte schon zerrissen werden, um zu der bereits erreichten Vereinigung zu gelangen. Das geschah „durch das schreckliche Zusammentreffen mit jener Flamme, als sie noch furchtbar war“. Jetzt ist nur noch das dritte Gewebe des [172] sinnlichen Lebens zu zerreißen, und das ist durch die Vereinigung mit Gott schon so dünn und zart wie ein Schleier. Und wenn es zerrissen wird, so kann die Seele von einem süßen Treffen sprechen. Denn das natürliche Streben solcher Seelen ist ganz anders als bei anderen, obwohl die natürlichen Bedingungen des Todes ähnlich sind. „Sterben sie an einer Krankheit oder an Altersschwäche, so löst sich doch bei ihnen die Seele mit heftiger Gewalt und in weit erhabe­nerer Liebesbewegung .... los....; diese Liebesbewegung hat .... die Kraft, das Gewebe zu zerreißen und den kostbaren Juwel der Seele mit sich zu nehmen. Darum ist das Sterben solcher Seelen um so lieblicher und süßer, als es das geistige Leben während der Dauer des ganzen Lebens war. Ihr Tod wird verursacht durch die erhabensten Antriebe und wonnevollsten Begegnungen der Liebe, gleichwie der Schwan am lieblichsten singt, wenn es mit ihm zum Sterben kommt. Darum sagt David: ,Kostbar ist in den Augen Gottes der Tod seiner Heiligen’ (Ps. 115,15). Denn hier vereinigen sich alle Reichtümer der Seele, und es ergießen sich ihre Liebesströme ins Meer der Liebe...., so reichhaltig und ruhig...., daß sie schon Meere zu sein scheinen“. Die Seele sieht sich „schon an der Schwelle des Eintritts in die Glückesfülle...., um ihr Reich voll und ganz zu besitzen.... Sie sieht sich rein und reich, voll Tugend und wohl zubereitet für die Besitznahme.... Denn in diesem Zustand läßt Gott die Seele ihre eigene Schönheit schauen.... Alles verwandelt sich jetzt in Liebe und Lobpreisung ohne eine Spur von Vermessen­heit und Eitelkeit, da aller Sauerteig der Unvollkommenheiten be­seitigt ist.... Nun sieht die Seele, daß ihr sonst nichts mehr fehlt, als daß das feine Gewebe des natürlichen Lebens zerreißt.... So verlangt sie aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein und emp­findet es als Qual, da ein so armseliges und schwaches Leben sie hindern kann an der Besitznahme des andern, so erhabenen und un­vergänglichen Lebens. Deshalb bittet sie....: „Zerreiß den Schleier dieses süßen Treffens“[10].

Da sie nun „die Kraft des anderen Lebens fühlt, .... nimmt sie auch .... die Schwäche dieses Lebens wahr. Es kommt ihr .... wie ein überaus dünnes Gewebe vor, ähnlich wie ein Spinnengewebe (Ps. 89, 9) ...., ja .... noch viel geringfügiger....“ Denn sie erkennt nun die Dinge wie Gott; „sie sind vor ihren Augen nichts, und auch sie selbst ist nichts, Gott allein ist ihr alles“.

Sie bittet um Zerreißen, nicht um Abschneiden: einmal, weil das besser zur Vorstellung einer Begegnung paßt; ferner, „weil die Liebe [173] eine Freundin starker Liebe und kraftvoller, stürmischer Berührung ist.... Drittens, weil die Liebe sich danach sehnt, daß der Akt sich in kürzester Zeit vollziehe....“ Denn er hat umso mehr „Kraft und Wert, je kürzer und geistiger er ist. Denn vereinte Kraft ist mächtiger als zersplitterte....“ Die Akte, die sich in einem Augenblicke in der Seele vollziehen, sind von Gott eingegossen; die von der Seele selbst ausgehen, sind mehr zubereitende Begierden und werden niemals vollkommene Akte der Liebe, wenn sie nicht, wie gesagt, Gott zuweilen „ganz kurz im Geiste formt und vollendet“. „.... In die zubereitete Seele senkt sich der Akt der Liebe augenblicklich ein, denn bei der ersten Berührung erfaßt der Funken die trockene Nahrung. Darum verlangt die liebeentflammte Seele ein schnelles Zerreißen....“ Sie will keinen Aufschub und kein Ab­warten des natürlichen Endes. „Die Macht der Liebe und die Zube­reitung, die sie in sich gewahrt, wecken in ihr .... das Verlangen, es möge das Leben alsbald beendet werden durch irgend einen Stoß oder übernatürlichen Antrieb der Liebe“. Sie weiß, „daß Gott sehr gern solche Seelen, die Er innig liebt, schon vor der Zeit hinweg­nimmt, um sie durch diese Liebe in kurzem zu vollenden....“ „Darum ist es eine wichtige Aufgabe der Seele, sich in diesem Leben in Akten der Liebe zu üben, damit sie in kurzer Zeit und, ohne sich da oder dort aufzuhalten, zur Anschauung Gottes gelange“.

Die Seele nennt das ungestüme innere Erfaßtwerden vom Heiligen Geist ein Treffen oder eine Begegnung. Gott greift sie mit diesem übernatürlichen Ungestüm an, um sie über das Fleisch zu erheben und der ersehnten Vollendung entgegenzuführen. Es sind das wahre Begegnungen; der Heilige Geist durchdringt dabei das Wesen der Seele, verklärt und vergöttlicht es. „Dabei verschlingt das göttliche Sein das Sein der Seele über allem Sein“. Die Seele darf hier Gott lebendig kosten und nennt dieses Treffen vor allen andern Berüh­rungen und Begegnungen süß, weil es alle andern an Erhabenheit übertrifft. So bereitet Gott die Seele auf die vollkommene Beseligung vor und gibt ihr selbst die Bitte ein, jenen zarten Schleier zu zer­reißen, damit sie fortan ohne Schranken und ohne Ende in der Fülle und Ersättigung, nach der sie verlangt, Gott lieben könne[11].


[174]
b) Vereint mit dem Drei-Einen
O Feuerbrand so lieblich!
O Wunde voller Wonne!
O linde Hand! O zarteste Berührung!
Läßt ew’ges Leben kosten
Und zahlest alle Schuld!
Die tötend Du den Tod in Leben wandelst.

In der ersten Strophe ist die Vereinigung hauptsächlich als Werk des Heiligen Geistes betrachtet worden. Es wurde nur kurz er­wähnt, daß alle drei göttlichen Personen in der Seele Wohnung neh­men. Nun wird versucht darzustellen, welchen Anteil jede der drei Personen an dem „göttlichen Werk der Vereinigung“ hat. Feuer­brand, Hand und Berührung sind dem Wesen nach dieselbe Sache; im Hinblick auf die Wirkung werden die Namen unterschieden. „Der Feuerbrand ist der Heilige Geist, die Hand ist der Vater und die Berührung der Sohn“. Jeder verleiht ihr eine besondere Gabe: dem Heiligen Geist, dem leiblichen Feuerbrand, verdankt sie die wonnevolle Wunde. Der Sohn läßt sie in zarter Berührung das ewige Leben kosten. Der Vater gestaltet sie mit sanfter Hand in Gott um. Und doch spricht sie nur mit der einen Gottheit, „denn alle drei Personen wirken vereint, und so schreibt sie alles einer und alles allen zu“[12].

Wir kennen den Heiligen Geist schon als verzehrendes Feuer (Deut. 4,24), als „Feuer der Liebe, das mit unbegrenzter Macht die Seele, die es berührt, auf eine über jede Vorstellung gehende, erhabene Weise verzehren und in sich umgestalten kann.... Und wenn dieses göttliche Feuer die Seele umgewandelt hat, so fühlt sie nicht bloß den Feuerbrand, sondern ist auch vollständig zu einem Feuerherd geworden, der heftig brennt. Es ist wunderbar...., daß dieses heftige und verzehrende Feuer Gottes, das viel leichter tausend Welten verzehren könnte als das irdische Feuer einen Strohhalm, die Seele .... nicht zerstört und vernichtet, .... sondern .... vergöttlicht und mit Wonne erfüllt....“ Es ist ihr „das seltene Glück beschieden, daß sie alles weiß, alles kostet und alles tut, was sie will; es gelingt ihr alles, nichts kann ihr etwas anhaben noch sie berüh­ren“. Von ihr gelten die Worte des Apostels: „Der geistige Mensch beurteilt alles, er selbst aber wird von niemand beurteilt (1 Cor. 2,15) und wiederum: ,Der geistige Mensch erforscht alles, selbst die [175] Tiefen der Gottheit’ (1 Cor. 2,10). Denn es ist der Liebe eigen, alle Schätze des Geliebten zu erforschen“[13].

Der liebliche Feuerbrand verursacht eine wonnevolle Wunde; „denn da es ein Feuer süßer Liebe ist, wird es auch eine Wunde sü­ßer Liebe sein und die Seele süß erquicken. Wie das materielle Feuer schon vorhandene Wunden, auf die es trifft, in Brandwunden verwandelt, so verletzt der Feuerbrand der Liebe die Wunden des Elends und der Sünde, heilt sie dann und wandelt sie in Wunden der Liebe. Auch die Wunden, die er selbst schlägt, heilt er – das unterscheidet ihn vom materiellen Feuer –, und sie können durch nichts anders geheilt werden. Aber er heilt sie, um neue Wunden zu schlagen. „Sooft der Feuerbrand der Liebe mit der Wunde der Liebe in Berührung kommt, vergrößert er die Liebeswunde, und so heilt und führt er die Seele umso mehr zur Gesundung, je stärker er sie verwundet...., bis die Wunde so groß ist, daß die Seele ganz in der Liebeswunde aufgeht. Und so .... gleichsam zu einer Wunde gemacht, ist sie ganz heil in der Liebe, d.h. umgestaltet in der Liebe....; sie ist ganz verwundet und ganz heil“. Und doch läßt der Feuerbrand nicht ab zu wirken, sondern nimmt wie ein guter Arzt die Wunde in liebevolle Behandlung.

Diese höchste Art der Liebesverwundung „wird durch unmittel­bare Berührung der Gottheit in der Seele verursacht ohne irgend eine geistige oder einbildliche Form und Gestalt....“ Es gibt aber noch andere sehr erhabene Arten des Entbrennens, bei denen eine geistige Form mitwirkt. Der Heilige gibt hier eine sehr ausführliche Schilderung, wie die Seele durch einen Seraph mit einem brennen­den Pfeil oder Speer verwundet werden kann. Es ist darunter kaum etwas anderes zu verstehen als die Herzverwundung unserer hl. Mutter Teresia. Seine Darstellung gibt aber bemerkenswerte Züge, die Teresia in ihrem eigenen Bericht[14] nicht verzeichnet hat. Das ist nicht erstaunlich, da sie Johannes ihre ganze Seele offenbart hatte und sich dabei jedenfalls rückhaltloser aussprach als in der literari­schen Darstellung. Die Seele – so erzählt er – „fühlt die zarte Verwundung und das Heilkraut, mit dem die Spitze des Speeres wirksam geschärft war, als lebendigen Punkt im Wesen des Geistes, gleichsam im Herzen der durchbohrten Seele. Und an diesem inner­sten Punkt der Verwundung, die mitten im Herzen des Geistes, wo sie die zarteste Wonne verkostet, zu sein scheint – wer kann sich da treffend ausdrücken? –, fühlt die Seele ein ganz kleines Senfkörnlein [176] voll Leben und Feuer, das in seinem Umkreis ein lebendi­ges und glühendes Feuer ausstrahlen läßt. Sie hat das Gefühl, als ob dieses Feuer, das aus dem Wesen und der Kraft jenes lebendigen Punktes entsteht, wo das Wesen und die Kraft des Krautes ist, in erhabener Weise sich in alle Geistes- und Wesensadern ergieße....; wobei sie die Liebesglut in hohem Grade zunehmen und wachsen sieht. In dieser Glut wird die Liebe so geläutert, daß es ihr vor­kommt, als wäre ein ganzes Meer von liebeentflammtem Feuer in ihr, das vor übergroßer Fülle auf- und niederwogt, alles mit Liebe erfüllend. In diesem Feuer erscheint das ganze Weltall als ein Meer der Liebe; sie sieht, darein getaucht, keine Grenzen und kein Ende dieser Liebe, während sie in sich .... den lebendigen Mittelpunkt der Liebe wahrnimmt. Von der Wonne, die hier die Seele genießt, kann man nur sagen, daß sie darin erfährt, wie gut im Evangelium das Himmelreich mit einem Senfkörnlein verglichen wird, das, obschon ganz klein, infolge seiner heftigen Triebkraft zu einem gro­ßen Baum heranwächst (Matth. 13,31). Denn die Seele gewahrt, wie sie selber zu einem unermeßlichen Feuer der Liebe geworden ist, das hervorbricht von jenem glühenden Punkt im Herzen des Geistes.

Wenige gelangen so weit, aber manche haben die Stufe erreicht, vor allem jene, deren Tugend und Geist sich auf ihre Nachkommen fortpflanzen mußte. Da erfüllte Gott die Familienhäupter...., die Erstlinge des Geistes mit Reichtum und Kraft, je nach der großen oder geringen Zahl jener, die ihre Lehre und ihren Geist sich aneignen sollen“. (Auch diese Bemerkung weist auf die heilige Mutter.)

In manchen Fällen wird die innere Verwundung auch nach au­ßen hin am Leibe sichtbar. Johannes beruft sich dafür auf die Wundmale des hl. Franziskus, die der Seraph „auch dem Leibe ein­drückte...., wie er sie seiner Seele durch die Liebesverwundung bei­gebracht hatte[15]. Denn Gott gewährt gewöhnlich dem Leib keine Gnade, die er nicht zuvor und in erster Linie der Seele erwiesen hätte“. Je größer dabei die Wonne und Kraft der Liebe infolge der inneren Verwundung ist, „desto empfindlicher ist auch der Schmerz äußerlich an der Wunde des Leibes. Und mit dem Wachstum des einen nimmt auch das andere zu“. Denn „den gereinigten und in Gott gekräftigten Seelen bereitet Wonne und Süßigkeit, was dem verweslichen Leibe Schmerz und Qual bereitet.... Wird aber die Wunde nur der Seele geschlagen, .... so kann die Wonne weit in­niger und erhabener sein; denn das Fleisch hält den Geist im Zaum, [177] und bekommt es an den geistigen Gnadengütern Anteil, so zieht es den Zügel an und .... bändigt die feurige Lebhaftigkeit des schnellfüßigen geistigen Pferdes; wenn es nämlich seine Kraft ausnützen würde, müßte der Zügel zerreißen....“[16]

Die kleine Einschaltung über Abarten der Liebesverwundung ist einmal bemerkenswert, weil sie zeigt, wie sorgfältig sich der Heilige bemüht, seine eigene innere Erfahrung zu ergänzen durch das, was ihm in andern Seelen zugänglich wird, wie er aber rein und klar die Unterschiede herausarbeitet und fest bei dem bleibt, was ihm grundsätzlich klar geworden ist: so erhaben die Liebesverwundung im visionären Erlebnis sein mag – nichts reicht an das rein geistige Geschehen im Wesen der Seele heran. Dem entspricht die sehr bezeichnende Auffassung des Verhältnisses von Leib und Seele, die sich an dieser Stelle andeutet: die Seele als Geist ist das wesenhaft Herrschende, wenn sie auch im Zustand des Falls – selbst noch in der höchsten Erhebung, die auf Erden denkbar ist – vom Leib be­lastet und durch die irdische Hülle niedergedrückt wird; und dieser ursprünglichen Ordnung der Natur paßt sich die Gnadenordnung an und spendet ihre Gaben vornehmlich und in erster Linie der Seele, erst abgeleiteterweise und eventuell durch Vermittlung der Seele, dem Leib.

Die Hand, die die Wunde schlägt, ist der liebevolle und allmächtige Vater: „eine Hand...., die ebenso großmütig und freigebig wie mächtig und reich Ihre .... kostbaren Geschenke der Seele mit­teilt, wenn Sie sich öffnet, um Ihre Gnade auszuspenden....“ Die Seele empfindet Ihre liebevolle Herablassung und Berührung um so sanfter, weil diese Hand die ganze Welt in den Abgrund schleudern könnte, wenn Sie sich etwas empfindlicher darauf legte. Sie tötet und belebt und niemand kann Ihr entfliehen. „Du tötest aber, o göttliches Leben, nur um Leben zu geben.... Wenn Du züchtigst, berührst Du sanft, aber dies reicht hin, um die ganze Welt zu vernichten; doch wenn Du die Seele erquickst, zeigst Du Dich überaus herablassend, und die Tröstungen Deiner Süßigkeit sind unzählbar. Du hast mich verwundet, um mich zu heilen, o göttliche Hand; Du hast in mir getötet, was mich unter dem Baum des Todes fern vom göttlichen Leben gefangen hielt.... Dies hast Du vollbracht mit der Freigebigkeit Deiner großherzigen Liebe in jener Berührung, bei der Du mich mit dem Abglanz Deiner Herrlichkeit und mit dem Abbild Deines Wesens berührtest (Hebr. 1,3). Es ist dies Dein eingeborener Sohn; in Ihm, der Deine Weisheit ist, reichst Du mit [178] Macht von einem Ende zum andern (Weish. 8,1). Und dieser Dein eingeborener Sohn, o barmherzige Hand des Vaters, ist die zarte Berührung, mit der Du mich in der Kraft Deines Feuerbrandes getroffen und verwundet hast.

O zarte Berührung, Wort, Sohn Gottes, der Du in der Zärtlich­keit Deines göttlichen Seins in erhabener Weise das Wesen meiner Seele durchdringst! Und während Du sie ganz zart berührst, läßt Du sie vollkommen in Dir, in göttlicher Süßigkeit und Wonne auf­gehen, wie man sie weder im Lande Kanaan gehört, noch in Teman gesehen hat (Bar. 3,22). O überaus zarte und gegen mich ganz ein­zigartige Berührung des Wortes! Du hast durch den Schatten Dei­ner Macht und Kraft, der vor Dir herging, die Berge umgestürzt und die Felsen auf dem Berge Horeb zermalmt und ließest Dich in ganz sanfter und fühlbarer Weise vom Propheten im Säuseln eines gelinden Windes wahrnehmen! (3 Reg. 19,11-12) O zartes und gelindes Lüftchen, sag mir doch, wie Du ein zartes und gelindes Lüftchen warst; wie Du so zart berühren kannst, da Du, Wort, Sohn Gottes, so furchtbar und mächtig bist! O selig und überselig die Seele, die Du, der Du so furchtbar und mächtig bist, so sanft und milde berührst! Verkünde es der Welt – doch nein, sage es nicht, denn sie hat kein Verständnis für dieses sanfte Lüftchen.... O mein Gott und Leben! nur die werden Dich in Deiner sanften Be­rührung erkennen und wahrnehmen, die selber durch Losschälung von der Welt zart geworden sind, da das Zarte nur dem Zarten be­gegnet; und so können sie es empfinden und genießen.... O aber­mals und vielmals zarte Berührung, um so wirksamer und fühlbarer, je zarter Du bist! Denn durch die Kraft Deiner Zärtlichkeit befreist .... Du die Seele von allen Berührungen der Geschöpfe, einst sie mit Dir und nimmst sie für Dich allein in Besitz. Du läßt in der Seele eine so wohltuende Wirkung und Empfindung zurück, daß ihr jede Berührung der Geschöpfe .... plump und trügerisch vorkommt.... Schon ihr Anblick erregt in ihr Widerwillen, und es bereitet ihr Pein und große Qual, davon zu reden oder mit ihnen in Berührung zu kommen“.

Mit der Zartheit wächst die Fassungskraft, mit der Einfachheit und Feinheit die Fülle der Mitteilung. Das Wort ist unendlich ein­fach und zart, die Seele in diesem Stande durch ihre Lauterkeit und Reinheit ein Gefäß von großem Umfang und Inhalt. Und je feiner und zarter die Berührung ist, um so mehr Wonne bereitet sie. Diese göttliche Berührung ist ohne Form und Gestalt, weil das gött­liche Wort sich keiner Art einfügt. Sie ist wesenhaft, d.h. sie voll­zieht sich in der Seele durch Gottes einfaches Wesen und ist darum [179] unaussprechlich. Sie ist unendlich und darum auch unendlich zart[17]. So kann sie „ewiges Leben kosten lassen“. Das ist nicht unmöglich, wenn Gottes Wesen die Seele in ihrem Wesen berührt. Die Wonne, die man dabei fühlt, ist unaussprechlich. „Ich will mich auch nicht darüber aussprechen, damit man nicht meine, dies ginge nicht über alles hinaus, was sich mit Worten sagen läßt“. Die Seelen haben für diese erhabenen göttlichen Dinge ihre eigene Ausdrucksweise, die nur der versteht, dem sie zuteil werden: er freut sich ihrer und hält sie geheim. Es ist damit wie mit dem Namen auf dem weißen Stein: niemand kennt ihn, als der ihn empfängt (Apoc. 2, 17). So gewährt die göttliche Berührung den Vorgeschmack des ewigen Lebens, wenn auch die Freude noch nicht so vollkommen ist wie in der ewigen Herrlichkeit. Die Seele kostet hier „durch Teilnahme alle göttlichen Reichtümer, die Kraft, die Weisheit und Liebe, die Schönheit, Anmut und Güte usw. Und weil Gott all das ist, kostet es die Seele in einer einzigen göttlichen Berührung, und zwar mit all ihren Fähigkeiten und ihrem Wesen. Von diesem beseligenden Ge­nuß der Seele ergießt sich manchmal auch die Salbung des Heiligen Geistes auf den Leib. An diesem Genuß nimmt das ganze sinnliche Wesen teil, alle seine Glieder, Gebeine und selbst das Mark der Ge­beine kosten ihn .... mit dem Gefühl großer Wonne und Herrlich­keit, das sich bis in die äußersten Gelenke der Hände und Füße wahrnehmen läßt“[18]. In diesem Vorgeschmack des ewigen Lebens fühlt sich die Seele reichlich und weit über alle Gebühr belohnt für alle früheren Mühen, Betrübnisse, Beschwerden und Bußübungen. Und so ist „alle Schuld bezahlt“.

Wenn so wenige „zu diesem erhabenen Stand der vollkommenen Vereinigung mit Gott gelangen“, so ist die Ursache nicht bei Gott zu suchen, denn Er würde gern alle vollkommen sehen. Aber Er findet nur wenige Gefäße, die die notwendige „hohe und erhabene Bearbeitung ertragen“. Die meisten „weigern sich, geringfügige Trostlosigkeiten und Abtötungen auf sich zu nehmen, und auch, mit beharrlicher Geduld zu wirken.... Und so führt Er sie auch nicht weiter vorwärts, um sie durch das Werk der Abtötung zu reinigen und aus dem Staub der Erde zu erheben.... O ihr Seelen, die ihr im geistlichen Leben in Sicherheit und Tröstungen zu wan­deln wünscht, wenn ihr doch wüßtet, wie notwendig euch die Lei­den sind, um zu dieser Sicherheit und diesem Trost zu gelangen.... Nehmt .... das Kreuz auf euch und trinkt, daran geheftet, [180] Galle und unvermischten Essig. Haltet das für ein großes Glück, denn wenn ihr so der Welt und euch selbst absterbt, gelangt ihr zu einem Leben aus Gott in der Wonne des Geistes“. Wem „die ganz besondere Gnade der inneren Prüfung“ verliehen wird, der muß Gott erst viele Dienste erweisen, große Geduld und Standhaftigkeit an den Tag legen, vor den Augen des Herrn in Leben und Wirken äußerst angenehm werden. So kommt es, „daß nur wenige es ver­dienen, durch Leiden zur Vollendung zu gelangen“[19].

Rückschauend erkennt dann die Seele, daß ihr alles zum Heil geworden ist und daß das Licht den Finsternissen entspricht. Es wird ihr nicht nur alles vergolten; es sind in ihr auch alle unvollkomme­nen Begierden ertötet, die ihr das geistige Leben rauben wollten. So hat Gottes Hand tötend den Tod in Leben gewandelt.

Unter Leben ist dabei ein Doppeltes zu verstehen: die beseligende Anschauung Gottes, zu der wir nur durch den natürlichen Tod hin­durch gelangen können, und das vollkommene geistige Leben in der Liebesvereinigung mit Gott: dahin führt die Ertötung aller Laster und Begierden. Was die Seele hier Tod nennt, ist „der ganze alte Mensch, .... der Gebrauch des Gedächtnisses, des Verstandes und Willens, die sich mit den Dingen dieser Welt beschäftigen...., und die Begierden und Neigungen, die auf die Geschöpfe gerichtet sind“. In all dem besteht das alte Leben, und das ist gleichbedeutend mit dem Tod des neuen, geistigen Lebens. In diesem neuen Leben der Vereinigung aber werden alle Begierden und Kräfte der Seele, alle ihre Neigungen und Tätigkeiten in göttliche umgewandelt. Sie lebt „ein Leben Gottes, und so hat sich ihr Tod in Leben umgewandelt, das sinnliche Leben in geistiges“. Ihr Verstand ist umgestaltet in einen göttlichen Verstand, ihr Wille, ihr Gedächtnis und ihr natür­liches Begehren sind alle vergöttlicht. „Das Eigenwesen (sustancia) der Seele ist zwar nicht das göttliche Wesen, da es sich nicht seinem Bestand nach (sustancialmente) in Gott verwandeln kann, aber durch die Vereinigung mit Gott und durch das Hineingezogensein in Ihn ist es Gott durch Teilnahme“. So kann die Seele nun mit vollem Recht sagen: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20). Sie ist nun „innerlich und äußerlich immer in Feststimmung, und dem Mund ihres Geistes entströmt häufig ein heller Jubel zu Gott, gleich einem neuen, immer neuen Lied in Freude, Liebe und Erkenntnis ihres glückseligen Standes“. Gott, der alles neu macht, erneuert auch die Seele beständig. Er läßt sie nicht [181] wieder abnehmen wie früher, sondern mehrt ihre Verdienste. „.... Neben dem Bewußtsein der erhabenen Gnade, die sie emp­fangen hat, fühlt sie, daß Gott sorgfältig darauf bedacht ist, sie mit Seinen köstlichen, zärtlichen und liebevollen Worten zu beglücken und bald durch diese, bald durch jene Gnade zu erhöhen; und so kommt es ihr vor, als habe Er sonst keine Seele auf der Welt, die Er erfreuen wolle, und nichts anderes, womit Er sich zu beschäftigen hätte, sondern sei ganz für sie allein da. Aus diesem Gefühl heraus bricht sie in die Worte der Braut im Hohenliede aus: ,Mein Geliebter ist mein und ich bin sein’ (Cant. 2,16)“[20].


c) Im Strahlenglanz der göttlichen Herrlichkeit
O lichte Feuerlampen,
In deren Strahlenfluten
Des Sinnes abgrundtiefe Höhlen,
So blind einst und so dunkel,
In Schönheit sondergleichen
Wärme und Licht vereint weih’n dem Geliebten.

Die Seele strömt über von Dank für die Gnaden, die sie aus der Vereinigung empfangen hat. Ihr Sinn und ihre Vermögen, einst blind und in Finsternis, sind nun durch liebeglühende Erkenntnisse hellleuchtend und entflammt. So kann sie dem Geliebten Licht und Liebe zurückschenken; darüber ist sie hochbeglückt.

In der wesentlichen Vereinigung mit Gott erkennt die Seele die Herrlichkeiten und Kräfte aller göttlichen Eigenschaften, die im einfachen göttlichen Wesen eingeschlossen sind: Seine Allmacht, Weisheit, Güte, Barmherzigkeit usw. „Jede dieser Eigenschaften ist dasselbe Wesen Gottes in einer einzigen Person, .... im Vater, im Sohn oder im Heiligen Geist; und so ist auch jede dieser Vollkommenheiten Gott selbst. Und da Gott ein unendlich göttliches Licht und ein unermeßlich göttliches Feuer ist, .... so leuchtete und brennt jede dieser Seiner zahllosen Eigenschaften und Kräfte wie Gott selbst. So ist jede dieser Eigenschaften eine Lampe, welche die Seele erleuchtet und mit Liebesglut erfüllt“. In einem einzigen Akt der Vereinigung empfängt die Seele die Erkenntnis der verschiede­nen Eigenschaften, und so „ist für sie derselbe Gott eine Fülle von Lampen zugleich, die sie in verschiedener Weise mit Weisheit erleuchten [182] und mit Liebesglut erfüllen“. Und so wird sie von jeder dieser Lampen besonders und von allen gemeinsam entflammt. „Denn alle diese Eigenschaften sind ein Wesen....; und so sind auch alle diese Lampen nur eine Lampe, die nach ihren Kräften und Eigenschaften leuchtet und brennt wie viele Lampen“. Der Glanz dieser Lampe des göttlichen Wesens, sofern Er allmächtig ist, gibt ihr Licht und Wärme zu Gott dem Allmächtigen. Er erfüllt sie aber auch mit Glanz als der Allweise und ist so eine Lampe der Weisheit. Und so ist es mit allen übrigen Eigenschaften, die sich der Seele zu­gleich offenbaren. Wunderbare Wonne empfängt die Seele vom Feuer und Licht dieser Lampen, eine unendliche Fülle, da sie von so vielen Lampen kommt und jede in Liebe brennt. „Und die Glut der einen vermehrt die Glut der andern, die Flamme der einen die Flamme der andern und das Licht der einen das der andern. Denn durch jede einzelne Vollkommenheit wird die andere erkannt. Und so werden alle zusammen ein Licht und ein Feuer....“ Die Seele wird unermeßlich in diese zarten Flammen eingetaucht, von jeder einzelnen aufs zärtlichste in Liebe verwundet und von allen zusam­men noch mehr verwundet in der Liebe, die aus dem Leben kommt, und sie „vermag gar wohl zu erkennen, daß jene Liebe vom ewigen Leben stammt, das alle Güter in sich begreift“. Gott erweist der Seele Seine Liebe und Seine Wohltaten in der Kraft aller Seiner Eigen­schaften: Er begnadet und liebt sie mit Allmacht und Weisheit, in Güte und Heiligkeit, in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Reinheit und Lauterkeit usw. Er schätzt sie überaus hoch, will sie mit sich selbst auf gleiche Stufe stellen und zeigt sich ihr darum freudig in den Erkenntnissen der Vereinigung. Ströme des Liebens gießt Er auf sie aus, und sie wird beglückt in vollkommener Harmonie der Seele und des Leibes, umgewandelt in ein Paradies, das Gott voll­kommen bebaut hat. Und so lieblich ist das unendliche Feuer, daß es den Wassern des Lebens gleicht, die mit Ungestüm den Durst des Geistes vollkommen stillen. Das deutete jener wunderbare Vor­gang an, von dem die Makkabäerbücher berichten: das heilige Feuer, das in einer Zisterne verborgen wurde, war in der Zisterne zu Was­ser geworden; auf dem Opferaltar wandelte es sich wieder in Feu­er[21]. Wie ein süßes, wonnigliches Wasser ist der Geist Gottes, so­lang Er in den Adern der Seele verborgen ist; tritt Er aber beim Opfer der göttlichen Liebe zu Tage, dann ist Er ein lebendiges Flam­menfeuer. Weil nun die Seele hier entflammt und in liebender Hin­gabe tätig ist, darum spricht sie lieber von Lampen als von Wasser.

[183] Doch all das sind nur unzulängliche Versuche, das auszudrücken, was in Wirklichkeit vorgeht; „denn die Umgestaltung der Seele in Gott ist etwas Unaussprechliches“[22].

Wenn von Strahlenfluten gesprochen wird, in denen die Seele erglänzt, so sind damit die liebeglühenden Erkenntnisse der göttlichen Vollkommenheiten gemeint. Mit diesen Vollkommenheiten vereinigt, wird sie in die liebeglühenden Lichtstrahlen umgestaltet und er­glänzt wie diese selbst. Das Leuchten der göttlichen Lichtstrahlen ist ganz anders als das körperlicher Lampen. Diese beleuchten mit ihren Flammen die Dinge außer ihnen; jenes Leuchten dagegen läßt die Dinge im Innern der Strahlen erglänzen. Die Seele ist ja in den Strahlenfluten, ist dadurch umgestaltet und selbst zur Lichtflamme geworden: sie gleicht der entzündeten und in Feuer umgestalteten Luft innerhalb der Flamme. Die Bewegungen der Flamme, ihr Schwingen und Aufflackern, gehen von der Seele und dem Heiligen Geist zugleich aus; „sie sind nicht bloß Strahlenfluten, sondern auch eine Verklärung der Seele, die lieblichen Spiele und Festlichkeiten des Heiligen Geistes in der Seele“, von denen früher schon gesprochen wurde. Es scheint, daß Er ihr dadurch das ewige Leben und die vollkommene Verherrlichung schenken will. Darauf zielen alle vorausgehenden und folgenden Gnaden hin. Aber so machtvoll auch die Anregungen des Heiligen Geistes wirken, das Aufgehen in der Fülle der Beseligung ist doch erst möglich, wenn die Seele „aus der Sphäre .... dieses sterblichen Lebens heraustritt und eingehen kann in das Tiefinnerste des Geistes, des vollkommenen Lebens in Christus“.

Wenn von Bewegungen der Flamme die Rede war, so sind sie nicht eigentlich Gott zuzuschreiben, sondern der Seele. Denn Gott ist unveränderlich; es scheint ihr nur so, als ob Er sich in ihr bewege.

Die Lichtglanzfülle kann auch Überschattung genannt werden, wie es der Engel bei der Verkündigung tat (Luc. 1, 35). Denn überschatten oder Schatten geben bedeutet „schützen, begünstigen und Wohltaten erweisen“. Sobald nämlich der Schatten einer Person auf jemanden fällt, ist es ein Zeichen, daß sie zum Schutz und Beistand nahe ist. Der Schatten nun, den ein Ding gibt, richtet sich nach der Natur des Dinges. „Ist es dicht und finster, so wirft es einen dunk­len Schatten, ist es hell und fein, dann ist auch der Schatten hell und fein.“ So sind die Schatten der göttlichen Feuerlampen Strahlen­fluten: die Lampe der Schönheit erzeugt als Schatten in der Seele eine andere Schönheit, die Lampe der Stärke eine andere Stärke, und der Schatten der Weisheit Gottes ist wiederum eine Weisheit. Besser [184] gesagt: die Weisheit, die Schönheit und Stärke Gottes sind in Schatten gehüllt, weil die Seele sie hier noch nicht vollkommen erfassen kann. Da aber dieser Schatten Gott, Seinem Wesen und Seinen Eigenschaften ganz entspricht, so erkennt die Seele im Schatten deutlich die Erhabenheit Gottes. Gottes Allmacht und Weisheit, Sei­ne unendliche Güte und Seine Seligkeit ziehen „im hellglänzenden und feurigen Schatten jener lichthellen und brennenden Lampen vorüber“ und werden so von ihr erkannt und verkostet. So erkennt und verkostet sie alle Reichtümer, die in der unendlichen Einheit und Einfachkeit des göttlichen Wesens vereint sind. Die Erkenntnis des einen beeinträchtigt die Erkenntnis und den Genuß des andern nicht; vielmehr ist jede Schönheit und Kraft ein Licht, das wieder eine andere Herrlichkeit enthüllt. Die Reinheit der göttlichen Weis­heit macht es, daß man in Ihr viele Dinge als eines schaut[23].

All diese Herrlichkeit füllt „des Sinnes abgrundtiefe Höhlen“. Damit sind die Kräfte der Seele gemeint, Gedächtnis, Verstand und Willen. „Sie sind umso tiefer, je größere Gnadengüter sie aufnehmen können“. Nur das Unendliche kann sie ausfüllen. So große Pein sie erduldet haben, als sie leer waren, so große Wonne kosten sie nun, da sie von Gott erfüllt sind. Sie haben die ungeheure Leere ihrer Fassungskraft nicht empfunden, solange sie nicht von aller Anhäng­lichkeit an die Geschöpfe leer, gereinigt und geläutert waren. Die geringste Kleinigkeit, woran sie geheftet sind, macht sie unemp­findlich, sodaß sie „ihren Schatten nicht fühlen, den Verlust der Gnadengüter nicht merken und ihre Aufnahmefähigkeit nicht er­kennen.... Trotz ihrer Fassungskraft für unermeßliche Güter ver­mag die geringste Ursache sie so zu bestricken, daß sie jene nicht in sich aufnehmen können.... Sind sie aber leer und geläutert, dann ist der Durst und Hunger und die Sehnsucht des geistigen Sinnes unerträglich. Denn jede dieser Höhlen hat einen sehr tiefen Magen, und so empfinden sie auch tiefes Weh, denn auch die Speise, die ihnen mangelt, ist unergründlich: es ist ja .... Gott selbst. Dieses tiefe Empfinden (des Hungers und Durstes) stellt sich gewöhnlich gegen Ende der Erleuchtung und Reinigung der Seele ein....“ Wenn das geistige Verlangen rein ist von allem Geschöpflichen und aller Anhänglichkeit daran, dann hat die Seele statt ihrer natürli­chen Weise die göttliche angenommen und besitzt einen leeren, zu­bereiteten Raum. Da sich aber das Göttliche noch nicht in der Ver­einigung mitteilt, empfindet sie „eine Pein, die größer ist als der Tod, besonders wenn durch irgend eine Öffnung oder Ritze ein [185] göttlicher Strahl hindurchleuchtet, ohne daß Gott sich ihr mitteilt. Das sind jene Seelen, die an Ungestüm der Liebe leiden und nicht lange in diesem Zustand verharren können; entweder müssen sie das Ersehnte erlangen oder sterben“[24].

Die erste Höhle ist der Verstand, ihre Leere ist der Durst nach Gott und verlangt nach der göttlichen Weisheit. Die zweite Höhle ist der Wille, der nach Gott hungert und nach Vervollkommnung der Liebe verlangt. Die dritte Höhle ist das Gedächtnis. Es verzehrt sich nach dem Besitz Gottes. Was diese Höhlen fassen können, ist Gott. Und weil Gott tief und unendlich ist, so ist in gewisser Hin­sicht auch ihre Aufnahmefähigkeit unendlich, ihr Durst und ihr Hunger unendlich, ihr Vernichtetwerden und ihre Pein ein Tod ohne Ende. Wenn auch diese Pein noch nicht so tief ist wie im andern Le­ben, so gibt sie doch ein lebendiges Bild davon, da die Seele schon die nötige Zubereitung besitzt, um die Fülle des ewigen Lebens in sich aufzunehmen. Weil aber diese Bedrängnis in der Liebe ihren Sitz hat, gibt es für sie keine Linderung. „Denn je größer die Liebe ist, desto ungeduldiger ersehnt sie den Besitz Gottes; ihn erhofft sie jeden Augenblick mit sehnlichstem Verlangen“[25].

Doch wenn die Seele in Wahrheit nach Gott verlangt, dann be­sitzt sie den schon, den sie liebt, und so scheint es, daß sie keinen Schmerz mehr empfinden kann. „Denn das Verlangen der Engel, den Sohn Gottes zu sehen, .... (1 Petr. 1, 12), ist frei von Schmerz und ängstlicher Sehnsucht, da sie Ihn ja schon besitzen.... Der Besitz Gottes aber verleiht Wonne und Sättigung. Es muß also die Seele in diesem Verlangen um so mehr Sättigung und Wonne emp­finden, je heftiger es ist, da sie um so mehr im Besitz Gottes lebt; darum empfindet sie auch keinen Schmerz und keine Pein“.

Es ist hier wohl zu beobachten, daß unter Besitz Gottes zweierlei zu verstehen ist: der Besitz durch die Gnade und durch die Ver­einigung. Beide verhalten sich zueinander etwa wie Verlobung[26] und Vermählung. Bei der Verlobung wird eine Übereinkunft getroffen, Braut und Bräutigam besuchen einander manchmal und tauschen Geschenke, aber eine gegenseitige Mitteilung der Personen und Vereinigung findet erst bei der Vermählung statt. So sind bei voll­ständiger Reinigung der Seele Gottes Wille und der ihre in freier Übereinstimmung eins geworden; sie besitzt dann „alles, was man [186] durch den Willen und die Gnade erreichen kann; das will sagen: Gott hat der Seele in ihr Sein, Sein wahres Sein und die Fülle Seiner Gnade hineingelegt. Das ist der erhabene Stand der geistigen Verlobung der Seele mit dem Wort Gottes; darin erweist ihr der Bräuti­gam große Gnaden und besucht sie oft aufs liebevollste....“ Was ihr dabei an erhabenen Gunstbezeugungen zuteil wird, ist aber mit denen der mystischen Vermählung nicht zu vergleichen; es ist nur die Vorbereitung dafür. Denn es bedarf dazu nicht nur der Reini­gung von aller geschöpflichen Anhänglichkeit, sondern auch der Zubereitung durch Heimsuchungen und Geschenke, damit sie im­mer schöner, reiner und geläuterter und einer so erhabenen Vereini­gung würdiger werde. Darüber vergeht bei dem einen mehr, bei dem andern weniger Zeit. Die Zubereitung geschieht durch die Sal­bungen des Heiligen Geistes. Wenn diese Salbungen „schon sehr er­haben sind...., pflegt der Sehnsuchtsdrang der Seelenhöhlen aufs äußerste gespannt und zart zu werden; .... da sie nämlich schon inniger mit Gott verbinden und deshalb die Seele begehrlicher nach Gott machen und sie mit feinerer Empfindsamkeit zu Ihm hinzie­hen, so wird auch die Sehnsucht zarter und tiefer. Denn die Sehn­sucht nach Gott ist die Zubereitung für die Vereinigung mit Ihm“[27]. Die Salbungen des Heiligen Geistes „sind so erhaben und zart, daß sie das innerste Wesen des Seelengrundes durchdringen .... und die Seele in Süßigkeit zerfließen lassen; dann ist der Schmerz und das sehnsuchtsvolle Dahinschmachten bei der unermeßlichen Leere der Höhlen gleichsam unendlich“. Doch je feiner die Zubereitung war, desto vollkommener wird der Sinn der Seele in der Vermählung den Besitz genießen. „Unter Sinn der Seele versteht man die Fähigkeit und Kraft des Wesens der Seele, die Gegenstände der geistigen Vermögen wahrzunehmen und zu genießen; damit kostet sie die Weisheit, die Liebe und Mitteilung Gottes“. Die Seele nennt ihre Kräfte „tiefe Höhlen des Sinnes“, weil sie in ihnen die Erhabenheit der Weis­heit und der Vollkommenheiten Gottes kostet. Und „wenn sie fühlt, daß sie die tiefen Erkenntnisse und Strahlenfluten der Feuerlam­pen in sich fassen, erkennt sie, daß ihnen eine so große Fassungs­kraft und Tiefe innewohnt, wie sie den verschiedenen Dingen ent­spricht, die sie von Gott empfängt: Erkenntnissen, Süßigkeiten, Freuden, Genüssen usw.“ Ähnlich wie der Gemeinsinn der Phanta­sie Aufbewahrungsort und Archiv für die Bilder und Formen der Sinne ist, „wird auch der Gemeinsinn der Seele als Aufbewahrungs­ort und Archiv der Herrlichkeiten Gottes in dem Maße erleuchtet [187] und bereichert, als er an diesem erhabenen und glanzvollen Besitz Anteil bekommt[28]. Einst war er blind und dunkel – ehe nämlich die Seele von Gott erleuchtet und erhellt war. Das leibliche Auge kann nicht sehen, wenn es im Dunkeln oder wenn es blind ist. So kann auch die Seele bei schärfster Sehkraft nichts erkennen, wenn Gott, ihr Licht, sie nicht erleuchtet. Umgekehrt: ist ihr geistiges Auge erblindet durch die Sünde oder das Verlangen nach etwas Geschöpflichem, dann strömt das göttliche Licht vergeblich auf sie ein. Sie erkennt ihre eigene Dunkelheit, d.h. ihre Unwissenheit, nicht. Von der Finsternis der Sünde ist die Dunkelheit zu unter­scheiden: die unverschuldete Unwissenheit bezüglich natürlicher oder übernatürlicher Dinge. So war auch der Sinn der Seele vor der Vereinigung in doppelter Hinsicht im Dunkel. Denn bis der Herr die Worte sprach: „Es werde Licht!“, schwebten Finsternisse über dem Höhlengrund des Seelensinnes. Je abgrundtiefer der Sinn und seine Höhlen sind, desto tiefer und schwärzer ist auch seine Finsternis bezüglich der übernatürlichen Dinge, wenn ihn Gott, sein Licht, nicht erleuchtet. Er kann unmöglich seine Augen zum Licht erheben und es auch nicht denkend fassen. Denn er weiß nicht, wie es ist, da er es noch nicht gesehen hat, und so kann er auch kein Verlangen danach tragen. Er würde vielmehr nach Finsternis verlangen, da er weiß, wie sie ist“. Wenn aber Gott der Seele das Licht der Gnade verliehen hat, dann wird das Auge ihres Geistes erleuchtet und für das göttliche Licht geöffnet. Und wie vorher ein Abgrund der Finsternis den andern rief (Ps. 18,3), so ruft nun ein Abgrund der Gnade nach dem andern, nämlich nach der Umgestal­tung der Seele in Gott. Dann wird das Licht Gottes mit dem Licht der Seele ganz eins, das natürliche Licht der Seele vereinigt sich mit dem übernatürlichen Licht Gottes und es leuchtet nur noch das übernatürliche.

Der Sinn der Seele war auch blind, weil er sich an etwas anderem als an Gott ergötzte. Das Begehren lag wie der Star oder wie ein Wölkchen vor dem Auge der Vernunft; es war blind für die erha­benen Schönheiten und Reichtümer Gottes. Das kleinste Ding, das dicht vor das Auge gestellt wird, nimmt ihm den Blick auf andere, fernerstehende Dinge. So genügt ein leichtes Begehren, um der See­le das Schauen aller Herrlichkeiten Gottes unmöglich zu machen. In solchem Zustand sieht „das Auge des Urteils“ jenes Wölkchen nur bald so, bald so gefärbt; es hält das Wölkchen für Gott, weil es über dem Sinn liegt; Gott aber fällt nicht in den Bereich des Sinnes. [188] Menschen, die sich noch nicht von allen Begierden und Neigun­gen freigemacht haben, sollen darum überzeugt sein, daß sie ver­kehrt urteilen. Was für den Geist gewöhnlich und geringfügig ist, aber die Sinne befriedigt, das halten sie für etwas Großes, was für den Geist etwas Hohes ist, aber die Sinne wenig anspricht, das ach­ten sie gering. Bei dem sinnlichen Menschen, d.h. bei dem, der ganz nach seinen natürlichen Begierden und Neigungen lebt, werden auch Begierden, die im Geist ihren Ursprung haben, zu bloß natürlichen. Selbst wenn die Seele nach Gott verlangt, ist dies Verlangen nicht immer übernatürlich, sondern nur, wenn Gott es eingießt und ihm Kraft verleiht.

So war der Sinn der Seele mit seinen Gelüsten und Neigungen dunkel und blind[29]. Nun aber ist er durch die übernatürliche Ver­einigung mit Gott erleuchtet, ja mehr noch: er ist selbst mit seinen Vermögen ein hellglänzendes Licht und kann „in Schönheit sonder­gleichen Wärme und Licht vereint weih’n dem Geliebten“.

Die Höhlen der Seelenkräfte sind von der Lichtfülle der göttlichen Lampen durchflossen. Sie selbst brennen nun und senden die Glanzesfülle, die sie empfangen haben, in liebeglühender Beseligung in Gott zu Gott, wie das Glas den Glanz des einströmenden Sonnenlichtes wiederstrahlt, doch viel erhabener, weil der Wille mitwirkt. Es geschieht in einer ganz einzigartigen Fülle, die jedes gewöhnliche Denken übersteigt und sich durch keine Worte ausdrücken läßt. In der Fülle, in der der gottgeeinte Verstand die Weisheit aufnimmt, strahlt er sie auch wieder zurück. Und in der Vollkommenheit, wo­mit der Wille der göttlichen Güte geeint ist, gibt er sie Gott in Gott wieder zurück. Denn die Seele empfängt nur, um zurückzugeben: alles Licht und alle Liebeswärme, die der Geliebte ihr mitteilt, schenkt sie Ihm wieder. Sie ist durch die wesentliche Umgestaltung ein Schatten Gottes geworden, und „so tut sie in Gott durch Gott dasselbe, was Er in ihr durch sich selbst tut, und in derselben Weise, wie Er es tut.... Wie .... Gott mit freiem und gnadenvollem Willen sich mitteilt, so gibt auch ihr Wille – um so frei- und groß­mütiger, je inniger er mit Gott vereint ist – in Gott, Gott Gott selbst.... Sie sieht hier, daß Gott ihr vollkommen gehört, daß sie als Adoptivkind mit vollem Eigentumsrecht in Seinen Erbbesitz ein­getreten ist.... Als ihr Eigentum kann sie Ihn...., wenn sie will, geben.... Und so gibt sie Ihn ihrem Geliebten, .... Gott selbst...., der sich ihr hingegeben hat. Und sie empfindet .... unaus­sprechliche Wonne und Befriedigung bei der Wahrnehmung, daß [189] sie Gott ihr Eigentum gibt und daß es dem unendlichen Sein Gottes entspricht.... Gott begnügt sich vollkommen mit dieser Gabe der Seele – mit Geringerem könnte Ihm nicht Genüge geschehen – und nimmt es von der Seele gern und wohlgefällig als etwas ihr Gehö­riges an.... In dieser Hingabe an Gott liebt Ihn die Seele in neuer Weise, und Er gibt sich aufs neue freigebig der Seele hin.... So ist zwischen Gott und der Seele wirklich eine gegenseitige Liebe begründet in der Gleichförmigkeit der Vereinigung und in ehelicher Hingabe, worin sie beide beider Gut, das göttliche Wesen, durch freiwillige Hingabe aneinander und durch Vereinigung miteinan­der besitzen.... Die Wahrnehmung, daß die Seele Gott mehr ge­ben kann, als sie in sich ist und vermag, da sie in solcher Freigebig­keit Gott als ihr Eigentum Ihm selbst schenkt...., bereitet ihr die größte Befriedigung und Freude.... Im andern Leben vollzieht sich das durch das Glorienlicht, in diesem Leben durch den vollkommen erleuchteten Glauben“. So spenden „des Sinnes abgrundtiefe Höh­len .... in Fülle sondergleichen Wärme und Licht vereint dem Ge­liebten“. Vereint – denn in der Seele teilen sich Vater, Sohn und Heiliger Geist vereint mit, und Sie sind für sie Licht und Liebes­feuer.

Die Liebe zwischen Gott und der Seele ist von ganz außerordent­licher Vollkommenheit, ebenso der Genuß, den sie darin findet, und die Lobpreisung und Danksagung, die sie Gott darbringt. „Die Seele liebt hier Gott nicht aus sich, sondern durch Gott selbst....: durch den Heiligen Geist, wie der Vater den Sohn liebt....“ Fer­ner liebt die Seele Gott in Gott: „in dieser ungestümen Vereinigung geht die Seele in der Liebe Gottes auf und auch Gott gibt sich der Seele in mächtigem Ungestüm hin“. Schließlich liebt „die Seele hier Gott um Seiner selbst willen. Sie liebt Ihn nicht bloß deshalb, weil Er gegen sie so mitteilsam, gütig und beseligend .... ist, sondern noch weit inniger, weil sie das alles wesenhaft in sich selbst ist“.

Auch der Genuß ist darum so erhaben, weil es ein Genuß Gottes durch Gott selbst ist. Denn die Seele ist hier dem Verstand nach ver­einigt mit der Allmacht, Weisheit und Güte Gottes; und wenn dies auch nicht in solcher Klarheit geschieht wie im andern Leben, so ist doch ihre Freude an all diesen deutlich erkannten Dingen über­aus groß. Ferner findet die Seele jetzt nur noch in Gott ihr Gefal­len, ohne daß irgend ein Geschöpf dazwischen tritt. Und sie ge­nießt Gott nur durch das, was Er selber ist, ohne Einmischung ei­genen Geschmackes.

Ihr Lob ist dadurch ausgezeichnet, daß sie es pflichtgemäß darbringt, weil sie erkennt, daß Gott sie zu Seinem Lobe erschaffen [190] hat. Sie preist Ihn ferner wegen der Gnadengüter, die sie empfängt, und um des Entzückens willen, das sie beim Lobe Gottes empfindet. Darüber hinaus aber preist sie Ihn um dessentwillen, was Er in sich selbst ist; „denn würde die Seele auch keine Wonne empfinden, so würde sie Ihn doch um Seiner selbst willen lobpreisen“[30].


d) Verborgenes Liebesleben
Wie sanft und voller Liebe
In meinem Schoß erwachest Du,
Wo Du verborgen weilest ganz allein;
Mit Deinem süßen Hauche
Voll Glück und Herrlichkeiten,
Wie zart läßt Du in Liebe mich entbrennen!

Die Seele spricht von einer wunderbaren Wirkung Gottes, die sie bisweilen in sich wahrnimmt. Sie hat das Bild eines Menschen vor Augen, der vom Schlaf erwacht und aufatmet, denn sie hat wirk­lich das Gefühl, daß etwas dergleichen in ihr vorgeht.

„Gott erwacht auf mannigfache Weise in der Seele. Wollten wir alle diese Weisen anführen, wir kämen mit der Aufzählung an kein Ende. Aber dieses Erwachen des Sohnes Gottes, worauf die Seele hier hinweist, ist überaus erhaben und gewinnreich für sie. Es ist eine Bewegung, die das Wort im Wesen der Seele hervorruft, von sol­cher Erhabenheit, Macht und Herrlichkeit und von so innerster Süßigkeit, daß es der Seele vorkommt, als seien alle Balsamdüfte, alle wohlriechenden Spezereien und Blumen der ganzen Welt ausgestreut...., als seien alle Königreiche und Herrschaften der Welt und alle Kräfte und Gewalten des Himmels in Bewegung, .... als leuchteten alle Kräfte und Wesen, alle Vollkommenheiten und Rei­ze aller geschaffenen Dinge auf und machten einträchtig ein und dieselbe auf Eines hinzielende Bewegung.... Wenn also jener erha­bene Gebieter in der Seele sich geltend machen will, dem die Herr­schaft über das dreifache Weltengebäude .... auf die Schulter ge­legt ist, und der .... durch das Wort Seiner Macht alles trägt, so scheint es, daß alles auf einmal in Bewegung gerät, so wie bei der Bewegung der Erde alle stofflichen Dinge, die sich auf ihr befinden, sich bewegen, als wären sie nicht.... Dieser Vergleich ist aber durchaus unzulänglich, da hier alle Dinge sich nicht nur zu bewegen [191] scheinen, sondern auch die Anmut ihres Seins, ihre Kraft, ihre Schönheit und ihre Reize sowie den innersten Grund ihres Beste­hens und Lebens offenbaren. Hier sieht die Seele, wie alle Geschöpfe der höheren und niedern Ordnung ihr Leben, ihre Kraft und ihr Be­stehen in Ihm haben...., daß aber das Wesen Gottes in Seinem Sinn unendlich erhaben ist über all diese Dinge, sodaß sie sie in Seinem Wesen besser erkennt als in ihnen selbst. Und darin besteht das große Entzücken dieses Erwachens, daß sie die Geschöpfe durch Gott erkennt und nicht mehr Gott durch die Geschöpfe.... Wie aber diese Bewegung in der Seele vor sich gehen kann, da Gott un­veränderlich ist, das ist etwas Wunderbares. Denn obwohl Gott sich nicht wirklich bewegt, scheint es doch der Seele, daß Er sich in Wahrheit bewege; da sie nämlich durch Gott verändert und bewegt ist, um jene übernatürliche Erscheinung wahrzunehmen, offenbart sich ihr in ganz neuem Licht jenes göttliche Leben und das Sein und die Harmonie der ganzen Schöpfung in Ihm mit ihren Bewegungen in Gott; und so scheint es ihr, daß Gott sich bewege und die Ursache sich den Namen der Wirkung aneigne, die sie hervorbringt....“ So ist es auch die Seele, die vom Schlaf des natürlichen Schauens zum übernatürlichen erweckt wird. „Nach meiner Ansicht geht dieses Erwachen und Schauen der Seele so vor sich: da die Seele – wie jedes Geschöpf – mit ihrem selbsteigenen Sein in Gott ist, nimmt Gott einige von den vielen Schleiern und Hüllen weg, die vor ihr hängen, damit sie sehen kann, wie Er ist. Dann leuchtet Sein Antlitz voll Huld hindurch und man nimmt es wahr, wenn auch noch etwas im Dunkel, da noch nicht alle Schleier hinweggenommen sind. Und da Er alle Dinge durch Seine Kraft in Bewegung setzt, tritt zugleich mit Ihm alles, was Er tut, zu Tage, sodaß Er in ihnen und sie in Ihm fortwährend in Bewegung zu sein scheinen. Darum hat die Seele den Eindruck, daß Er sich bewege und erwache, wäh­rend doch sie es ist, die bewegt und aufgeweckt wird.... So schrei­ben die Menschen Gott zu, was sich in ihnen findet. Sie, die träge und schläfrig sind, sagen, Gott erhebe sich und erwache, obwohl Er niemals schläft.... Da aber in Wahrheit alles Gute von Gott kommt und der Mensch aus sich nichts Gutes vermag, sagt man der Wahrheit gemäß, daß unser Erwachen ein Erwachen Gottes und unser Aufstehen ein Aufstehen Gottes ist.... Und weil die Seele in einem Schlaf versunken war, aus dem sie aus sich selbst nie hätte erwachen können, und weil nur Gott ihr die Augen öffnen und dies Erwachen bewirken konnte, darum nennt die Seele dieses Erwachen im eigentlichen Sinn ein Erwachen Gottes....

Es ist ganz unaussprechlich, was die Seele bei diesem Erwachen der [192] Herrlichkeit Gottes erkennt und fühlt“. Die Herrlichkeit Gottes teilt sich im Wesen der Seele mit (sie nennt es ihren Schoß) und offenbart sich in unermeßlicher Macht, mit der Stimme „von tau­send und abertausend Kräften Gottes, die man nicht zählen kann. Mitten unter ihnen bleibt die Seele unbeweglich, .... furchtbar und fest wie ein geordnetes Heerlager und zugleich lieblich und holdselig, mit allen Reizen der geschaffenen Dinge ausgestattet“. Daß die Seele in der Schwäche des Fleisches bei einem so herrlichen Erwachen nicht in Ohnmacht gerät und vor Furcht vergeht, ist einmal daraus zu erklären, daß sie sich schon im Stande der Voll­kommenheit befindet. Der niedere Teil ist vollkommen gereinigt und dem Geist gleichförmig gemacht, sodaß er keine Einbuße und Pein mehr erleidet bei geistigen Mitteilungen wie früher. Überdies aber zeigt sich Gott „sanft und voller Liebe“. Er sorgt dafür, daß die Seele keinen Schaden nimmt, und schützt die Natur, während Er dem Geist Seine Herrlichkeit mitteilt. Darum empfindet die Seele ebensoviel Liebe und Milde in Ihm wie Macht, Herrlichkeit und Grö­ße. So mächtig ihr Entzücken ist, so mächtig ist auch der Schutz in Milde und Liebe, um dieses mächtige Entzücken ertragen zu können. So wird die Seele eher kraftvoll und stark als ohnmächtig. Der Kö­nig des Himmels zeigt sich ihr wie ein Gleichgestellter und Bruder. Er steigt von Seinem Thron herab, neigt sich zu ihr und umarmt sie. Er bekleidet sie mit königlichen Gewändern: mit den wunder­baren Kräften Gottes, umgibt sie mit dem Goldglanz der Liebe und läßt in ihr als kostbare Edelsteine die Erkenntnis der höheren und niederen Wesen leuchten[31]. All das vollzieht sich in ihrem innersten Wesen, wo Er „verborgen weilet ganz allein“. Gott weilt freilich in allen Seelen geheim und verborgen – sonst könnten sie nicht bestehen. Aber in einigen weilt Er allein, in anderen nicht allein; hier mit Wohlgefallen, dort mit Widerwillen. In einigen weilt Er wie in Seinem eigenen Hause, wo Er alles lenkt und leitet, in andern wie ein Fremdling, den man nicht gebieten und nichts tun läßt. Je weniger eine Seele von eigenen Begierden und Neigungen einge­nommen ist, desto mehr ist Er darin allein und wie im eigenen Hause, und je mehr allein, desto verborgener weilt Er auch darin. In einer Seele, die von allen Begierden frei ist, aller Formen, Bilder und ge­schöpflichen Neigungen entkleidet, da verweilt Er ganz verborgen und in innigster Umarmung. Weder der Teufel noch ein Menschen­verstand können ausfindig machen, was da vorgeht. Der Seele selbst aber bleibt es auf dieser Stufe der Vollkommenheit nicht verborgen, [193] da sie es immer in sich fühlt. Doch gibt es dabei noch jenen Unterschied von Schlaf und Erwachen. Es ist manchmal, als ob der Geliebte ruhend bei ihr verweilte, sodaß kein Austausch von Liebe und Erkenntnis möglich ist, und dann wieder, als ob Er erwache. Glück­lich die Seele, die immer lebendig fühlt, daß Gott in ihr ruht und Erquickung findet! In unermeßlich stiller Ruhe muß sie sich bewahren, damit keine Bewegung und kein Geräusch den Geliebten störe. Wollte Er immer wachend in ihr bleiben und ihr die Schätze der Erkenntnis und Liebe mitteilen, dann wäre sie schon im Glorienstand. In Seelen, die noch nicht bis zur Liebesvereinigung gelangt sind, bleibt Er meist verborgen. Sie nehmen Ihn für gewöhnlich nicht wahr, sondern nur, wenn Er sie wonnevoll erweckt. Dieses Erwecken ist ein anderes als jenes im Stand der Vollkommenheit. Es ist auch hier nicht alles so verborgen vor dem Teufel und vor dem Menschenverstand wie dort, denn bei solchen Seelen ist noch nicht alles ganz geistig; es finden sich noch Regungen der Sinnlichkeit in ihnen. In jenem Erwachen aber, das der Bräutigam selbst bewirkt, in der vollkommenen Seele, ist alles vollkommen, weil Er es voll­zieht. Das Aufatmen und Erwachen der Seele ist dann wie bei einem Menschen, der wach wird und Atem holt; sie empfindet darin das Anhauchen Gottes[32]. „Deshalb spricht sie:

Mit Deinem süßen Hauche,
Voll Glück und Herrlichkeiten,
Wie zart läßt Du in Liebe mich entbrennen!

Von diesem Hauchen Gottes wollte und will ich nicht sprechen; denn ich erkenne klar, daß ich es nicht richtig zu sagen weiß, und es wird geringer erscheinen, als es ist, wenn ich davon rede. Denn es ist ein Anhauchen, das Gott wirkt; darin haucht sie in jenem Erwecken der erhabensten Erkenntnis der Gottheit der Heilige Geist an; und in dem Maß der Erkenntnis, worin sie ganz tief in den Heiligen Geist versinkt, wird sie aufs zarteste in Liebe entflammt, dem entsprechend, was sie geschaut hat. Und da dieser Hauch voll Gnade und Herrlichkeit ist, erfüllt sie der Heilige Geist mit Glück und Beseligung, sie gerät in Liebe außer sich und wird in unaussprechlicher und unbegreiflicher Weise in die Tiefe Gottes hinein­gezogen; und darum breche ich hier ab“[33].


[194]
e) Eigenart der Lebendigen Liebesflamme im Vergleich mit den älteren Schriften

Wenn dem Heiligen das Gefühl des Unvermögens gegenüber dem Unsagbaren Schweigen gebietet – wie sollen wir es wagen, seinen Worten eine sachliche Erklärung anzufügen? Wir möchten ihm nur danken, daß er uns einen Blick tun ließ in ein wunderbares Land, ein irdisches Paradies an der Schwelle des himmlischen. Doch wir müssen versuchen das, was er uns hier erschlossen hat, in Verbin­dung zu bringen mit dem schon Bekannten. Liebe zu den Seelen hat ihm die Lippen geöffnet: er will ihnen Mut machen zum harten Kreuzweg, dem steilen und schmalen Weg, der auf so lichter, seliger Höhe endet.

Damit ist kurz die innere Zusammengehörigkeit zwischen der Lebendigen Liebesflamme und den beiden Schriften ausgesprochen, die den Kreuzweg selbst zum Gegenstand hatten: Aufstieg und Nacht. Eine eigentliche Gegenüberstellung des gedanklichen Gehal­tes wäre nur möglich, wenn wir die verlorenen oder nie geschriebe­nen Teile der beiden älteren Schriften vor uns hätten. Immerhin darf man wohl soviel sagen: Nach dem, was jene beiden Werke an manchen Stelle vorgreifend von der Vereinigung andeuteten, hat man den Eindruck, daß eine neue Erlebnisgrundlage vorliegt. Die grundsätzliche Einstellung ist dieselbe geblieben: es gibt keinen an­dern Weg zur Vereinigung als den durch Kreuz und Nacht, den Tod des alten Menschen. Es ist auch nicht nachträglich durchzustreichen, was wiederholt betont wurde: daß der Dichter und Aus­leger des Nacht-Gesangs bereits zur Vereinigung gelangt war. Aber die Vereinigung schien sich in der Nacht, ja am Kreuz zu vollziehen. Wie weit sich schon in diesem Leben der Himmel öffnen kann, das scheint der Heilige erst später beseligt erfahren zu haben.

Auch das äußere Geschick der letzten Schrift war ein glückli­cheres als das der früheren. Damit ist nicht nur gemeint, daß sie zum Abschluß kam und als Ganzes erhalten blieb. Wenn die an­dern tatsächlich unvollendet blieben – wir haben diese Frage ja immer offen gelassen –, so lag es vielleicht daran, daß die Erklärung dort nachträglich und nicht nur in einem zeitlichen, sondern auch in einem seelischen Abstand von dem Gesange geschrieben wurde. Aufstieg und Nacht sind viel stärker lehrhaft als die Auslegung der Liebesflamme. Der Denker steht vor dem Gedicht, dem Nieder­schlag seiner ursprünglichen Erfahrung, fast wie vor etwas Frem­dem; jedenfalls als vor etwas sachlich Gegebenem. Und der Eifer, [195] die grundlegenden Begriffe und leitenden Bilder gedanklich klarzumachen, reißt ihn so mit sich fort, daß seine ursprüngliche Absicht, das Gedicht Strophe für Strophe und Vers für Vers zu erklären, im Aufstieg bald fallen gelassen wird und in der Nacht erst spät zur Durchführung kommt. In der Lebendigen Liebesflamme dage­gen sind Gedicht und Erklärung eins. Daß zwischen der Abfassung des einen und andern einige Zeit verstrich, hat der Einheit nicht geschadet – im Gegenteil: Johannes hat gezögert, an die Ausle­gung heranzugehen, weil sie ihm als Aufgabe für den natürlichen Verstand unlösbar schien. Er hat sich dazu entschlossen, als die Liebesflamme in ihm aufs neue emporloderte und ihn mit himmli­schem Licht überströmte. Das, was er früher geschrieben hatte, schloß sich nun von selbst tiefer auf. So ergab sich zwanglos der enge Anschluß an die Gedankenfolge der vier Strophen. Die Einheit des Ganzen ist nur an einer Stelle durch eine temperamentvolle Auseinandersetzung mit den stümperhaften Seelenführern unterbrochen[34]. Davon abgesehen ist die Schrift aus einem Guß, von dich­terischem und mystischem Schwung von Anfang bis zu Ende ge­tragen wie keine andere. Aus der Überfülle des Lichtes ergibt sich auch eine besondere Stileigentümlichkeit. Der Heilige hat immer in der Heiligen Schrift gelebt. Überall haben sich ihm Bilder und Ver­gleiche aus der Heiligen Schrift zwanglos aufgedrängt, und er hat gern danach gegriffen, um das, was eigene Erfahrung ihn lehrte, durch das Wort der Schrift zu sichern und zu bekräftigen. Aber hier ist der Zusammenklang der eigenen Erfahrung mit dem offen­barten Gotteswort und den Begebenheiten der Heiligen Geschichte besonders eindringlich[35]. Man fühlt, wie sich für den Heiligen die Schleier heben und alles ihm durchsichtig wird zur Aufhellung des geheimen Verkehrs zwischen Gott und der Seele. Was für den uner­leuchteten Blick des gewöhnlichen Lesers nur äußere Begebenheit ist, das liest er wie selbstverständlich als Ausdruck mystischen Ge­schehens. Nur ein Beispiel: Mardochäus, der dem König Ahasverus das Leben gerettet hatte, ist für Johannes das Bild der Seele, die dem Herrn in Treue dient, ohne etwas dafür zu empfangen. Aber mit einemmal wird sie, „wie einst Mardochäus, für ihre Mühseligkeiten [196] und Dienstleistungen belohnt. Sie darf nicht bloß in das Innere des Palastes und im königlichen Gewände vor das Angesicht des Königs treten, sie empfängt auch das Diadem, den Szepter und den Thron des Königs sowie den königlichen Ring, um im Reich ihres Bräu­tigams nach Belieben schalten und walten zu können“[36].


2. Der Seele Brautgesang
a) Der Geistliche Gesang und sein Verhältnis zu den andern Schriften

Wo Johannes von der Vereinigung der Seele mit Gott sprach, haben sich ihm in allen Schriften gern Worte des Hohenliedes auf die Lippen gedrängt. Aber in jener Zeit, in der seine eigene Seele wohl am stärksten von allen Schmerzen und Wonnen der Liebe erschüttert wurde – in den Kerkermonaten zu Toledo –, da ist der uralte Brautgesang aus seinem Herzen neu geboren worden. Er ist uns in zwei Fassungen überliefert, deren Unterschied für uns von Bedeutung ist.

CANCIONES ENTRE EL ALMA
GESANG ZWISCHEN DER SEELE UND
Y EL ESPOSO
DEM BRÄUTIGAM
0 0
I.
Esposa:
Die Braut:
1.
1.
A dónde te escondiste, Wo Du geheim wohl weilest,
Amado, y me dejaste con gemido? Geliebter, der zurückließ mich in Klagen?
Como el ciervo huiste, Dem Hirsch gleich Du enteilest,
Habiéndome herido; Da Wunden Du geschlagen:
Salí tras tí clamando, y eras ido. Ich lief und rief, doch könnt’ Dich nicht erjagen.


[197]

2.
2.
Pastores, los que fuerdes Ihr Hirten, die ihr gehet
Allá por las majadas al Otero, Durch Hürden hin dort auf des Berges Höhe,
Si por ventura vierdes Wenn ihr vielleicht ihn sehet,
Aquel que yo más quiero, Nach dem ich liebend spähe,
Decilde que adolezco, peno y muero. Sagt ihm, daß ich in Pein und Qual vergehe.
0 0
3.
3.
Buscando mis amores, Mein Lieb will suchen gehen
Iré por esos montes y riberas, Ich über Berge und in Flußrevieren,
Ni cogeré las flores, Die Blumen laß ich stehen,
Ni temeré las fieras, Leid’ Schrecken nicht von Tieren,
Y passaré los fuertes y fronteras. Will Starke und will Grenzen kühn passieren.
0 0
Pregunta á las criaturas:
Frage an die Geschöpfe:
4.
4.
Oh, bosques y espesuras, Ihr Dickichte und Wälder,
Plantadas por la mano del Amado! Die unter des Geliebten Hand entsprangen,
Oh, prado de verduras, Ihr frisch begrünten Felder,
De flores esmaltado, Wo bunte Blumen prangen,
Decid si por vosotros ha pasado! Sagt mir, ob er durch euch ist hingegangen.
0 0
Respuesta de la criaturas:
Antwort der Geschöpfe:
5.
5.
Mil gracias derramando, Ausstreuend tausend Gaben.
Pasó por estos sotos con presura, Sah’n wir ihn schnell durch diese Büsche eilen,
Y yéndolos mirando, Im Flug den Blick zu laben;
Con sola su figura Sein Antlitz, sonder Weilen,
Vestidos los dejó de hermosura. Ließ sie an seiner Schönheit haben.
0 0
Esposa:
Die Braut:
6.
6.
Ay, quién podrá sanarme! Ach, wer kann Heilung spenden?
Acaba de entregarte ya de vero, O komm Du selbst, denn Dich nur möcht’ ich fragen!
No quieras enviarme Wollst nicht mehr Boten senden:
De hoy más ya mensajero, Was sie für Nachricht tragen,
Que no saben decirme lo que quiero. Die ich verlange, kann mir keiner sagen.


[198]

7.
7.
Y todos cuantos vagan, Sie all’, die von Dir sagen,
De ti me van mil gracias refiriendo, Die mir von tausend Gnadenwundern sprechen,
Y todos más me llagan, Nur neue Wunden schlagen;
Y déjame muriendo Es macht das Herz mir brechen,
Un no sé qué que quedan balbuciendo. Ich weiß nicht was, wovon sie stammelnd sprechen.
0 0
8.
8.
Mas, cómo perseveras, Wie harrst Du aus, o Leben,
Oh vida, no viviendo donde vives, Da, wo Du lebst, kein Leben zu erlangen?
Y haciendo porque mueras, Den Tod die Pfeile geben,
Las flechas que recibes, Die tief ins Herz dir drangen,
De lo que del Amado en tí concibes? Durch das, was vom Geliebten Du empfangen?
0 0
9.
9.
Por qué pues, has llagado Willst Du nicht heilen kommen
Aqueste corazón, no le sanaste? Das Herz, das Du verwundet hast verlassen?
Y pues me le has robado, Da Du es mir genommen,
Por qué así le dejaste, Wie kannst Du’s liegen lassen
Y no tomas el robo que robaste? Und nicht den Raub, den Du geraubt, nun fassen?
0 0
10.
10.
Apaga mis enojos, Niemand kann dazu taugen,
Pues que ninguno basta á deshacellos, Als Du allein – o ende meine Peinen!
Y véante mis ojos, Auf Dich wend’ meine Augen,
Pues eres lumbre dellos, Du als ihr Licht mußt scheinen,
Y sólo para tí quiero tenellos. Ich wahre sie für Dich nur, für den Einen.
0 0
11.[38]
11.
Descubre tu presencia, O zeige dich enthüllet
Y máteme tu vista y hermosura; Und töte mich durch Deiner Schönheit Strahlen
Mira que la dolencia Der Liebe Schmerzen stillet,
De amor, que no se cura Denk’ es in ihren Qualen
Sino con la presencia y la figura. Sein Anblick nur, der einzig sie erfüllet.


[199]

11 (12).
11 (12).
Oh, cristalina fuente, O Du kristallne Quelle,
Si en esos tus semblantes plateados. Daß jäh in Dir die Augen mir erstrahlten,
Formases de repente Im Antlitz silberhelle,
Los ojos deseados, Die mich in Sehnsucht halten,
Que tengo en mis entrañas dibujados! Die in die tiefste Seele mir sich malten!
0 0
II.
II.
12 (12.)
12 (13).
Apártalos, Amado, O wend’ sie ab, Geliebter –
Que voy de vuelo. Ich bin im Fluge!
0 0
Esposo:
Der Bräutigam:
Vuélvete, paloma, O Täublein, wend’ die Flügel,
Que el ciervo vulnerado Der Hirsch läßt sich erblicken
Por el otero asoma, Verwundet auf dem Hügel,
Al aire de tu vuelo, y fresco toma. Das Wehen Deines Flugs soll ihn erquicken.
0 0
Esposa:
Die Braut:
13 (14).
13. (14.)
Mi Amado las montañas, Du bist wie Berge, hehre,
Los vales solitarios nemorosos, Geliebter, und wie Waldtals Einsamkeiten,
Las ínsulas extrañas, Wie Inseln ferner Meere,
Los ríos sonorosos, Wie rauschend Stromesgleiten,
El silbo de los aires amorosos. Und säuselnd linder Lüfte Lieblichkeiten.
0 0
14 (15).
14 (15).
La noche sosegada Gleich stiller Nacht, der schönen,
En par de los levantes de la aurora, Die schon das neue Morgenlicht durchdringet,
La música callada, Musik mit leisen Tönen
La soledad sonora, Und Einsamkeit, die klinget,
La cena, que recrea y enamora. Erquickend Nachtmahl, das die Lieb’ beschwinget.


[200]
Text B.
          15.           15.
Nuestro lecho florido Ein Blütenbett uns ladet,
De cuevas de leones enlazado, Von Löwenhöhlen ist es rings umgangen,
En púrpura tendido, In Purpurglanz gebadet,
De paz edificado, Von Frieden ganz umfangen,
De mil escudos de oro coronado. Goldschilde tausend dran als Zierde hangen.
0 0
          16.           16.
A zaga de tu huella Folgend der Schritte Spuren
Las jóvenes discurren al camino Des Liebsten eilen junge Mägdelein;
Al toque de centella, Da Funken sie durchfuhren,
Al adobado vino, Sie stärkte würz’ger Wein,
Emisiones de bálsamo divino. Strömt Balsamduft von ihnen himmlisch rein.
0 0
          17.           17.
En la interior bodega Im innern Kellerraum
De mi Amado bebí, y cuando salía Trank ich von dem Geliebten und trat vor:
Por toda aquesta vega, An weiten Feldes Saum
Ya cosa no sabía, All Wissen ich verlor,
Y el ganado perdí que antes seguía, Fand auch die Herd’ nicht, der ich folgt’ zuvo[r].
0 0
          18.           18.
Allí me dió su pecho, Dort reicht’ er mir die Brust,
Allí me enseño ciencia muy sabrosa, Wollt’ mir sein süßes Wissen nicht verhehlen;
Y yo le dí de hecho Ich gab mich ihm mit Lust,
A mí, sin dejar cosa, Ließ auch an mir nichts fehlen,
Allí le prometí de ser su esposa. Und dort versprach ich, ihm mich zu vermählen.
0 0
          19.           19.
Mi alma se ha empleado, Ihm dient die Seele immer,
Y todo mi caudal en su servicio; All meinen Reichtum hab’ ich ihm verschrieben:
Ya no guardo ganado, Die Herde hüt’ ich nimmer,
Ni ya tengo otro oficio, Kein Amt ist mir geblieben –
Que ya sólo en amar es mi ejercicio. Nur eines üb’ ich noch, und das ist Lieben.


[201]
Text J.
          16.           16.
Cogednos las raposas, Die Füchse fangt, die losen,
Que está ya florecida nuestra viña, Des Weinbergs Reben schon in Blüte stehen,
En tanto que de rosas Und während wir die Rosen
Hacemos una piña, Zu dichtem Strauß uns drehen,
Y no parezca nadie en la montiña. Laß niemand auf dem Hügel mehr sich sehen.
0 0
          17.           17.
Detente, Cierzo muerto, Halt ein Nordwind! Dein Hauchen
Ven, Austro, que recuerdas los amores, Bringt Tod. O Südwind, komm du Liebe wecken,
Aspira por mi huerto, In Duft den Garten tauchen
Y corran sus olores, Der Blumen, die sich recken,
Y pacerá el Amado entre las flores. Um den Geliebten lieblich zu bedecken.
0 0
          18.           18.
Oh ninfas de Judea, Nymphen, Judäas Sprossen,
En tanto que en las flores y rosales Da Blumen wir und Rosenbüsche sehen,
El ámbar perfumea, Von Ambraduft umflossen,
Morá en los arrabales, Bleibt ihr im Vorraum stehen,
Y no queráis tocar nuestros umbrales. Wagt nicht zu uns’rer Schwelle herzugehen.
0 0
          19.           19.
Escóndete, Carillo, Verbirg Dich, ist mein Wille,
Y mira con tu haz a las montañas, Geliebter! Schau zum Berge, der sich breitet.
Y no quieras decillo; Kein Laut durchbrech’ die Stille!
Mas mira las compañas Hab Acht, wer sie begleitet,
De la que va por ínsulas extrañas. Die dort durch fremde Inselreiche schreitet.
0 0
Esposo:
Der Bräutigam:
          20.           20.
A las aves ligeras, Ihr Vögel auf luft’gem Pfade,
Leones, ciervos, gamos saltadores, Hirsch, Löwen, Gemsen, die im Sprung sich sputen;
Montes, valles, riberas, Ihr Berge, Tal’, Gestade,
Aguas, aires, ardores Ihr Wasser, Winde, Gluten,
Y miedos de las noches veladores. Ängste der Nacht, die sorgend niemals ruhten.


[202]

          20.           20.
Pues ya si en el ejido Nicht auf dem Dorfplatz findet
De hoy más no fuere vista ni hallada, Man mich, die sich zu zeigen nicht gesonnen,
Diréis que me he perdido; Verloren ging ich, kündet;
Que andando enamorada, In Liebesglut entronnen,
Me hice perdidiza, y fuí ganada. Ging ich verloren frei und ward gewonnen.
0 0
          21.           21.
De flores y esmeraldas, Smaragden, Blumen glänzen,
En las frescas mañanas escogidas, Die wir im frischen Morgentau gefunden;
Haremos las guirnaldas Wir flechten sie zu Kränzen,
En tu amor florecidas, Von Dir mit Lieb’ durchwunden,
Y en un cabello mío entretejidas. Mit einem meiner Haare festgebunden.
0 0
          22.           22.
En sólo aquel cabello An jenem Haar, dem einen,
Que en mi cuello volar consideraste, Das Du an meinem Hals sahst wehend hangen;
Mirástele en mi cuello, Am Halse sahst Du’s scheinen,
Y en él preso quedaste, Du hast Dich drin gefangen,
Y en uno de mis ojos te llagaste. Eins meiner Augen weckte Dein Verlangen.
0 0
          23.           23.
Cuando tú me mirabas, Du hast mich angesehen,
Su gracia en mí tus ojos imprimían; Mit Gnadenreizen mich Dein Auge schmückte
Por eso me adamabas, Davon ist es geschehen,
Y en eso merecían Daß ich Dein Herz berückte,
Los míos adorar lo que en tí vían. Anbetend, was in Dir mein Aug’ entzückte.
0 0
          24.           24.
No quieras despreciarme, Du mögst mich nicht verachten,
Que si Color moreno en mí hallaste, Hast Du auch dunkelfarbig mich gefunden;
Ya bien puedes mirarme, Wohl kannst Du mich betrachten,
Después que me miraste, Dein Blick ließ mich gesunden,
Que gracia y hermosura en mí dejaste. Mit Gnadenschönheit hast Du mich umwunden,


[203]

                     21.
Por las amenas liras, Bei holden Leiertönen,
Y canto de serenas os conjuro, Bei der Sirenen Sang laßt euch beschwören:
Que cesen vuestras iras, Laßt euern Zorn versöhnen,
Y no toquéis al muro, Laßt an der Wand nichts hören,
Porque la Esposa duerma más seguro. Daß der Geliebten Schlaf nichts möge stören.
0 0
III.
III.
          22.           22.
Entrado se ha la Esposa Die Braut ist eingegangen
En el ameno huerto deseado, In des ersehnten Gartens Lieblichkeiten,
Y a su sabor reposa, Sie ruht nun nach Verlangen,
Et cuello reclinado Den Nacken läßt sie gleiten
Sobre los dulces brazos del Amado. Auf des Geliebten Arme, die sich breiten.
0 0
          23.           23.
Debajo del manzano, In Apfelbaumes Schatten,
Allí conmigo fuiste desposada, Da hab’ ich Dich zu meiner Braut erkoren,
Allí te dí la mano, Reicht Dir die Hand des Gatten,
Y fuiste reparada Erhob Dich, wo verloren
Donde tu madre fuera violada[39]. Die Ehre sie einst, die Dich hat geboren.


[204]
Text B. J.
Esposo:
Der Bräutigam:
          33 (34).           33 (34).
La blanca palomica Schon hat die weiße Taube
Al arca con el ramo se ha tornado, Zur Arche mit dem Ölzweig sich gewandt,
Y ya la tortolica Die kleine Turteltaube
Al socio deseado Schon dem Gefährten fand,
En las riberas verdes ha hallado. Den sie ersehnt, am grünen Stromesrand.
0 0
          34 (35).           34 (35).
En soledad vivía, Sie lebt in Einsamkeiten,
Y en soledad ha puesto ya su nido, In Einsamkeit hat sie ihr Nest gebaut,
Y en soledad la guía Sie führt zu Einsamkeiten
A solas su querido, Er, der ihr lieb und traut,
También en soledad de amor herido. Den Lieb’ entflammt, da er sie einsam schaut.
0 0
Esposa:
Die Braut:
          35 (36).           35 (36).
Gocémonos, Amado, Laß Freude uns umwehen!
Y vámonos a ver en tu hermosura Daß wir in Deiner Schönheit schauen gingen.
Al monte o al collado, Wo Berg und Hügel stehen,
Do mana el agua pura; Wo Wasser rein entspringen;
Entremos más adentro en la espesura. Laß tiefer uns hinein ins Dickicht dringen.
0 0
          36 (37).           36 (37).
Y luego a las subidas Laß uns die Schritte lenken,
Cavernas de la piedra nos iremos, Wo schroff sich in den Felsen tief hinein
Que están bien escondidas, Verborgne Höhlen senken,
Y allí nos entraremos. Da laß uns treten ein
Y el mosto de granadas gustaremos. Und kosten der Granaten jungen Wein.
0 0
          37 (38).           37 (38).
Allí me mostrarías Dort wirst Du dann mich lehren,
Aquello que mi alma pretendía, Wonach verlanget meiner Seele Streben,
Y luego me darías Sogleich wirst Du gewähren
Allí tú, vida mía, Mir dort, o Du mein Leben,
Aquello que me diste el otro día. Was Du mir schon an jenem Tag gegeben.


[205]

          38 (39).           38 (39).
El aspirar del aire, Des Lufthauchs lindes Leben,
El canto de la dulce filomena, Wenn süßer Nachtigallen Sang man höret,
El soto y su donaire, Der Hain mit seinen Gaben
En la noche serena In heit’rer Nacht gewähret,
Con llama que COnsume y no da pena. Die Flamme, welche ohne Schmerz verzehret.
0 0
          39 (40).           39 (40).
Que nadie lo miraba, Nie durft’s ein Wesen sehen,
Aminadab tampoco parecía, Aminadab läßt auch sich nicht mehr blicken,
Y le cerco sosegaba, Belagerungsheer mußt gehen,
Y la caballería Die Reiter talwärts rücken,
A vista de las aguas decendía. Dort unten die Gewässer zu erblicken.


Dieser Gesang aus dem Kerker ist von überwältigendem Reich­tum der Bilder und Gedanken. Er unterscheidet sich dadurch we­sentlich von den Strophen der Dunklen Nacht und der Liebesflam­me. Dort hatten wir jedesmal ein einfaches Bild, wovon das Ganze beherrscht wurde: die Flucht in der Nacht – die Feuersglut mit der emporschlagenden Flamme. Hier ist wohl auch ein einheit­gebendes Band vorhanden – wir kommen noch darauf zurück –, aber davon umfaßt, ein beständiger Wechsel der Bilder. Dort Ein­falt und Stille, hier die Seele und die ganze Schöpfung in Be­wegung. Das ist kein bloße Verschiedenheit des dichterischen Stils: die Stilverschiedenheit ist einem tiefgehenden Unterschied der Er­lebensgrundlage entsprungen. Nacht und Liebesflamme geben gleich­sam einen Querschnitt durch das mystische Leben in einem be­stimmten Augenblick des Werdegangs, und zwar beide in einem Zeit­punkt, in dem die Seele bereits alles Geschaffene hinter sich gelas­sen hat und nur noch mit Gott beschäftigt ist. Ihr Verhältnis zu den Dingen der Welt wird bloß rückblickend behandelt. Der Geist­liche Gesang gibt den ganzen mystischen Werdegang wieder – nicht nur in der Erläuterung, sondern in den Strophen selbst – und ist von einer Seele geschrieben, die von allen Reizen der sichtbaren Schöpfung zu tiefst ergriffen ist. Auf den Gefangenen in der dunk­len Zelle, der Dichter und bildender Künstler ist und empfänglich für den Zauber der Musik, dringt die Welt draußen, die Welt von der er abgeschnitten ist, mit wunderbaren Bildern und bestrickenden Klängen ein. Freilich bleibt er nicht bei den Bildern [206] und Klängen stehen. Sie sind ihm eine geheimnisvolle Bilderschrift, in der sich ausspricht – und in der er selbst aussprechen kann –, was sich verborgen in einer Seele vollzieht. Eine geheimnisvolle Bil­derschrift ist es wahrlich. Sie enthält eine solche Fülle des Sinnes, daß es dem Heiligen selbst unmöglich erscheint, die rechten Worte zu finden, um alles zu erklären, was der Heilige Geist in ihm „in unaussprechlichen Seufzern“ sang. Denn dem Heiligen Geist sind diese Strophen zu verdanken. Sie sind „Eingebungen der Liebe und geheimnisvoller Erkenntnis“; der Geist Gottes hat sie der Seele ver­liehen, in der Er Wohnung nahm, und dergleichen vermag auch der Begnadigte selbst nicht vollständig zu beschreiben und verständlich zu machen. Darum verzichtet der Dichter von vornherein darauf, alles zu erklären. Er will nur „einige allgemeine Erläuterungen ge­ben“ und den Versen „den ganzen Reichtum des Sinnes lassen, da­mit jeder nach seiner Befähigung und dem Zuge seines Geistes dar­aus schöpfe. ...“ Er vertraut darauf, daß die „mystische Weisheit ... kein bestimmtes Verständnis erfordert...., um in der Seele Liebe und Begeisterung zu wecken.... “[40] So wird der Geist, der einer Seele Seine Liebe eingegossen hat, anderen liebenden Seelen einen Zugang erschließen zum geheimnisvollen Ausdruck jener Lie­be. Diesem Wehen des Geistes will der Heilige keine Schranken setzen. Darum erklärt er seine eigenen Erläuterungen als unverbind­lich. Wenn wir die Erläuterungen gelesen haben, sind wir für diese Erklärung aufrichtig dankbar; denn der Gegensatz zwischen dem dichterisch mystischen Schwung des Gesanges und dem ganz anders gearteten Stil der Auslegung ist hier viel tiefer fühlbar als in Auf­stieg und Nacht. Wir haben darin den äußersten Gegenpol zur Liebesflamme, obwohl beide Schriften zeitlich und gedanklich nahe zusammengehören. Es ist hier nicht nur so wie bei den beiden äl­teren Abhandlungen, daß der Denker und Lehrer vor der Dichtung steht wie vor etwas sachlich Gegebenem und fast Fremdem. (Dazu hat jedenfalls der zeitliche Abstand beigetragen: der größte Teil der Strophen entstand 1578 in Toledo, die erste Fassung der Erklärun­gen ist 1584 in Granada geschrieben.) Darüber hinaus hat man den Eindruck, daß neben der leitenden Absicht, die Bildersprache der Dichtung deutend und lehrend zu erschließen, noch eine andere Rücksicht wirksam war. Hinter seinen geistlichen Söhnen und Töch­tern, für die er in erster Linie schreibt, scheint vor dem Blick des Heiligen ein anderes Publikum aufzutauchen, ein weniger gutwilliges und aufnahmebereites. Schon beim Bemühen um das Verständnis [207] des Aufstiegs und der Dunklen Nacht hat sich uns die Vermutung aufgedrängt, daß in den wichtigen Fragen der Abgrenzung des eigentlich Mystischen vom gewöhnlichen Gnadenleben die Darstel­lung nicht ganz unbefangen sein mag, sondern beeinflußt von dem Gedanken an das wachsame Auge der Inquisition und den Verdacht des Illuminismus, dem alles Mystische von vornherein ausgesetzt war[41]. Der Geistliche Gesang scheint von dieser Rücksicht noch viel stärker beeinflußt zu sein. Und die Umformung in der zweiten Bearbeitung scheint wesentlich davon bedingt. Diese Umformung hat sich ja nicht auf die Erklärungen beschränkt, sondern tief in den Gesang selbst hineingeschnitten.

Wir möchten hier zunächst auf vier Tatsachen hinweisen, die augenscheinlich in einem inneren Zusammenhang stehen: 1. Die zweite Fassung enthält eine Strophe, die ursprünglich nicht vorhan­den war. (Diese Strophe tauchte allerdings schon in einigen Druck­ausgaben auf, die sich im übrigen nach der ersten Fassung richteten, wurde aber wahrscheinlich aus einem Ms. der zweiten Fassung hin­übergenommen[42].) 2. Die zweite Fassung zerlegt den Gesang in drei Abschnitte: I, II, III. 3. Sie nimmt eine Umordnung der Strophen vor und durchschneidet so den ursprünglichen Aufbau. 4. Sie fügt im Anschluß an den Gesang, vor dem Beginn der Erklärung zur ersten Strophe, ein argumentum, eine kurze Angabe des leitenden Gedankengangs, ein. Nach dieser Angabe behandeln die Strophen den Weg einer Seele von dem Augenblick an, wo sie sich dem Dienst Gottes zu widmen begann, bis zur höchsten Stufe der Vollkommen­heit, der geistlichen Vermählung; darum werden auch die drei Stän­de oder Wege berührt, die zu diesem Ziel führen: der Reinigungs-, Erleuchtungs- und Einigungsweg (oder der der Anfangenden, der Fortschreitenden – bis zur geistlichen Verlobung – und der Voll­kommenen: der Stand der Vermählung). Die letzten Strophen be­handeln noch den Stand der Seligen, dem die Vollkommenen zu­streben.

Dem eingefügten Argumentum mit seiner Hervorhebung der ge­wohnten Unterscheidung der drei Wege entspricht die nachträgli­che Einteilung des Gesanges in drei Abschnitte. (Übereinstimmend wird im Rückblick auf den durchmessenen Weg bei Beginn der zweiten Fassung eine Anspielung auf die drei Wege eingeflochten[43].)

[208] Die eingefügte Strophe 11 bringt die Sehnsucht der Seele nach der unverhüllten Gottesschau des ewigen Lebens zum Ausdruck und bereitet die Umdeutung der Strophen 36-39 (35-38) vor: diese Strophen beziehen sich in der ersten Fassung unverkennbar auf den Stand der mystischen Vermählung, werden aber in der zweiten Fas­sung durch einige Änderungen und Hinzufügungen in den Erklä­rungen zu einer vorwegnehmenden Schilderung des ewigen Lebens gestempelt.

All das weist auf eine einheitliche Absicht bei der zweiten Bearbei­tung: den mystischen Werdegang der Seele möglichst in einer über­lieferten und unverdächtigen Form darzustellen und die höchste Stufe, die mystische Vermählung, scharf gegen die Vollendung der Seele im ewigen Leben abzugrenzen. Wir werden bald noch zu prü­fen haben, ob auch die Umordnung der Strophen demselben Zweck dient.

Wenn die Überarbeitung der ersten Erklärungen sichtlich in dem Bemühen geschah, alles, was verdächtig sein und mißdeutet werden konnte, ins rechte Licht zu rücken, so scheint doch diese Besorg­nis auch schon bei der ersten Abfassung mitgesprochen zu haben. Der Heilige hat auch am Eingang des Aufstiegs und der Liebes­flamme die übliche Erklärung abgegeben, daß er sich in allem dem Urteil der Kirche unterwerfe, und sich außerdem auf die Lehre der Heiligen Schrift berufen. Aber hier geschieht es mit noch größerem Nachdruck. Er versichert am Ende des Prologs[44], daß er nichts aus sich selbst behaupten wolle noch im bloßen Vertrauen auf seine eigene Erfahrung und das, was er durch Einblick in andere Seelen erkannt habe; er wolle vielmehr alles durch Stellen der Heiligen Schrift sicher stellen und erklären, zum mindesten alles, was etwas schwerer verständlich sei. In der Tat erscheinen im Geistlichen Ge­sang die Schriftworte nicht überall so ungezwungen wie in der Lie­besflamme, besonders die zahlreichen Parallelstellen aus dem Hohen­lied. Oft machen sie den Eindruck, als wollten sie den Beweis er­bringen, daß gewisse gewagte Ausdrücke sich auf den Sprachge­brauch der Heiligen Schrift gründen und im selben Sinn wie dort verwendet sind. Schließlich wird durch den äußeren Zweck viel­leicht auch der unleugbare Abstand zwischen der Dichtung und ihrer Auslegung in etwa verständlich, obwohl dazu wohl auch noch andere Umstände beitrugen. Es ist schon darauf hingewiesen wor­den, daß sich diese Dichtung von den andern, die in Schriften er­läutert wurden, durch die Fülle und Mannigfaltigkeit ihrer Bilder [209] unterscheidet. Die Erläuterungen wirken nun fast wie ein Wörterbuch dieser Bildersprache. In gewisser Weise ist das nahegelegt durch die Eigenart vieler Bilder. Sie stehen in keiner ursprünglichen Einheit mit dem, was sie darstellen sollen, wie das Symbol im engeren und eigentlichen Sinn: etwa das der Nacht oder der Flamme. Es besteht wohl eine gewisse Ähnlichkeit in irgendeiner Hinsicht zwischen dem Bild und dem, was es bezeichnen soll, und damit eine sachliche Grundlage für das Zeichenverhältnis. Aber diese Grundlage reicht nicht aus, um den Sinn der Bilder ohne weiteres zu verstehen. Ihre Sprache muß erlernt werden und erscheint überdies in der Wahl ihrer Ausdrücke weit willkürlicher als eine natürliche Wortsprache, wenn auch nicht so willkürlich wie eine Kunstsprache oder ein völlig nach Gutdünken gewähltes Zeichensystem. Diese Wahlfreiheit und der lose sachliche Zusammenhang haben zur Folge, daß die Bilder nicht eindeutig sind, sondern mancherlei Auslegungen zulassen; umgekehrt kann das, worauf sie hinweisen, auch auf andere Weise dargestellt werden, weil sie kein notwendiger Ausdruck sind. Mit all diesen Zügen ist das umschrieben, was wir Allegorie nennen. Sie ist im Geschmack der Zeit, ein Kennzeichen der Barockpoesie. Johannes kannte die Dichtkunst seiner Zeit sehr wohl und hatte sich durch sie formen lassen. So lag ihm die Anwendung dieses Kunstmittels schon natürlicherweise nahe, und er handhabt es in der Dichtung mit Meisterschaft[45]. Wenn er aber in der Auslegung Worterklärung an Worterklärung reiht und manchmal für einen bildlichen Ausdruck mehrere ganz verschiedene Erklärungen gibt – z.B. werden in der 2. Strophe die Hirten als die Begierden und Neigungen der Seele oder als die Engel gedeutet –, so geht er über das hinaus, was die Allegorie als solche fordert, und beeinträchtigt den Eindruck der Dichtung durch Auflösung der Einheit in eine Fülle von Einzelheiten und Unterstreichung des Seltsamen und Willkürlichen der Bilder. Ob nicht auch hinter dieser Häufung der Erklärungen die Absicht steht, bedenklichen und gefährlichen Deutungen zuvorzukommen? Das Herz des Dichters mag sich dabei manchmal gegen das Verfahren des Auslegers aufgelehnt haben. Seine Versicherung, daß er durch seine eigenen Deutungen dem Wehen des Geistes in der Seele der Leser keine Schranken setzen wolle, darf jedenfalls als Aufforderung genommen werden, sich vor allem an die Dichtung selbst zu halten.


[210]
b) Der leitende Gedankengang nach der Darstellung des Heiligen

Wenn wir den Gesang in seiner ersten Fassung unbefangen auf uns wirken lassen, so erscheint er uns als getreuer Ausdruck des ganzen mystischen Weges. Wir unterstreichen „mystischen“, weil der Heilige selbst in dem schon erwähnten Rückblick in der Erklärung zu Str. 27 (22)[46] sagt, die ersten 5 Strophen seien den Anfängen des geistlichen Lebens gewidmet, der Zeit, in der die Seele sich in Betrachtungen und Abtötungen übt; erst mit der 6. Strophe, so fügt die zweite Fassung ein, beginne die Darstellung des beschaulichen Lebens. Wir hören aber schon aus dem Sehnsuchtsruf, mit dem der Gesang beginnt: A donde te escondiste? (Wo hast Du Dich verborgen?), die Klage einer Seele, die im tiefsten Herzen von Gottesliebe verwundet ist. Sie kennt ihren Herrn sicher nicht nur „vom Hörensagen“, sondern ist Ihm persönlich begegnet, hat Seine Berührung im Innersten erfahren. Ihr Schmerz ist der Schmerz der Liebenden, die des Geliebten beglückende Gegenwart kosten durfte und nun entbehren muß. Er hat sie seufzend zurückgelassen; denn die Abwesentheit des Geliebten ruft ein ständiges „Seufzen im Herzen der Liebenden hervor“, „besonders wenn sie schon etwas von Seiner süßen, erquickenden Gegenwart gekostet hat und dann in Trockenheit und Einsamkeit verlassen zurückbleibt....“[47] Müssen wir nicht an hohe mystische Gnaden denken, wenn von „brennenden Liebesberührungen“ gesprochen wird, „die nach Art eines feurigen Pfeils die Seele verwunden und durchdringen und sie ganz ausgebrannt vom Feuer der Liebe zurücklassen“? Der Wille wird dabei so entflammt, daß es der Seele vorkommt, „als werde sie in dieser Flamme verzehrt, als gerate sie außer sich und werde ganz erneuert.... wie der Vogel Phönix, der verbrennt und neu geboren wird“[48]. Wir erkennen in dieser Schilderung die Liebesvereinigung wieder, die nach der Darstellung der heiligen Mutter Teresia und des Vaters Johannes selbst auf die mystische Verlobung und Vermählung vorbereitet[49]. Es ist für die Seele ein völlig neuer Zustand, den sie selbst noch nicht versteht. Sie sucht deshalb den Entschwundenen in der Betrachtung der Geschöpfe, aber sie findet darin keine Befriedigung. Das unterscheidet sie deutlich von jenen [211] Anfängern im geistlichen Leben, die an den gewöhnlichen Übungen der Frömmigkeit Freude haben, weil sie noch nicht in die Nacht der Beschauung eingetreten sind. Die Seele, die Gott innerlich be­rührt hat, kann in nichts mehr Ruhe finden, was nicht Gott ist: „Für die Wunden der Liebe findet sich nirgends ein Heilmittel als bei dem, der sie geschlagen hat“. Darum eilt die verwundete Seele hinaus und ruft dem Geliebten nach. „Dies Ausgehen bedeutet .... das Ausgehen von allen Dingen .... und das Ausgehen von sich selbst durch Vergessen seiner selbst und Liebe zu Gott“[50]. Die Seele kann jetzt nichts anderes mehr tun als Gott lieben und verzehrt sich in Sehnsucht nach Seiner Anschauung. Und diesem Verlangen kann der Herr auf die Dauer nicht widerstehen. Die Liebe, die Er entzündet hat, bewegt Ihn selbst zu neuen unerhörten Liebesbe­weisen. Er erscheint plötzlich und hebt die Seele in jähem Fluge zu sich empor[51].

Diese Darstellung der geistlichen Verlobung mit ihrem für die Seele so erschreckenden Hinausgerissenwerden aus allen natürlichen Bedingungen ihres Seins entspricht durchaus dem, was wir bei der hl. Mutter in der 6. Wohnung der Seelenburg geschildert fanden. Die schwache Natur fürchtet zu erliegen und bricht in den Ruf aus: „Wende sie hinweg, Geliebter!“ (die so ersehnten Augen). Aber diese Bitte ist nicht ernst gemeint. Die Seele erhofft vielmehr, von den Fesseln dieses Lebens befreit zu werden, um die beseligende Nähe ertragen zu können. Doch so weit ist es noch nicht. Das Vuelvete, paloma („Kehr zurück, Taube!“) ruft zurück ins irdische Da­sein. Sie muß sich vorläufig mit dem begnügen, was ihr hier gegeben werden kann. Und das ist überreich. Es beginnen nun die Spiele der Liebe zwischen dem göttlichen Liebenden und der geliebten Seele. Sie bedarf nun nicht mehr der Geschöpfe, um durch sie einen Weg zum Geliebten zu finden. Er selbst sucht sie wieder und wieder heim und enthüllt ihr mehr und mehr Seine Schönheit. Doch alle Reize der Geschöpfe müssen ihr jetzt dazu dienen, das Lob der göttlichen Schönheit zu singen. In der Vereinigung mit dem himmlischen Bräu­tigam wird sie selbst mit Gaben überhäuft, mit wunderbarer An­mut und Kraft geschmückt, ganz eingetaucht in Liebe und Frieden. Weil sie das Leben Gottes mitlebt, freut sie sich auch an dem Feuer der Liebe, das Er in andern Seelen entzündet. Sie selbst wird nun eingeführt in den „innersten Weinkeller“, das verborgenste Heilig­tum der Liebe, wo Gott selbst sich ihr mitteilt und sie in sich selbst [212] umwandelt. Ganz erfüllt von der überwältigenden Seligkeit dieses neuen, göttlichen Lebens vergißt sie alle Dinge dieser Welt, alles Verlangen danach versinkt. Und wie der Geliebte sie mit unver­gleichlicher Zärtlichkeit umgibt, so gibt auch sie sich rückhaltlos hin, sie lebt nur noch für Ihn und ist tot für die Welt. In dieser liebenden Vereinigung blühen alle Tugenden auf. Die Seele erkennt beglückt die himmlische Schönheit, mit der sie selbst jetzt ge­schmückt ist. Aber sie weiß, daß all dieser Reichtum allein durch Gottes Gnadenblick hervorgerufen ist, und sie will ihn für nichts anderes benützen, als um den Geber selbst damit zu erfreuen. Alle Störungen sollen dem seligen Leben der Liebe fern bleiben. Der Herr selbst trägt dafür Sorge, daß alles schwindet, was der dauernden Vereinigung im Wege steht. Und so kann Er sie einführen in den ersehnten Garten, wo sie in völlig ungestörter Ruhe bei ihm verwei­len darf. In tiefster Einsamkeit wird Er sie in die verborgenen Ge­heimnisse Seiner Weisheit einführen, sie in den Flammen der Liebe entbrennen lassen, und kein geschaffenes Wesen wird etwas von dem erblicken, was Gott der Seele bereitet, die Er für immer in sich geborgen hat.

So glauben wir – in einer kurzen Überschau – den ursprüngli­chen Aufbau des Gesanges verstehen zu dürfen: als ein Aufsteigen von einer Stufe der Liebesvereinigung zur andern oder als ein immer tieferes Hineingezogenwerden: erst eine flüchtige Begegnung, dann – nach der Sehnsucht und Qual des Suchens – ein Emporgerissenwerden zur innigsten Verbindung, eine Zeit der Vorbereitung auf das dauernde Eingehen in diese Verbindung und schließlich der unstörbare Friede der Vermählung. Von einer Trennung in drei We­ge oder Stände der Reinigung, Erleuchtung und Vereinigung kann dabei kaum die Rede sein. Das sind vielmehr drei Wirkungen, die im ganzen Gnadenleben und auf dem ganzen mystischen Weg mit­einander verbunden sind[52], wenn auch auf den verschiedenen Stu­fen jeweils die eine oder andere mehr hervortritt. In der Darstel­lung des Geistlichen Gesanges steht die Vereinigung am Anfang und am Ende und beherrscht das Ganze. Von der Reinigung wird am meisten gesprochen beim Übergang von der Verlobung zur Vermäh­lung. Die Erleuchtung hält mit der Vereinigung Schritt.

In der Strophenordnung der ersten Fassung fällt auf, daß der Übergang von der Verlobung zur Vermählung fließend ist und sehr früh einsetzt. In Str. 15 (24) ist schon die ganze Innigkeit der [213] Vereinigung erreicht. Als Unterschied zur Vermählung bleibt nur, daß noch Störungen möglich sind, die verschwinden müssen, damit die Verbindung dauernd werden kann. Durch die Umordnung der Strophen in der zweiten Fassung ist die Grenze schärfer gezogen. Die Ausschließung alles Störenden wird vorausgestellt, die Darstel­lung der vollen Vereinigung folgt ihr, einsetzend mit dem Eingehen in den ersehnten Garten (Str. 22). Das ist ein sachlicher Vorteil der zweiter Fassung und wiegt den kleinen Schönheitsfehler auf, daß nach der wunderschönen 15. Strophe mit ihrem Zauber der Nacht in der 16. ganz unvermittelt der Hinweis auf die „Füchse im Wein­berg“ folgt. Es ist sehr wohl verständlich, daß bei der ersten Nieder­schrift die Strophenfolge nicht sofort die sachlich angemessenste war. Die Strophen sind ja nicht alle auf einmal entstanden; auch was der Kerkerzeit entstammt, hat sich jedenfalls nach und nach angesammelt, den inneren Erfahrungen folgend. Es wurde früher erwähnt, daß verschiedene Zeugenaussagen darüber vorliegen, ob die Gedichte überhaupt im Kerker aufgezeichnet werden konnten oder erst nach der Flucht. Das erste ist wahrscheinlich, schließt aber nicht aus, daß der Gefangene seine Lieder längere Zeit in sei­nem Herzen bewahren mußte, ehe er Schreibzeug bekam. Er mag sich bald diese bald jene Strophe vorgesungen haben, wie es gerade seiner Stimmung entsprach. Und sobald es möglich war, hat er sie wohl zu Papier gebracht, ohne die beste Strophenfolge so sorgsam zu erwägen, wie es dann bei der letzten Bearbeitung geschah. Diese Überlegungen lassen es uns ratsam erscheinen, nun bei der einge­henderen Erwägung von Gedankengehalt und künstlerischer Form der Ordnung der zweiten Fassung zu folgen[53]. Dabei werden wir nicht aus dem Auge verlieren, was wir über die leitende Absicht der zweiten Bearbeitung festgestellt haben und ihr gegenüber die ursprüngliche Deutung der Strophen zur Geltung kommen lassen.


c) Das beherrschende Bild und seine Bedeutung für den Gehalt des Gesanges

Der erste Überblick wollte nur dem Sinn des Ganzen auf die Spur kommen. Von der Fülle der Einzelzüge konnte er noch kaum eine Andeutung geben. Wenn man das versuchen will, muß man in die Bildersprache der Dichtung einzudringen suchen. Dafür ist das [214] Wörterbuch des Heiligen der gegebene Führer, wenn man sich auch nicht sklavisch daran zu halten braucht.

Die Grundstimmung des Gesanges ist bezeichnet durch die Span­nung der liebenden Seele zwischen schmerzlicher Sehnsucht und se­ligem Finden. Diese Grundstimmung hat Ausdruck gefunden in dem Bilde, das gleichfalls das Ganze beherrscht, ungeachtet der Fül­le einzelner Bilder, die sich ihm ein- und unterordnen: dem Bild der Braut, die nach dem Geliebten verlangt, die sich aufmacht, ihn zu suchen, und ihn endlich beseligt findet. Das ist für uns nichts Neues. Auch im Nachtgesang verläßt ja die Braut ihr Haus, um zu dem Geliebten zu eilen; auch in der Liebesflamme wendet sie sich an den Bräutigam. Aber dort steht das bräutliche Verhältnis nicht im Mit­telpunkt, es ist vielmehr selbstverständlicher Hintergrund. Hier ist es das, worum sich alles dreht. Dies Bild ist keine Allegorie. Wenn die Seele Gottes Braut genannt wird, so liegt nicht bloß ein Ähn­lichkeitsverhältnis zweier Dinge vor, das es erlaubt, eines durch das andere zu bezeichnen. Es besteht vielmehr zwischen Bild und Sache eine so innige Einheit, daß kaum noch von einer Zweiheit gesprochen werden kann. Das ist das Kennzeichen des Symbolverhältnisses im engeren und eigentlichen Sinn. Das Verhältnis der Seele zu Gott, wie Gott es von Ewigkeit her als Ziel ihrer Erschaffung vorge­sehen hat, kann gar nicht treffender bezeichnet werden als durch die bräutliche Verbindung. Umgekehrt: was Brautschaft ihrem Sin­ne nach besagt, das findet nirgends eine so eigentliche und voll­kommene Erfüllung wie in der Liebesvereinigung Gottes mit der Seele. Wenn man das einmal erfaßt hat, dann tauschen Bild und Sache geradezu ihre Rollen: die Gottesbrautschaft wird als die ur­sprüngliche und eigentliche Brautschaft erkannt, und alle mensch­lichen Brautverhältnisse erscheinen als unvollkommene Abbilder dieses Urbildes – sowie auch Gottes Vaterschaft das Urbild aller Vaterschaft auf Erden ist. Auf Grund des Abbildverhältnisses wird das menschliche Brautverhältnis tauglich zum symbolischen Aus­druck des göttlichen, und gegenüber dieser Aufgabe rückt das, was es als rein menschliche Beziehung im wirklichen Leben ist, an zweite Stelle. Was es wirklich ist, das hat seinen höchsten Seinssinn darin, daß es einem göttlichen Geheimnis Ausdruck geben kann[54].


[215]
d) Das Brautsymbol und die einzelnen Bilder

In welchem Verhältnis steht dieses beherrschende Bild, das Braut­symbol, zu der bunten Mannigfaltigkeit allegorischer Darstellun­gen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf eine andere eingehen, die auch schon früher gestellt wurde: Sind diese Bilder als willkürliche Erdichtungen anzusehen oder als Eingebungen des Heiligen Geistes? Diese Frage ist dem Heiligen selbst durch Schw. Magdalena vom Heiligen Geist gestellt worden. Sie schreibt in ihrem Zeugenbericht, Johannes habe sein Heft mit den Gedichten aus dem Kerker im Kloster zu Beas gelassen, und sie sei beauftragt wor­den, einige Abschriften zu machen. Sie war voll Bewunderung für die Lebhaftigkeit der Sprache, für die Schönheit und feine Treffsicher­heit des Ausdruckes. So fragte sie eines Tages den Dichter, ob Gott ihm jene Worte eingegeben habe, die soviel in sich befaßten und ein solcher Schmuck seien. Er antwortete: „Meine Tochter, manchmal gab sie mir Gott, und andermal suchte ich sie“[55]. Eine ähnliche Aus­kunft können wir aus dem Werk selbst herauslesen. Im Vorwort wird betont, daß die Strophen vom Geist der Liebe eingegeben seien und daß man darum unmöglich die rechten Worte zu ihrer Erklä­rung finden könne. Dabei ist offenbar zunächst an die Schwierig­keit der nachträglichen Deutung zu denken. Der dichterische Aus­druck scheint mit dem Gehalt zugleich vom Heiligen Geist emp­fangen. Doch bald darauf wird uns klar gemacht, daß auch schon der unmittelbare Ausdruck nichts wiederzugeben vermag, was der Geist Gottes die Seele innerlich empfinden und verstehen läßt. Darum greift die Auslegung zu Bildern und Gleichnissen, um etwas davon anzudeuten. Es ist darum in der Erfahrung des Mystikers etwas rein Geistiges und Innerliches vom sprachlichen Ausdruck zu unterschei­den. Und diese form- und weiselose Fülle des Geistes wird sich niemals vollständig in Worte einfangen lassen. Das Greifen nach Bildern und Gleichnissen kann als eigenes Suchen nach einem treffenden Ausdruck gedeutet werden. Es kann aber auch ein Ergreifen dessen sein, was der Geist Gottes darbietet. Wenn Johannes auf die oft so seltsam klingenden und der Mißdeutung ausgesetzten Bilder der Hei­ligen Schrift verweist, so dürfen wir an eine übernatürliche Hilfe auch beim sprachlichen Ausdruck denken. Der Begriff der Inspira­tion ist zwar nicht so zu fassen, daß nicht nur alles, was die heili­gen Schriftsteller sagen, sondern auch alle ihre Bilder und Worte auf göttliche Eingebung zurückgeführt werden müßten, aber an vielen [216] Stellen ist doch offenbar auch das äußere Wort als Wort Gottes im buchstäblichen Sinn zu verstehen. So ist es nach seiner Aussage in manchen Fällen auch bei Johannes gewesen. Doch auch wenn er selbst nach dem Ausdruck suchte, ist die Mithilfe des Heiligen Gei­stes nicht ausgeschlossen. Die Lebhaftigkeit seiner künstlerischen Einbildungskraft, gesteigert durch das unnatürliche Abgeschnitten­sein von allem, was die äußeren Sinne befriedigen konnte, mochte ihm eine Fülle farbenprächtiger Bilder vor die Seele zaubern. Wenn aber diese Bilder mit dem zusammenklingen, was er innerlich er­fährt, so ist das nicht mehr auf die Einbildungskraft zurückzufüh­ren und auch nicht auf ein willkürliches Deuten: er findet in den Bildern den gesuchten Ausdruck für das Unsagbare, der Heilige Geist schließt ihm den geistigen Sinn der bunten sinnenfälligen Fül­le auf und leitet ihn bei seiner Wahl. Daher ist die Einheitlichkeit des Ganzen zu verstehen und eine innere Überzeugungskraft der Bilder. Allerdings gilt das nicht für alle. Manche sind sicher rein natürlich gewählt und selbst im peinlichen Sinn des Wortes gesucht. Noch etwas häufiger als für die Bilder trifft das wohl für die nach­kommenden Erklärungen zu.

Die Welt, in die uns der Gesang einführt, ist die Welt, wie sie sich der sehnsuchterfüllten, liebestrunkenen Seele darstellt. Sie geht nur aus, um den Geliebten zu suchen. Überall ist sie bemüht, Spu­ren von Ihm zu entdecken, alles gemahnt sie an Ihn und hat für sie nur so weit Bedeutung, als es von Ihm Kunde gibt oder Ihm Bot­schaft bringen kann. Wie der Hirsch am Waldrand flüchtig auf­taucht und schnell wieder entspringt, sobald ein Menschenauge ihn erblickt, so war der Herr bei den ersten Begegnungen: Er zeigte sich der Seele, aber Er war entschwunden, ehe sie Ihn fassen konnte. Der kristallklare Quell, der die Umherirrende labt, das ist für sie der Glaube: rein ist die Wahrheit, die er spendet, frei von aller Trü­bung durch Irrtum, und aus ihm strömt ihr das Wasser des Lebens zu, das fortsprudelt zum ewigen Leben (Joan. 4, 14). Sehnsüchtig beugt sie sich darüber: könnten ihr nicht aus diesem klaren Spiegel die Augen des Geliebten entgegenleuchten? Seine Augen – das sind die göttlichen Strahlen, die sie im Innersten trafen, erleuchteten und entflammten. Sie fühlt sich immer unter ihrem Blick: so sind sie ihr ins Innerste gezeichnet. Das alles ist aus der Gesamtsituation anschaulich verständlich. Wenn uns aber darüber hinaus die Er­klärung sagt, das Antlitz seien die Glaubensartikel, die uns die göttlichen Wahrheiten (Strahlen) verhüllt und unvollkommen dar­stellen: dies Antlitz werde „silberhell“ genannt, weil das reine Gold der Wahrheit uns im Glauben von Silber verdeckt dargeboten [217] werde[56], so können wir mit der Anschauung nicht mehr folgen und auch keinen Zusammenhang mit dem leitenden Symbol mehr entdecken. Wir stehen vor einer rein verstandesmäßigen, künst­lichen Deutung, die wir auf die Autorität des Dichters und Aus­legers hin annehmen können – oder auch nicht, da er uns Freiheit gegeben hat.

Das lange Ersehnte und Erflehte geschieht. Plötzlich und uner­wartet begegnet die Suchende dem Blick der göttlichen Augen. Ihr leidenschaftliches Verlangen hat den Geliebten bewogen, sie „erha­ben, zart und innigst und mit mächtiger Liebesgewalt heimzusu­chen“[57]. Er ist aufs neue erschienen gleich dem Hirsch: auf dem Hügel, d.h. auf der hohen Warte der Beschauung; Er läßt sich nur blicken, denn „so erhaben auch die Erscheinungen sein mögen, mit denen Gott die Seele in diesem Leben begnadigt, sie sind doch nur kurze, plötzliche Erscheinungen wie aus weiter Ferne“. Und auch Er ist verwundet. „Denn unter Liebenden ist die Wunde des einen beiden gemeinsam und beide haben ein und dasselbe Gefühl“. Das Wehen ihres Fluges bringt Ihm Erquickung. Er nennt sie Taube, weil sie im hohen und leichten Flug der Beschauung aufsteigt, weil sie einfältigen Herzens ist und brennend von Liebe. Das Wehen ihres Fluges – das ist der Geist der Liebe, den sie in dieser hohen Beschauung und Gotteserkenntnis aushaucht, wie Vater und Sohn den Heiligen Geist hauchen. Unter dem Flug wird die eingegossene Gotteserkenntnis verstanden, unter dem Wehen des Fluges aber die Liebe, die daraus entspringt. Und die Liebe ist es, die den Bräuti­gam herbeilockt und erquickt wie ein frischer Wasserquell. „Wie das Wehen des Windes dem von der Hitze Ermüdeten Erfrischung und Erquickung bringt, so erfrischt und erquickt auch das Wehen der Liebe den, der vom Feuer der Liebe brennt. Denn im Liebenden ist die Liebe eine Flamme, die brennt mit dem Verlangen, mehr zu brennen“. Und weil die Liebe der Braut diese Flamme anfacht, ist sie erquickendes Wehen[58].

Da die Seele nun die Gegenwart des Geliebten genießt, enden ihre Sehnsuchtsrufe; sie beginnt vielmehr die Herrlichkeiten zu preisen, die sie in der Vereinigung mit Ihm erfährt. Denn im Geistesflug vollzieht sich, wie wir sahen, die Verlobung mit dem Sohne Gottes. Hier „begnadigt Gott die Seele mit wunderbaren Erleuchtungen über Seine Gottheit, schmückt sie mit Erhabenheit und Majestät, be­reichert sie mit Gaben und Tugenden, bekleidet sie mit göttlicher [218] Erkenntnis und Herrlichkeit, geradeso wie eine Braut am Tage ihrer Verlobung“[59]. Sie tritt ein „in einen Stand des Friedens, der Wonne mit Süßigkeit der Liebe“ und weiß nun nichts anderes mehr zu tun, „als die Großtaten ihres Geliebten aufzuzählen und zu besingen....“ Sie erfährt in den Ekstasen der Liebe, was der hl. Franziskus mit den Worten sagen wollte: „Mein Gott und mein alles“. Gott ist nun in der Tat für die Seele alles, das Gute aller Geister, und so findet sie in den Geschöpfen ein Bild Seiner Vollkommenheiten. Je­de dieser wunderbaren Vollkommenheiten ist Gott und alle mitein­ander sind Gott. „Und da die Seele in dieser Ekstase sich mit Gott vereinigt, so hat sie das Gefühl, alle diese Dinge seien Gott“, wie es der hl. Johannes erfuhr, als er sprach: „Was gemacht ward, war in Ihm Leben“[60]. Das bedeutet nicht, daß die Seele die Geschöpfe in Gott sähe, „wie man die Dinge im Licht erblickt, sondern besagt nur, daß sie im Besitz Gottes das Gefühl hat, alle Dinge seien Gott“. Das ist auch nicht etwa die klare und wesenhafte Anschauung Got­tes. Es ist wohl „eine mächtige und überreiche Mitteilung“, aber doch nur „ein schwacher Schimmer von dem, was Er in sich ist“[61]. Durch diesen schwachen Schimmer werden der Seele die Vollkom­menheiten der Geschöpfe enthüllt.

Das Gebirge mit seiner ragenden Höhe und dem Liebreiz seiner duftenden Blumen hat etwas von der Erhabenheit und Schönheit des Geliebten. In Seinem Frieden ruht die Seele wie in einem kühlen und stillen einsamen Waldtal. Eine wunderbare neue Welt geht ihr in der Gotteserkenntnis auf – wie dem Seefahrer in fernen Insel­reichen. Gleich einem Strom, der überflutet und alles unter Wasser setzt, alle Tiefen füllt und mit seinem Getöse jeden andern Schall übertönt, so wird die Seele „vom Strome des Geistes Gottes .... mächtig ergriffen und derart überwältigt, daß die Wasser aller Ströme der Welt über sie hereinzubrechen scheinen“. Aber das be­reitet ihr keine Pein, denn es sind Ströme des Friedens, und ihr Überfluten „erfüllt sie ganz mit Frieden und Herrlichkeit“. Es füllt mit seinem Wasser die Tiefen ihrer Demut und die Leere ihres Begehrens aus, und im Brausen der Ströme vernimmt sie „eine gei­stige Stimme, die .... alle anderen Stimmen verstummen macht und jeden Klang der Welt übertönt.... Es ist eine innere Stimme mit unermeßlichem Schall, welche die Seele mit Macht und Kraft [219] erfüllt“, wie es bei der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel geschah. Das gewaltige Brausen, das die Bewohner von Je­rusalem hörten, war nur eine Andeutung dessen, was die Apostel innerlich vernahmen. Diese geistige Stimme ist trotz ihrer gewalti­gen Kraft lieblich anzuhören. Der hl. Johannes vernahm sie „wie das Rauschen vieler Wasser und wie das Rollen starker Donner“ und doch zugleich wie „das Spiel von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielten“ (Apoc. 14,2)[62].

Wenn linde Lüfte säuselnd um die Wange spielen, ist es wie die liebliche Weise, in der die Tugenden und Reize des Geliebten der Seele eingegossen werden: „eine überaus erhabene und süße Erkennt­nis Gottes und Seiner Vollkommenheiten, die in den Verstand sich ergießt durch Berührung dieser Vollkommenheiten im Wesen der Seele....

.... Wie man die Berührung der Luft mit dem Tastsinn und ihr Säuseln mit dem Gehörsinn wahrnimmt, so fühlt und genießt man auch die Berührung der Vollkommenheiten des Geliebten im Tast­sinn der Seele, d.h. in ihrem Wesen (mittels des Willens); und die Erkenntnis gewinnt man durch den Gehörsinn der Seele, durch den Verstand“. Überaus lieblich und wohltuend ist diese Mitteilung. „.... Wie das Säuseln der Luft sich sehr frei dem Gehörsorgan mit­teilt, so dringt auch diese überaus zarte und feine Erkenntnis mit wunderbarer Lust und Wonne in das Innerste des Wesens der See­le; und diese Wonne übertrifft jede andere...., weil der Seele eine wesenhafte Erkenntnis zukommt, die frei ist von allen unwesent­lichen Bildern und Formen“. „Dieses göttliche Säuseln, das durch das Gehör der Seele eindringt, ist nicht nur eine wesenhafte Er­kenntnis, sondern auch eine Enthüllung der göttlichen Wahrheiten im Verstande oder eine Enthüllung der göttlichen Geheimnisse.... Sooft in der Heiligen Schrift von einer Mitteilung Gottes .... durch das Gehör die Rede ist, darf man gewöhnlich eine Offenbarung dieser reinen Wahrheiten im Verstande .... annehmen. Es sind das rein geistige Offenbarungen oder Visionen, die nur der Seele ver­liehen werden ohne Vermittlung oder Beihilfe der Sinne. Aus die­sem Grunde sind die Mitteilungen Gottes .... mittels des Gehörs .... ganz erhaben und sicher“. So nimmt man an, daß unser hl. Vater Elias „im sanften Säuseln“ Gott schaute (3 Reg. 19,12) und auch Paulus, als er „geheimnisvolle Worte hörte, die kein Mensch aus­sprechen darf“ (2 Cor. 12,4). Denn das „Hören der Seele ist ein Schauen mit dem Verstande“. Freilich nicht die vollkommene und [220] klare Anschauung Gottes wie in der Glorie, sondern immer noch „ein Strahl der Finsternis“[63].

Weil die Seele solche dunkle und unergründliche Erkenntnis emp­fängt und an der Brust des Geliebten erquickende Ruhe genießt, vergleicht sie Ihn der stillen Nacht; aber einer Nacht, die schon vom Morgenlicht erhellt wird, weil es „eine Ruhe und Stille im göttli­chen Licht ist und in einer neuen Erkenntnis Gottes, worin der Geist .... die süßeste Ruhe kostet“. Er erhebt sich „beruhigt und befriedigt in Gott, von der Finsternis des natürlichen Erkennens zum Morgenlicht der übernatürlichen Erkenntnis Gottes.... Bei diesem Aufleuchten des Morgenlichtes herrscht weder volle Nacht noch voller Tag, es ist vielmehr .... ein Zwielicht....“[64]

In der Ruhe und Schweigsamkeit dieser lichterhellten Nacht „ist es der Seele gestattet, die wunderbare Harmonie und Ordnung der göttlichen Weisheit in den Verschiedenheiten aller ihrer Geschöpfe und Werke zu schauen. Sie alle und jedes einzelne von ihnen stehen in einer gewissen Beziehung zu Gott und jedes einzelne Geschöpf er­hebt in der ihm eigenen Weise seine Stimme, um zu verkünden, wieweit Gott in ihm ist, sodaß es erscheint wie eine Harmonie der erhabensten Musik, die alle Serenaden und Melodien der Welt weit übertrifft“. Aber es ist eine lautlose Musik, denn diese ruhige und stille Erkenntnis teilt sich ohne Wortgeräusch mit, „und man ge­nießt in ihr die Lieblichkeit der Musik und die Ruhe des stillen Schweigens“[65]. Diese lieblich tönende Musik wird nur in der Ein­samkeit und Abgeschiedenheit von allen äußeren Dingen vernom­men. Darum wird auch die Einsamkeit selbst klingend genannt.

Wie die Anschauung Gottes die Speise der Engel und Heiligen ist, so wird die Seele durch die beruhigende Erkenntnis der friedlichen Nacht erquickt wie von einem Abendmahl. Sie genießt es mit dem frohen Gefühl, daß alle Mühen und Leiden des Tages vorüber sind. Der Geliebte selbst „hält mit ihr Nachtmahl“ (Apoc. 3, 20); Er gibt ihr Anteil am Genuß all Seiner Güter und entflammt sie durch Seine Freigebigkeit zu neuer Liebe.

Im Schmuck der Tugenden, die Gottes überströmende Barmher­zigkeit ihr verleiht, erscheint der Braut ihr eigenes Innere gleich ei­nem Garten voll duftender Blumen oder einem blühenden Wein­berg. In ihrem Herzen spürt sie die Gegenwart des Geliebten, als liege Er da wie in Seinem eigenen Ruhebett. Sie möchte sich Ihm mit all dem Blütenreichtum übergeben, um Ihm die höchste Huldigung [221] darzubringen und Ihn zu erfreuen, und jede Störung fernhalten. Aber die sinnlichen Gelüste, die lange Zeit ruhten wie Füchse, die sich schlafend stellten, brechen mit einemmal hervor, angestachelt durch die bösen Geister, um das friedliche Blütenreich der Seele zu zerstören. Dem Teufel „liegt ja weit mehr daran, diese Seele auch nur um eine Unze ihres Reichtums und ihrer beseligenden Wonne zu betrügen, als andere in viele und schwere Sünden zu stürzen. An­dere haben nämlich wenig oder nichts zu verlieren, sie aber vieles, da sie schon so großen und kostbaren Gewinn gemacht hat“[66]. So bringen die bösen Geister die Gelüste in heftige Erregung, um die Seele zu verwirren; können sie damit nichts ausrichten, so greifen sie sie mit körperlichen Qualen und Geschrei an. Unerträglich aber wird die Pein, wenn sie ihr mit geistigen Schreckbildern und Beäng­stigungen zusetzen. „Und dies ist ihnen zu jener Zeit gar leicht mög­lich, wenn sie dazu die Erlaubnis erhalten. Begibt sich nämlich die Seele in vollster Geistesentblößung zu geistigen Übungen, so ver­mag der böse Feind, da er auch ein Geist ist, gar leicht vor sie hin­zutreten. Zuweilen fällt er sie mit anderen Schrecknissen an, .... und zwar gerade, wenn Gott sie ein wenig aus der Behausung ihrer Sinne herausführt, um sie .... in den Garten des Bräutigams ein­treten zu lassen. Der böse Feind weiß eben, daß die Seele, wenn sie einmal in jener Sammlung sich befindet, so geschützt ist, daß er ihr trotz aller Anstrengung keinen Schaden mehr zufügen kann. Oft, wenn der böse Feind darauf ausgeht, sie zu Fall zu bringen, pflegt sich die Seele in größter Eile in den Schutzkeller ihres Inneren zu­rückzuziehen, wo sie große Wonne und sicheren Schutz findet; da empfindet sie diese Schrecknisse als etwas ganz Äußerliches und Fernliegendes, sodaß sie ihr keine Furcht, sondern vielmehr Freude und Genuß bereiten“[67]. Gerät sie aber in Unruhe, dann fleht sie die Engel an, „die Füchse zu fangen“, denn ihre Aufgabe ist es, die bösen Geister zu verscheuchen.

Sind alle Schädlinge entfernt, dann kann die Seele sich, vereint mit dem Geliebten, an all den Tugendblüten erfreuen, die sich un­ter Seinem Blick erschließen und ihren Duft aushauchen. Sie windet sie zum Strauß „und bietet sie alle vereint und jede im besonderen in zärtlichster und innigster Liebe dem Geliebten dar“. Sie bedarf aber dazu Seiner Hilfe; ohne Ihn brächte sie keinen Strauß zustan­de. Fest binden sie den Strauß, einem Tannenzapfen gleich, in dem alle Teile dicht und fest zusammengeschmolzen sind: so ist auch die [222] Vollkommenheit der Seele ein abgeschlossenes Ganzes: sie umschließt eine Fülle leuchtender Tugenden fest und in schöner Ordnung. Während die Seele diesen Strauß durch Übung der Tugenden win­det, soll kein Störenfried sich auf dem Hügel sehen lassen, d.h. in den Vermögen der Seele sollen keinerlei Einzelerkenntnisse oder Erinnerungen auftreten, damit nichts sie von ihrem liebenden Ver­weilen bei Gott ablenke.

Aber es gibt noch eine andere Trübung ihres Glückes. In der Zeit der Verlobung ist der Geliebte noch nicht dauernd mit ihr vereint. Und da ihre Liebe sehr groß und innig ist, bereitet es ihr große Qual, wenn Er sich zurückzieht. Darum fürchtet sie die Trocken­heit wie den kalten Nordwind, der alle Blüten tötet. Sie nimmt zum Gebet und den geistlichen Übungen ihre Zuflucht, um über die Trockenheit Herr zu werden. Aber auf der hohen Stufe des geistli­chen Lebens, die sie schon erreicht hat, sind alle Mitteilungen des geistlichen Lebens so innerlich, daß sie durch keine Betätigung der eigenen Kräfte erlangt werden können. Darum ruft sie den feuch­ten und warmen Südwind zu Hilfe, in dem die Blumen sich er­schließen und ihren Duft aushauchen: den Heiligen Geist, „der in ihr die Liebe erweckt“. Wenn Er sie erfaßt, „entflammt Er sie vollends, erquickt und belebt sie und regt den Willen und die Be­gierden .... zur Liebe Gottes an....“ Sie bittet Ihn, durch ihren Garten zu wehen, nicht im Garten. „Es ist nämlich ein großer Un­terschied zwischen dem Wehen Gottes in der Seele und dem Wehen durch die Seele. Das Wehen in der Seele bedeutet das Eingießen der Gnade, der Gaben und Tugenden, das Wehen durch die Seele aber ist eine Berührung und Tätigkeit Gottes, wodurch die schon verlie­henen Tugenden und Vollkommenheiten erneuert und in Bewegung gebracht werden, sodaß sie einen wunderbar süßen Duft verbrei­ten. Es ist geradeso, wie wenn man wohlriechende Dinge rüttelt“; sie strömen dann „eine Fülle von Wohlgeruch aus, wie es vorher nie geschah....“ So hat auch die Seele nicht immer das wirkliche Gefühl und den Genuß ihrer Tugenden. Sie gleichen vielmehr in diesem Leben den Blumen, die noch in der Knospe sind, oder zuge­deckten Gewürzen. Manchmal aber, wenn der göttliche Geist durch den Seelengarten weht, öffnet Er alle Knospen der Tugenden und deckt die Würze der Gaben, Vollkommenheiten und Reichtümer der Seele auf. „So enthüllt Er durch Offenbarung ihrer inneren Schätze und Reichtümer die ganze Schönheit der Seele“. Diese Wohlgerüchte der Tugendblüten finden sich zuweilen in der Seele in solchem Übermaß, daß sie ganz mit Wonne umkleidet und in un­schätzbarer Herrlichkeit eingetaucht ist. Es pflegt davon auch etwas [223] „nach außen zu dringen, sodaß Menschen, die einen Sinn dafür ha­ben, es wahrnehmen. Ihnen erscheint eine solche Seele als ein Lust­garten voll Wonnen und Reichtümern Gottes.

Und auch wenn die Blüten nicht geöffnet sind...., haben solche heilige Seelen eine gewisse geheimnisvolle Größe und Würde an sich, die andern Ehrfurcht und Hochachtung einflößt....“ Im Wehen des Heiligen Geistes aber teilt sich der Sohn Gottes in erhabener Weise der Seele mit. Und Er ist es vor allem, der sich an ihrem voll erblühten und duftenden Blumenschmuck erfreut. Sie aber ver­langt danach, um Ihn zu ergötzen. Er hat sie genährt und in sich umgewandelt, auch so ist sie nun „gereift, zubereitet und gewürzt durch die Blüten der Tugenden, Gaben und Vollkommenheiten....“ An ihrem Wohlgeschmack und ihrer Süßigkeit erfreuen sich die Liebenden gemeinsam. „Denn es ist dem Bräutigam eigen, sich mit der Seele im Duft dieser Blüten zu vereinen“[68].

Inmitten dieses Glückes leidet die Seele darunter, daß sie immer noch nicht die volle Herrschaft über ihre niederen Kräfte hat; im­mer noch regen sich Empörungen im Begehrungsvermögen und be­einträchtigen das Gnadenleben. Die Seele wendet sich an diese niede­ren Regungen und bittet sie, ihre Grenzen nicht zu überschreiten. Nymphen nennt sie sie, weil sie schmeichelnd und zudringlich den Willen verführen wollen. Den Namen Judäa gibt sie dem sinnli­chen Seelenteil, „weil er von Natur aus schwach, fleischlich und blind ist wie das Volk der Juden“[69]. Während die Rosensträucher der höheren Vermögen Blüten der Tugenden hervorbringen und den Ambraduft des Heiligen Geistes aushauchen, sollen jene Nymphen im Vorraum oder der Vorstadt der inneren Sinne bleiben und die Schwelle zum Inneren, d.h. die ersten Regungen des höheren Seelen­teils, nicht berühren. (An dieser Stelle erscheint nicht erst die Deu­tung, sondern schon die Strophe selbst gekünstelt und allzu stark vom Zeitgeschmack beeinflußt. Die nächste dagegen fügt sich wie­der anschaulich dem Rahmen des Ganzen ein.)

Das Verlangen der Seele geht darauf, Gott von Angesicht zu An­gesicht zu schauen. In ihrem Innersten hat sie Ihn gefunden und hier möchte sie mit Ihm verborgen bleiben. Wenn Er ihr in der ge­heimen Kammer ihres Herzens die Herrlichkeit Seiner Gottheit of­fenbart, soll nichts davon nach außen laut werden, damit von dort keine Störung komme. Die Seele weiß, daß die Schwäche ihrer sinn­lichen Natur erliegen würde unter der Erhabenheit dessen, was auf [224] den Bergen geschieht, und das würde den Geist am Schauen des Antlitzes Gottes hindern. Sie möchte also ganz frei von aller Be­lastung durch den Leib in ihrem Innersten die Berührung mit dem göttlichen Wesen erfahren und sich erfreuen an dem wundersamen Schmuck, mit dem Er selbst sie geziert hat: einer Erkenntnis Seiner Gottheit, die hoch über den gewöhnlichen Erkenntniswegen liegt.

Aber auch der Bräutigam selbst verlangt nach der Vermählung. Er will der Braut die außerordentliche Seelenstärke, Reinheit und einzigartige Liebe verleihen, um die mächtige und innige Umar­mung Gottes ertragen zu können. Er stellt die vollkommene Har­monie in ihrer Seele her. Alles flatterhafte Spiel der Phantasie, alles gewaltige Aufbegehren der Leidenschaft, alle zaghafte Scheu findet ein Ende. Alle Berge und Täler werden ausgeglichen: alles Über­maß und alles, was unter dem rechten Maß bleibt. Die Wasser der Trübsal müssen weichen, die Winde der Hoffnung schweigen, das Feuer der Freude darf sie nicht mehr entflammen; alle Schrecknisse werden gebannt, durch die der böse Feind Finsternis in der Seele zu verbreiten und das göttliche Licht zu verdunkeln sucht. So kann die Braut völlig ungestört in den Armen des Geliebten ruhen. Sie hat eine Geistesgröße und Standhaftigkeit erlangt, die durch nichts mehr zu erschüttern sind. Obwohl sie das feinste Empfinden für ei­gene und fremde Fehler hat, bereiten sie ihr keinen Schmerz mehr. Denn in diesem Stande hat die Seele alles verloren, „was die Tugenden an Schwäche an sich tragen. Es bleibt nur, was in ihnen kraft­voll, beständig und vollkommen ist. Wie die Engel alles, was Schmerz verursacht, wohl zu würdigen wissen, aber selbst keinen Schmerz darüber empfinden und die Werke der Barmherzigkeit üben ohne irgend ein Gefühl des Mitleids, so ist es bei der Seele in dieser Um­formung durch die Liebe“[70]. Läßt Gott die Seele manches noch schmerzlich empfinden, so geschieht es, um sie mehr Verdienste sammeln zu lassen; mit der mystischen Vermählung hat das nichts zu tun. Auch ihre Hoffnung ist durch die Vereinigung mit Gott so weit zufriedengestellt, als es in diesem Leben möglich ist, und er­wartet nichts mehr von dieser Welt. „Ihre Freude ist gewöhnlich so groß, daß sie einem Meer gleicht: es nimmt durch austretende Flüsse nicht ab und vergrößert sich nicht durch zuströmende“. Wohl werden ihr zufällige Freuden noch überschwänglich zuteil, aber die „wesenhafte geistige Mitteilung erhält dadurch keinen Zu­wachs mehr. Denn was noch Neues hinzukommen kann, das be­sitzt sie schon alles.... Hierin scheint die Seele in gewissem Sinn [225] an einer göttlichen Eigenschaft teilzunehmen. Denn wenn auch Gott Seine Freude an allen Dingen findet, so erfreut Er sich doch nicht so sehr an ihnen wie an sich selbst, denn Er besitzt sie alle in sich selbst in weit höherer, in überragender Weise“. So dienen auch der Seele alle neuen Freuden nur als Aufmunterung, sich dem Glück der Vereinigung hinzugeben. Wenn sie an irgend etwas Befriedigung findet, dann erwacht sogleich in ihr der Gedanke an das weit höhe­re Gut, das in ihr gegenwärtig ist, und sie wendet sich Ihm zu, um in Ihm ihre Wonne zu suchen. Im Vergleich damit ist der Gewinn aus dem Hinzukommenden „etwas so Unbedeutendes, daß wir ihn für nichts achten können“. Dabei hat sie aber das Gefühl, ständig neue Wonne zu kosten, weil das Gute, das sie immer von neuem genießt, für sie immer etwas Neues ist.

„Wenn wir nun von dem Glorienlicht reden wollen, das Gott der Seele in dieser beständigen Umarmung manchmal gewährt, so fin­det sich kein Wort, das uns davon eine Vorstellung geben könnte. Es ist das in gewissem Sinn eine geistige Umgestaltung, in welcher Er die Seele das ganze Meer der Wonne und Reichtümer schauen und zugleich kosten läßt, womit Er sie begnadigt hat. Wie die Son­ne, wenn sie vom Zenit aus ihre Feuerstrahlen auf das Meer wirft, es bis in die tiefen Höhlen und Abgründe erhellt und Perlen, die reichsten Goldadern und andere kostbare Mineralien aufschimmern läßt, so enthüllt auch die göttliche Sonne .... der Braut .... alle Reichtümer ihrer Seele.... Und trotz dieser erhabenen Erleuch­tung erfährt die Seele keinen Zuwachs, es wird nur ans Licht ge­bracht und genossen, was sie schon vorher besaß“.

So erleuchtet, stark und fest in Gott gegründet, läßt sie sich durch die Schrecknisse der bösen Geister nicht mehr beängstigen. „Nichts kann sie mehr berühren und verwirren“. Sie ist in Gott eingegangen und erfreut sich eines vollkommenen Friedens, der alle Begriffe übersteigt und durch keine Menschenworte ausgedrückt werden kann[71].

„Die Braut ist eingegangen in des ersehnten Gartens Lieblichkei­ten“. Der ganze Weg liegt hinter ihr, die Vorbereitung ist beendet, in der Zeit der Verlobung hat sich die Treue bewährt. Nun ruft sie Gott zur Vermählung in den blühenden Garten: das ist Er selbst, der Ersehnte, in den sie jetzt völlig umgestaltet wird. „Dadurch kommt eine so innige Vereinigung beider Naturen und eine solche Mitteilung der göttlichen Natur an die menschliche zustande, daß jede von beiden, ohne irgend eine Veränderung ihres Wesens, als [226] Gott erscheint. Diese Vereinigung kann zwar in diesem Leben nicht in vollkommener Weise stattfinden, aber sie übertrifft alles, was man sagen und denken kann“[72]. Hier am Ziel besitzt die Seele eine wunderbare, göttliche Gnadenfülle, unvergleichlich mit jener der geistigen Verlobung. Der Frieden ist viel tiefer und beständiger. Sie fühlt sich mit Gott in wirklicher, inniger geistiger Umarmung verbunden und lebt dadurch das Leben Gottes. Ihr Hals ruht auf den Armen des Geliebten: Er leiht ihr Seine Stärke, um ihre Schwä­che in göttliche Stärke umzuwandeln.

Es ist ein neues Paradies, in das sie eingegangen ist. Unter dem Apfelbaum wird die Vermählung vollzogen. Die treue Seele wird eingeführt in die wunderbaren Geheimnisse Gottes, vor allem die süßen Geheimnisse der Menschwerdung und Erlösung: wie im Pa­radies durch den Genuß der verbotenen Frucht des Baumes die menschliche Natur zerstört und dem Verderben preisgegeben wurde, so ward sie unter dem Baum des Kreuzes von Ihm erlöst und wie­derhergestellt. Dort auf der Höhe des Kreuzes war es, wo der Bräu­tigam ihr die Hand Seiner Gnade und Erbarmung reichte und durch die Verdienste Seines Leidens und Sterbens der Feindschaft ein Ende machte, die seit der Erbsünde den Menschen von Gott trennte. Un­ter dem Paradiesesbaum ist die Mutter (die menschliche Natur) in der Person der Stammeltern durch die Sünde entehrt worden. Un­ter dem Kreuzesbaum wird der menschlichen Seele das Leben wie­dergeschenkt. Die Verlobung unter dem Kreuz ist mit der mysti­schen nicht einfach gleichzusetzen: sie wird schon bei der Taufe vollzogen und auf einmal, während die mystische Verlobung an die persönliche Vervollkommnung geknüpft ist, dementsprechend allmählich vor sich geht und von der Großmut der Seele abhängt. Im Grunde ist es aber doch dieselbe Vereinigung[73].


e) Brautsymbol und Kreuz
(Mystische Vermählung – Schöpfung, Menschwerdung und Erlösung)

Wir stehen hier an einem wesentlichen Punkt und müssen ver­suchen, im Verständnis noch etwas tiefer zu dringen, als die Erläu­terungen des Heiligen selbst uns in ausdrücklichen Worten führen. [227] Wir haben im Kreuz das Wahrzeichen des Leidens und Sterbens Christi gesehen und alles dessen, was damit in ursächlichem und in Sinnzusammenhang steht. Dabei ist auf der einen Seite an die Frucht des Kreuzestodes zu denken: die Erlösung. Wir werden aber hier darauf hingewiesen, daß im innigsten Zusammenhang da­mit die Menschwerdung steht als Bedingung des erlösenden Leidens und Sterbens und der Sündenfall als Beweggrund zu beiden. Es ist früher der Gedanke ausgesprochen worden, daß die Leiden der Dunklen Nacht Anteil seien am Leiden Christi, vor allem am tief­sten Leiden: der Gottverlassenheit. Das hat durch den Geistlichen Gesang eine nachdrückliche Bestätigung erhalten, da hier das sehn­süchtige Verlangen nach dem verborgenen Gott das Leiden ist, das den ganzen mystischen Weg beherrscht. Es hört selbst in der Se­ligkeit der bräutlichen Vereinigung nicht auf; ja in gewisser Weise nimmt es mit der wachsenden Gotteserkenntnis und -liebe noch zu, weil mit ihr die Vorahnung dessen, was die klare Anschauung Got­tes in der Glorie uns bringen soll, immer fühlbarer wird. (Das wird durch die zweite Fassung scharf herausgearbeitet.) Welcher mensch­liche Sehnsuchtsschmerz aber kann sich messen mit dem Leiden des Gottmenschen, der Sein ganzes Leben hindurch im Besitz der seli­gen Gottesschau war, bis er sich kraft freien Willensentschlusses in der Ölbergsnacht dieses Genusses beraubte? Sowenig ein Men­schengeist und ein Menschenherz ausdenken und erfühlen können, was die ewige Seligkeit ist, sowenig vermögen wir einzudringen in das unergründliche Geheimnis einer solchen Beraubung. Er allein, der Einzige, der sie erfahren hat, kann denen, die Er dafür er­wählt, etwas davon zu kosten geben in der Vertraulichkeit der bräutlichen Vereinigung. Die Gottverlassenheit in ihrer ganzen Tie­fe war Ihm ausschließlich vorbehalten und konnte von Ihm nur gelitten werden, weil Er Gott und Mensch zugleich war, als Gott konnte Er nicht leiden, als reiner Mensch hätte Er das Gut, dessen Er sich beraubte, nicht fassen können. So ist die Menschwerdung Bedingung dieses Leidens, die menschliche Natur als leidensfähige und wirklich leidende, Werkzeug der Erlösung. Beweggrund des erlösenden Leidens und darum auch der Menschwerdung ist die menschliche Natur als dem Fall ausgesetzte und tatsächlich gefal­lene[74]. Durch den Sündenfall hat sie in den ersten Menschen ihre [228] Ehre – ihre ursprüngliche Vollkommenheit und gnadenhafte Erhöhung – verloren. Sie wird aufs neue erhöht in jeder einzelnen Menschenseele, die durch die Taufgnade zur Gotteskindschaft wiedergeboren wird, und gekrönt in den auserwählten Seelen, die zur bräutlichen Vereinigung mit dem Erlöser gelangen. Das geschieht „unter dem Kreuzesbaum“ – als reife Frucht des Kreuzestodes und im Miterleiden des Kreuzestodes. Wie haben wir es aber zu verstehen, daß der Ort der Erhebung derselbe Ort sei wie der des Falles, der Kreuzesbaum und der Paradiesesbaum ein und derselbe? Die Lösung scheint mir im Geheimnis der Sünde zu liegen. Der Baum im Paradies, dessen Früchte den Menschen verboten waren, war ja der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Eine echte Erfahrungserkenntnis des Bösen und seines radikalen Gegensatzes zum Guten konnten die Menschen nur gewinnen, indem sie es taten. So dürfen wir den Paradiesesbaum als Wahrzeichen für die menschliche Natur in ihrer Zugänglichkeit für die Sünde auffassen und die wirkliche Sünde (die erste wie jede spätere) mit all ihren Folgen als seine Frucht. Furchtbarste Auswirkung der Sünde aber und darum Enthüllung ihrer Furchtbarkeit ist das Leiden und Sterben Christi. So ist die Erlösung Frucht des Paradiesesbaumes in mehrfachem Sinn: weil die Sünde Christus bewog, Leiden und Tod auf sich zu nehmen, weil es die Sünde in all ihren Erscheinungsformen war, die Christus kreuzigte, und weil sie eben damit zum Werkzeug der Erlösung gemacht wurde. Die christusverbundene Seele aber gelangt im Mit-Leiden mit dem Gekreuzigten (d.i. in der Dunklen Nacht der Beschauung) zur „Erkenntnis des Guten und Bösen“ und erfährt sie als erlösende Kraft: es wird ja immer wieder betont, daß die Seele durch die scharfe Pein der Selbsterkenntnis (als Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit) zur Reinigung gelangt.

Es ist nun noch darauf hinzuweisen, daß die mystische Vereinigung auch als Anteil an der Menschwerdung aufzufassen ist. Das ist schon durch die enge Verbundenheit beider Geheimnisse nahegelegt. Es wird überdies angedeutet durch die Wendungen, in denen der Heilige von der mystischen Vermählung spricht. Wenn er von einer „so innigen Verbindung beider Naturen und einer solchen Mitteilung der göttlichen Natur an die menschliche“ spricht, daß die gottvermählte Seele selbst als Gott erscheint[75], so wird man an das Verhältnis der beiden Naturen Christi in der hypostatischen Union erinnert. Die Theologen bezeichnen ja auch gern die Annahme der menschlichen Natur durch das göttliche Wort als Vermählung [229] mit der Menschheit[76]. Durch sie hat sich der Gottmensch den Weg zu den einzelnen Seelen eröffnet. Und jedesmal, wenn eine Seele sich Ihm so vorbehaltlos übergibt, daß Er sie zur mystischen Vermählung erheben kann, wird Er gleichsam aufs neue Mensch. Freilich bleibt der wesentliche Unterschied, daß in Jesus Christus beide Naturen in einer Person eins sind, während in der mystischen Vermählung zwei Personen in Verbindung treten und in ihrer Zweiheit erhalten bleiben. Aber durch die wechselseitige Hingabe beider kommt eine Vereinigung zustande, die nahe an die hypostatische heranreicht. Sie öffnet die Seelen für den Empfang des göttlichen Lebens und gibt durch die völlige Unterwerfung des eigenen Willens unter den göttlichen dem Herrn die Möglichkeit, über solche Menschen wie über Glieder Seines Leibes zu verfügen. Sie leben nicht mehr ihr Leben, sondern das Leben Christi, sie leiden nicht mehr ihr Leiden, sondern das Leiden Christi. Darum freuen sie sich auch an dem Gnadenleben, das der Herr in anderen Seelen entzündet, wenn der Funke der göttlichen Liebe sie berührt und der Wein dieser Liebe sie in einen seligen Rausch versetzt[77].

Die Seele, die zur mystischen Vermählung gelangt ist, befindet sich im innersten Weinkeller des Geliebten, d.h. auf der höchsten Stufe der Liebe. Der Heilige unterscheidet hier sieben Stufen der Liebe, den sieben Gaben des Heiligen Geistes entsprechend, und sieht als letzte und vollendende Gabe die der Furcht an: „Hat .... die Seele den Geist der Furcht vollkommen erreicht, dann besitzt sie auch den Geist der Liebe in seiner Vollkommenheit; denn diese Furcht, die letzte der sieben Gaben, ist ganz kindlich, und die vollkommene Furcht des Kindes entspringt der vollkommenen Liebe zum Vater“[78]. In dieser innersten Vereinigung trinkt die Seele von dem Geliebten. Wie ein Trunk „sich durch alle Glieder und Adern des Körpers ergießt und ausbreitet, so ergießt sich auch diese wesenhafte Mitteilung Gottes über die ganze Seele...., soweit ihr Wesen und ihre geistigen Fähigkeiten es gestatten. Mit dem Verstand trinkt sie die Weisheit und Wissenschaft, mit dem Willen die süßeste Liebe und mit dem Gedächtnis die Erquickung und Wonne, die [230] ihr die Erinnerung und das Gefühl der Herrlichkeit bereiten“[79]. Beim Hervortreten aus ihrer tiefen Versunkenheit – das ist keine Unterbrechung der wesenhaften Vereinigung, sondern nur ihrer Auswirkung in den Vermögen – hat sie „alles Wissen verloren“: „sie hat in dieser Vereinigung die erhabenste Weisheit Gottes getrunken, die sie alle Dinge dieser Welt vergessen läßt. Es kommt ihr vor, als wäre alles, was sie bisher wußte, ja alles, was die ganze Welt weiß, im Vergleich mit jenem Wissen reine Unwissenheit.... Außerdem läßt die Vergöttlichung und Erhebung des Geistes zu Gott .... keine Erinnerung an irdische Dinge zu; sie ist nicht nur allen geschöpflichen Dingen, sondern auch sich selbst entfremdet und vernichtet, wie verzehrt und aufgelöst in Liebe.... Der Zustand einer solchen Seele gleicht in gewissem Sinn dem Adams in seiner ersten Unschuld, da er noch nicht wußte, was böse ist. Sie ist so unschuldig, daß sie weder das Böse begreift noch etwas für böse hält. Mag sie auch sehr böse Dinge hören und mit eigenen Augen sehen, so kann sie doch nichts davon verstehen....“ (Das steht nicht im Widerspruch zu dem, was kurz zuvor gesagt wurde: daß die Beschauung Erkenntnis des Guten und Bösen verleihe. Jene Erkenntnis gehört den Anfängen des mystischen Weges an, das Nichtwissen um das Böse der erneuerten Unschuld auf dem Gipfel der Vollkommenheit.) Im übrigen ist das Nichtwissen der Seele auf dieser Stufe „nicht so zu verstehen, als gingen ihr die erworbenen Kenntnisse verloren, vielmehr erlangen sie einen höheren Grad von Vollkommenheit durch das übernatürliche Wissen, das ihr von Gott eingegossen wird. Wenn aber auch die erworbenen Erkenntnisse nicht so in der Seele herrschen, daß sie sie nötig hatte, um etwas zu wissen, so kann sie doch noch manchmal Gebrauch davon machen. Denn in dieser Vereinigung mit der göttlichen Weisheit verbinden sich diese erworbenen Erkenntnisse mit der höheren Weisheit...., wie sich ein schwaches Licht mit einem stärkeren vereint. Das starke Licht ist das vorherrschende und leuchtende, doch das schwächere verschwindet nicht, sondern gewinnt an Vollkommenheit.... Wenn aber die Seele in jener Liebe aufgeht, dann verliert sie vollständig alle besonderen Erkenntnisse und Formen der Dinge .... und weiß nichts mehr davon.... Erstens, weil sie durch jenen Liebestrank so in Gott versenkt ist...., daß sie sich aktuell mit keiner Sache beschäftigen .... kann; zweitens – und das ist der Hauptgrund – macht jene Umgestaltung in Gott die Seele der Einfachheit und Reinheit Gottes, in der keine Form noch einbildliche Gestalt ist, so gleichförmig, [231] daß sie ganz lauter und rein und frei von allen früheren Formen und Gestalten wird....“[80] Dieses Nichtwissen dauert aber nur solange, bis die besondere Wirkung der Liebe vorüber ist.

Das Trinken im Keller hat aber noch eine andere Wirkung: an die Stelle des alten Menschen tritt ein völlig neuer. Ehe die Seele in den Stand der Vollkommenheit eintritt, bleibt ihr, auch bei hoher Vergeistigung, immer noch eine kleine Herde von Begierden, Freuden und Unvollkommenheiten. „Sie geht dieser Herde nach und sucht sie zu weiden, um sie dadurch zu befriedigen“. Der Verstand behält meist noch etwas von seiner alten Wißbegierde, der Wille läßt sich noch von persönlichen Begierden und Genüssen einnehmen. Man verlangt noch nach dem Besitz gewisser Kleinigkeiten und pflegt gewisse Neigungen, hascht gern nach Hochschätzung und fühlt sich leicht zurückgesetzt, trifft noch eine Auswahl beim Essen und Trinken nach dem Geschmack, wird von unnützen Sorgen, Freuden, Leiden und Befürchtungen bestürmt. Dies ist jene Herde von Unvollkommenheiten, der solche Seelen nachgehen, „bis sie in den inneren Weinkeller eintreten und zu trinken bekommen; dann verlieren sie sie ganz durch die Vollendung in der Liebe....“[81]

In der bräutlichen Vereinigung umgibt Gott die Seele mit einer Liebe, der sich auch die zärtlichste Mutterliebe nicht vergleichen kann. Er „bietet ihr Seine Brust“, d.h. Er offenbart ihr Seine Geheimnisse und schenkt ihr das süße Wissen der mystischen Theologie, der geheimen Gotteswissenschaft. Dafür gibt auch die Seele sich Ihm rückhaltlos. „Sie hat nur den einen Wunsch, Ihm ganz und für immer anzugehören und nichts in sich zu behalten, was von Ihm verschieden ist....“ Und da Gott alles andere aus ihr entfernt hat, woran ihr Herz hing, kann sie sich nicht nur dem Willen nach, sondern auch in der Tat rückhaltlos hingeben. Beider Willen sind völlig eins, in Treue und Festigkeit für immer verbunden. Selbst die ersten Regungen der Seele wenden sich niemals mehr gegen das, was sie als den Willen Gottes erkennt. Sie kennt nichts mehr als die Liebe und den Umgang mit dem göttlichen Bräutigam. Sie hat „jenen Stand der Vollkommenheit erreicht, dessen Wesen und Form .... die Liebe ist“. Sie ist „sozusagen ganz Liebe. Sie handelt nur unter Eingebung der Liebe und verwendet alle ihre Vermögen und ihren ganzen Reichtum nur für die Liebe.... Sie hat erkannt, daß ihr Geliebter nichts als die Liebe schätzt und daß Ihm mit nichts anderem gedient ist. Und weil sie Ihm vollkommen dienen will, gebraucht [232] sie alles in reiner Gottesliebe.... Wie die Biene aus allen Blumen .... Honig saugt und nichts anderes darin sucht, so schöpft auch die Seele mit erstaunlicher Leichtigkeit aus allen Ereignissen des Lebens die Süßigkeit der Liebe....“[82]

Daß Gott allein an der Liebe und ihren Äußerungen Gefallen findet, hat seinen Grund darin, daß all unsere Werke und Bemühungen vor Seinen Augen ein reines Nichts sind. Wir können Ihm nichts geben, Er bedarf nichts und verlangt nichts. „Er will nur eines: die Würde unserer Seele erheben....; was Ihm allein Gefallen bereitet, ist die Bereicherung der Seele. Weil sie durch nichts anderes mehr zu Ehren kommen kann, als wenn Er sie sich gleich macht, so will Er einzig und allein, daß sie Ihn liebe. Der Liebe ist es ja eigen, den Liebenden dem, was er liebt, gleichzumachen. Und da die Seele hier die vollkommene Liebe besitzt, heißt sie die Braut des Sohnes Gottes, und das bedeutet Gleichheit mit Ihm, Gleichheit durch die Freundesliebe, kraft deren beide alle Güter gemeinsam besitzen....“[83]

Die Seele steht nun mit allem, was sie ist und hat, im Dienst Gottes. Es ist ihr so selbstverständlich, für Ihn und Seine Ehre zu wirken, daß sie es oft tut, ohne daran zu denken und sich dessen bewußt zu werden, daß sie für Gott handelt. Früher überließ sie sich „vielen unnützen Beschäftigungen.... Denn alle ihre gewohnheitsmäßigen Unvollkommenheiten können wir ebensoviele Beschäftigungen nennen....: die Neigung, Unnützes zu reden, zu denken und zu tun, indem man all das betreibt ohne Rücksicht auf die Vervollkommung der Seele....“ Alle diese Geschäfte kennt sie jetzt nicht mehr; denn „alle ihre Gedanken, Worte und Werke sind nun aus Gott und auf Gott gerichtet“ [84]. Sie hat kein anderes Amt mehr, als zu lieben. Alle ihre Fähigkeiten sind nur noch tätig durch die Liebe und in der Liebe. Das gilt für ihr Gebetsleben ebenso wie für die Beschäftigung mit zeitlichen Dingen. Vor der Liebesvereinigung mußte sie die Liebe im tätigen wie im beschaulichen Leben üben. In diesem Stande aber ist es nicht mehr zuträglich, sich mit andern Werken und äußeren Übungen zu befassen, die auch nur im geringsten ihrem Liebesleben in Gott hinderlich sein könnten. Und dies gilt auch, wenn es sich um Werke handelt, die Seine Ehre in hohem Grade vermehren. Denn „ein Funken reiner Liebe ist kostbarer vor Gott, nützlicher für die Seele und segensvoller für die Kirche [233] als alle andern Werke zusammengenommen, wenn es auch den Anschein hat, als tue man nichts“[85].

Wenn die Welt einen solchen Menschen für verloren hält, der von ihren Geschäften und Zerstreuungen nichts mehr wissen will, so nimmt die Seele diesen Vorwurf gern auf sich. Sie bekennt mutig und frei: ja, ich habe mich verloren. Dies Verlorensein ist ja für sie gleichbedeutend mit Gewonnenwerden; „sie verlangt keinen Gewinn und keine Belohnung, sondern hat nur den einen Wunsch, alles und sich selbst zu verlieren, um Gott anzugehören“. Ins Geistige übertragen heißt es, daß sie im Verkehr mit Gott alle natürlichen Mittel und Wege aufgegeben hat und nur im Glauben und in der Liebe mit Gott verkehrt. Dann ist sie für Gott gewonnen, weil „sie in Wirklichkeit für alles verloren ist, was nicht Gott ist....“[86]

Dann ist aber auch für die Seele alles gewonnen. Sie ist mit auserlesenen Tugenden und Gaben geschmückt wie mit Blumen und Smaragden. Sie formen, zum Kranzgewinde verbunden, einen vollendet schönen Brautschmuck. Und alle heiligen Seelen zusammen bilden ihrerseits ein Kranzgewinde, das die Braut Kirche mit Christus, dem Bräutigam, flicht. Alle Blüten, mit denen die Seele geziert ist, sind Geschenke des Geliebten. Das Haar, das die Tugenden fest zusammenbindet, ist der Wille und seine Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist (Col. 3,14). Ohne dies Band fallen die Tugendblüten auseinander und werden zerstört. Die Liebe muß stark sein, um den Kranz der Tugenden zusammenzuhalten. Wenn sie das ist und der Glaube treu und einfältig, dann sieht Gott mit Wohlgefallen auf sie und macht sich selbst zu ihrem Gefangenen. „Groß ist die Macht und das Ungestüm der Liebe, da sie Gott selbst gefangenzunehmen und zu verwunden weiß.... Wer Ihn durch solch eine uneigennützige Liebe besitzt, erreicht alles, was er wünscht. Wer aber diese Liebe nicht kennt, der redet umsonst mit Ihm und vermag auch nichts bei Ihm, selbst nicht durch ungewöhnliche Werke.... Diese Wahrheit erkennt die Seele, und sie sieht auch ein, daß Er ihr ganz unverdient so große Gnaden verliehen hat“[87]. Sie schreibt nichts sich selbst, alles Gott zu. Wenn sie liebenswürdig ist in Seinen Augen, so hat Sein liebender Blick sie dazu gemacht. Durch Seine Gnade hat Er sie so schön gemacht, daß Er sie nun innig lieben kann. Gott kann ja nichts lieben, was außer Ihm ist. Wenn Er „eine Seele liebt, so nimmt Er sie in gewissem Sinn in sich selbst auf und erhebt sie zu gleicher Höhe mit sich, und so liebt Er die Seele [234] in sich, mit sich und mit derselben Liebe, mit der Er sich selbst liebt. Darum verdient sich die Seele mit jedem Werk, das sie in Gott vollbringt, die Vermehrung der Liebe. Erhoben zu dieser Gnade und Würde, verdient sie sich durch jedes Werk Gott selbst“. In Gottes Gnade wirken, das heißt für die Seele: Gott schauen. Durch die Gnade erleuchtet, vermögen die Augen ihres Geistes zu sehen, was ihrer Blindheit vorher verborgen war: „die Herrlichkeit der Tugenden, die unaussprechliche Wonne, unermeßliche Liebe, Güte und Barmherzigkeit Gottes, unzählbare Wohltaten, die sie von Gott empfangen hat....“ All das konnten sie früher weder sehen noch anbeten. „Denn groß ist der Stumpfsinn und die Blindheit der Seele, die der Gnade beraubt ist“. Sie denkt nicht an die Pflicht, Gottes Gnadenerweise zu erkennen und anzubeten, es kommt ihr gar nicht in den Sinn. „So groß ist das Elend derer, die in der Sünde leben oder, besser gesagt, durch die Sünde tot sind“[88].

Hat aber Gott die Seele von ihren „Sünden und Fehlern befreit, so macht Er ihr darüber nie mehr einen Vorwurf und läßt sich dadurch auch nicht abhalten, ihr größere Gnaden zu gewähren“. Die Seele aber soll ihre früheren Fehltritte nicht vergessen. Dann wird sie nicht anmaßend werden, wird stets dankbar bleiben, und ihr Vertrauen wird wachsen, um noch Größeres zu empfangen. Die Erinnerung an ihren früheren schmachvollen Zustand erhöht noch ihre Seligkeit an der Seite des göttlichen Bräutigams. War sie aus sich selbst dunkelfarbig durch die Sünde, so ist sie jetzt mit Schönheit geschmückt durch Gottes Gnadenblick und dadurch neuer Gnaden würdig. Er gibt ja „Gnade um Gnade“ (Joan. 1,16): „Findet Er eine Seele, die Seines Wohlgefallens würdig ist, so fühlt Er sich gedrängt, ihr Gnadenmaß zu vermehren, weil Er in ihr eine angenehme Wohnung gefunden hat.... Hat Er sie schon vor dieser gnadenvollen Erhebung um Seinetwillen geliebt, so liebt Er sie jetzt sowohl um Seinetwillen als um ihretwillen. Entzückt von der Schönheit der Seele .... erweist ihr der Herr immer neue Liebe und neue Gnaden, und während Er sie ohne Unterlaß ehrt und verherrlicht, gestaltet sich Seine Liebe zu ihr immer inniger und zärtlicher.... Wer kann die Würde beschreiben, zu der Gott eine Seele erhebt, an der Er Sein Wohlgefallen gefunden hat? Man kann das unmöglich aussprechen noch sich einen Begriff davon machen; denn da handelt Gott in jeder Weise als Gott, um zu zeigen, was er ist“[89]. Um des Geliebten willen hat die Seele freiwillig die Einsamkeit [235] aufgesucht, d.h. allem Irdischen entsagt. Doch in dieser Einsamkeit lebte sie in Mühseligkeiten und Beängstigungen. Nun aber hat Gott sie in eine neue, vollkommene Einsamkeit geführt, wo sie Ruhe und Erquickung findet. „In dieser Einsamkeit, in der die Seele, getrennt von allen Geschöpfen, allein mit Gott lebt, ist Er es, der sie führte anregt und zu göttlichen Dingen erhebt“. Und „Er ist es auch einzig und allein, der in ihr wirkt, ohne sich irgend einer Mithilfe zu bedienen.... Gott wirkt in ihr und teilt sich ihr unmittelbar mit...., einzig durch sich selbst und nicht durch Vermittlung der himmlischen Geister oder mittels einer natürlichen Kraft. Alle inneren und äußeren Sinne, die geschaffenen Dinge, ja die Seele selbst können ihrerseits fast nichts beitragen zum Empfang dieser ganz übernatürlichen Gnaden, die Gott in diesem Stande verleiht....; Er will ihr keine andere Gesellschaft geben und sie niemandem als sich selbst anvertrauen“[90].

Vom höchsten Gipfel dieses Lebens erhebt sich dann die Sehnsucht der Seele zur ewigen Schau: zum Berg der Wesenserkenntnis Gottes im Ewigen Wort und um Hügel der „Weisheit niederen Ranges, die sich in den Geschöpfen und wunderbaren Werken offenbart“. Diese göttliche Weisheit soll sie wie ein reines Wasser von allen Flecken der Unwissenheit befreien. Je mehr die Liebe wächst, desto größer wird das Verlangen, die göttlichen Wahrheiten rein und klar zu erkennen und immer tiefer einzudringen in die Abgründe der unerforschlichen Ratschlüsse und Geheimnisse Gottes. „Um dies zu erreichen, würde sie getrost und freudig alle Prüfungen und Leiden der Welt auf sich nehmen und sich zu allem verstehen, was ihr dazu behilflich sein könnte, wäre es auch noch so schwer und peinlich.... Die unergründliche Tiefe, worin die Seele .... einzudringen wünscht, kann .... auch als Sinnbild .... der Leiden und Trübsale betrachtet werden, welche die Seele auf sich zu nehmen wünscht. Denn im Leiden findet sie ihre größte Wonne und ihren höchsten Gewinn, weil es ein Mittel ist, um tiefer in die Wonnen und Tiefen der Weisheit Gottes einzudringen. Das Leiden läutert, und je mehr die .... Reinheit zunimmt, desto tiefer und klarer wird auch die Erkenntnis und desto vollkommener und erhabener der Genuß, weil er aus einem tieferen Erkennen entspringt. Deshalb gibt sich die Seele nicht zufrieden mit irgendeiner Art gewöhnlicher Leiden, sondern will .... auch die Todesängste auf sich nehmen, .... als Mittel...., um Gott zu schauen.... Wann wird man doch zur Einsicht kommen, daß die Tiefen der Weisheit und [236] der unendlichen Reichtümer Gottes der Seele unzugänglich sind, wenn sie nicht die Leiden in ihrer ganzen Fülle auf sich nimmt; wenn sie sich nicht danach sehnt und ihren Trost darin findet? Wann wird man sich davon überzeugen, daß die Seele, die ein wahres Verlangen nach göttlicher Weisheit trägt, zuerst damit beginnen muß, in die Tiefen der Leiden des Kreuzes einzudingen....? Denn das Kreuz ist die Pforte zum Eintritt in die Reichtümer der Weisheit Gottes, und die ist eng....“[91] Sie führt in die tiefen Felsenhöhlen, d.h. in „die erhabenen, tiefen und unergründlichen Geheimnisse der göttlichen Weisheit, die in der Person Christi verborgen sind kraft der hypostatischen Vereinigung .... der menschlichen Natur mit dem Wort Gottes oder der dadurch bedingten Vereinigung der Menschheit mit Gott.... Jedes der Geheimnisse, die in Christus vereint sind, .... ist für sich ein Abgrund der Weisheit und schließt zahllose verborgene Ratschlüsse der Vorherbestimmung und des Vorherwissens bezüglich der Menschenkinder in sich..... Soviel Geheimnisse und Wunder auch die hl. Lehrer enthüllt haben, und so tief die Seelen in diesem Leben darin eingedrungen sind, sie haben doch in Wirklichkeit fast nichts erklärt und erkannt; Christus ist und bleibt ein unerforschlicher Abgrund....“, gefüllt mit „allen Schätzen der Weisheit und Wissenschaft“ (Col. 2,3). Zu diesen Schätzen kann die Seele nur gelangen, wenn sie „zuvor durch äußere und innere Leidensglut nach den Plänen der göttlichen Weisheit geläutert wurde. Selbst eine beschränkte Erkenntnis dieser Geheimnisse kann man sich in diesem Leben nur erwerben durch viele Leiden, durch zahllose auf Geist und Sinne einwirkende Gnaden Gottes und durch bewährte Übung im geistlichen Leben. Denn all diese Gnaden sind nur von untergeordneter Natur gegenüber der Weisheit der Geheimnisse Christi, sie sind nur Zubereitungen, um zu ihnen zu gelangen“[92]. Der Genuß dieser göttlichen Erkenntnisse ist der junge Wein, den die Liebenden gemeinsam kosten.

„Über alles aber ersehnt die Seele die Gleichförmigkeit mit der göttlichen Liebe. Sie möchte Gott so lieben, wie sie von Ihm geliebt wird. Dahin kann sie jedoch in diesem Leben auch auf der höchsten Stufe nicht gelangen, es bedarf dazu der Umgestaltung in der ewigen Herrlichkeit. Dort wird sie Gott lieben mit dem Willen und der Kraft Gottes selbst, weil sie vereinigt ist mit der Kraft der göttlichen Liebe oder mit der Kraft des Heiligen Geistes, in den sich die Seele in der ewigen Glorie umgestaltet sieht. Der Heilige Geist wird der [237] Seele verliehen, damit sie in den Besitz der Kraft dieser Liebe gelangt, und Er ersetzt und ergänzt alles, was ihr für die machtvolle Umgestaltung in der ewigen Glorie mangelt“[93].

Zugleich mit der Vollkommenheit der Liebe erwartet sie die ewige Glorie, d.h. die Anschauung der göttlichen Wesenheit, die Gott ihr von Ewigkeit her vorherbestimmt hat. Sie nennt sie erst an zweiter Stelle, weil die Liebe im Willen ihren Sitz hat und in erster Linie Ziel ist; denn der Liebe entspricht es zu geben, nicht zu empfangen, dem Verstand aber, dem Sitz der Glorie, zu empfangen, nicht zu geben. „Hingerissen von Liebe, beschäftigt sich nun die Seele nicht mit der wesenhaften Glorie, die Gott ihr schenken wird, sondern denkt nur daran, wie sie sich durch wahre Liebe Ihm weihen könne, ohne Rücksicht auf eigenen Gewinn“. Außerdem schließt die erste Bitte die zweite in sich; „denn man kann unmöglich zur vollkommenen Liebe Gottes gelangen ohne den Genuß der vollkommenen Anschauung Gottes“. Die Anschauung Gottes – das ist es, was Gott ihr von Ewigkeit her bereitet hat. Das ist aber das, „was kein Auge gesehen hat, kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz gekommen ist“ (1 Cor. 2,9; Is. 64,4). Was die Seele davon ahnt, ist so überwältigend, daß sie kein anderes Wort dafür findet als Was. Eine Erklärung dieses geheimnisvollen Wortes ist nicht möglich. Der Herr selbst hat es in der Geheimen Offenbarung durch den Mund des hl. Johannes in sieben verschiedenen Ausdrücken, Worten und Vergleichen angedeutet: „Wer überwindet, dem werde Ich zu essen geben von dem Baume des Lebens, der im Paradiese Meines Gottes ist“ (Apoc. 2,7). „Sei getreu bis in den Tod, und Ich will dir die Krone des Lebens geben“ (Apoc. 2,10). „Wer siegt, dem werde Ich von dem verborgenen Manna geben, und Ich will ihm einen weißen Stein geben, und auf diesem Stein geschrieben einen neuen Namen, den niemand kennt, als wer ihn empfängt“ (Apoc. 2,17). „Wer siegt und Meine Werke bis ans Ende bewahrt, dem werde Ich Macht über die Völker geben, und er wird sie mit eisernem Zepter leiten, und wie Töpfergeschirr werden sie zertrümmert, so wie auch Ich Macht empfangen habe von meinem Vater, und Ich werde ihm den Morgenstern geben“ (Apoc. 2, 26). „Wer siegt, wird mit weißen Kleidern bekleidet werden, und Ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens und werde seinen Namen bekennen vor Meinem Vater“ (Apoc. 3, 5). „Wer siegt, den will Ich zu einer Säule im Tempel Meines Gottes machen, und er wird nicht mehr von da weichen, und Ich werde auf ihn den Namen [238] Meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt Meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel, Meinem Gott, herabsteigt, und auch Meinen Namen, den neuen“ (Apoc. 3,12). „Wer überwindet, dem werde Ich verleihen, mit Mir auf einem Thron zu sitzen, so wie auch Ich überwunden und Mich zu Meinem Vater auf Seinen Thron gesetzt habe“ (Apoc. 3,22). „All das sind Worte des Sohnes Gottes, die uns jenes Was verständlich machen sollen. Jedes entspricht Ihm in vollkommener Weise, aber sie erklären es nicht. Denn Unermeßliches kann man nicht in Worte kleiden“[94].

Die Seele im Stand der mystischen Vermählung ist nicht ganz in Unkenntnis über dies Unermeßliche und Unaussprechliche. Die Umgestaltung in Gott hat ihr schon Unterpfänder davon verliehen: das Wehen des Lufthauches, das ihr vom Heiligen Geist verliehen wird, ein Aushauchen eben dieses Heiligen Geistes, des Geistes der Liebe, den Vater und Sohn gemeinsam aushauchen. Er „haucht in jener Umgestaltung die Seele im Vater und im Sohn an, um sie mit sich zu vereinigen. Denn diese Umgestaltung der Seele wäre keine wirkliche und vollkommene, wenn sie nicht in ihr den drei Personen der Heiligsten Dreifaltigkeit offen und wahrnehmbar zu Tage träte. Und dies Hauchen des Heiligen Geistes in der Seele, wodurch Gott sie in sich umgestaltet, überschüttet sie mit einem so erhabenen, zarten und innigen Entzücken, daß keine menschliche Zunge es auszusprechen und kein Menschenverstand sich auch nur annähernd einen Begriff davon zu machen vermag.... Wenn die Seele mit dieser Umgestaltung hier auf Erden begnadigt wird, dann findet dieses gegenseitige Aushauchen zwischen Gott und der Seele sehr häufig statt, .... mit der innigsten Liebeswonne für die Seele. Aber diese Wonne erreicht nie jenen ausgeprägten und offensichtlichen Charakter wie im andern Leben.... Eine so erhabene Tätigkeit darf uns nicht unmöglich erscheinen.... Wenn Gott die Seele einmal in gnadenvoller Weise mit der Heiligsten Dreifaltigkeit vereinigt, sodaß sie vergöttlicht und Gott durch Teilnahme wird – wer kann es dann für unglaublich finden, daß sie ihre Verstandes-, Willens- und Liebestätigkeit vollzieht .... in der Heiligsten Dreifaltigkeit, vereint mit Ihr und wie der Dreieinige Gott selbst.... Das heißt umgestaltet sein in die drei Personen, der Macht, Weisheit und Liebe nach, und dadurch ist die Seele Gott ähnlich. Damit sie zu dieser erhabenen Lebensweise gelangen könne, schuf sie Gott nach Seinem Bild und Gleichnis“[95].

[239] Beim Wehen des linden Lufthauchs vernimmt die Seele in ihrem Innern die süße Stimme des Bräutigams und verbindet damit ihre eigene Stimme in seligem Aufjubeln. Wie die Nachtigall im Frühjahr singt, wenn Kälte, Regenschauer und Unbeständigkeit der Winterwitterung vorüber sind, so ertönt das Lied der Liebe in einem neuen Frühling der Seele, wenn sie sich nach „allen Stürmen und Wechselfällen des Lebens, geläutert und gereinigt von den Unvollkommenheiten, Drangsalen und Finsternissen der Sinne und des Geistes .... in Freiheit, Erweiterung und Freude des Geistes versetzt fühlt.... Erquickt, beschützt und durchdrungen vom Gefühl der Freude, stimmt .... sie...., vereint mit Gott, den neuen Freudenjubel an.... Er leiht ihr Seine Stimme, damit sie sich mit Ihm vereine zum gemeinsamen Lobe Gottes“. Denn Gott verlangt sehnsüchtig danach, „ihre Stimme als Ausdruck vollkommenen Freudenjubels zu vernehmen“. Zur Vollkommenheit des Lobliedes gehört es, daß es in der Erkenntnis der Geheimnisse der Menschwerdung wurzelt. Vollkommen ist aber alles, was die Seele im Stand der Vereinigung tut. Darum ist ihr Freudenjubel süß für Gott und süß für sie selbst, wenn er auch noch nicht an das neue Lied in der ewigen Glorie heranreicht[96].

Gott wird sich ihr auch als Schöpfer und Erhalter aller Wesen offenbaren (als Hain mit seinem Gewimmel von Tieren und Pflanzen), und sie wird zur Erkenntnis der Gnade, Weisheit und Schönheit Gottes in einem jeden Geschöpf des Himmels und der Erde wie auch in ihren wechselseitigen Beziehungen und ihrer harmonischen Ordnung gelangen. Das geschieht jetzt in der dunklen Nacht der Beschauung, in geheimnisvollem Empfangen, wovon sie selbst keine Rechenschaft geben kann. Es wird dann geschehen in der „heiteren Nacht“ der klaren Anschauung Gottes[97].

Schließlich wird die Flamme der göttlichen Liebe sie zur Vollkommenheit der Liebe umgestalten, ohne ihr Schmerz zu bereiten. Das ist „nur möglich im Stande der ewigen Beseligung, wo die Flamme nur mehr wonnevolle Liebe ist.... Mag die Stärke der Liebe sich mehr oder minder ändern, die Seele empfindet keinen Schmerz wie früher, als sie noch nicht zur vollkommenen Liebe fähig war“. In diesem Leben aber ist die Umgestaltung niemals frei von Schmerz, selbst auf der höchsten Stufe der Liebe, und die Natur gerät noch immer in Aufregung. „Der Schmerz entsteht aus dem heftigen Verlangen nach der beseligenden Umgestaltung...., die [240] Aufregung der Natur hat ihren Grund darin, daß der schwache und vergängliche Sinn durch die Stärke und Größe einer so erhabenen Liebe in Mitleidenschaft gezogen wird; denn alles, was erhaben ist, drückt die schwache Natur nieder und bereitet ihr Schmerz.... In jenem beseligenden Leben aber wird die Seele keinen Schmerz und keine Einbuße mehr erleiden, wenn auch ihre Erkenntnis unergründlich und ihre Liebe unermeßlich sind; Gott gibt ihr zur Erkenntnis die nötige Fähigkeit und für die Liebe die Kraft und verleiht dem Verstand durch die göttliche Weisheit und dem Willen durch die göttliche Liebe die Vollendung“[98].

Dieser seligen Vollendung harrt die Seele entgegen im tiefen Frieden der Gewißheit, daß sie völlig dafür bereitet ist und von keiner Seite mehr eine Gefahr zu fürchten hat. Der böse Feind ist so vollständig in die Flucht geschlagen, daß er sich nicht mehr zu zeigen wagt. Kein Geschöpf ahnt etwas von dem, was sie in ihrer Verborgenheit in Gott genießt. Sie ist nicht mehr umlagert von Leidenschaften und Begierden, die ihre Ruhe bedrohen. Die sinnlichen Kräfte sind so gereinigt und vergeistigt, daß sie an den Gunstbezeugungen Gottes im Innersten des Geistes Anteil haben können. Allerdings können sie die Gewässer der geistigen Güter nicht kosten, sondern nur erblicken. „Denn der sinnliche Teil .... hat im eigentlichen Sinn keine Befähigung, das Wesen der geistigen Güter zu genießen, weder in diesem noch im anderen Leben. Es wird ihm vielmehr durch ein gewisses Überströmen des Geistes eine fühlbare Erquickung und Ergötzung zuteil, und durch diesen Wonnegenuß werden die körperlichen Sinne und Vermögen in die innere Sammlung mit hineingezogen, wo die Seele die Wasser der geistigen Güter trinkt“. Sie steigen ab, wie Reiter von ihren Pferden, da sie „ihre natürliche Tätigkeit aufgeben.... und sich der geistigen Sammlung überlassen“[99].

In der bunten Folge der Bilder ist der ganze Weg der Seele vor uns enthüllt worden. Damit zugleich durften wir hineinschauen in die geheimen Ratschlüsse Gottes, die vom Schöpfungsmorgen an diesen Weg vorgezeichnet haben. Und wir sehen, wie der verborgene Weg der Seele verwoben ist mit den Glaubensgeheimnissen. Von Ewigkeit her ist sie ausersehen, als Braut des Sohnes Gottes das dreifaltige Leben der Gottheit mitzuleben. Um die Braut heimzuführen, bekleidet sich das Ewige Wort mit der menschlichen Natur. Gott und die Seele sollen zwei in einem Fleisch sein. Weil aber das Fleisch [241] des sündigen Menschen in Aufruhr ist gegen den Geist, darum ist alles Leben im Fleisch Kampf und Leiden: für den Menschensohn mehr als für jeden andern Menschen, für die andern um so mehr, je enger sie mit Ihm verbunden sind. Jesus Christus wirbt um die Seele, indem Er Sein Leben einsetzt für das ihre im Kampf gegen Seine und ihre Feinde. Er verjagt den Satan und alle bösen Geister, wo Er ihnen persönlich begegnet. Er entreißt die Seelen ihrer Tyrannei. Schonungslos entblößt Er die menschliche Bosheit, wo sie Ihm verblendet, verhüllt und verstockt entgegentritt. Allen, die ihre eigene Sündhaftigkeit erkennen, reumütig bekennen und sehnsüchtig nach Befreiung davon verlangen, reicht Er die Hand, aber Er verlangt von ihnen bedingungslose Nachfolge und Absage an alles, was in ihnen Seinem Geist widersteht. Durch all das reizt Er die Wut der Hölle und den Haß der menschlichen Bosheit und Schwäche gegen sich auf, bis sie losbrechen und Ihm den Tod am Kreuz bereiten. Hier zahlt Er in den äußersten Qualen des Leibes und der Seele, vor allem in der Nacht der Gottverlassenheit, den Lösepreis für die angesammelte Sündenschuld aller Zeiten an die göttliche Gerechtigkeit und öffnet die Schleusen der väterlichen Barmherzigkeit für alle, die den Mut haben, das Kreuz und den Gekreuzigten zu umarmen. In sie ergießt sich Sein göttliches Licht und Leben, aber weil es unaufhaltsam alles vernichtet, was Ihm im Wege steht, darum erfahren sie es zunächst als Nacht und Tod. Das ist die dunkle Nacht der Beschauung, der Kreuzestod des alten Menschen. Die Nacht ist um so dunkler, der Tod um so qualvoller, je mächtiger diese göttliche Liebeswerbung die Seele ergreift und je rückhaltloser die Seele sich ihr überläßt. Das fortschreitende Zusammenbrechen der Natur gibt dem übernatürlichen Licht und dem göttlichen Leben mehr und mehr Raum. Es bemächtigt sich der natürlichen Kräfte und verwandelt sie in vergöttlichte und vergeistigte. So vollzieht sich eine neue Menschwerdung Christi im Christen, die mit einer Auferstehung vom Kreuzestode gleichbedeutend ist. Der neue Mensch trägt die Wundmale Christi an seinem Leibe: die Erinnerung an das Sündenelend, aus dem er zu seligem Leben erweckt ist, und an den Preis, der dafür gezahlt werden mußte. Und es bleibt ihm der Schmerz der Sehnsucht nach der Fülle des Lebens, bis er durch das Tor des wirklichen leiblichen Todes eingehen darf in das schattenlose Licht.

So ist die bräutliche Vereinigung der Seele mit Gott das Ziel, für das sie geschaffen ist, erkauft durch das Kreuz, vollzogen am Kreuz und für alle Ewigkeit mit dem Kreuz besiegelt.



  1. Obras IV 6. u. 108 f.
  2. Lebendige Liebesflamme, Vorwort an Anna de Peñalosa, Obras IV 3 f. u. 105 f.
  3. Joan. 7,38.
  4. Lebendige Liebesflamme, Erklärung zu Str. 1, Obras IV 7 u. 109 f.
  5. a. a. O. Str. 1 V. 1, Obras IV 8 ff. u. 110 ff.
  6. a. a. O. Str. 1 V. 2, Obras IV 11 f. u. 112 f.
  7. a. a. O. Str. 1 V. 3, Obras IV 12 ff. u. 113 ff. Die Abgrenzung gegenüber der ewigen Herrlichkeit und das Eingehen auf den Zweifel an der Möglichkeit so überschwänglicher Gnaden sind Hinzufügungen der zweiten Bearbeitung (B).
  8. a. a. O. Str. 1 V. 4, Obras IV 15 ff. u. 119 ff.
  9. a. a. O. Str. 1 V. 5, Obras IV 20 ff. u. 124 ff.
  10. a. a. O. Str. 1 V. 6, Obras IV 22 ff. u. 126 ff. 172
  11. Damit endet die Erklärung zu Str. 1, Obras IV 26 ff. u. 131 ff.
  12. a. a. O. Str. 2, Obras IV 28 f. u. 132 f.
  13. a. a. O. Str. 2 V. 1, Obras IV 29 f. u. 133 ff.
  14. Das Leben der hl. Teresia von Jesu, 29. Hauptstück (Neue deutsche Aus­gabe, Bd. I, München 1933, S. 280 ff.).
  15. Johannes schrieb dies etwa 2 Jahre nach dem Tode der heiligen Mutter. Daß an ihrem Herzen die Liebesverwundung sichtbare Spuren zurückgelassen hatte, wußte er noch nicht.
  16. Lebendige Liebesflamme, Str. 2 V. 2, Obras IV 31 ff. u. 135 ff.
  17. a. a. O. Str. 2 V. 3, Obras IV 35 ff. u. 140 ff.
  18. a. a. O. Str. 2 V. 4, Obras IV 37 f. u. 143 f.
  19. a. a. O. Str. 2 V. 5, Obras IV 38 ff. u. 144 ff.
  20. Ende der Erklärung zu Str. 2, Obras IV 43 ff. u. 150 ff.
  21. 2 Mach. 1, 19-22.
  22. a. a. O. Str. 3 V. 1, Obras IV 48 ff. u. 155 ff.
  23. a. a. O. Str. 3 V. 3, Obras IV 54 ff. u. 160 ff.
  24. a. a. O. Erklärung zu Str. 3 V. 3, § 1, Obras IV 58 ff. u. 165 ff.
  25. a. a. O. § 2, Obras IV 59 f. u. 166 f.
  26. Es wurde früher schon darauf hingewiesen, daß Verlobung hier nicht im strengen Sinn der mystischen Verlobung gebraucht ist – im Gegensatz zum Geistlichen Gesang, Str. 13 u. 14, Obras III 63 ff.
  27. a. a. O. Erklärung zu Strophe 3 V. 3, § 3, Obras IV 60 ff. u. 167 ff.
  28. a. a. O. Erklärung zu Strophe 3 V. 3, § 3, Obras IV 83 f. u. 194 f.
  29. a. a. O. Str. 3 V. 4, Obras IV 84 ff. u. 195 ff.
  30. Ende der Erklärung zu Str. 3, Obras IV 88 ff. u. 199 ff.
  31. a. a. O. Str. 4 V. 1 u. 2, Obras 93 ff. u. 204 ff.
  32. a. a. O. Str. 4 V. 3, Obras IV 100 ff. u. 210 ff.
  33. Ende der Lebendigen Liebesflamme, Obras IV 102 u. 213.
  34. Lebendige Liebesflamme, Erklärung zu Str. 3 V. 3, § 4, E. Cr. II 444 f. Wir haben diese Einschiebung hier übergangen, um den sachlichen Zusammenhang nicht zu zerreißen. Sie findet in unserem III. Teil Verwendung.
  35. Unsere Wiedergabe des Gehaltes der Liebesflamme gibt davon nur ein sehr schwaches Bild, weil wir aus der Fülle der Schriftbeispiele nur ganz wenige angeführt haben (auch bei den andern Schriften). Wer den richtigen Eindruck be­kommen will, muß die Werke des Heiligen selbst zur Hand nehmen.
  36. Lebendige Liebesflamme, Erklärung zu Str. 2 V. 3, Obras IV 43 u. 149 f. – Buch Esther 4, 1 ff.
  37. Die römischen Ziffern I., II. und III. sind erst in der zweiten Fassung ein­gefügt.
  38. Diese Strophe ist in der zweiten Bearbeitung eingeschoben.
  39. Hier endet die Umordnung der Strophen, die in der zweiter Bearbeitung vorgenommen wurde. Wir gaben beide Fassungen nebeneinander, um den Ein­druck der ursprünglichen Dichtung nicht verloren gehen zu lassen. Nach den bedeutendsten Mss. bezeichneten wir die erste Fassung mit B. (Barrameda), die zweite mit J. (Jaén). Das Verhältnis beider zeigt folgenden Überblick:
    B: 1-10, , 11-14, 15-24, 25-26, 27-28, 29-30, 31-32, 33-39
    J: 1-10, 11, 12-15, 24-33, 16-17, 22-23, 20-21, 18-19, 34-40
    Es ist nötig, jede der beiden Fassungen als Ganzes zu lesen und in ihrem Zu­sammenhang auf sich wirken zu lassen, wenn man dem Sinn der Umformung auf die Spur kommen will. Ob der Heilige selbst diese Umformung vorgenommen hat oder jemand anders, diese Frage wollen wir hier so wenig in Angriff nehmen wie an früherer Stelle. Es fehlen uns die erforderlichen Unterlagen für ihre Lösung. Aber an dem inneren Verhältnis der beiden Bearbeitungen können wir nicht vor­beigehen.
  40. Geistlicher Gesang, Vorwort an Anna von Jesus, die um Erklärung der Strophen gebeten hatte. Obras III 3 ff. u. 183 ff.
  41. Vgl. die wohltuend sachliche Darstellung der Inquisition bei J. Brouwer, De achtergrond der Spaanse mystiek, Zutphen 1935, S. 79 ff.
  42. Vergl. P. Silverio im Anhang zum Geistlichen Gesang, Obras III 456.
  43. Vergl. die Erklärung zu Str. 27 (B, Obras III 131 f.) mit der zu Str. 22 (J, Obras III 319 f.).
  44. Obras III 5 f.
  45. Wie weit er hier rein natürlich als Künstler schafft, wie weit unter besonderer Eingebung des Heiligen Geistes, ist nicht abzumessen. Wir werden auf diese Frage noch zurückkommen.
  46. Obras III 131 f. u. 319 f.
  47. Erklärung zu Str. 1 V. 2, Obras III 17 u. 204 f.
  48. Erklärung zu Str. 1 V. 4, Obras III 18 u. 205 f.
  49. Vgl. im Vorausgehenden die Ausführungen über die verschiedenen Arten der Vereinigung.
  50. Erklärung zu Str. 1 V. 5, Obras III 19 f. u. 207.
  51. Erklärung zu Str. 12 (13), Obras III 56 f. u. 259 f.
  52. So entspricht es auch der Absicht des Areopagiten, auf den die Dreiteilung zurückgeht.
  53. Darum geben im Folgenden die Ziffern an erster Stelle die Strophenordnung der zweiten Fassung an; in Klammern fügen wir die Nummerierung der ersten Fas­sung bei. (Bisher ist es umgekehrt geschehen.)
  54. Vgl. Eph. 5, 23 ff.
  55. Obras I 133.
  56. Erklärung zu Str. 12 (11) V. 2, Obras III 252 f. u. 53.
  57. Erklärung zu Str. 13 (12), Obras III 259 f. u. 56 f.
  58. Erklärung zum letzten Vers der 13 (12). Strophe, Obras III 264 u. 61.
  59. Vorbemerkung zur Erklärung der Str. 14 (13) und 15 (14), Obras III 265 u. 63.
  60. Joan. 1, 4 nach der früher üblichen Lesart.
  61. Vorausgeschickte Erklärung zu Str. 14 (13), Obras III 265 u. 63.
  62. Erklärung zu Str. 14(13) V. 4, Obras III 270 u. 67.
  63. Dionysius Areopagita, Mystica Theologica, C. I.
  64. Erklärung zu Str. 15 (14) V. 1, Obras III 279 u. 75.
  65. Str. 15 (14) V. 3, Obras III 281 u. 77.
  66. Vorbemerkung zu Str. 16 (Hinzufügung der zweiten Bearbeitung), Obras III 284.
  67. Erklärung zu Str. 16 V. 1 u. 2, Obras III 286.
  68. Erklärung zu Str. 17 (26), Obras III 292 f. u. 125 f.
  69. Erklärung zu Str. 18 (31) V. 1, Obras III 299 u. 146.
  70. Erklärung zu Str. 20 (29), Obras III 307 u. 138.
  71. Erklärung zu Str. 21 (30), Obras III 316 u. 144.
  72. Erklärung zu Str. 22 (27) V. 2, Obras III 321 u. 133.
  73. Diese Erklärung zu Str. 23 (28), Obras III 386 u. 136, ist in der zweiten Fassung sehr erweitert. Der Vergleich der Verlobung in der Taufe mit der mysti­schen Verlobung ist neu eingefügt. Er entspricht dem Bestreben, gnadenhafte und mystische Vereinigung in nahe Verbindung zu bringen.
  74. Wir sehen in der Sünde und Erlösungsbedürftigkeit nicht den einzigen Be­weggrund der Menschwerdung. Diese scheint uns schon in der Hinordnung der Schöpfung auf die Vollendung durch Christus hinreichend begründet. Auch Jo­hannes vom Kreuz kennt eine Begründung der Menschwerdung unabhängig vom Sündenfall. Vgl. die Romanzen, Obras IV 328 ff.
  75. Erklärung zu Str. 22 V. 2, Obras III 321
  76. Als Vermählung mit der Menschheit hat Johannes vom Kreuz die Menschwerdung in den Romanzen über die Schöpfung behandelt. (Obras IV 328 ff.) Diese Vermählung erscheint hier sogar als Beweggrund der Schöpfung. Erstaunlicherweise ist der Sündenfall in den Romanzen ganz übergangen. Die Erlösung erscheint als Befreiung vom Joch des Gesetzes.
  77. Vgl. die Erklärung zu Str. 25 (16), Obras III 335 u. 85.
  78. Erklärung zu Str. 26 (17) V. 1, Obras III 343 u. 91.
  79. Erklärung zu Str. 26 (17) V. 2, Obras III 345 u. 92.
  80. Erklärung zu Str. 26 (17) V. 4, Obras 347 u. 95.
  81. Str. 26(17) V. 5, Obras 351 u. 97.
  82. Gegen Ende der Erklärung zu Str. 27 (19), Obras 356 u. 104.
  83. Vorbemerkung zu Str. 28, Obras III 356.
  84. Erklärung zu Str. 28, Obras III 357.
  85. Vorbemerkung zu Str. 29, Obras III 361.
  86. Erklärung zu Str. 29 V. 5, Obras III 365.
  87. Vorbemerkung zu Str. 32, Obras III 380.
  88. Schluß der Erklärung zu Str. 32, Obras III 384.
  89. Erklärung zu Str. 33, Obras III 386 ff.
  90. Erklärung zu Str. 35, Obras III 393 ff.
  91. Erklärung zu Str. 36, Obras III 398 ff.
  92. Erklärung zu Str. 37 V. 3, Obras III 406.
  93. Erklärung zu Str. 38 V. 1 u. 2, Obras III 410.
  94. Erklärung zu Str. 38 V. 5, Obras III 412 ff.
  95. Erklärung zu Str. 39 V. 1, Obras III 416 ff.
  96. Erklärung zu Str. 39 V. 2, Obras III 419.
  97. Erklärung zu Str. 39 V. 3 u. 4, Obras III 421.
  98. Erklärung zu Str. 39 V. 5, Obras III 423.
  99. Erklärung zu Str. 40, Obras III 424 ff.
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