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L’Hotel des Princes in Paris

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
DCLXIV. Itasca Lake; die Quellen des Mississippi Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
DCLXV. L’Hotel des Princes in Paris
DCLXVI. Ingolstadt
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HOTEL des PRINCES
(Paris)

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DCLXV. L’Hotel des Princes in Paris.




Paris ist der Himmel, Paris ist die Hölle; Ihr dürft Beides für Wahrheit halten. Zur ewigen Seligkeit führt nur ein enger, steiler Pfad für die Wenigen. Der andere Weg ist die ebene, breite Straße, und daß ihn die Menge wandert, kann um so weniger Wunder nehmen, da auf demselben Vergnügen und Genuß die Führer sind. An keinem Ort der Erde schäumt das Leben feuriger, brennender, siedender, und funkelt’s und knistert’s und verzehrt sich’s in sprühendern Flammen. In dieser großen Werkstatt des Genusses ist die Gesellschaft beständig auf der Rennbahn. Vergnügen ist das Ziel, und ist eins erjagt, so jagt sie dem andern nach. Um des Vergnügens willen stiehlt der Dieb, trügt der Gauner, bettelt der Arme; um sich einen lustigen Sonntag oder blauen Montag zu machen, unterzieht sich der Arbeiter den nächtlichen Anstrengungen, und der Kleinbürger, der Boutiquier messen ihren Erwerb nach dem Vergnügen, daß er ihnen verschaffen wird; gegen Vergnügen verwechseln der Kaufmann und der Habitué der Börse das Gold, das ihnen die Spekulation und das Glück gegeben; Vergnügen lacht dem Rentier aus seinen Obligationen und Aktien, seinen Coupons und Dividendenscheinen entgegen, und der Beamte, der Offizier der Literat, der Künstler hält sein Bureau, seine Epauletten, seine Feder, seine Palette, seinen Meisel nach der Masse des Vergnügens werth, zu dem sie die Mittel beibringen. Bar des Vergnügens hätte der Altar keine Priester, das Gericht keinen Richter, die Assise keinen Vertheidiger, der Kranke keinen Arzt; bar des Vergnügens wären die Legislatur ohne Gesetzgeber, die Ministerien ohne Minister, der Staat ohne Haupt; denn das Alpha und Omega der ganzen gesellschaftlichen Natur des Parisers sind Vergnügen und Genuß. Er interessirt sich so lange für Alles, als es den Reiz des Vergnügens bei sich führt; hört es auf, ihn zu amüsiren, so erlischt auch seine Theilnahme dafür. An der Hand des Vergnügens hingegen ist ihm jede Erscheinung, jedes Ereigniß, [9] jede Veränderung willkommen: Königthum, Revolution, Diktatur, Republik, Kaiserreich, Schreckensregiment, Plebiszit, Kapuzinerthum, Kommunismus, Barrikaden, Abd el-Kader. Wegen des Vergnügens sucht er den Ruhm in der Schlacht, pilgert er nach St. Sulpice in Sack und Asche, hört er die Rachel in der Oper, die oraison funèbre in Père la Chaise. Die Legitimität wäre ihm recht, wäre sie nicht gar zu langweilig, und den Tod haßt und fürchtet er nur aus dem Grunde, weil er nicht amüsirt; ja, er würde Mohammedaner werden, wenn der Prophet nicht den albernen Streich gemacht hätte, für die Freuden seines Himmels von dem Vergnügen auf der Erde einen hohen Discont zu fordern. Was ihn nicht vergnügt, das rührt er nicht an, was ihn nicht berauscht, dem klatscht er nicht Beifall. Aber für Vergnügen ist ihm Alles feil: Liebe und Lust, Können und Wissen, Ehre und Freiheit. Im Gegentheil murrt er über Alles und spottet er über Alles, was ihn langweilt, und gleichgültig verläßt er, sobald er gähnen muß, seine Könige, seine Eroberungen, seinen Ruhm, seine Götzen, mögen sie von Bronze oder Glas seyn. Er wirft sie weg aus ennui, wie er seine Strümpfe, seine Gesundheit, sein Vermögen wegwirft. Paris ist gefährlich nur dann, wenn es sich langweilt; es braucht stets Erregung zum Leben, es braucht stets Etwas, das die Leidenschaften anspannt, und dieses führt Ereignisse herbei, an welche die Welt nicht denkt. Der Pariser passionirt sich nur für die Spender des Vergnügens, sey es das Gold, sey es dieMacht. Eine Zehntausendfrankennote ist ihm lieber, als alle Liebe, und wer ihn vergnügt, von dem duldet er Alles: er duldet die Regierung mit der Phrase, die Regierung mit der Guillotine, die Regierung mit Cayenne und Lambessa; er duldet die Religion als Eva und in der Kapuze, Haynau und Louis Napoleon, wenn sie amüsiren! – Gold und Vergnügen sitzen permanent auf dem Throne dieser Stadt ohne Glauben, ohne Sitte, ohne Gefühl und ohne Wahrheit, und wenn Ihr dieses Labyrinth von Mörtel und Schmuz, und die Gedanken, die Affekte, die es bewegen, erschüttern, verwirren, kennt, so werdet Ihr für die hundert Räthsel und tausend Fragezeichen, denen Ihr begegnet, immer dieselbe Lösung, dieselbe Antwort finden.

Laßt es uns einmal versuchen, auf diesem Meere, das Millionen vor uns durchschifft und durchforscht haben, irgend ein unbekanntes Eiland zu finden. – Wir schiffen planlos hinaus, den Zufall am Steuer, Wind und Wetter als Führer.

„Boulevard des Italiens!“ – Der Fiaker rasselt durch die Rue vivienne, durch die Straße der Foulds und der Rothschilde, über den Börsenplatz hin, am großen Opernhaus vorüber. Der Schlag wird geöffnet – die dürre Hand empfängt ihr 20-Sousstück – nous voilà! Wie schön, heiter, glücklich erscheint hier Alles! Der Boulevard des Italiens ist der Tummelplatz der goldenen Jugend, das Eden der Flaneurs und Maulaffen, der Damenwelt mit ihren Wünschen und Gelüsten. Diamanten, Gold, persische Shawls, Brüsseler Points, indische Essenzen und Parfümerien, exotische Pflanzen, seltene Früchte glitzern und prangen hinter Spiegelfenstern in den prächtigen [10] Läden; dazwischen Costumes aller Phantasieen und reizende Frauenbilder für alle Träume. – Ist das Alles Wirklichkeit oder nur Schein? Dies oder Jenes, oder auch Beides, wie Du’s deuten magst. Die Trottoirs gleichen dem wogenden Meere, die reichen Equipagen, Fiaker aller Gestalten, Omnibusse und Fahrzeuge aller Gattungen machen sich den Fahrweg streitig; Dich selbst reißt die Menschenwoge hin, und mehr fortgestoßen und fortgetragen als gehend, schöpfst Du erst auf dem Boulevard St. Martin wieder Athem. Hier hat das Straßenleben die vornehme, aristokratische Maske abgestreift. Tabaksqualm und Bier dampfen aus den Billards und Cafés, Gerüche der Küche aus den Restaurants. Die gute Gesellschaft verirrt sich nicht in diese Region; sie gehört dem Kleinbürger, dem Handwerker, dem subalternen Beamten. Erst am Thor von St. Denis, der steinernen Lüge von der Größe Ludwigs XIV., verändert sich die Staffage wieder. Die Straßen dieser Nachbarschaft gehören meistens der Industrie, den Fabriken, den großen Werkstätten und den Niederlagen, wo die unzähligen Artikel gefertigt und aufgespeichert werden, für welche die Welt der Stadt Paris zinsbar geworden ist. Die Karossen der reichen Fabrikherren rollen über den Fahrweg; aber auf den Trottoirs haben die Blouse und die Grisette des Arbeiters die Majorität. Gegen Abend, wenn die vielen in dieser Gegend befindlichen kleinen Theater ihre Pforten öffnen, steigert sich das Leben zum Gedränge und der Name des anstoßenden Boulevard du Crime erhält dann die Bedeutung einer Wahrheit. Bei jedem Zwischenakte (das Spiel in den kleinen Theatern dauert bis Mitternacht) ergießen sich die in den engen Räumen eingeschlossenen Menschenmassen, durstig nach frischer Luft und Erquickung, über die Boulevards Du Grime und du Temple, und bei dieser Gelegenheit werden die geschicktesten Diebstähle und die frechsten Räubereien verübt. Hier sind die Contremarkenhändler und die Condottieri der Theater-Kritik zu finden: die Glaqueurs und Succeßmacher; und ein Autor, ein Dramatiker, welcher die Mittel und Wege kennt, die zur literarischen Celebrität eines Abends oder einer Saison führen, kann hier für eine Handvoll Franken eine Ladung Beifall und Renommée allezeit haben. Da drängen sich auch die Cries de Paris, jene schreienden, wandernden Apfelsinenhändlerinnen, Kuchenverkäufer, Blumenmädchen, Cocospender, Colporteurs der Journale und Zeitungen, die spähenden Gamins, die Commissionairs, die Gelegenheitmacher, die Kupplerinnen mit ihren Dirnen, die Agenten der geheimen Polizei und die Sergeants de Ville; – und vermengt mit dem Volke der Blouse und des fadensichtigen Fracks wird ein Babel daraus; Alles ruft durcheinander, Keiner hört auf den Andern, Jeder sucht den Andern zu überschreien. Mit wenigen Veränderungen dauert diese Staffage der Boulevards bis zum Bastille-Platze und dem Boulevard St. Antoine fort. Hier verschwindet fast jedes andere Costum neben Blouse und Polizei-Uniform. Der Pariser aus den höhern Ständen betritt diese Gegend niemals, wenn ihn nicht ein unabweisliches Geschäft dahin führt. Unter bestaubten Bäumen haben hier die Zuckerwasserverkäufer, die fahrenden Limonadiers, Caffetiers und Obsthändlerinnen ihre Stände. Auf keinem der Boulevards ist’s übrigens so still und ordentlich; an die [11] Bastille und ihre großen Ereignisse scheint kein Mensch mehr zu denken. Und doch ist diese St. Antoine mit ihren schweigsamen Straßen, auf denen man nichts hört als die heisern Stimmen der Arbeit in den ärmlichen Häusern: das Geräusch des Webstuhls, das Knarren der Drehbank und der hundert andern Handthierungen und Beschäftigungen, – jene gefürchtete Vorstadt, welche beständig schwanger geht mit Revolutionen. Sie ist die Gewaffnete, trotz zehnmaliger Entwaffnung; die immer Schlagfertige, trotz aller Niederlagen; die beständig Bereite, um für den Aufstand die Parole zu empfangen; immer des Rufs gewärtig, auf die Barrikade zu marschiren, oder der Gewalt entgegen, um sie zu brechen, und darum von dieser immer belauscht, bespäht mit Argusaugen, decimirt bei jeder Gelegenheit, in den Kerker geworfen, exilirt, deportirt; und wiederum ist sie verzehrt von den nagenden, zwickenden Dämonen der Rache und Vergeltung, die sie beständig mahnen, eine neue Seite der Geschichte von Frankreich mit Strömen von Menschenblut zu schreiben. Wer denkt daran, bei dem lustigen Leben der Blousen und der Mouslinkleider, das hier, wie Mücken an heitern warmen Abenden, spielt und kost, daß unter dieser arglosen Decke ein Ungeheuer schlummert, welches die Traditionen der Schreckenszeit und des Bürgerkriegs von Geschlecht zur Geschlecht fortpflanzt? Wer es verstanden hat, rechtzeitig die Schwingungen dieses Geistes und dieser Traditionen in Bewegung zu setzen, ist allemal Herr von Frankreich geworden, und wenn er, als solcher, nicht wußte, die Uhr der Zeit zu stellen, so war es stets seine eigene Schuld. – St. Antoine ist an Werktagen ein Bild der Ordnung, des Fleißes, des Geschicks, der Anstrengung, der Genügsamkeit; der Löwe ist ein geduldiges Roß geworden, das für seinen Herrn, das Kapital, 6 Tage in der Tretmühle geht, leidet, fastet und sich abarbeitet, um das Stück Geld zu erhaschen, das ihm eine genußreiche Stunde gibt, in der es seine Lust austobt, bis der letzte Sou fort ist und die leere Börse und der leere Magen es zur Rückkehr an die Arbeit mahnen. Die Faubourg St. Antoine hat ein zweifaches Leben: die Arbeit und die Revolution. Sie beugt sich unter der Herrschaft der Scheere, des Hammers, der Spinnmaschine; sie hobelt, sägt, webt, reckt, modellirt, gießt, schnitzt, kleidet, färbt, bleicht, schwärzt, malt und vergoldet Alles; sie macht die Karosse der Könige und den Sarg des Guillotinirten, sie schneidet die Prachtgefäße von Krystall und dreht den irdnen Topf für die arme Witwe: aber einen Tag in jedem Jahrzehent entzündet sie sich wie eine Pulvertonne und stürzt Throne und Gesellschaft zusammen. –

Fort zum Hotel des Princes! Was ist das? Es ist das Epitom von Paris, die Pariser Welt unter einem Dache. Der glänzende Titel darf Dich nicht irren; er ist bloß das Schild für die Bel-Etage, wo sich die goldenen Salons für Fürsten und Millionärs aneinanderreihen. Wie alle Pariser Hotels, haben auch diese hohen Prachtgemächer die niedrigen Dachstuben über sich und zu ihren Füßen die dumpfigen feuchten Kellergeschosse, hinter sich aber die Höfe und Kloaken, wo jene armen Menschen wohnen, die verdammt sind, ihr Leben in verpesteten Miasmen zu verathmen. – Tritt herein! An einer Säulenhalle des Thors empfangen Dich rothsammtne Portiers, welche Tambourmajor-Stäbe [12] Stäbe mit Silberknöpfen tragen. Ein Dutzend Diener des Hotels stehen am Treppenhause, Deine Befehle erwartend. In diesem Hause wird jeder Neu-Ankommende empfangen wie ein Prinz, und jeder findet in demselben, was er sucht. Du verlangst ein Dachstübchen: ein dienstfertiger Geist geleitet Dich hinauf; Du forderst gebieterisch Apartements in der Bel-Etage: – es sammelt sich eine Queue von Marqueurs und Lakayen um Dich, silberne Armleuchter wandeln Dir voran, die Freitreppe von Marmor hinauf, Flügelthüren springen auf und Pracht und Comfort umgeben Dich, als wärst Du Sardanapal. –

In diesen Zimmern und Salons des ersten Stocks vermißt der Gast nichts, um seine Prachtliebe und seinen Sinn für feine Bequemlichkeit zu befriedigen; nicht den Teppich von Aubusson, nicht das Piano von Erard, nicht den Chronometer im Goldgehäuse, der die Stunden des Vergnügens auf’s Genaueste zeigt; nicht das Venetianische Spiegelglas, das von der Diele bis zur Decke reicht, nicht die silbernen Gefäße der Toilette, nicht die Bilder von Delaroche, nicht den parischen Marmor, welcher Leben athmet. Kein Zeichen, kein Schmuck, kein Prachtgeräthe, womit Rang und Reichthum ihre Günstlinge umgeben, fehlt. Ein Salon ist vorhanden für Madame, ein Studirzimmer mit Bibliothek für Monsieur, ein Zimmer zu den Audienzen, eine Antichambre für die Wartenden; Saal für die Dienerschaft, Corridor für die Portiers. Jeder Schellenzug gibt einem dienstbaren Geiste Flügel oder zaubert eine Sylphide zu Deinen Füßen, um Deine Befehle zu empfangen, kurz: – kein Fürst kann fürstlicher wohnen als in der Bel-Etage dieses Hauses. – Du steigst eine Treppe höher. – Das Leben ist stiller, der Prunk macht keine Prätensionen mehr, Comfort tritt in den Vorgrund. Die Dienerschaft ist weniger glänzend gekleidet, sie gehorcht weniger schnell dem Winke; die Bücklinge sind nicht so tief, die Zimmer nicht so hoch, die Ausstattung ist nicht so in Fülle und so kostbar, obschon geschmackvoll. Der Prinz des Hotels ist in dieser zweiten Etage ein wohlhabender Kaufmann, ein Rentier aus der Provinz, ein Sous-Präfekt, ein General, der seine Pension zwischen der Wirthshausrechnung und dem Spieltische theilt; oder er ist ein Gutsbesitzer, welcher seiner Frau oder seiner Tochter Paris zeigen will.

Du steigt noch eine Treppe höher. Die Stille hat zugenommen, die Diener sind älter geworden, ihr Eifer kälter, die Livree fadensichtiger, niedriger die Decken der Zimmer, die Thüren, die Fenster: – bürgerlich sieht das Ganze aus nach Ausstattung und Einrichtung; die Nettigkeit ist größer als die Eleganz und die Formen sind mehr von gestern, als von heute. In diesem dritten Stock des Hotels wohnt der Advokat aus der Provinz, der die Geschäfte seiner Auftraggeber bei der Centralbehörde betreibt; der Gutsverwalter, der Professor aus dem Departement, der junge Arzt, der die Kliniken besucht; die Wittwe, welche eine Pension oder eine neue Verbindung wünscht, die angehende Kokette, die jungen Talente des Gesangs und des Tanzes; der alte Garçon, der für seine 2000 Franken Rente das höchste Maß des Genusses erstrebt; die Aspiranten der Fortuna in allen Gestalten und mit allen Ansprüchen: Leute, die keinen Centimen in dem Schuldbuch der Nation eingetragen haben, aber in ihren Talenten [13] die Schätze Kaliforniens beständig bei sich zu führen glauben. Arglose Träumer, wäre der Wahn, der Euch begleitet, doch länger! Aber gar bald steigen sie auf der Stiege des Hotels höher und tiefer auf der Leiter ihrer Hoffnungen, bis sie anlangen im Dachstübchen, in welchem vor ihnen die verlassene Grisette die vergangenen Tage der Freude beweinte. – Willst Du noch weiter? Willst Du in die Kämmerchen gucken à soixante sons par mois mit dem einen Fensterchen, das über der Kloake des hintersten Hofes sich öffnet? Puh! Ich sehe, Du bist ermüdet. – Horch’! Glockentöne schallen durch’s Haus; die Thüren fahren auf und schlagen zu; lachend und singend, plaudernd oder schweigsam, gravitätisch oder leichtfertig, „Bon jour! Bon soir!“ Nachbarn und Bekannten spendend, rauscht der Menschen-Strom der Treppe zu, die zum Speisesaal führt. Die Eßglocke hat allen Unterschied des Rangs unter den Bewohnern des ersten bis zum dritten Stock ausgetilgt; Alle erscheinen in mit Geschmack geordnetem Anzug. Die femme entretenue ist von der Herzogin in Grandezza, Anmuth und Glanz der äußern Erscheinung kaum durch das geübteste Kennerauge und nicht minder schwer zu unterscheiden, als der ächte Schmuck von Imitationsdiamanten beim Kerzenschimmer. – In keinem Königsschloß sind die Speisesäle geräumiger und prächtiger als im Hôtel des princes. Die Tafeln und Sessel sind von geschnitztem und vergoldetem Palisanderholz, die Damaste von größter Feinheit, die Aufsätze von Silber, die Kandelaber vergoldet, das Porzellain aus Sevres und von der größten Feinheit; blühende Orangenbäume und die seltensten Ziergewächse füllen jede Ecke, und über den Etageren biegen sich, mit Früchten und Blumen beladen, exotische Pflanzen. – Ist’s eines Monarchen Namenstag? Gibt ein Großbotschafter ein diplomatisches Diner? Sind die Coryphäen der Wissenschaft, der Philantropie, der Börse zu einem Festessen versammelt? so fragst Du Dich bei dem Eintritt in diese glänzende Gesellschaft, die von Sternen und Orden funkelt und hinter deren Sesseln fünfzig Aufwärter in Frack und Seide mit dem Anstand des Gehorsams der Befehle lauschen – und Du staunst, wenn Du hörst, daß es das Schauspiel ist, welches sich zur sechsten Stunde jeden Abend in diesen feenhaften Räumen wiederholt. Und all’ diese Herrlichkeit, mit einer Tafel, die den Feinschmecker entzückt, kannst Du sammt Deinem netten Kabinettchen im dritten Stock, sammt Wäsche, Frühstück und Bedienung für tägliche zehn Franken haben – und dabei hast Du den unbezahlbaren Genuß einer guten Gesellschaft, einer geistreichen Unterhaltung, des Anblicks der schönsten Frauen, und Du kannst mit Berühmtheiten, die hier aus der ganzen Welt zusammenkommen, Worte und Blicke wechseln. Heute ist der persische, morgen der türkische Gesandte Dein Tischnachbar, das nächste Mal eine Kokette, in deren Augengluth alle Männerherzen schmelzen, oder eine Dame, die ihr billet doux mit einem Grafenwappen siegelt; oder Du sitzest neben einem russischen Fürsten, dessen Bruder in Sibirien Zobel fängt für seinen Czar und dessen Physiognomie selbst beim Champagnerglase in Paris nicht [14] ganz das Bewußtseyn verheimlichen kann, daß ihn ein Faden hält – den er nicht zerreißen darf und – kann.

Doch nichts ist langweiliger, als daß lange Bewundern. Das „Toujours perdrix“ verdirbt dem Hunger selbst den Appetit. – Adieu, Hôtel des princes!