Literaturbriefe an eine Dame/XXVIII

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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Literaturbriefe an eine Dame/XXVIII
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 846–847
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.
XXVIII.

Ich habe Ihnen, verehrte Freundin, in meinem letzten Briefe drei deutsche Romandichter vorgeführt, deren Physiognomien so verschiedenartig sind, wie dies mir bei Schriftstellern derselben Zeit und derselben Nation der Fall sein kann; ich will Sie heute auf drei lyrische oder lyrisch-epische Dichter aufmerksam machen, die ebenfalls keinerlei Familienähnlichkeit haben.

Es ist ja Weihnachtszeit, und wenn im deutschen Dichterwald soviel durch einander gezwitschert, gewirbelt und geschmettert wird, daß man es ganz verlernt hat, sich um den einzelnen Sänger zu kümmern so giebt es doch noch einen Baum, den die Weihe des deutschen Gemüthes geheiligt hat, sodaß man auf seine Sänger hört: es ist der Christbaum, und wenn ein solcher Sänger noch ein schmuckes, buntes Gefieder hat, so darf er in diesem bevorzugten Wunderbaume sein Nest bauen. Für das schmucke, bunte Gefieder der deutschen Lyriker sorgt aber der Buchhandel und die Buchbinderei mit den elegantesten farbigen, goldschimmernden Einbänden, und das leuchtet und funkelt, als wären es Kolibris und Paradiesvögel – und es sind doch nur unsere schlichten heimathlichen Sänger in dem Prunkgewande, wie es der kerzenhelle Christabend verlangt. Ihnen verehrte Freundin würden sie auch willkommen sein in ihren Alltagsumschlägen, wenn’s nur drinnen leuchtet und glänzt wie Zauberschimmer echter Poesie.

Da tritt zunächst vor Sie hin ein fahrender Gesell mit leichtgeschürzten Liedern; sein Name ist Rudolf Baumbach, und dieser Name hat in kurzer Zeit einen guten Klang gewonnen. Die Lieder sind klein, zart, niedlich; sie haben nicht nur artige Geberden und ein feines Mienenspiel, sie sind auch so zierlich gebaut und gegliedert, daß das Auge mit Wohlgefallen auf ihnen ruht. Da stört nirgends ein „zuviel“ das rechte Ebenmaß, keins dieser Lieder wächst unschön in die Länge; keins zeigt eine zu üppige Fülle; alle Bewegungen sind anmuthig und graziös, und was uns an ihnen erfreut, ist ihr niedliches Nippen vom Quell der Dichtung. Es ist Miniaturpoesie von der liebenswürdigsten Art. Ihr Grundzug ist ein schäkernder Volkston, aber oft weht ein Hauch sinniger Poesie darüber hin.

Rudolf Baumbach hat auch eine epische Dichtung verfaßt, eine Alpensage: „Zlatorog“, die jetzt in dritter Auflage vorliegt. Der Titel wird Sie fremdartig gemahnen, verehrte Freundin. Zlatorog ist ein wunderbarer Gemsbock mit goldenem Gehörn, der im besonderen Schutz der weißen Frauen steht, aber leider ist Zlatorog ein slovenischer Bock, und es will uns nicht gefallen daß diese Alpensage in ein slavisches Gewand gehüllt ist. Die Namen klingen doch gar zu barbarisch: die schönen weißgekleideten Frauen, die Schicksalsgöttinnen der Slovenen heißen Rojenice; es ist dies kein Wort, unter dem wir uns etwas Schönes und Verlockendes denken können; ein kleiner rauhhaariger Kobold heißt der Skoot, und so rauhhaarig gemahnen uns alle diese slovenischen Alpengötter und Alpengöttinnen, den goldhörnigen Bock mit eingeschlossen, welcher den Zaubergarten dieser Dichtung „auf dem Titelblatt“ bewacht.

Doch dies uns wenig sympathische Slaventhum, das dem Märchenstoffe anhaftet, ist auch das Einzige, was Sie, verehrte Freundin, an dem Gedicht aussetzen werden; desto sympathischer ist die dichterische Einkleidung, das landschaftliche Colorit: in der That, dieser Zlatorog trägt das Gold echter Poesie an seinen Hörnern. Mit diesen hat es eine eigentümliche Bewandtniß; es sind Zauberschlüssel, welche den großen im Bogatin tiefverborgenen [847] Schatz erschließen. Das ist keiner von den Böcken, wie sie die Börsenspeculanten und Staatsmänner oft schießen, wenn sie goldene Schätze heben wollen; das ist ein solider, zuverlässiger Bock, und seine goldenen Hörner würden alle Reformen der Wirthschaftspolitik überflüssig machen. Der Bock allein würde indeß mit seinem Rudel Gemsen nicht der Held einer Dichtung sein können. Dazu bedarf es eines Jägers, und ohne Liebeshandel geht es auch in den Julischen Alpen nicht ab. Der schmucke Jäger liebt die „holde blonde Jerica“, doch sie ist mit den Blumen nicht zufrieden, die der Freier von den Alpen aus dem Zaubergarten der weißen Frauen mitten im Winter bringt; sie meint, er könne ihr, da er in jenem Reiche so gute Connexionen habe, auch Gold und Schätze von dorther bringen. Dazu genüge ja schon ein Splitter vom Goldgehörne des Wunderbockes, der wie eine Wünschelruthe die Pforte erschließt, die zu den verborgenen Schätzen führt. Unzufrieden mit ihrem Liebsten, läßt sich die schöne Jerica von reichen Venetianern, welche durch jene Gegend kamen, den Hof und auch Geschenke machen. Da beschließt der Jäger, den goldenen Schatz zu erringen, ihn vor sie hinzustreuen und dann sein Roß weiter zu lenken. Er steigt die Alpen hinauf, schießt auf den Zauberbock und trifft ihn, doch aus den rothen Blutstropfen des schwergetroffenen Thieres erwachsen purpurfarbene Blumen, die rothen Triglavrosen; aber wenn der Gemsbock an ihnen äßt, dann heilen seine Wunden. Bis zu schwindelnder Höhe folgt ihm der Jäger: da tritt ihm aus steilem Pfade der genesene Zlatorog entgegen.

Blitze zucken um den gold’nen Hauptschmuck
Und geblendet steht der Trentajäger.
Kreisend drehen sich um ihn die Felsen,
Kreisend alle schneegekrönten Gipfel.
„Jerica!“ ertönt’s von seinem Munde;
„Jerica!“ erschallt es tausendstimmig
Aus den Felsen – und dann wird es stille.
Stolz und langsam zieht der goldgekrönte
Zlatorog bergab. Der Weg ist frei.

Da ziehen die weißen Frauen von dannen; die grünen Almen des Triglav aber waren plötzlich in ein Meer voll Felsentrümmern verwandelt.

In wechselnden Versmaßen, welche hin und wieder ein kurzathmiges Lied hinhauchen, wird diese Alpensage von dem Dichter erzählt, schlicht und anspruchslos; nirgends Pomp und Glanz, nirgends Ueberladung der Diction, aber das bezeichnende Wort sieht immer an der rechten Stelle, und so ist das Colorit lebendig, ohne gerade farbenreich zu sein.

Einfach in Ton und Haltung, wie Rudolf Baumbach, ist auch Martin Greif, dessen „Gedichte“ vor Kurzem in zweiter, stark vermehrter Auflage erschienen sind, doch die Einfachheit Greif's ist eine andere; sie ist nicht so volkstümlich naiv; sie hat den vornehmeren Gestus der Goethe’schen Muse. Goethe ist das unverkennbare Vorbild des Dichters, sowohl im sangbaren Liede, wie im reimlosen Hymnus; dort sucht er besonders durch stimmungsvolle Beiwörter jenen eigenartigen Duft hervorzuzaubern, der über den Liederklängen des großen Meisters schwebt; hier weiß er die Verstoga in dieselben antik-würdevollen Falten zu schlagen, wie Goethe in seinen Hymnen. Und so feiert er auch den großen Dichter in einer Tonart, welche an die Sangesweise desselben anklingt.

„Schreitet dem sterblichen
Menschengeschlecht
Einmal ein Seher
Deutend voran,
Nimmer vergessen
Werden die Züge,
Denen die Gottheit
Sprache verlieh’n.
Spät noch die Enkel
Sehen ihn wallen
Mit der erhob’nen
Lyra im Arm.
Ewige Jugend
Rollt ihm die Locken;
Ewiges Feuer
Nährt ihm den Blick.
Seine Gesänge
Rauschen hernieder,
Frei wie die Ströme
Nieder in’s Land.“

Eine Gefahr liegt indeß der goethisirenden Dichtweise nahe. verfehlt sie im einfachen Liede den rechten Ton, so fällt sie unfehlbar in’s Triviale. Es ist nicht leicht, den Morgen und Abend und die vier Jahreszeiten, Veilchen und Rosen, Meerfahrten und Bergtouren, Sonnenauf- und Untergänge, den Mond und die Sterne in schlichten Versen zu besingen, ohne in die ausgetretenen Gleise des alltäglichen Singsangs zu geraten.

Und auch Martin Greif hat das nicht immer vermieden; es finden sich unter den Liedern und Naturbildern einzelne nichtssagende Gedichte oder wenigstes in einzelnen Gedichten nichtssagende Wendungen. Dies gilt sowohl voll den Liedern wie auch von den „Naturbildern“, obschon sich unter den letzteren einige farbenreiche Vedüten befinden; denn hier schickt der Dichter seine Muse auf die Wanderschaft, und sie greift zuweilen zur Brieftasche und Zeichenmappe des Touristen. Eine einfache Liederblüthe muß würzigen Duft haben: die bloße schlichte Färbung genügt nicht, um einen dichterischen Eindruck hervorzurufen. Dieser würzige Duft ist indeß vielen Liedern Martin Greif’s eigen; man kann ihn nicht analysiren; man muß ihn genießen. Sie werden ihn, verehrte Freundin, gewiß in dem folgenden kleinen Gedichte nicht vermissen:

Juninächte.

„Juninächte, sternenlose,
In dem Blüthenmond der Rose!
Da das bange Herz dazu
Lieb’ durchstürmte ohne Ruh.

Blitzgezuck und Wetterleuchten!
Und die Nachtigall im feuchten,
Thaubenetzten Busche tief
Wunderbare Laute rief.

Hatten uns so viel zu sagen.
Blickten hoch die Wolken jagen,
Blickten in den Flammenschein
Wie im tiefen Traum hinein.“

unter den Balladen Greif’s findet sich viel Mittelgut: es giebt eine gewisse Balladenschablone besonders für altdeutsche und ritterthümliche Stoffe, welche auch voll unserem Dichter wie von anderen namhaften Poeten der Jetztzeit in ausgiebiger Weise benutzt wird. Die Ballade füllte den Minnegesang und den ganzen Ritterplunder einmal bei Seite lassen und moderne Stoffe wählen. Wo Greif dies gethan, da ist ihm auch mancher Wurf gelungen.

Lesen Sie, verehrte Freundin, „Des Zöllners Tochter“! Die geisterhafte Schlittenfahrt im Schneegestöber ist reizend geschildert; die Winterlandschaft bildet die passende Umrahmung, und man sieht gleichsam des Zöllners Töchterlein altern im eisigen Schnee, der ihr in den Locken haften bleibt, im flockigen Puder, in den Spitzen von Brabant, mit denen das Schneegestöber galant Schönliebchen umwebt; man wundert sich nicht, wenn dasselbe als Altmütterlein auf dem Kirchhofe ankommt.

Der dritte Dichter, der sich zum Christfest meldet, ist Hermann Oelschläger, der erst vor Kurzem durch eine sehr gewandte Uebersetzung der Liebesgesänge des Ovid sein schönes Formtalent bewährt hat. Eigenartig ist die Gabe, die er jetzt bietet: „Novellen in Octaven“. Früher, verehrte Freundin, galten die Octaven für sehr stolze Strophen, mit ihrem Stimmvollklang geeignet für das romantische Epos, wenn es à la Tasso mit vollen Segeln in See stach; jetzt aber benutzt man die volltönende Strophe gern zu plauderhaften, humoristischen Gedichten, die den oft wenig bedeutsamen Kern einer Erzählung mit allerlei ernsten und scherzhaften Reflexionen überspinnen.

Noch auf eine kleine frische Dichtung möchte ich Sie hinweisen, liebe Freundin! Es ist dies „Aennchen voll Thurau“, ein Lied aus alter Zeit von Franz Hirsch, dem Dichter der Vagantenlieber. Das ostpreußische Mädchen, welchem Simon Dach sein bekanntes Gedicht gewidmet hat, ist die Heldin dieser poetischen Erzählung, die in anmuthigem Fluß der Darstellung kecken Studentenhumor und herzige Liebespoesie verbindet und sich durch ein sehr treues Königsberger Localcolorit auszeichnet, das jeden Freund der Pregelstadt besonders anmuten muß. Die Erzählung selbst wird durch manches treffliche eingelegte Lied unterbrochen.