Kugelblitze

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Kugelblitze
Untertitel:
aus: Bibliothek für Alle. Illustrierte Monatsbände für Jung und Alt, 4. Jahrgang, Achter Band, Seite 169–170
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Verlag der Bibliothek für Alle
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Dresden
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Der Artikel Kugelblitze wurde fast wortgleich unter dem Pseudonym W. Bekal 1911 ebenso veröffentlicht in: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift (37. Jahrgang Oktober 1910 – Oktober 1911),Seite 1079.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[169] Kugelblitze.

Während die sogenannten Zickzackblitze mit Leichtigkeit von jedermann beobachtet werden können, da sie die gewöhnliche Art der elektrischen Entladung bei Gewittern sind, gehören die Perlschnur- und die Kugelblitze zu den selteneren elektrischen Erscheinungen. Über erstere, die aus einer perlschnurartigen Aufreihung von Lichtpunkten bestehen, weiß man noch heute so gut wie nichts, weil sich nur wenig Gelegenheit bietet, sie auf ihre besondere Beschaffenheit zu untersuchen. So behaupten viele Gelehrte, daß die Perlschnurblitze gar keine Blitze, sondern nur ein Nachleuchten erhitzter Luftteile der Blitzbahn oder ein Nachfließen von Elektrizität sind. Besser kennt man sich mit den Kugelblitzen aus, die fraglos die eigenartigste und interessanteste Form der elektrischen Himmelsgeschosse bilden.

Der Zickzackblitz tritt ganz plötzlich als leuchtende, bald nach der Erde zu, bald parallel zu ihr verlaufende weißleuchtende Linie auf und dauert nur den Bruchteil einer Sekunde. Anders die Kugelblitze. Diese zeigen sich als faust- bis kindeskopfgroße Kugeln, welche die merkwürdigsten Bahnen einschlagen und entweder geräuschlos verschwinden oder krachend explodieren. Sie ähneln vollkommen fallenden Meteorsteinen, nur daß es noch niemals gelungen ist, einen solchen bei der Aufschlagstelle der himmlischen Lichtkugel zu entdecken. Es sind Kugelblitze beobachtet worden, die bis zu zehn Sekunden deutlich sichtbar bleiben. Über die Entstehung dieser so merkwürdig gestalteten elektrischen Entladung ist man sich in der Gelehrtenwelt nicht recht einig. Am einleuchtendsten erscheint die Erklärung, daß es sich hierbei um Zickzackblitze handelt, die auf ihrem Wege infolge besonderer Zusammensetzung der Luftschichten [170] starken Widerstand gefunden und sich daher sozusagen selbst zu einem Feuerball zusammengedrückt haben.

Ein historisch berühmt gewordenes Phänomen dieser Art erschien König Philipp V. von Spanien. Durch Testament Karls II., des letzten Habsburgers auf dem spanischen Königsthron, war jener Enkel Ludwigs XIV. von Frankreich zur Nachfolge berufen. Als er nun im April 1701 in den Königspalast von Madrid eingezogen war, sausten bei einem Gewitter zwei Feuerbälle durch das Dach in die Schloßkapelle. Einer davon sprang gegen die Wand, prallte von dieser zurück und fuhr auf den Erdboden, wo er in mehrere Feuerkugeln zerplatzte. Diese Kugeln hüpften wie elastische Bälle durch die Kapelle, vernichteten ein wertvolles Altarbild und schmolzen ein silbernes Kreuz zu einem unförmigen Klumpen zusammen. Das Volk deutete diese bis dahin so gut wie unbekannte Naturerscheinung als ein böses Vorzeichen für Philipps Regierung. Und wirklich mußte er dann im spanischen Erbfolgekriege lange Jahre um seine Krone kämpfen und zweimal aus Madrid fliehen, um schließlich 1746 in geistiger Umnachtung zu sterben. – Ein zweites Mal wurden im Jahre 1770 nach beglaubigten Berichten Kugelblitze im Hafen von Isle de France in größerer Zahl beobachtet. Während eines Gewitters zogen die Wolken so tief, daß sie fast die Mastspitzen der Schiffe in ihre Schleier einhüllten. Da fiel mit einem Male aus dem schwarzen Gewölk eine feurige Kugel von der Größe einer ausgewachsenen Kokosnuß heraus, glitt an dem mittelsten Mast eines Vollschiffes herab und platzte auf dem Deck mit ohrenbetäubendem Krachen. Mehrere in der Nähe an der Reling stehende Matrosen stürzten betäubt zu Boden. Das Deck war auf drei Meter im Umkreise völlig zersplittert, der Mast dagegen auffallenderweise völlig unversehrt geblieben. Wenige Minuten später prasselte dann ein wahrer Hagel von Kugelblitzen herab, die mehrere kleine Schiffe in den Grund bohrten, einen am Hafen gelegenen Speicher in Brand steckten und zwölf Personen töteten. Nach Angaben von Augenzeugen sollen damals gegen dreißig dieser Feuerkugeln gezählt worden sein. Ein ähnliches Naturschauspiel hat es seitdem nicht wieder gegeben. [171] – Am 1. März 1774 entlud sich ein furchtbares Gewitter über Wakefield. Als es endlich ausgetobt hatte, wurde der Himmel wieder klar, und nur zwei kleine Wolken blieben zurück, eine über der anderen gelagert. Nach einiger Zeit konnte man wahrnehmen, wie aus der oberen eine Menge Feuerkugeln auf die untere hinabregnete, wo sie spurlos verschwanden. Der Physiker Howard, bekannt als der Entdecker des nach ihm benannten[1] Howardschen Pulvers, des Knallquecksilbers, erzählt in seinem meteorologischen Werk über das Klima Londons, daß im April 1814 eine gewaltige Feuerkugel aus einer Gewitterwolke in einem Heuschober bei Cheltenham fuhr und diesen in alle Winde zerstreute, ohne die leicht brennbaren Stoffe jedoch zu entzünden.

Auch in neuerer Zeit sind Kugelblitze öfters gesehen und auch mehrmals auf der photographischen Platte festgehalten worden. Erwähnt sei hier nur noch ein Phänomen dieser Art, das einen ganz außergewöhnlichen Unglücksfall zur Folge hatte. In den Westbatterien des Kriegshafens von Brest exerzierte im Sommer 1902 während eines Gewitters eine Abteilung Fußartillerie an den gewaltigen Geschützen. Eben war eines der zuckerhutähnlichen Geschosse und dahinter die Pulverladung in die Ladeöffnung des rechten Flügelgeschützes geschoben worden, und der bedienende Kanonier hatte noch nicht Zeit gefunden, den Verschluß völlig zuzukurbeln, als ein Kugelblitz herabsauste, an dem Geschützrohr entlang lief und die Ladung vorzeitig zur Explosion brachte, wodurch der Verschlag abgerissen und mehrere hundert Meter nach rückwärts geschleudert wurde. Der Luftdruck, den die explodierende Pulverladung erzeugte, war derart stark, daß zwei Kanoniere getötet und drei andere schwer verletzt wurden. Daß Geschoß selbst war, da die Hauptkraft der Pulvergase nach rückwärts wirkte, in der Mitte des Geschützlaufs stecken geblieben.

Walter Kabel.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bekannten