MKL1888:Sonntagsruhe
[850] Sonntagsruhe. In Ungarn war die Sonntagsarbeit bis jetzt gesetzlich nur insoweit beschränkt, als dies aus religiösen Gründen als geboten erschien. Das Gesetz über die Gegenseitigkeit der christlichen Glaubensgenossenschaften untersagte jede öffentliche und nicht unvermeidliche Sonntagsarbeit, wenn durch sie die Heiligung des Sonntags gestört werde. Alle übrigen gewerblichen Arbeiten, insbesondere solche im Innern von Fabriken und Werkstätten, waren gestattet; nur durch das revidierte Gewerbegesetz von 1884 wurde der Gewerbtreibende verpflichtet, dem Gehilfen dazu Zeit zu lassen, daß er an Feiertagen seiner Religion dem Gottesdienst beiwohnen könne. Nachdem nun schon vor längerer Zeit das Abgeordnetenhaus an die Regierung die Aufforderung gerichtet hatte, mit Rücksicht darauf, daß die S. sowohl zur Aufrechterhaltung der körperlichen Kraft als zur Entwickelung des Geistes, zur Pflege der sittlich-religiösen Gefühle und zur Festigung der Bande des Familienlebens notwendig sei, dem Hause einen Gesetzentwurf über die S. vorzulegen, erfolgte 1890 eine dahingehende Vorlage, welche mit einigen Abänderungen angenommen und 14. Mai 1891 als Gesetz veröffentlicht wurde. Nach dem neuen Gesetz, welches 15. Juli 1891 in Kraft getreten ist, hat an Sonntagen sowie am Tage König Stephans des Heiligen, als einem Nationalfeiertage, die gewerbliche Arbeit zu ruhen. Der Geltungsbereich des Gesetzes erstreckt sich auf Gewerbe, Handel und Verkehr, nicht aber auch auf die Landwirtschaft. Dann bildet eine Ausnahme von der gesetzlichen Beschränkung die zur Reinhaltung und Instandhaltung der Geschäftslokalitäten und Einrichtungen erforderliche Arbeit. Die gewerbliche Arbeitsruhe beginnt spätestens Sonntag um 6 Uhr früh und dauert 24 Stunden von ihrem Beginne gerechnet, allein mindestens bis 6 Uhr des auf den Ruhetag folgenden Morgens. So kann leicht durch Nachtarbeit vom Sonnabend auf Sonntag die S. ihre Bedeutung verlieren. Der Handelsminister wurde ermächtigt, im eignen Wirkungskreise im Verordnungswege 1) jene Kategorien von Gewerben zu bestimmen, bei denen aus dem Grunde, weil eine Unterbrechung des Betriebes unthunlich ist, oder weil der ununterbrochene Betrieb im Hinblick auf die Bedürfnisse des konsumierenden Publikums oder des öffentlichen Verkehrs, im Hinblick auf strategische oder sonstige öffentliche Interessen, insbesondere aus gewerblichen Rücksichten unbedingt erforderlich ist, die gewerbliche Arbeit auch an den im § 1 des Gesetzes bezeichneten Ruhetagen zu verrichten [851] gestattet sein wird; 2) jene Modalitäten festzustellen, unter welchen Kleingewerbtreibende, die allein, ohne Inanspruchnahme von Gehilfen und Lehrlingen, in ihrer Wohnung arbeiten, von der Arbeitsruhe befreit werden können. Durch Verordnung vom 1. Juli 1891 wurde diese Befreiung allen selbständigen Kleingewerbtreibenden zugestanden; dann wurde die Sonntagsarbeit in 53 großen Gruppen von Gewerbebetrieben aus den im Gesetz genannten Gründen zugelassen.
Nach dem Gesetz sollen in diesen Gewerben die Gewerbtreibenden für eine derartige Ablösung der beschäftigten Arbeiter sorgen, daß die Arbeiter mindestens in jedem Monat einen ganzen, oder alle zwei Wochen einen halben Sonntag Arbeitsruhe genießen. Es ist nicht anzunehmen, daß mit dieser Bestimmung den Wünschen derjenigen genügt werde, welche den Erlaß eines Gesetzes über die S. erstrebt haben. Denn das Gesetz gilt überhaupt nur für einen Bruchteil der ungarischen Arbeiter, und von diesem ist bereits der größte Teil durch die neue Verordnung wieder ausgenommen worden. Weiter bestimmt das neue Gesetz, daß in betreff der Bergwerks- und Hüttenbetriebe, der staatlichen Münze sowie der Staatsmonopole und der mit denselben verbundenen Unternehmungen der Finanzminister auf dem Wege der Verordnung die Sonntagsarbeit innerhalb der oben angeführten Grenzen als zulässig erklären könne. Von dieser Ermächtigung hat der Minister bereits in einer Verordnung vom 1. Juli 1891 Gebrauch gemacht.
Vergehen gegen das Gesetz werden als Übertretungen mit einer Geldstrafe von 1–300 Gulden bedroht, eine Strafsumme, welche als nicht ausreichend erklärt wurde, weil dieselbe von Verstößen gegen das Gesetz nicht abhalten würde, so oft solche nur einen genügenden finanziellen Vorteil in Aussicht stellten. Dann wurde bei den über den Gesetzentwurf gepflogenen Beratungen beanstandet, daß die Entscheidung über die Gesetzesverletzung nicht dem Richter, sondern der Verwaltungsbehörde zugewiesen sei. Damit würden solche Verletzungen um so mehr erleichtert, als es in Ungarn an der erforderlichen Zahl von Organen zur Beaufsichtigung der Gewerbe fehle. Vgl. Karl, Gesetz über die S. der gewerblichen Arbeiter (Budapest 1891). – Über die Regelung der Sonn- und Festtagsarbeit in Deutschland s. Arbeiterschutzgesetzgebung, S. 37.