Leben, Literatur und Kunst (Wünschelruthe Nro. 39)

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Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Leben, Literatur und Kunst
Untertitel:
aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 39, S. 155/156.
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Leben, Literatur und Kunst.




(Verspätet).

Ein Paar Zeilen in Nr. 21, nur gelegentlich die letzten lauten Anregungen in den beiden protestantischen Confessionen und ihre Vereinigung zu alsdanniger gründlicher Verbesserung oder lieber belebter Wiederherstellung des Gottesdienstes und ihrer weltlichen Gründungen historisch berührend, haben sogleich (Nr. 23) an dieser Stelle lebhaften Widerspruch gefunden. Ein wunderlich genug dabey vorwaltender, unsere Worte leicht von ihrer eigentlichen Richtung abziehender, Mißverstand verlangt, obgleich die Offenkundigkeit des Sinnes der von uns ausgeschriebenen hinreichend schützen sollte, eben seiner Stelle hier, und des schonenden Eingangs jener Gegenrede wegen, welche zusammen wohl auf eine richtige Auslegung unserer Meinung schließen lassen, eine kleine Erläuterung - auch für unsern Gegner selbst:

Von welcher Seite nun der Evangelischen diesmalige Freude über Luther und die Reformation bestritten worden, ist nicht verborgen geblieben. (S. Krug, Etwas, das Hr. A. Müller gesagt hat u. s. w. und des letztern Staats-Anzeigen). Dort wurde denn auch „der Ernst in der Erforschung des Dogmas und die Gleichgültigkeit gegen die äussere kirchliche Form,“ die entschiedensten Grundsätze der Reformation, welche gerade die jetzt auf eine Vereinigung Dringenden ausheben und umkehren wollen, genannt. Daß nun A. M. nicht unter äusserlicher Form, ob das heilige Abendmahl allen in einem Sinne ertheilt wird oder nicht, begriffen habe, ist aus dem dortigen Zusammenhange deutlich genug, wo er ja selbst das Wort έστι in der Einsetzungsformel des Abendmahls, ausdrücklich als das allerbedeutendste der Schrift feiern soll. Und an diesem deutlichen Sinne hat die Umgebung mit unseren Worten zum wenigsten nichts geändert: wir priesen ja dort die am Reformations-Jubiläum über die Kirchengemeinschaft der Evangelischen angeregte Partheiung „in ihr,“ sagten wir dann, (zu jenen Katholischen) „zeigt sich, wir meinen, der (von euch) abgesprochene Ernst in der Erforschung des Dogmas und die Gleichgültigkeit gegen die äussere kirchliche Form wieder, gleichzeitig aber u. s. w.“ - und was nun von entgegengesetztes Meinenden folgt, thut augenscheinlich, auch wenn man das Lob der Parthhiung übersehen hat, dar, daß wir jenen Ernst und jene Gleichgültigkeit insbesondere bey der in Kiel ausgebrochenen Opposition fanden, deren 80te Thesis also lautet. „Wider solche Verbindung, zumal da sie nur das Aeusserliche berührt unter beiderseitigem Vorbehalt des Innerlichen, wäre wohl eines einzigen Lutheraners oder Reformirten Protestation genug“ u. s. w. und die 78te „“War auf dem Colloquio zu Marburg 1529 Christi Leib und Blut im Brod und Wein, so ist es noch 1817.“

Ueberhaupt galt es uns also nur von unserem Gesichtspuncte aus freudig hinzudeuten auf das in der protestirenden Kirche, eben da, wo es Zeit und Umständen nach hervortreten kann, sichtbare Leben, und dafür hielten wir denn [156] auch die, durch die ersten Schritte zu einer demnächstigen Kirchengemeinschaft veranlaßte, (von unserem lutherischen Gegner nur in den Kreis des wissenschaftlichen Strebens zurückgewiesene) Wiedererweckung des, während der gemeinschaftlichen Reformation, zwischen Luther und Zwingli geführten, unausgekämpften Streites. -

Außer diesem hatten wir aber nun auch nicht undeutlich zu erkennen gegeben, daß wir in unseren Tagen die Entscheindung dem steten Wunsch und eifrigen Bestreben Philipp's des Großmüthigen günstig und entsprechend voraussähen; gern hätten wir darauf, was unser Gegner aus den vorhandenen Zeichen schließen zu können glaubt, von ihm erfahren; statt dessen lesen wir seinen persönlichen Widerwillen gegen jede Vereinigung, wie er sie nennt, der Form nach, wenn nicht auch eine allgemeine des Dogmas, und da, sagt er, können denn die Lutheraner freilich am wenigsten nachgeben. Sicher und gewiß, wo sie mit der Natur und dem Leben eines Menschen harmonisch zusammenhängt, die persönlich achtungswürdigste Meinung! Und für gleichfühlende, seyen ihrer noch so wenig, muß auch jede Vereinigung eine zarte Sorgfalt tragen. Wir erkennen auch das Opfer, was solche Gesinnung bringt, da sie sich hierin auf solche Wege, die sie die wissenschaftlichen hier nennt, freilich darin wohl erfahren, mit uns begiebt. Das Gleichniß aber von den sich unterredenden Lutheranern und anderes Kleinlaute über den Sinn der Gemeinden ziehen wir alles, soviel wir davon zugeben, herüber, und lassen es für die Meinung hochansehnlicher Gottesgelehrten sprechen, welche sagen: „ohne die Einheit der evangelischen Kirche werde schwerlich an eine gründliche Verbesserung unseres Gottesdienstes“ - und daheriges Wiederaufblühen unserer Kirche zu denken seyn. Im ganzen scheint uns dann aber auch darin der gegenwärtige Zustand derselben allzufinster angesehen zu werden; denn wer doch so verzweifeltes davon möglich halten wollte, müste das Wesen des Christentums nicht kennen, ja gar nicht an die unüberwindliche, ewig belebende Kraft desselben glauben.

Auch die Zurückweisung der von uns gepriesenen Stimmung der Zeit aus dem Leben hinaus, in den Kreis der Wissenschaft, für welchen er sie zum Theil zugiebt, macht sich denn doch, so schneidend sondernd, die Sache wohl zu leicht. Bey den verworrenen Fragen der Gegenwart gerade ists, wo die practische Anwendung der stets geläufiger werdenden historischen Ansicht in den gewohnten Resultaten ihre Grenzen findet, oder besser: in der rechten Weise schwieriger wird. Solche Wirkungslosigkeit der Wissenschaft überhaupt auf’s Leben sind wir eben jetzt am wenigsten berechtigt, absolut gelten zu lassen; freilich wird unser Lutheraner das für andere Seiten zugeben können, jedoch es eben in diesen Kreisen, wo wir es insbesondere aussprechen wollen - nun gar bey dem von ihm ausgedrückten Mißwollen gegen den Gebrauch der Vernunft - abweisen, und sie nur für Begeisterung und Einflüsse höherer Abkunft offen glauben. - Diesen seinen Eifer aber gegen „das Unding der Vernunft“ betreffend, führen wir nur noch die 34te Thesis von E. Harms selbst hier an; sie lautet also: „Es ist zu unterscheiden ein zwiefacher Sprachgebrauch: Vernunft als Inbegriff aller Geisteskräfte, die den Menschen auszeichnen, und Vernunft als eine besondere Geisteskraft u. s. w.“ (Daher gehört auch der Bescheid, den Arnim in vollem Vertrauen einem, der das Predigen gegen die Vernunft doch auch allzuroh aufgenommen, kürzlich gegeben). Und wenn nun einem zu seiner Glückseeligkeit die Befriedigung dieses „Inbegriffs aller Geisteskräfte, die den Menschen auszeichnen“ nötig ist, wer will denn solchen verdammen? Diesen Glauben nannte bey einem noch in unserer Literatur glänzenden Streit über dies alte bedeutungsschwere Capitel einer der Führer: die Einstimmigkeit des Herzens mit der gewissen Erkenntnis. Das ist auch das wesentliche Wissen neuerdings aufgetretener frommer Männer, (deren ausschließlich innere Gesinnungsweise wir Nr. 21 bey den Worten: gleichzeitig wird die höhere Sehnsucht nach dem Wesen über alle Form hinaus auch laut, im Sinne hatten) welche freilich, in der Ueberzeugung der alten Theologie: daß der Fall des menschlichen Willens von seinem ursprünglichen Zustande nicht minder das Erkenntnißvermögen (sowie die ganze äussere Natur) getroffen habe, nur auf einem weiteren Wege, dem Wege der Erfahrung, der inneren Erlebung dazu gelangen. - Lenken wir aber auch noch zu den, dem uns Entgegengetretenen vorschwebenden, Folgen der betriebenen formalen Vereinigung; Schwach- und Stark-Gläubige, namentlich unter den Lutheranern, sieht er gleich gefährdet, wenn man eine verschiedene Deutung des heiligen Abendmahles von gemeinschaftlich Teilnehmenden zulasse. Aber wie ist er auch so ganz und ausschließend durchdrungen von der bloßen Tiefe des Zwiespalts in dem Glauben beider evangelischen Kirchen; er entkleidet gleichsam diese Menschen augenblicklich von allem Höheren, Erhabenen, sie in ihren höchsten und edelsten Beziehungen Einigenden, um sie bloß beide an dem einen Gefühl der sie trennenden Stelle wund und leiden zu sehen. Doch schon die letzten desfallsigen dogmatischen Erörterungen werden auch das Gute haben, daß Ansichten wie die uns entgegenstehende vom bloßen Brod des reformirten kirchlichen Glaubens hinführo selbst unter Layen weniger isolirt oder unbedingt werden auftreten mögen. Sonst aber - das gestehn wir - erwarten wir aus gut protestantischen Gründen, in und für die Hauptsache wenig Wirkung davon, wenn man jetzt aus unserem Kalvin eine mehr lutherische Ueberzeugung der Reformirten über den einen scheidenden Punct und für den anderen eine solche aus Zwingli zu erweisen sich bestrebt; so sehr wir im Ganzen uns der Anregung dieser Erörterungen und so des allgemeineren Bewußtwerdens der Zwischenstufen und menschlichen Uebergänge beider Bekenntnisse auch erfreuen, so mehr sind wir gegen den geforderten Versuch einer der Kirchengemeinschaft vorhergehen und zu Grund liegen sollenden Vereinigung der Schulen über das Dogma, eben weil wir auch nicht dafür halten, daß dergestalt eine der beiden Auslegungsweisen die andere würde in sich aufnehmen und so gleichsam aus der Welt verschwinden lassen können. „Gottes Werkzeug ist die Zeit; unsere Vorschrift aber ist das neue Gebot, das Gebot der Liebe.“