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MKL1888:Chemnitz

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Chemnitz“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 3 (1886), Seite 989990
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Wiktionary: Chemnitz
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Chemnitz. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 989–990. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Chemnitz (Version vom 07.07.2025)

[989] Chemnitz (spr. kém-, hierzu der Stadtplan), Stadt in der sächs. Kreishauptmannschaft Zwickau, nach Umfang der Industrie die erste Stadt des Königreichs und eine der bedeutendsten industriellen Städte Deutschlands

Wappen von Chemnitz.

überhaupt, liegt (am Bahnhof) 307 m hoch am Fuß des Erzgebirges im Kesselthal des Flusses C., der sich bei Altchemnitz aus der Zwönitz und Würschnitz bildet und nach 82 km langem Lauf zwischen Wechselburg und Lunzenau in die Zwickauer Mulde mündet, sowie an den Linien Dresden-C.-Reichenbach, Riesa-C., Leipzig-C. und C.-Aue-Adorf der Sächsischen Staatsbahn. Die engen Gassen der ringförmigen innern Stadt weichen schnell modernen Straßen, und sie zählt mit den großartig angelegten Vorstädten und Erweiterungen 3329 bewohnte Gebäude; am Hauptmarkt steht das altertümliche Rathaus, auf dem Neumarkt ein schöner Springbrunnen. C. hat 6 evang. Kirchen, darunter die gotische Jakobikirche mit schönem Portal und die Johanniskirche, sodann eine katholische und eine der separierten Lutheraner sowie (1880) 95,123 Einw., darunter 2504 Katholiken, 516 Deutschkatholiken und 294 Juden. Die Industrie von C. ist großartig und hat der Stadt den Namen „sächsisches Manchester“ gegeben. Am ausgedehntesten ist die Fabrikation der Maschinen, Werkzeuge und Instrumente mit 1883: 125 Gewerbebetrieben und 10,050 Arbeitern, dann die Spinnerei, Weberei und Wirkwarenfabrikation mit 135 Gewerbebetrieben und 10,824 Arbeitern. Von den größern Fabrikanlagen hat die Aktienspinnerei 970 Arbeiter und 36,200 Spindeln, die Sächsische Maschinenfabrik (vormals Hartmannsche) 2930, die Webstuhlfabrik 860 und die Werkzeugmaschinenfabrik 610 Arbeiter. Die Fabriken von C. liefern Lokomotiven, Werkzeugmaschinen, mechanische Webstühle, Spinnerei- und Stickmaschinen (vorzüglich für Plauen), Näh-, Strick-, Wasch-, Garntrockenmaschinen, Brauereimaschinen, Strumpfstühle, Pumpwerke und Feuerspritzen; die Webereien fertigen Möbel- und Kleiderstoffe, Tischdecken, Tücher und Baumwollsamt, Strumpfwaren, Trikotagen, halbseidene Zeuge und Bänder; daneben fabriziert man Leder und Maschinenriemen, Steingut und Zementwaren, Chemikalien, Kopierpressen, Tafel- und Brückenwage, Geldschränke, Metalldrahtgewebe, Wachstuch, Tapeten etc.; ferner gibt es Färbereien und Appreturanstalten, große Bleichen, Bierbrauereien, Ziegelbrennereien, eine Wasser- und Gasleitung, einen Schlacht- und Viehhof. Der lebhafte Handel mit den Industrieerzeugnissen (1883 gingen für 361/2 Mill. Mk. Waren aus C. und dem amerikanischen Konsularbezirk nach Nordamerika) und Landesprodukten wird durch ein großes Eisenbahnsystem unterstützt, welches außer den genannten Linien (8 km östlich bei Niederwiesa) noch die Linien C.-Roßwein und zwei Linien C.-Komotau (eine über Reitzenhain, eine über Annaberg) enthält, durch eine Reichsbankstelle, eine Filiale der Sächsischen Bank in Dresden, die Chemnitzer Stadtbank, den Chemnitzer Bankverein und eine Börse. An Bildungsanstalten besitzt C. ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Handelslehranstalt, eine höhere Gewerbe-, eine Baugewerk-, eine Werkmeister-, eine Gewerbzeichen-, eine höhere Web-, eine landwirtschaftliche, eine Fachbau- und eine Wirkschule, ferner ein Stadttheater, eine Kunsthütte mit dauernder Ausstellung von Kunstwerken, ein Museum für Chemnitzer Geschichte und eine wertvolle naturwissenschaftliche Sammlung. Zu den Wohlthätigkeitsanstalten gehören ein Waisenhaus, ein Haus für Obdachlose, das Hospital zu St. Georg, ein Krankenhaus, eine Speiseanstalt, das Johanneum etc. C. ist Sitz einer Amtshauptmannschaft, eines Landgerichts (für die 16 Amtsgerichte zu Annaberg, Augustusburg, Burgstädt, C., Ehrenfriedersdorf, Frankenberg, Limbach, Mittweida, Oberwiesenthal, Penig, Rochlitz, Scheibenberg, Stollberg, Waldheim, Wolkenstein und Zschopau) nebst Kammer für Handelssachen, eines Schwur- und Amtsgerichts, einer Handels- und Gewerbekammer und eines Hauptsteueramts sowie eines Konsuls der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Der Magistrat besteht aus 6 besoldeten und 16 unbesoldeten, die Stadtverordnetenversammlung aus 48 Mitgliedern. Die Garnison bildet das Infanterieregiment Nr. 104. Mit der Stadt ist jetzt das ehemalige Dorf Schloß-C. verbunden, von dessen einstigem, von Kaiser Lothar zwischen 1125 und 1136 gegründetem, 1548 aufgehobenem Benediktinerkloster die Klosterkirche mit reichverziertem Portal, einer sagenreichen vermauerten Kanzel und einem Holzschnitzwerk, die Geißelung Christi darstellend, vorhanden ist. In der nächsten Nähe von C. liegen große Fabrikdörfer: Gablenz, Alt-C., Harthau, Kappel und Schönau.

C. ging hervor aus einer ursprünglich wendischen Niederlassung. Otto I. erbaute 938 die erste christliche Kirche daselbst, Lothar begründete die eigentlich städtische Verfassung, und 1125 wurde C. zur Reichsstadt erhoben. Nachdem die Stadt im 13. Jahrh. wiederholt den meißnischen Markgrafen verpfändet gewesen war, wählte sie 1308 den Markgrafen Friedrich den Freidigen zu ihrem Schutzvogt und wurde von Johann von Böhmen als Reichsvikar 1311 und von Kaiser Ludwig 1329 definitiv an Meißen als Pfand überlassen. Schon seit alter Zeit war die Leinweberei in C. zu Hause, wozu später die Bleicherei, Färberei und Tuchfabrikation kamen. Obwohl durch die Hussitenkriege arg mitgenommen, erhob sich C. bald wieder, und auch als Wilhelm III. im Bruderkrieg die Stadt (1449) niedergebrannt hatte, erstand sie schnell wieder. Bei der Teilung Sachsens (26. Aug. 1485) fiel C. der Ernestinischen Linie zu und nahm 1539 die Reformation an. Im Schmalkaldischen Krieg kam es an Herzog Moritz, wurde ihm aber bald vom Kurfürsten Johann Friedrich wieder entrissen. Der Dreißigjährige Krieg vernichtete die Blüte der Stadt völlig. Nachdem sie 1617 abgebrannt und 1632 von den Schweden teilweise in Asche gelegt war, lag sie öde und menschenleer. Hier besiegte Banér 14. April 1639 das sächsische Heer. Erst im Anfang des 18. Jahrh. regte sich daselbst wieder neues Leben. Bald standen Strumpfwirkerei, Zeug- und Leinweberei, besonders auch Baumwollweberei etc. und Bleicherei wieder in schwunghaftem Betrieb; 1730 zählte C. wieder 330 Webermeister mit 400 Gesellen, als der Krieg Augusts I. mit Schweden und dann der Siebenjährige Krieg neues Unheil brachten. In den folgenden Kriegsjahren entwickelten sich neue Industriezweige: die erste Zeugdruckerei ward 1770 begründet, die englische Handspinnerei 1790, die Baumwollspinnmaschine 1799, die Maschinenfabrikation 1826 eingeführt. Vgl. Kretschmar, C. wie es war

[Beilage]

[Ξ]

CHEMNITZ.
Maßstab = 1 : 20 000
Adorfer Straße BC6
Aktien-Straße, Obere D3
Aktien-Straße, Untere C2,3
Albert-Straße D3
Alt-Chemnitzer Fußweg AB6
Altendorfer Straße A2
Amalien-Straße E4
Annen-Straße C4,5
Bach-Gasse C4
Bahn-Straße D2,3,E1
Berg-Straße AB3
Bernsbach-Straße C5
Bernsdorfer Weg DE6
Bismarck-Straße CD2,3
Blankenauer Straße CD1,2
Börnichs-Gasse B4
Brücken-Straße, Obere C4
Brücken-Straße, Untere C3
Brauhaus-Straße C4,5
Brüder-Straße, Große B4
Brüder-Straße, Kleine B4
Damm-Straße D4
Dresdener Straße, Alte CD4
Dresdener Straße (Äußere) D3
Dresdener Straße, Neue CD4
Eck-Straße C2
Elisen-Straße CD2
Emilien-Straße D1
Fabrik-Straße B3,4
Ferdinand-Straße D2
Fischweg C2
Forst-Straße E2
Frankenberger Straße E2
Frauen-Straße C3
Friedrich-Straße C3
Fürsten-Straße D3
Gablenzbach-Straße E4
Garten-Straße C3
Gellert-Straße E2
Gerichts-Straße B4
Goethe-Straße A5
Hain-Straße, Obere D3,4
Hain-Straße, Untere D4
Hartmann-Straße AB3
Haubold-Straße C2
Haupt-Straße E4
Hedwig-Straße B3,4
Heinrich-Straße E5
Hermann-Straße C2
Hohe-Straße B3,4
Hospital-Gasse C4
Insel-Straße B2
Jakobi-Kirche C4
Jakob-Straße DE4
Johannes-Straße, Äußere C4
Johannes-Straße, Innere C4
Johannis-Straße B6
Justiz Gebäude B4
Kaiser-Straße A5
Karl-Straße C3
Karolinen-Straße CD3
Kaßberg A4
Kaßberg-Straße B3,4
Kasernen-Straße C5
Katharinen-Straße AB5,6
Kirch-Gasse B4
Klara-Straße E1
Klaus-Straße E5
Klosterquer-Gasse C4
Kloster-Straße, Äußere BC3
Kloster-Straße, Innere BC4
Lange Straße BC4
Leipziger Straße A2,3
Lerchen-Straße D2
Lessing-Platz E3
Lessing-Straße DE3
Limbacher Straße A3
Linden-Straße C3,4
Linien-Straße C3
Logen-Straße C5
Luisen-Straße A2
Markt-Gasse BC4
Martin-Straße D4
Matthes-Straße A3
Mauer-Straße D3
Mittel-Straße B2,3
Moltke-Straße D2
Moritz-Straße C4
Mühlen-Gasse B5
Mühlen-Straße C3
Müller-Straße C2
Neefe-Straße AB5
Neugasse C3
Neu-Markt C4
Neustädter Markt C3
Nikolai-Graben B4
Ost-Straße D4
Otto-Straße E5
Paul-Arnold-Straße D3,4
Pauli-Kirche B4
Philipp-Straße E2,3
Post C4
Post-Straße BC4
Rathaus C4
Reitbahn-Straße C4,5
Riesner-Straße A2
Ritter-Straße CD5
Rochlitzer Str., Äußere C2
Rochlitzer Str., Innere C3
Rosen-Platz D6
Rosen-Straße D6
Roß-Markt B4
Rudolf-Straße D4,5
Salz-Straße AB2
Sand-Straße A2,3
Schiller-Straße D2,3
Schloß-Straße BC3
Schul-Gasse C4
Sedan-Straße BC6
Sonnen-Straße DE4
Spitz-Gasse C4
Stift-Straße DE4
Stolberger Straße AB5
Theater-Straße B4
Theater B4
Treffurth-Straße B6
Ufer-Straße D4
Vieh- und Schlachthof E2
Viktoria-Straße C5
Waisen-Straße CD3,4
Weber-Gasse C4
West-Straße AB4
Wettiner-Straße D2
Wiesen-Straße C4,5
Wilhelm-Straße D1,2
Ziegelsteig C4
Zimmer-Straße C3
Zöllner-Straße CD2
Zschopauer-Straße C4–E6
Zucker-Gasse C4
Zwickauer-Straße AB5

[990] und ist (Chemn. 1823); K. Limmer, Geschichte des gesamten Pleißnerlandes (Gera 1830–31, 2 Bde.); „Urkundenbuch der Stadt C.“ (hrsg. von Ermisch, Leipz. 1879); die „Mitteilungen des Vereins für Chemnitzer Geschichte“ (seit 1876).

Chemnitz, 1) Martin, der bedeutendste luther. Theolog aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., geb. 1522 zu Treuenbrietzen in der Mittelmark, mußte das Studium der Mathematik und Astrologie dreimal durch Annahme einer Schulstelle unterbrechen, um die Mittel zur Fortsetzung desselben zu gewinnen. Als er Königsberg, wo er seit 1549 sich der Theologie zugewandt hatte, infolge seiner Parteinahme gegen Osiander verlassen mußte, siedelte er 1553 nach Wittenberg über und wurde 1554 Pfarrer und 1567 Superintendent in Braunschweig. Sein theologischer Ruhm gründet sich auf sein Hauptwerk: „Examen concilii Tridentini“ (1565–73, 4 Bde.; neu hrsg. von E. Preuß, Berl. 1862). Einflußreich war seine Thätigkeit bei der Feststellung des lutherischen Lehrbegriffs. In Königsberg verfaßte er mit Mörlin 1567 das „Corpus doctrinae Pruthenicum“, in Wittenberg seine „Loci theologici“ (hrsg. von Leyser, 1591), in Braunschweig 1569 das „Corpus doctrinae Julium“ und beteiligte sich an der Abfassung der Konkordienformel. Er starb 8. April 1586. Vgl. Lentz, Dr. Martin C. (Gotha 1866); Hachfeld, Martin C. nach seinem Leben und Wirken, insbesondere nach seinem Verhältnis zum Tridentinum (Leipz. 1867).

2) Philipp Bogislaw von, Geschichtschreiber, Enkel des vorigen, geb. 9. Mai 1605 zu Stettin, trat 1627, nachdem er in Rostock und Jena die Rechte studiert hatte, in holländische, dann in schwedische Kriegsdienste, ward von der Königin Christine 1644 zum Rat und deutschen Reichshistoriographen ernannt, 1648 geadelt, 1675 Hofrat und starb im Februar 1678 auf seinem Gut Hallstad in Schweden. Er schrieb unter dem Pseudonym Hippolytus a Lapide: „Dissertatio de ratione status in imperio nostro romano-germanico“ (Freist. 1640, 2. Aufl. 1647), worin er unter leidenschaftlichen Angriffen auf das Haus Habsburg die zu weit ausgedehnten kaiserlichen Gerechtsame in ihre Schranken zurückwies und einer freiern Behandlung des Staatsrechts Bahn brach. Sein Geschichtswerk „Der königlich schwedische in Deutschland geführte Krieg“ (neu hrsg. Stockh. 1855–59, 6 Bde.) ist wegen der ausführlichen Darstellung der Kriegsgeschichte und des zahlreichen wertvollen Urkundenmaterials eine wichtige Quelle zur Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs; es reicht bis 1636, wozu eine Darstellung der Feldzüge Torstenssons 1641–46 kommt. C. selbst hat nur den ersten und zweiten Teil, 1630–36, herausgegeben (Stettin 1648 u. Stockh. 1653).

3) Matthäus Friedrich, der Dichter des Liedes „Schleswig-Holstein meerumschlungen“, geb. 10. Juni 1815 zu Barmstedt, studierte die Rechte, ließ sich als Advokat in Schleswig nieder, führte später eine Zeitlang die Redaktion der „Hamburger Nachrichten“ und starb 14. April 1870 in Altona. Das oben genannte, in den Jahren 1848–49 und wieder 1863–64 in ganz Deutschland gesungene Lied wurde 1844 in den „Itzehoer Nachrichten“ veröffentlicht, von dem Organisten C. G. Bellmann komponiert und auf dem Sängerfest zu Schleswig 24. Juli 1844 zum erstenmal vorgetragen.