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MKL1888:Poseidon

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Poseidon“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 267268
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Poseidon. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 267–268. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Poseidon (Version vom 24.08.2025)

[267] Poseidon (bei den Römern Neptunus), in der griech. Mythologie ursprünglich der Gott des Wassers im allgemeinen und der befruchtenden Feuchtigkeit insbesondere, war ein Sohn des Kronos und der Rhea und erhielt bei der Weltteilung die Herrschaft über das Meer, in dessen Tiefen er seinen Palast hatte. Hier befanden sich seine Rosse, mit denen er in seinem Wagen über die Meerflut fuhr. Auf seine Eigenschaft als Meergott weist auch hin das uralte Attribut und Symbol seiner Macht, der Dreizack, womit er Gebirge spaltet, daß die Erde erbebt (daher die Beinamen Enosigaios, Enosichthon und Seisichthon, „Erderschütterer“), und Quellen aus Felsen hervorlockt. Alle Untergötter der See sind ihm unterthan. Auch jede Art von menschlichem Verkehr auf und an der See, Schiffahrt, Hafenanlagen, See- und Inselstädte, Fischfang etc., war seinem Schutz unterstellt. Alle seefahrenden Stämme und Geschlechter griechischen Ursprungs pflegten ihren Stammbaum an P. anzuknüpfen; aber auch fremde Völker, die an der See wohnten, galten für seine Abkömmlinge. Die Phäaken waren seine besondern Lieblinge. Von ihm kommen Stürme, Wogen und Schiffbruch, aber auch günstige Winde. Daher wurde er auch als Soter, als hilfreicher Gott des Meers, verehrt, und weil man sich das Meer nicht allein als die allgemeine Umgebung der Erde, sondern auch als deren Halt und Stütze dachte, führte er den Namen Gaieochos („Erdhalter“). Auch in den Flüssen waltete er, und an den Quellen und Brunnen ward er als Nymphagetes verehrt. Endlich galt er für den Schöpfer und Bändiger des Rosses (Hippios), welches ursprünglich wohl Bild der Woge war, und wurde somit Obwalter der Wettkämpfe. Am Trojanischen Krieg nahm er zu gunsten der Hellenen den lebhaftesten Anteil. Er und Apollon hatten nämlich im Dienste des Laomedon die Mauer der Burg zu Troja gebaut. Als sie für das Weiden der königlichen Herden daselbst den vorher bedungenen Lohn nicht erhalten hatten, war von P. ein Meerungeheuer gesandt worden, welchem Laomedons Tochter Hesione (s. d.) zur Beute bestimmt ward, das aber Herakles erlegte. Seine Gemahlin war die Nereide Amphitrite, die ihm unter andern den Triton gebar. Außerdem hatte er eine zahlreiche anderweitige Nachkommenschaft. Vielfach beschäftigt sich die Poesie und Kunst mit der Sage von Poseidons Liebe zur Danaide Amymone, die der Vater aus der wasserarmen Küste von Argolis nach Quellwasser ausschickt, wobei sie ein Satyr überrascht, von dem P. sie befreit. Von der Bändigung des Rosses durch P. berichtete vorzüglich die korinthische Fabel. Nach Herodot soll der Poseidonkultus aus Libyen zu den Griechen gekommen sein; indes ist derselbe zu genau mit dem hellenischen Nationalbewußtsein verwachsen, als daß man ihn von dem Ausland ableiten dürfte. Besonders alt ist der Dienst des P. bei den äolischen und ionischen Völkerschaften. Einer der wichtigsten Mittelpunkte für den griechischen Poseidonkultus war der Isthmus bei Korinth, und die ihm geweihten isthmischen Heiligtümer und Spiele galten schon sehr früh den Hellenen als Nationalsache. Man opferte ihm schwarze und weiße Stiere, auch Eber und Widder. Auch in Ägä hatte er einen besonders berühmten Dienst. Um Attika kämpfte er mit Athene und schenkte dem Lande das Roß und eine Quelle auf der Burg. Außer dem Dreizack waren noch der Delphin und das Pferd sowie der Stier Attribute und Symbole seiner Macht. Die Römer identifizierten den italischen Gott Neptunus mit dem griechischen P. In der bildenden Kunst ist P., obgleich ursprünglich der Wassergott schlechthin, doch nur als der Meerbeherrscher dargestellt worden. Wie das Meer, ist P. leidenschaftlich erregbar, deshalb mit gefurchten Zügen, ältlicher als Zeus, doch diesem ähnlich, oft auch mit feuchtem, niederhängendem, etwas wirrem Haar, mit derberer Muskulatur aufgefaßt worden. So zeigt den Kopftypus am besten eine Büste im Museo Chiaramonti des Vatikan. Sein Wesen kommt in verschiedenen, für ihn charakteristischen [268] Motiven zum Ausdruck. Am häufigsten erscheint er unbekleidet, das rechte Bein auf einen Felsen oder ein Schiffsvorderteil aufgestützt, in der Hand seine Waffe, den Dreizack, den Blick geradeaus auf das Meer gerichtet, als der Schützer der Schiffahrt, daher auch gern in dieser Gestalt auf Vorgebirgen und im Hafen aufgestellt (vgl. die Statue des Laterans, Fig. 1), oder er wird lebhaft ausschreitend gebildet, wohl auch auf den Wellen stehend, den Dreizack schwingend als der Erderschütterer, der Felsenspalter, da das Erdbeben von ihm ausgehen sollte. Seltner ist er ruhig

Fig. 1. Poseidon (Rom, Lateran).
Fig. 2. Poseidon und Amphitrite (Relief, München).

stehend oder sitzend zu finden. Fichtenkranz und Delphin, gelegentlich auch der Thunfisch, sind neben dem Dreizack seine Attribute. Statuarisch hat ihn besonders Skopas, von allen Meerwesen umgeben, auch Praxiteles, Lysippos u. a. behandelt. Von Tritonen und Nereiden begleitet, neben seiner Gemahlin Amphitrite sitzend, zeigen ihn viele Sarkophagreliefs, am schönsten das herrliche, aus Rom stammende Relief der Münchener Glyptothek (Fig. 2). Von seinen Mythen hat die Kunst besonders das Zusammentreffen mit der schönen Amymone bevorzugt. Vgl. Gerhard, Wesen, Ursprung und Geltung des P. (Berl. 1851); Eschweiler, De nomine mythologico P. (Rost. 1869); Overbeck, Griechische Kunstmythologie, Bd. 2: Poseidon (Leipz. 1875).