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MKL1888:Thäler

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Thäler“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 618619
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Thäler. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 618–619. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Th%C3%A4ler (Version vom 12.12.2024)

[618] Thäler, verschieden gestaltete Einsenkungen der Gebirge und Durchfurchungen der Plateaus. Ist die Entfernung der begrenzenden Gesteinswände, der Gehänge (welche als rechtes und linkes im Sinn eines mit dem Gesicht dem Thalausgang zugekehrten Beobachters unterschieden werden), eine geringe, und ist der Winkel, unter welchem die Gehänge ansteigen, ein großer, dem rechten sich nähernder, so entstehen Schluchten, Gründe, Klammen, Cañons (s. d.). Die beiden Gehänge laufen häufig selbst bei gewundenen Thälern einander parallel, so daß ein ausspringender Teil des einen Gehänges (Thalsporn) einem einspringenden des andern (Thalwinkel) entspricht. Nähern sich die beiden Gehänge, so entstehen Thalengen; verlaufen sie annähernd in einer Kreislinie, so entstehen Thalweitungen (Bassins, Becken, Zirkus und, wenn die Gehänge steil abfallen, Thalkessel). Der allgemeine Lauf der Gebirgsthäler steht entweder ungefähr senkrecht zur allgemeinen Erstreckung des Gebirgskammes (Querthäler, T. erster Ordnung), oder es laufen die T. etwa parallel zu dem Hauptkamm des Gebirges (Längsthäler, T. zweiter Ordnung). T., deren allgemeine Erstreckung eine zwischen diesen beiden vermittelnde Richtung einhält, hat man Diagonalthäler genannt. – Ein bei der Bildung der T. nie ganz fehlendes, mitunter allein wirkendes Agens ist der erodierende Einfluß des strömenden Wassers. Denkt man sich einen zunächst vollkommen unverritzten Bergabhang, an welchem Wasser herabströmt, so wird im Anfang dort das Wasser am energischten angreifen, wo die einzelnen dünnen Wasserstränge zu einem mächtigern Bergstrom zusammentreten. Bei fortgesetzter Thätigkeit wird sich bald ein oberer und unterer Teil des Wasserlaufs unterscheiden lassen. Im obern, dem Berggebiet, schäumt der Bergstrom auf stark geneigter Thalsohle dahin, zertrümmert das ihm entgegenstehende Gesteinsmaterial und führt es hinweg. In dem untern Teil, dem Thalgebiet, wird der in weniger geneigtem Terrain zum Fluß verlangsamte Bergstrom einen Teil des im Oberlauf aufgewühlten Materials wieder absetzen, seine erodierende Thätigkeit im wesentlichen nur bei Hochwasser und nur im Sinn der Erweiterung, nicht der Vertiefung des Thals äußern. In solchen breiten Thälern läßt sich neben dem im eignen Material eingewühlten Flußbett ein Inundationsgebiet, von Terrassen (Hochufern) begrenzt, unterscheiden, das Produkt gelegentlicher Hochwasser. Je länger die erodierende Thätigkeit anhält, desto größere Strecken wird die Ausbildung des Thalgebiets annehmen, desto weiter nach rückwärts, dem Kamm des Gebirges näher, wird der Oberlauf mit seiner starken Neigung der Thalsohle sich eingraben. Im obersten Wasserlauf, nahe dem Kamm des Gebirges, ist ein weiter Thalkessel, oft mit steilen, fast senkrechten Felswänden, vorhanden (in den Pyrenäen Oules geheißen), über welche sich bei zur Bildung günstiger Gesteinsbeschaffenheit Wasserfälle in die Tiefe stürzen. Der Ausgang aus dem Kessel ist gewöhnlich stark verengert, schluchtartig, und erst nach abwärts erweitert sich dann die Thalbildung in der Region des nicht mehr stürmischen, sondern ruhigen Wasserlaufs. Werden in der geschilderten Weise auf den zwei einander entgegengesetzten Abhängen eines Gebirges T. ausgewaschen, so wird das letzte Stadium in einer teilweisen Abtragung des Gebirgskammes bestehen. Statt eines steilen Randes, der die beiden auseinander strahlenden T. trennt, wird ein kleines Plateau, tiefer gelegen als der Kamm des Gebirges (Paß), dieselben vielmehr verbinden. Ganz ähnlich wie die geschilderte Bildung der Gebirgsthäler verläuft der Prozeß bei dem Einsenken der T. in die Plateaus. Abweichungen können zunächst durch Verschiedenheiten in den zu durchbrechenden Gesteinen begründet sein. Wälle härtern Materials werden hemmend einwirken, das Thal sperren und zu Thalerweiterungen dadurch Veranlassung geben, daß sich das Wasser hinter ihnen seeartig ausbreitet, bis der Wall durchnagt ist und der Fluß in Stromschnellen den vorher sperrenden Wall durcheilt. Werden ferner weiche, der Erosion leicht zugängliche Gesteine durch eine härtere Bank bedeckt, so wird dort eine Thalschwelle mit Wasserfällen entstehen, wo die weichern Gesteine zuerst verritzt werden. Durch Unterwaschung wird das härtere Material stückweise abbrechen und nachsinken, die Thalschwelle ruckweise nach dem Oberlauf zu weiter und weiter zurückweichen. Ein oft citiertes Beispiel für solche Verhältnisse bietet der Niagara dar. Der Erosion kann aber auch der Weg durch Dislozierung der Gesteinsschichten vorgeschrieben sein, so daß am fertigen Gebirgsthal zwar die Erweiterung und endgültige Gestaltung auf Rechnung der Erosion fallen, die erste Anlage und Richtung aber in dem allgemeinen Bau des Gebirges begründet sind. Querthäler sind häufig erweiterte Querspalten des Gebirges (Klusen, Klausen); Längsthäler laufen mitunter die Grenze zwischen zweierlei Schichten entlang, die gegen den Kamm des Gebirges zu ansteigen. Es zeigen diese letztern (Scheidethäler, isoklinale T., Komben) an den beiden Gehängen verschiedenes Gestein und nur auf dem einen Abhang einen steilen Absturz, während der Sinn des Einfallens der Schichten rechts und links der gleiche ist. Längsthäler können ferner in der Richtung der Sattellinie des Sattels eines Schichtensystems (s. Schichtung) verlaufen, dessen oberste Schichten bei der Dislozierung zerrissen wurden. Solche Gewölbthäler (Hebungsthäler, antiklinale T.) werden an beiden Gehängen einerlei Folge der Gesteine erkennen lassen, deren Schichten von der Thallinie aus nach beiden Seiten einfallen. Muldenthäler (Senkungsthäler, synklinale T.) verlaufen der Muldenlinie einer Mulde (s. Schichtung) entlang; hier werden die Gesteinsschichten der Gehänge nach der Thallinie zu einschießen. Ferner kann die zwischen zwei ungefähr parallel verlaufenden Lavaströmen entstehende Einsenkung (interkolliner Raum) eine Thalbildung [619] veranlassen. Besondere Thalformen zeigen auch einzeln stehende Berge vulkanischen Ursprungs. Nach Erlöschen der vulkanischen Thätigkeit senkt sich häufig an der Stelle des zentralen Kegels ein tiefes Kesselthal (Caldera, Caldeira) ein, von welchem aus mitunter ein den Ringwall durchbrechendes Hauptthal nach außen führt, und gleichzeitig wird auch der äußere Mantel von radial ausstrahlenden Rillen (Barrancos) durchfurcht werden (vgl. Vulkane). Der Form nach stehen der Calderabildung nahe die hinsichtlich der Entstehungsweise noch streitigen Maare (s. Vulkane) als Einsenkungen in vulkanische Plateaus oder doch in der Nähe vulkanisch gebildeter Lokalitäten, und ganz ähnliche T., in Plateaus rein sedimentärer Gesteine eingesenkt, liefern Unterwaschungen und die von ihnen veranlaßten Erdfälle.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 788791
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[788] Thäler (hierzu Tafel „Thalbildungen“). Die Gebirgsbildung der Erdrinde und die denudierende Wirkung der Atmosphärilien sind die beiden Faktoren, aus deren Widerstreit das Relief der Erdoberfläche hervorgeht. Durch die Aufwölbung der ursprünglich horizontal gelagerten Schichtenmassen zu langen Falten und durch Verwerfungen einzelner Rindenstücke ist die vertikale Gliederung der Erdkruste in großen Zügen vorgezeichnet; das rinnende und strömende Wasser hat die Aufgabe, aus diesem groben Relief die feinern Züge herauszumeißeln. Das Endziel der Denudation und Erosion ist die Einebnung aller Unebenheiten des Festlandes, die gebirgsbildende Kraft wirkt diesem Vorgang langsam, aber stetig entgegen und schafft stets neue Angriffspunkte für das Wasser. Die tiefsten Furchen zieht das fließende Wasser durch die Erosion der T. Denkt man sich ein gleichmäßig abgedachtes Gehänge, über welches Wasser herabrinnt, so wird im höchsten Teil desselben die Wirkung des Wassers trotz des starken Gefälles eine geringe sein, da es nur einzelne Rinnen sind und außerdem das Wasser nur wenig festes Material mit sich führt, vermittelst dessen es auf den Untergrund einwirken könnte. Haben sich weiter unten auf dem Abhang mehrere Wasseradern vereinigt, so geht das Einschneiden in energischer Weise vor sich, da das Wasser nun seine Kraft auf einen beschränkten Raum konzentrieren kann. Ein Thal wird ausgefurcht, dessen untere Hälfte schwächer, die obere stärker geneigt ist als das Gehänge, die Grenze zwischen beiden Thalabschnitten verschiebt sich dabei im Lauf der Zeit immer mehr nach aufwärts und rückwärts. Der Querschnitt des Thals nimmt in beiden Teilen eine verschiedene Gestalt an; in dem obern, in raschem Einschneiden begriffenen bildet sich eine enge Schlucht, eine Klamm, mit fast senkrechten Wänden heraus; in dem untern treten die Wände mehr zurück, das Thal wird breit und flach. Nur selten vollzieht sich der Prozeß der Thalbildung in solcher Regelmäßigkeit, meistens greifen Faktoren ein, die den Gang der Erosion in verschiedenem Sinn beeinflussen.

Eine der auffallendsten Erscheinungen, der man in fast allen Thälern begegnet, ist die Stufenbildung. In vielen Fällen läßt sich die Entstehung derartiger Stufen durch Bergstürze oder Ablagerung von Gehängeschutt erklären. Wird der Thalgrund mit einer solchen Trümmermasse überschüttet, so wirkt dieselbe wie ein Querdamm, hinter dem der Fluß sich zu einem See aufstaut. Ist das Becken gefüllt, so beginnt der Abfluß des Wassers den Wall zu durchsägen und damit gleichzeitig den Seespiegel niedriger zu legen. Bevor jedoch die Abflußrinne genügende Tiefe erlangt hat, um das Seewasser ganz abzulassen, ist gewöhnlich das Becken schon durch Einschwemmung von Schuttmassen, die von Bächen der Umrandung herbeigeführt sind, ganz ausgefüllt und in eine Stufe verwandelt. Zahlreiche Alpenthäler besitzen solche Dammstufen, eine der großartigsten hat das Pfitscher Thal. Von Innerpfitsch bis Ried erstreckt sich eine fast ebene Terrasse, die von dem Pfitscher Bach durchzogen wird. Dieser obere Thalabschnitt ist von dem untern, der in den Sterzinger Kessel im Eisackthal ausmündet, durch eine nahezu 500 m hohe Stufe getrennt, über welche der Bach in mehreren Absätzen und in einer Reihe düsterer Engen herabstürzt. Es gibt aber auch Stufen, die aus anstehendem Fels bestehen und der Herstellung einer regelrechten Erosionskurve ungleich größern Widerstand entgegenstellen als die lockern Schuttmassen einer Dammstufe. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht der Stufenbau des Antholzer Thals auf der Südseite der Hohen Tauern, dessen oberstes Becken mit dem Antholzer See am Fuß des granitischen Hochgallstocks liegt (Tafel, Fig. 2). Der Kamm der Tauern gipfelt hier rechts in der Granitmasse des Hochgall, 3442 m, und des Wildgall links, 3269 m; beide umschließen mit dem dazwischenliegenden

[Beilage]

[Ξ]

Thalbildungen.
Fig. 1. Innere Schlucht des Grand Cañon von Colorado bei Toroweap.
Fig. 2. Der Hochgall (Hohe Tauern).
Fig. 3. Durchbruch des Dunajec durch den Penin (Karpathen).
Fig. 4. Flußterrasse im Madisonthal (Felsengebirge von Nordamerika).

[789] Kamm ein Becken, in dessen Tiefe eine kleine Gletschermasse lagert und an einer schroffen Wand abbricht. Über eine zweite Stufe stürzt ein Bach, der von der rechten Thalseite herkommt und sich weiter unterhalb in den Antholzer See ergießt. Der See wurde durch einen mächtigen Schuttkegel der Roten Wand aufgestaut, der bis zu den gegenüberliegenden Trümmerhalden des Wildgall reicht. Die Wechsellagerung von Gesteinen, die der Erosion infolge ihrer bald weichen, bald harten Beschaffenheit verschiedenen Widerstand entgegensetzen, müssen derartige Unregelmäßigkeiten hervorrufen. Machen sich dieselben schon bei horizontaler Lagerung des Gesteins geltend, so ist es in viel höherm Grade der Fall bei aufgerichteten Schichten. Diese haben senkrecht zum Streichen die stärkste Neigung, das fließende Wasser, welches dieser Richtung folgt, demgemäß das stärkste Gefälle. T., welche quer oder annähernd rechtwinkelig auf das Streichen der Schichten eingefurcht sind, bezeichnet man als Querthäler; in ihnen schneidet das Wasser infolge des starken Gefälles zwar am schnellsten eine Thalrinne ein, man findet aber sehr selten eine gleichmäßig und kontinuierlich verlaufende Kurve, da der Wechsel der Gesteine gerade quer zum Streichen am mannigfachsten ist. Günstiger liegen die Verhältnisse, wenn die Erosion längs der Streichungsrichtung des Gesteins wirken kann, in sogen. Längsthälern; hier fehlt einerseits der mannigfache Wechsel in der Lagerung und Beschaffenheit der Gesteine, anderseits bietet jede Schichtfuge der Erosion einen natürlichen Angriffspunkt. Die große Furche, in welcher der Rhône von der Quelle bis Martigny nach SW., die Reuß im Urserenthal und der Rhein bis Chur nach der entgegengesetzten Richtung fließen, bietet das beste Beispiel eines Längsthals, die Flüsse, welche von den Berner Alpen nach NW. strömen, verfolgen Querthäler. Andre Alpenflüsse, wie z. B. der Inn, besitzen einen aus abwechselnden Längs- und Querthälern zusammengesetzten Lauf, der also in seinen einzelnen Abschnitten entweder senkrecht oder parallel zur Streichungsrichtung verläuft, in seiner Gesamtheit aber das Gebirge schräg durchschneidet.

Aus diesen Beziehungen, die zwischen Gebirge und Thal bestehen, geht zunächst im allgemeinen hervor, daß der Verlauf der Flüsse, die Gestalt und Bildung ihrer T. mehr oder minder vom Gebirgsbau abhängig ist, nur über das Maß der Abhängigkeit sind die Ansichten verschieden. Es handelt sich dabei um die Frage nach dem Altersverhältnis von Gebirge und Fluß und ferner darum, ob die Erosion der Gebirgsbildung oder ob diese der Erosion überlegen ist. Rütimeyer, Heim, Tietze u. a. in Europa sowie Powell in Amerika vertreten die Ansicht, daß die Flußläufe älter als die Gebirge sind, letzterer hat zuerst die Behauptung ausgesprochen, daß die Flüsse ihre T. den Veränderungen des Bodens anpassen und auch die Erosion mit der Gebirgsbildung gleichen Schritt halte. Gewiß gibt es Flüsse, die älter sind als die von ihnen durchschnittenen Gebirge; die Karpathen, der Elburz, besonders der Himalaja zeigen Verhältnisse, welche zu gunsten eines höhern Alters der Flüsse sprechen. Erfolgte die Aufrichtung langsam, so konnte die Erosionsthätigkeit mit dem Fortschreiten der Faltung gleichen Schritt halten, so daß der Fluß stets in gleichem Niveau verblieb. Es gibt aber auch Gebirge, die weit älter sind als ihre Querthäler, in denen also die Ausnagung der letztern erst nach dem Abschluß der Faltung eingeleitet wurde. Das war besonders dann der Fall, wenn auf dem Festland, nachdem es über den Meeresspiegel erhoben war, die Aufstauung eines Gebirges stattfand. Beispiele von Durchbruchsthälern finden sich in den verschiedensten Gebirgen: der Poprad entspringt auf der Südseite der Hohen Tatra und wendet sich, anstatt sich mit der nur durch eine niedrige Wasserscheide getrennten Waag zu vereinen, nach N. und durchbricht die Karpathen. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Aluta in Siebenbürgen, der Isker in Bulgarien durchbricht von S. her den hohen Balkan, alle werden aber an Großartigkeit übertroffen von dem Indus und Brahmaputra. Um solche Vorkommnisse zu erklären, ist angenommen worden, daß das Flußwasser sich hinter dem Gebirgswall aufstaute, bis der Abfluß sich eine tiefe Rinne ausnagen konnte. Diese Annahme entspricht aber nicht den thatsächlichen Verhältnissen, da sonst der Poprad sich in die Waag ergießen, die Aluta sich mit der Maros vereinigen und der Isker in die Maritza münden müßte. Auch Spalten, welche dem Wasser durch das Gebirge einen Weg hätten bahnen können, sind an den betreffenden Stellen nicht vorhanden. Es ist aber auch ferner fraglich, ob die Erosion in einem von der Gebirgsbildung ergriffenen Gebiet mit der Faltung gleichen Schritt hatten kann. Löwl ist der Ansicht, daß unter allen Umständen die Erosion durch den Beginn der Gebirgsbildung lahmgelegt würde, indem der Fluß infolge des verminderten Gefälles genötigt sei, seine Geschiebe abzulagern und dadurch seine Thalsohle zu erhöhen. Dabei ist aber der Umstand übersehen, daß durch die Erhöhung der Flußsohle auch das Gefälle sich steigert und zwar so weit, bis die Geschwindigkeit des Wassers die Geschiebe wieder in Bewegung setzen kann. Die Entstehung der Durchbruchsthäler versucht Löwl von seinem Standpunkt aus ohne Annahme älterer Flußläufe durch rückschreitende Erosion zu erklären. Waren die Gebirgsketten durch die rückwärts und aufwärts fortschreitende Erosion durchschnitten, so war dem hinter denselben gelegenen Fluß die Möglichkeit geboten, sich durch das neue Thal zu ergießen. Auch dieser Erklärung stehen schwer wiegende Bedenken entgegen. Man würde den Vorgang verstehen, wenn die Seite, von der aus die Erosion rückwärts in das Gebirge griff, eine größere Niederschlagsmenge empfinge als die gegenüberliegende, eine solche Annahme trifft aber durchaus nicht in allen Fällen zu. Ferner ist es unverständlich, warum gerade dem einen Bach eine größere Erosionskraft zugekommen sein sollte als andern benachbarten, die in gleichen Verhältnissen standen. Endlich liegen manche Durchbruchsthäler gerade in den härtesten und widerstandsfähigsten Gesteinen, während weicheres Material, das in der Nähe lag, von der Erosion unberührt blieb. Der Dunajec durchbricht beispielsweise in den Karpathen die sogen. südliche Klippenreihe an einem Punkt, wo hartes Kalkgestein ansteht, während durch die zu beiden Seiten befindlichen Sandsteine und Schieferthone der Durchbruch viel leichter erfolgt wäre (Tafel, Fig. 3). Unter solchen Umständen ist nur die eine Folgerung möglich, daß die T. in ihren Hauptzügen älter sind als die Gebirgsketten, welche sie durchbrechen.

Für die Ausgestaltung der einzelnen T. sind neben den Bodenverhältnissen auch die meteorologischen Faktoren maßgebend. In regenreichen Gegenden oder in einseitig bewässerten Gebirgen besitzen normale Thalfurchen auf beiden Seiten abgeschrägte Gehänge, indem in demselben Maß, wie sich das Thal einschneidet, die Thalwände der Zerstörung durch die Atmosphärilien unterliegen. Je älter das Thal, desto breiter und ebener die Thalsohle und desto sanftere [790] Formen an den Gehängen. Ganz anders geartet sind die Thalformen in jenen regenarmen Hochländern, die den zerstörenden Wirkungen des Spaltenfrostes, der Feuchtigkeit und der Vegetation entzogen sind. Dort bilden sich T. mit steil abfallenden, wenig gegliederten Rändern, die bis zu beträchtlicher Tiefe in das Plateau einschneiden. Den Typus eines solchen Cañon bietet der Rio Colorado auf seinem Lauf durch die Tafelländer von Utah und Arizona. Den Untergrund der großen Felstafel bilden kristallinische Schiefer der archäischen Formation, die von silurischen und devonischen Schichten überlagert werden. Auf den Schichtenköpfen dieses aufgerichteten Komplexes ruht eine Kohlenkalkdecke in einer Mächtigkeit von fast 1500 m. Ihre obersten Schichten bilden eine Plattform, in welche der Colorado den eigentlichen Cañon einsägte. In einiger Entfernung vom Rande des Cañon ist die ganze Reihe der mesozoischen Sedimente erhalten, die stellenweise noch von tertiären überlagert werden. Alle diese Schichten treten in parallelen Terrassen an den Grand Cañon heran; jeder Terrassenabsturz fällt mit einer harten Gesteinsbank zusammen, die darunterliegendes weiches Material deckt. Eine derartige Wechsellagerung ist es auch, welche die charakteristische Form der Wände des Cañon bedingt. Soweit der Cañon in die archäischen Gesteine einschneidet, stellt er eine enge, zwischen jäh aufragenden Felsmauern verlaufende Schlucht dar. Die karbonische Schichtreihe besteht aus alternierenden Kalkbänken, Thonschiefern und Sandsteinen. Die harten Felsarten bilden scharf vorspringende Gesimse, die allmählich zurückweichen, den darunter befindlichen weichen Schiefern entsprechen Schutthalden, die sich in gleichem Maß verbreitern. Den großartigsten Anblick gewährt der Cañon von der Mündung des Toroweap aus (Tafel, Fig. 1). Der Cañon besteht hier aus zwei Schluchten. Die höhere und äußere ist fast 5 englische Meilen breit und wird auf beiden Seiten von 600 m hohen Wänden eingefaßt, zwischen denen eine ebene Fläche, die Esplanade, sich ausdehnt. In diese Esplanade ist die innere Schlucht 900 m tief und über 1000 m breit eingesenkt (Textfig. 1). Dort, wo die Achse des Toroweapthals

Fig. 1. Querprofil durch den Cañon des Colorado.
1 Äußere Schlucht (oberes Karbon). 2 Innere Schlucht. a Unteres Karbon (Kohlenkalk). b Silur. c Archäisches Gestein.

den Cañon schneidet, erhebt sich unmittelbar am Rande der innern Schlucht ein fast 200 m hoher Basaltkegel, „Vulkans Thron“. Die gleichförmige Ausbildung eines so langen und tiefen Erosionsthals und seine besondern Wandformen finden durch die meteorologischen Verhältnisse und den topographischen Zustand der Gegend ihre einfache Erklärung. Das erste Erfordernis ist ein Tafelland, das sich aus horizontal gelagerten Schichten zu bedeutender Höhe über das Meer erhebt und aufbaut.

Fig. 2. Längendurchschnitt durch das Reußthal. Höhenmaßstab fünfmal größer als der Längenmaßstab.
Fig. 3. Querprofile des Reußthals nach Heim. a nahe bei Altdorf, b nahe Göschenen, c im Urserenthal.
(Die römischen Zahlen bedeuten Thalstufen und die arabischen die ihnen entsprechenden Terrassen.)

Fernere Bedingung der Cañonbildung ist die Wechsellagerung von sehr harten Schichten mit leichter zerstörbaren und ein trocknes Klima. Strömt durch ein solches Gebiet von einem niederschlagsreichen Hochgebirge ein Fluß mit bedeutendem Gefälle, so sind alle Vorbedingungen für energische Korrosion erfüllt. Infolge des trocknen Klimas dringt wenig Wasser in den Boden, es wird nicht zu viel Geschiebe dem Strom zugeführt, so daß dieser es, ohne Aufstauung zu erfahren, bewältigen kann. Der Frost trifft kein durchfeuchtetes Gestein und kann deshalb die Verwitterung nicht befördern.

Ein untrügliches Zeichen ihres Erosionsursprungs [791] tragen diejenigen T. an sich, welche Flußterrassen hinterlassen haben (Tafel, Fig. 4). Die Terrassen, d. h. horizontale Stufen an den Thalgehängen, treten in zwei genetisch verschiedenen Arten auf: als Ausfüllungs- und Felsterrassen. Im allgemeinen stellt jede Flußterrasse den Rest eines frühern Thalbodens dar, welcher dadurch zerstört wurde, daß der Fluß aus irgend welcher Ursache sein Bett durch Einschneiden in die Unterlage tiefer legte. Das sogen. Mittelgebirge bei Innsbruck ist eine solche Terrasse, die bis zu 400 m über die jetzige Thalsohle ansteigt und fast 4 km breit ist; sie besteht aus Schotterablagerungen der Gletscherbäche der Eiszeit und aus Moränen. Die Terrassen sind nicht immer aus alten Flußablagerungen zusammengesetzt, sehr oft sind sie in den festen Fels eingegraben. Besonders deutlich sind solche Terrassen in den höhern Thälern der Alpen ausgeprägt, in denen sie sich nicht nur in den Längsprofilen geltend machen, sondern auch an den Thalwänden übereinander erscheinen. Die beiden Profile (Textfig. 2 u. 3) lassen auf den ersten Blick erkennen, wie die Terrassen aus den Thalstufen entstanden sind. Vereinigt man die Terrassen und die noch vorhandenen Thalstufen, die in gleichem Niveau liegen, miteinander, so erhält man vier verschiedene Thalböden, die sich unter geringer Neigung thalabwärts senken. Im Reußthal lassen sich vier solcher alter Thalsohlen unterscheiden, in 2200–1900, 1600–1400, 1200–900, 900–600 m Höhe; als fünfte Stufe kommt dazu diejenige von Amsteg bis Flüelen, die noch keine Terrasse hat. Die kleinern Seitenthäler haben mit dem Hauptthal nicht gleichen Schritt gehalten, sie münden stets in beträchtlicher Höhe über der Sohle des Hauptthals. Die Erosion ist an den Abstürzen in fortwährender Thätigkeit, auf den Thalstufen macht sie sich nicht bemerkbar. Aus dem Vorstehenden läßt sich der Schluß ziehen, daß die Stufen- und Terrassenoberflächen einem Stillstand in der Thalbildung entsprechen, die Abstürze dagegen Bewegungsperioden. Um die Entstehung dieser Erscheinung zu erklären, hat man verschiedene Faktoren herangezogen, welche in der erodierenden Wirkung der Flüsse eine periodische Änderung bedingen könnten. Das Nächstliegende ist, Perioden einer gesteigerten Gebirgsbildung anzunehmen, mit denen ein erneutes Einschneiden der T. zusammenfallen würde, während den Ruhepausen in der Aufwölbung ein Stillstand in der Thalbildung, d. h. Terrassenbildung, entsprechen würde. Dieselbe Wirkung müßten Verschiebungen des Meeresniveaus im Verhältnis zum Festland haben, mag man nun Hebungen des Festlandes oder Senkungen des Meers annehmen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß meteorologische Verhältnisse die Ursache der Terrassenbildung sind. Eine Zunahme der mittlern jährlichen Niederschlagsmenge muß in der Menge des ablaufenden Flußwassers in gleicher Weise zum Ausdruck kommen, wie sich dieser Faktor in dem Stande der Gletscher oder in dem Niveau der Binnenseen bemerkbar macht. Vgl. F. Löwl, Über Thalbildung (Prag 1884); v. Richthofen, Führer für Forschungsreisende (Berl. 1886); Neumayr, Erdgeschichte, Bd. 1 (Leipz. 1887).