MKL1888:Velocipēd

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Velocipēd“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 7071
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Velocipēd. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 70–71. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Velocip%C4%93d (Version vom 27.12.2022)

[70] Velocipēd (Fahrrad; hierzu Tafel „Velocipede“), ein meist zweiräderiges Fahrzeug, bei welchem das Gleichgewicht durch die Schwungkraft der Räder und die persönliche Geschicklichkeit des Radfahrers erhalten wird. Das Fahrrad beruht auf der alten Draisine (s. d.); doch kam es erst in Aufnahme, als der Franzose Michaux das Fortbewegungsprinzip der Draisine aufgab und das eine Rad mit Kurbeln und Pedal versah, so daß die Fortbewegung nicht mehr dadurch erfolgt, daß der Radfahrer sich mit den Füßen gegen den Erdboden stemmt. Doch verdankt das Fahrrad seinen ungeheuern Aufschwung vornehmlich den Engländern, welche das Holz durch Stahl ersetzten, den Trittmechanismus ungemein verbesserten und es schließlich dahin brachten, daß ein Zweirad nur noch 10–15 kg wiegt. Für Sportzwecke hauptsächlich in Betracht kommt das Zweirad (engl. bicycle). Dasselbe besteht (Fig. 1) aus einem 130 bis 160 cm großen Triebrad, welches der oben auf dem kleinen Sattel reitende Radfahrer durch Treten der Kurbel in eine rasche Drehung versetzt, und aus einem hinten befindlichen kleinen Lenkrad, welches durch die vor dem Sattel sichtbare Lenkstange nach rechts oder links gedreht wird, wodurch das Fahrzeug die Richtung verändert. Die Hauptschwierigkeit beim Zweiradfahren liegt nicht in der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Fahrzeugs, solange wenigstens dieses eine gewisse Geschwindigkeit besitzt; die Neigung, seitwärts umzufallen, beginnt nämlich erst, wenn der Radfahrer seine Fahrt verlangsamen muß, weshalb derselbe genötigt ist, abzusitzen, sobald ihm ein Hindernis in den Weg tritt. Die Hauptschwierigkeit liegt vielmehr in dem Vermeiden des Kopfsturzes, welcher leicht eintritt, wenn das Vorderrad über ein selbst kleines Hindernis (Stein) nach vorn überschlägt. Diesen Übelstand hat man durch die Erfindung des Sicherheitszweirades sowie der Bicyclette zu beseitigen gesucht. Beim erstern sitzt der Fahrer (Fig. 2 u. 3) nicht mehr auf der Höhe des Rades, sondern weiter hinten, weshalb auch die Gabel rückwärts geneigt ist. Es leuchtet ein, daß dadurch die Gefahr des Kopfsturzes verringert ist. Das Rad läßt sich aber bei dieser Einrichtung nicht direkt, sondern erst durch Vermittelung eines Hebels treiben; auch ist das Rad in der Regel weniger hoch. Noch größere Sicherheit gewährt die Bicyclette (Fig. 4), bei welcher die Räder fast gleich groß sind. Das hintere ist Triebrad und wird mittels Kette und Zahnräder gedreht, während das vordere zum Steuern dient. In diese Kategorie gehört das von der österreichischen und schweizerischen Militärverwaltung eingeführte Fahrrad (Fig. 5); dies trägt das Gewehr längs des Gestells in zwei Haken liegend und durch einen federnden Bügel gehalten, so daß es schnell abgenommen und wieder an Ort und Stelle gelegt werden kann. Der Tornister ist an der Vordergabel der Lenkstange und die Patrontasche hinter demselben, gleichfalls an der Lenkstange, angebracht. Eine mit letzterer durch Scharnier und Feder verbundene Gabel an der einen Seite der Maschine gestattet im ausgespreizten Zustand, diese an irgend einem Ort festzustellen. Das Zweirad diente wegen der schwierigen Erlernung, der Unmöglichkeit, Gepäck mitzuführen, und der damit verbundenen Gefahr bisher wesentlich nur Sportzwecken. Das Dreirad (engl. tricycle) dagegen ist ein Gefährt, welches sich als gewöhnliches Beförderungsmittel

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Velocipede (Fahrräder).
[oben:] Fig. 4. Bicyclette. Fig. 5. Militär- und Jagdsicherheitsfahrrad. Fig. 3. Sicherheitszweirad.
[unten:] Fig. 1. Zweirad. Fig. 6. Cripper. Fig. 2. Sicherheitszweirad.

[71] immer mehr einbürgert. In größern Städten dient es vielfach zum Transport von Gütern; auch hat man beim Heer (Vorpostendienst) und bei der Post (Beförderung von Landbriefträgern) vielfach damit Versuche veranstaltet. Seit 1887 benutzt man das V. in preußischen Festungen mit weit abliegenden Außenforts zum Ordonnanzen- und Depeschendienst. Die Nachteile des Dreirades bestehen in seiner Schwere (30–35 kg) dem Zweirad gegenüber sowie in dem Umstand, daß die Reibung viel größer ist, weil die Räder drei Spuren hinterlassen. Das beste Dreirad ist wohl der sogen. Cripper (Fig. 6). Die beiden hintern Triebräder haben einen Durchmesser von 60–70 cm, das kleinere Vorderrad dient als Steuer und wird durch eine Lenkstange gedreht, welche mit dessen Achse verbunden ist. Das Drehen der Triebräder geschieht mittels Pedale und einer Gliederkette. Das Dreirad wird jetzt vielfach mit einer selbstthätigen Geradesteuerung versehen, welche es bewirkt, daß die Maschine so lange von selbst gerade läuft, bis der Fahrer ihr eine andre Richtung gibt. Abarten des Dreirades bilden die Tandems und Sociables. Es sind dies Dreiräder für zwei Personen; diese sitzen bei den Tandems hintereinander, was wegen der Verringerung des Luftwiderstandes von Vorteil ist, bei den Sociables aber nebeneinander. Man hat vielfach versucht, Dreiräder durch Wasser- oder Petroleumdampf, Elektrizität aus Akkumulatoren, ja durch Segel zu treiben. Von diesen Mitteln hat wohl nur das zweite einige Aussichten, sobald wir erst überall Stationen zum Neuladen der Akkumulatoren besitzen. Auch Wasservelocipede hat man gebaut, bei welchen die Triebräder mit Schaufeln versehen sind; doch haben auch diese Fahrzeuge keine Verbreitung gefunden. Was endlich die Geschwindigkeit anbelangt, welche sich mit Zwei-, bez. Dreirädern erreichen läßt, so muß man zunächst zwischen den Fahrten auf einer ganz glatten, asphaltierten Rennbahn und den Fahrten auf gewöhnlicher gepflasterter oder beschotteter Straße unterscheiden. Bei einem der letzten Kämpfe um die Meisterschaft Deutschlands wurde das Kilometer auf dem Zweirad durchschnittlich in 117 Sekunden, auf dem Dreirad aber in 122 Sekunden zurückgelegt. Die Geschwindigkeit entspricht also etwa derjenigen eines Berliner Stadtbahnzugs oder eines größern Dampfers. Bei Fahrten mit dem Zweirad auf guter Landstraße darf man 18 km in der Stunde als eine gute Durchschnittsleistung, 24 km aber als das Maximum ansehen. Allerdings haben es einige auf 30, ja 35 km gebracht, doch nur auf kurze Zeit. Als höchste Leistung auf dem Dreirad dürfen 22 km, als Durchschnittsleistung aber 15–16 km angenommen werden. Vgl. Steinmann, Das V. (Leipz. 1870); Nötling, Draisine, V. und deren Erfinder (2. Aufl., Mannh. 1884); Ekarius, Das Dreirad (Hamb. 1887); Silberer u. Ernst, Handbuch des Bicyclesports (Wien 1883); Wolf, Fahrrad und Radfahrer (Leipz. 1889); Zeitschrift: „Das Stahlrad“ (Frankf. a. M., seit 1886).


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 956
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[956] Velociped, s. Fahrrad.