Magier und Geister in Berlin

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Autor: Ernst Kossak
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Titel: Magier und Geister in Berlin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 9–11
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Magier und Geister in Berlin.
Von E. Kossak.

Als vor sechs oder sieben Jahren über Europa jene absonderliche Geisteskrankheit hinzog, welche man mit dem Namen „Tischrückerei“ bezeichnete, wurde wohl jeder achtsame und wißbegierige Mensch in den tollen Wirbel verwickelt und betheiligte sich an der Sache, wenn auch nur auf Seiten der Opposition. Es lohnte wohl kaum der Mühe, noch einmal auf den ganzen Handel zurückzukommen, wenn man nicht allmählich verschiedenartige Schwindel damit verbunden und schließlich das Ganze in ein verrücktes System gebracht hätte, welches auch in dem aufgeklärten Berlin zahlreiche Anhänger zählt und literarische Erzeugnisse der tollsten Art in’s Leben ruft, von welchen ich weiterhin berichten werde. Zur Belustigung aufgeweckter Leser und zur Züchtigung aller Geisterbändiger will ich daher meine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse im Felde der Tischrückerei und Psychographie niederschreiben, und zufrieden sein, wenn es mir gelingt, auch nur einen Bekenner der neuesten Magie von diesem Holzwege des Geistes abzubringen.

Zunächst will ich vorausschicken, inwiefern ich mich selber an diesen mysteriösen Operationen aus Neugierde betheiligt habe. Selbstverständlich wollte Jeder bei seinen Versuchen sich so viel als möglich gegen eine „tendenziöse Tischrückerei“, Betrug oder Muthwillen sicherstellen, und ich beschloß deshalb, die Fähigkeiten meiner eigenen Kinder für den sogenannten „Vitalismus“ zu prüfen, da ich bereits in andern Häusern die Empfänglichkeit oder Geschicklichkeit der Kleinen für dieses unbekannte Etwas wahrgenommen hatte, gleichzeitig aber auch mit gerechten Bedenken gegen die ganze Geschichte erfüllt worden war.

An einem Sonnabend-Nachmittage, als zwei kleine Mädchen zu meinen beiden Töchtern gekommen waren, ließ ich also die vier Kinder, in deren Gegenwart, wie ich ausdrücklich bemerke, allerdings wiederholt von dem Rücken der Tische gesprochen worden war, an ein kleines dreibeiniges Tischchen treten und ihre Fingerspitzen mit der Gebehrde eines Klavierspielers ganz leicht auf die Platte legen. Kaum waren fünf Minuten verflossen, als das winzige Möbel in eine wahnsinnige Bewegung gerieth und so rasche Umdrehungen machte, daß die Kleinen nicht folgen konnten, sondern übereinanderstolperten. Die Erscheinung wiederholte sich noch öfters und zuweilen so heftig, daß die auf den mittleren Pfeiler geschraubte Platte sich losdrehte und den Kindern vor die Füße fiel. Diese Umdrehungen wechselten mit heftigem Klopfen der Tischbeine, während dessen der Tisch selber wiederholt umfiel, ohne daß es mir gelang, absichtliche Bewegungen und Manipulationen der Kinder zu entdecken. Dagegen äußerte selbst dieser kleine, nur wenige Pfund schwere Tisch nicht die mindeste Lust, sich zu regen, wenn wir anwesenden Erwachsenen, darunter einige Damen aus der Nachbarschaft, die Hände auf die Platte legten, wie ich denn auch unter den Händen von Erwachsenen niemals einen Versuch habe gelingen sehen. Es kam mir nun darauf an, die später sogenannte „spiritualistische“ Seite zu prüfen, und ich hieß die Kinder, dem Tische zu befehlen, die einzelnen Zahlen eines in meiner Brieftasche steckenden Lotterielooses, die Zahl der Thalerstücke in meiner Börse, der Schlüssel in meiner Hand durch Klopfen anzugeben, allein es schmerzt mich im Interesse der Berliner Magier, der Wahrheit gemäß bekennen zu müssen, daß auch nicht eine der verlangten Angaben richtig war, obgleich ich vorschriftsmäßig meine Hände in die Kette der Kinderhände mischte. Sämmtliche Zahlen waren falsch, und ich sah wohl, daß in Betreff aller angeblich erzielten richtigen Antworten absichtlicher Betrug der Mitwirkenden obwalten mußte. Ich beschloß, die Sache auf sich beruhen zu lassen, da sie mir nicht den geringsten vernünftigen Zweck zu verfolgen schien, und habe auch weiter keine wandelnden Tische gesehen, obgleich ich noch später zufällig bei einigen total mißlungenen Experimenten zugegen war.

Indessen das unterhaltende und vergnügliche Ende sollte noch nachkommen. Ein alter Herr, Rendant D. Hornung, mochte gleich aus Allem eingesehen haben, daß mit rohem Klopfen und der plumpen Anwendung von Tischen nur sehr unvollkommene Mittheilungen aus dem sublimen Reiche zu erzielen seien, welches er hinter den sich drehenden Tischen zu wittern glaubte; er verfertigte also ein in Reihen geordnetes Alphabet nebst einem Zahlensystem, an welches ein bewegliches Gestell mit einem auf die einzelnen Buchstaben deutenden Stifte geschraubt wurde, und hoffte, daß dieses storchschnabelartige Instrument durch das geheimnißvolle Fluidum der Vitalisten oder Spiritualisten in Bewegung gesetzt, und die Mittheilung von Wissenswürdigkeiten dadurch sehr erleichtert werden würde. Den tiefsinnigen Mann hatte seine Erwartung nicht getäuscht, unter befähigten Händen bewegten sich alle Gestelle; der Psychograph oder Seelenschreiber war erfunden, und sein Verkauf für einen oder zwei Thaler konnte als ein ganz einträgliches Geschäft angesehen werden.

Es ist nun sehr bemerkenswerth, daß man die durch den Psychographen gegebenen Aufschlüsse damals noch keineswegs einer etwaigen Geisterwelt beimaß, sondern in unendlicher Unschuld den Psychographen wie ein lebendes, bald redseliges, bald tückisches und verschwiegenes Wesen ansah, ihn mit Du anredete, mit ihm förmlich unterhandelte und ihn gleich dem Patiencespiel und Kartenlegen nur als ein angenehmes Orakel betrachtete. Sein ganzer Habitus machte ihn vorzüglich bei allen jenen Damen beliebt, die bereits die Tücken des Gottes Amor kennen gelernt und in seiner Verehrung mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. So wohnte in meiner Nachbarschaft eine ziemlich junge wohlhabende Wittwe, die unaufhörlich mit Heirathsangelegenheiten beschäftigt und daher fortwährend in der traurigen Lage war, dem verstockten Schicksale Fragen stellen zu müssen. Zwar hatte sie bei mehreren in befreundeten Familien aufgestellten Psychographen schüchtern Rath eingeholt, allein mit diesen obstinaten Instrumenten war kein vertrauliches Verhältniß möglich, und erst als ihre jüngere Schwester aus der Heimath zum Besuche erschien, ein zwar lediges, aber höchst unternehmendes Frauenzimmer, faßte sie wieder Muth und entdeckte sich dieser Schwester. Für eine Dame, welche an die „Memoiren eines Arztes“ von A. Dumas glaubte, mußte der Psychograph sehr viel Anlockendes besitzen. Bald war ein Exemplar erworben, und nach einigen Tagen hatte die ledige Schwester sich darauf dergestalt eingespielt, daß sie in unserer Gegend etwa einen Ruf, wie die Pythonissa zu Delphi, besaß, und von gewissenhaften Damen in schwierigen Fällen stets consultirt wurde. Ein Tänzer vom Corps de Ballet unterstützte Beide in diesem löblichen Orakelwerk. Er übte ihnen die damals neuen Tänze der Varsovienne und Polka-Mazurka ein, und leistete nach Beendigung dieser Lustbarkeit Spanndienste und Robot am Psychographen. War der Mann ursprünglich von so vergnüglichem Temperament, erheiterte sein Geschäft, das auf unablässiger Leibesbewegung beruhte, so auffallend das menschliche Gemüth, oder wirkten die Mittheilungen des Psychographen so vortheilhaft auf ihn ein: genug, wenn er aus dem Hause sprang, in ein schnödes Essigmäntelchen gehüllt, mitten auf der Straße umherhüpfte und zum Abschiede noch einmal nach den Fenstern der Damen empor kußfingerte, überkam mich ein Gefühl des Neides. Auch ich sehnte mich danach, ein Instrument von solcher angenehmen Wirksamkeit spielen zu sehen. Es war nicht schwer, die Damen, welche zuweilen in unser Haus kamen, zu bewegen, mir gelegentlich Zutritt zu gestatten. Da ich verworfen genug war, Glauben zu heucheln, erhielt ich die Erlaubniß, am nächsten Montage die Damen besuchen zu dürfen.

Ich fand sie allein, behaglich am Ofen sitzend. Auf einem Spieltische lag das Alphabet des Psychographen, und eine Lampe mit grünem Schirm paßte vortrefflich zu dem geheimnißvollen Werke. Die ledige Schwester arbeitete bereits mit dem Gestelle umher, und der Stift des Psychographen fuhr mit so großer Schnelligkeit über die Buchstaben, daß die angestrengteste Aufmerksamkeit dazu gehörte, Worte daraus zu bilden. Zunächst fiel mir unangenehm auf, daß der Psychograph, den die Damen, obgleich sie ihn vertraulich duzten, doch sehr höflich anredeten, z. B, „sage mir, guter Psychograph,“ oder „möchtest Du mir nicht erklären, lieber Psychograph?“ wenn er seine Antwort ertheilte, niemals sich der Interpunctionszeichen bediente, die doch neben der Buchstabentabelle von dem Erfinder angebracht waren, weil er offenbar von der Ueberzeugung ausging, daß die Kräfte einer unsichtbaren Welt die Hülfsmittel deutlicher Mittheilung menschlicher Gedanken respectiren müßten. Wie gesagt, betrachtete aber der Psychograph unter den Händen Bella’s, so hieß die ledige Schwester, sämmtliche Interpunctionszeichen als nicht vorhanden. Er ließ nicht allein, als ob er eine Psychogräphin wäre, stets die am Schlusse eines Satzes nothwendigen Punkte fort, sondern mißachtete selbst die unentbehrlichen Kommata. Zuweilen entwischten ihm in der Eile seiner Schreibewuth auch gewisse kleine Dialektsünden, welche an Frankfurt a. M., [10] die Vaterstadt der beiden Damen, erinnerten. Ich erinnere mich nur noch sehr deutlich, daß der unsichtbare Schriftsteller einmal „Mättchen“ statt „Mädchen" schrieb. Was den Inhalt seiner Mittheilungen betraf, so brachte er nur wenig Wissenswürdiges, überhaupt nichts, was nicht auch durch menschliche Wissenschaft, durch fleißiges Umherlaufen in der Stadt und einiges Talent zum Ausfragen und Klatschen zu sammeln und zu ergründen gewesen wäre. Meine Neugierde nahm ab, und ich begriff nun wohl, daß ich mich geirrt, und der Tänzer andere triftigere Gründe haben müsse, das Haus der Schwestern stets so fröhlich zu verlassen. Sehr artig dankte ich den Damen für ihre gütigen Operationen und bat nur noch, die unsichtbare psychographische Kraft auf die Probe stellen zu dürfen. Als die Damen Erlaubniß ertheilt hatten, that ich nichts weiter, als daß ich die Tabelle des Alphabetes verkehrt vor das Medium legte, indem ich auseinandersetzte, daß für den unsichtbaren Beantworter unserer Fragen es weder ein Oben, noch Unten, weder ein Rechts, noch Links geben könne. Sehr verstimmt ging das Medium wieder an die Arbeit, allein auch ich hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Oben und Unten waren dem Unsichtbaren keinesweges gleichgültig. Anfangs ging die Schreiberei sehr langsam, Irrthümer kamen vor, einzelne Buchstaben wurden ausgelassen; endlich trat eine gänzliche Stockung ein. Die Damen behaupteten, ich gehöre zu den abscheulichen Ungläubigen, und in Gegenwart solcher bösartigen Menschen weigere sich der Psychograph entweder weiterzuschreiben, oder werde ganz kleinlaut und schwach. Ich räumte daher das Feld, und ging nach Hause. Bald darauf sagten sich aber auch die beiden Schönen von dem dämonischen Instrumente los und verheiratheten sich an zwei reiche Kaufleute. Ich fragte die Wittwe Braut an ihrem Polterabende, ob sie sich noch mit dem Psychographen beschäftige, und erfuhr, daß er ihre Verlobung richtig vorausgesagt habe, ihr von jetzt aber unnöthig geworden sei, da sie zu viel mit der Gegenwart zu thun habe, um an die Zukunft denken zu können.

Bald darauf machte ich eine Visite bei einer mir befreundeten Familie aus Paris und fand die Frau vom Hause mit ihrem Gemahle und einigen courmachenden Freunden eben im Begriff, eine Excursion nach einer benachbarten Wohnung von Bekannten zu machen, wo ein kräftiger Psychograph spielen sollte. Ich wollte mich verabschieden, allein die reizende Frau, welche nie Begleiter und Dienstfertige genug um sich haben konnte, befahl mir gebieterisch, sie zu begleiten. Als wir zu den Leuten kamen, war das betreffende Medium eben ausgegangen, und die Mutter desselben bedauerte, daß ihr selber die Natur die nothwendige Wunderanlage versagt habe. Zu der That sah die alte Frau vollständig mediatisirt aus. Eine junge Pariserin weiß indessen allen Hindernissen zu begegnen; meine Beschützerin entschloß sich unverzüglich selbst den Versuch zu machen, ob sie unter die Media gehöre. Sie hatte sich nicht sobald an den Psychographen gesetzt und die Hände auf das Gestell gelegt, als das galante Instrument anhub, die niedlichen Texte zu den Chansons zu schreiben, mit denen uns die kleine Sirene so oft nach dem Thee unterhalten hatte. Nun wurden von den Herren allerlei scherzhafte Fragen aufgeworfen, und der Psychograph beantwortete sie in französischer Sprache mit einer Eleganz des Witzes, der mir den größten Respect vor dem Esprit des Vitalismus einflößte. Offenbar war diese Naturkraft höchst vielseitig. Hatte sie in meiner Nachbarschaft unter den Händen der beiden Schwestern geantwortet, wie ein biederer Frankfurter a. M., so trat sie hier als höchst gewitzte Saloncreatur der Vorstadt Montmartre auf. Allmählich nahmen wir Alle Theil an der psychographischen Unterhaltung und machten demnächst, erheitert durch den glänzenden Muthwillen des Geistes, eine Spazierfahrt nach Charlottenburg.

In dieselbe Zeit fällt auch die erste öffentliche Vorlesung, welche über den Psychographen gehalten wurde. Veranstalter derselben zu einem wohlthätigen Zwecke war der Obristlieutenant von Forstner, ein würdiger alter Herr, der noch heute zu den Strenggläubigen der Psychographie gehört und in den Mittheilungen über die esoterischen Zusammenkünfte stets als Zeuge genannt wird. Im Saale des englischen Hauses, für gewöhnlich dem Schauplatze von Festessen und billigeren Concerten, war ein Katheder aufgestellt, um das sich eine zahlreiche Gesellschaft geschaart hatte. Wahrscheinlich war sie in Erwartung von Versuchen gekommen. Herr von Forstner begnügte sich indessen nur mit einem erläuternden Vortrage, stellte jedem Einzelnen beliebige Privatversuche anheim und endete mit einer Vorlesung verschiedener durch den Psychographen angefertigter Gedichte, deren Schlechtigkeit aber nicht übernatürliche Hülfe und Inspiration annehmen ließ. Nach einer Stunde trennte man sich sehr unzufrieden. Hier und da besprach ein Blatt die melancholische Vorlesung; dann verschwand die Psychographie fast ganz aus der öffentlichen Beachtung. Desto mehr griff sie in gewissen Kreisen im Stillen um sich. Gewiß lag für scharfsinnige, psychographisch strebsame Personen der Gedanke nahe, daß nicht das Instrument selber, sondern gewisse Geister Antwort ertheilten; man stellte sofort die nöthigen Recherchen an, und siehe da! wirklich waren es Geister, eine neue Berliner Magie war erfunden. der magere, an den Tisch geschraubte Storchschnabel, den Jeder für drittehalb Thaler per Post von dem Rendanten Herrn D. Hornung beziehen konnte, wurde ein Schlüssel zu Himmel und Hölle, und für eine Anzahl alter Herren, welche der Sorge für Erwerb und Angehörige enthoben sind, fand sich eine dankenswerthe Beschäftigung. Der Psychograph war aus einem müßigen Schwätzer und boshaften Stadtklätscher ein Geisterbeschwörer geworden; was war das Punctirbuch, die Rhabdomantie, die Wahrsagerkarte gegen ihn? mittelst einiger trockenen Spähne und Buchstaben citirte man mit Leichtigkeit den ersten besten Geist.

Die erste Nachricht von modernen Beschwörungen erhielt ich auf einer Kaffeegesellschaft, die leider in meiner eigenen Wohnung gegeben wurde. Eine alte, sehr fromme Dame erzählte, daß ihre Nichte, ein junges Mädchen von vierzig Jahren, bei ihren psychographischen Uebungen neuerdings von mehreren Geistern besucht werde, deren Angaben ihnen viel zu denken gäben. Wie es in solchen Cirkeln zu gehen pflegt, entspann sich gleich eine etwa achtstimmige fugirte Debatte darüber, und da keine Stimme durchdringen konnte, ging man in den beliebten Schlußchor über, der von Moden und Dienstmädchen handelt. Ich für mein Theil nahm die alte Dame bei Seite und verwickelte sie in ein Gespräch über die Aufschlüsse der Geister. Sie theilte mir mit, daß ein Großvater der Nichte, ein alter Herr aus dem siebenjährigen Kriege, nicht allein Vieles wisse, sondern auch nicht im Mindesten zurückhaltend in der Verbreitung seiner Kenntnisse sei. Nachdem sich einige absichtlich aufgeworfene leichte Zweifel hatte widerlegen lassen, bekannte ich, daß mir viel daran liege, über das Ende meines jüngsten Bruders, der nach Amerika ausgewandert und auf der Rückkehr durch die Prairie zwischen St. Louis am Mississippi und Milwaukee jämmerlich umgekommen sei, etwas Näheres zu wissen. Möglicher Weise sei der Herr Großvater nicht abgeneigt, sich mit dem Geiste meines armen Bruders in Verbindung zu setzen und mich dann des Näheren zu belehren. Zugleich bat ich die ganze Sache mit äußerster Verschwiegenheit zu behandeln, und lehnte bestimmt ab, bei dem Versuche der Citation anwesend zu sein, da ich für die physische Beschaffenheit der verehrlichen Media nichts Förderliches, sondern eher etwas Störendes in mir trage. Bitte und Ablehnung der Zeugenschaft waren Wasser auf die Mühle des alten Frauenzimmers. Sie versprach, ihre Nichte in Kenntniß zu sehen und mir später Nachricht von dem erzielten Resultat zu geben. Nach einer Woche lud mich die gute Mama ein, sie zu besuchen. Nicht so bald war ich eingetreten, als die Nichte, sonst ein gar gutes Wesen, mit freudestrahlenden Blicken mir entgegenflog und mir erzählte, daß die Stimme des Großvaters ihr verkündet habe, mein jüngster Bruder sei an dem Bisse einer Klapperschlange gestorben, habe übrigens einen leichten Tod gehabt und gehöre zu den seligen Geistern. Dann tranken wir gemeinsam Kaffee, sprachen Manches über die Abenteuersucht der armen jungen Leute und trennten uns gerührt. Nun muß ich aber, auf die Gefahr hin von allen Psychogräphlern für den verworfensten Schurken gehalten zu werden, bekennen, daß ich den lieben Weiblein eine abscheuliche Falle gestellt hatte. Mein Bruder, der Auswanderer, lebte noch in voller Blüthe der Gesundheit, hatte den kühnen Marsch durch die Prairie glücklich vollendet, war dann, amerikasatt, wieder nach Europa heimgekehrt und leistete augenblicklich seiner Militairpflicht in Danzig bei dem ersten Artillerie-Regimente als Bombardier Genüge, eine Thatsache, an der kein Geist Zweifel erheben konnte, zumal ich die Postscheine über die von mir monatlich an ihn geschickten Unterstützungsgelder sorgfältig aufbewahrte. Weil aber die alte Dame inzwischen gestorben ist, glaube ich nicht länger verpflichtet zu sein, dieses Intermezzo zu verschweigen.

Meine Neigung, die Psychographie zu studiren, war begreiflicherweise durch die gründliche Auskunft des Großvaters der Nichte [11] ziemlich erloschen. Wenn ich von Geistern hörte oder in nordamerikanischen und französischen Blättern las, erschien mir der simulirte Geist meines guten Bruders und warnte mich vor den leichtsinnigen Bewohnern des Jenseits, welche nicht einmal die erste polizeiliche Maßregel: die Identität der Person festzustellen, ergreifen. Selbst die nach und nach auftauchenden Schriften des schon genannten Rendanten D. Hornung, des Zauberers von Berlin, gingen spurlos an mir vorüber. Ich überwand mich nicht, die „Neuen Geheimnisse des Tages“ zu lesen, nicht „Heinrich Heine, der Unsterbliche“, nicht die „Neuesten Erfahrungen aus dem Geisterleben“. Erst als mir ein literarischer Freund das letzte Werk der psychographischen Schule, „Die neuesten Manifestationen aus der Geisterwelt“, mit der dringenden Bitte zusandte, diesem Ausbund der Ungereimtheit einige Beachtung zu schenken, machte ich mich darüber her und las das 180 Seiten lange Opus von Anfang bis zu Ende durch.

Wie ein solches Werk nah der ernsten philosophischen Arbeit des letzten Jahrhunderts gedruckt werden konnte, begreift man nur, wenn man die merkwürdige Schwäche der menschlichen Natur und den geistig herunterbringenden Einfluß einer Lebensweise ohne regelmäßige Beschäftigung in Anschlag bringt. Hier ist gar nicht mehr die Rede von einer Citation der Geister, wie sie im Mittelalter gebräuchlich war, wo z. B. Tritheim[WS 1] dem Kaiser Maximilian[WS 2] seine erste Gemahlin erscheinen ließ, oder Faust Kaiser Karl dem Fünften den Schatten Alexanders des Großen zeigte; hier handelt es sich nicht mehr um geschickt gemachte Erscheinungen von kurzer Dauer, in tiefem Schweigen, oder in Begleitung von einzelnen orakelhaften Worten; bei dem Verfasser der neuesten Manifestationen, Herrn D. Hornung, finden förmliche Geisterkränzchen statt. Die Geister stellen sich so gut ein, wie Herr von Forstner, General von Pfuel, Herr Commerzienrath Ravené, Herr Hofopernsänger Krause, Herr von Willisen und Herr Graf Knyphausen, anderer Gäste und Berliner Notabilitäten gar nicht zu gedenken; die Wohnung des „geistreichen“ Rendanten in der Lindenstraße Nr. 16 gleicht einer Ressource für Gespenster. Kaum hat sich das Medium an den Psychographen gesetzt, und die Gesellschaft Platz genommen, so bemächtigt sich auch schon ein Geist des Mediums und theilt sich den Anwesenden durch das schreibende Instrument mit. Namentlich gewöhnen sich die ganz bösen und die dubiösen Geister an unsere alten Herren, während die guten Geister zurückhaltender sind und das für ihre ausgezeichnete Stellung erforderliche Decorum beobachten.

Zuweilen befehden sich sogar die bösen Geister und mischen sich unberufen Einer in des Andern Conversation mit dem Magier und der verehrlichen Gesellschaft. Die Aergsten sind der Angabe nach Heinrich Heine und ein schlesischer Geist, ein gewisser Horaz von Forno. Es ist kaum glaublich, in welchem Tone sich das letztgenannte Scheusal in Gegenwart gebildeter adliger Herren, reicher Industriellen und Künstler vernehmen läßt. Einmal hat besagter Horaz von Forno den Sänger des Buches der Lieder unterdrückt, und Herr D. Hornung bittet nun Heine, seine ganze Kraft anzustrengen, um Forno zu verdrängen. Er würde ihn dabei unterstützen und die Kraft des Allerhöchsten anrufen. Statt Heine’s Antwort, den Forno als der Stärkere nicht zuließ, wurde Folgendes durch das Medium geschrieben: „Zum Donnerwetter! störe Heine nicht, er muß beten. Das arme Luder, das früher so schön richtig deutsch gesprochen, hat hier (in der Hölle) vor lauter Frömmigkeit seine Muttersprache verlernt; singt der Kerl jetzt immer:

Herr Gott, ich lobe Dir
Und preise Deine Güte.

Mehr hat das arme Vieh von diesem Bauchkneifen erregenden Liede auf Erden nicht gelernt, und nun leiert er immer diese beiden Strophen; man möchte sich hier die Ohren mit Watte zustopfen, und das Bauchkneifen nimmt gar kein Ende; ich habe schon den glänzendsten Durchmarsch bekommen. – Kannst du ihm das Lied nicht weiter vorbeten? damit wir doch wenigstens eine Abwechselung bekommen und unsere Därme sich wieder stopfen. Forno.“

Mit dieser Sippschaft verkehrt der Magier und seine Freunde Monate lang und nimmt jedes Wort, welches durch das Medium mittelst Inspiration der verschiedenartigen Geister aufgeschrieben wird, für baare Münze und unumstößliche Wahrheit, wovon man sich auf jeder Seite des verzweifelten Buches selbst überzeugen mag. Auch sind die Geister im Ganzen nicht undankbar für so viel Vertrauen und Glauben. Sie scheinen sich in der Gesellschaft der alten Herren wohl zu fühlen und kehren immer wieder. So ist da der Geist eines Kapuziners Konrad aus Tübingen, der als siebentehalb Fuß langes Gespenst in einer Schloßkellerei nächtlich umgeht, aber von dem Herrn, der dort zur Miethe wohnt, nicht zum Reden gebracht werden kann, da der Psychograph ihm den Dienst versagt und die Geister seit einigen Jahren sich angewöhnt zu haben scheinen, ihre Ansichten nur durch dieses Instrument mitzutheilen. Der Tübinger Herr schreibt deshalb an Rendant D. Hornung, den Großmeister der psychographischen Loge, und fleht ihn inständigst an, den nächtlichen Ruhestörer zu citiren und zur Angabe seiner Persönlichkeit, wie seines Charakters, resp. Verbrechens, zu veranlassen. Alsbald werden die nöthigen geistmagnetischen Operationen angestellt, und der „jenseitige Unbekannte“ gibt sich als den schon genannten Konrad zu erkennen, wobei er sich gleichzeitig des Mordes Herzog Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin schuldig bekennt. In dem Vortrage dieses armen Geistes, der nach seinem Geständniß – er muß es doch selber am besten wissen – schon seit dem Jahre 1193 umgeht und schlechterdings nicht zur Ruhe gelangen kann, liegt aber so viel Reuiges und Gemüthliches, so viel Redseligkeit und Hang zu guten Menschen, daß die Ressource mit ihm ein förmliches criminalistisches Verhältniß anknüpft und ihn bis zum April des nächsten Jahres nicht aus den Händen läßt. Die Klagen Konrad’s reichen zwar nicht an den großartigen Styl Hamlet’s sen., allein mit den Redensarten betrübter Geister in gewöhnlichen Trauerspielen oder Melodramen lassen sie sich allenfalls vergleichen. Solche Kerle aus dem Jenseits kann der Hornung’sche Verein brauchen, und Konrad wird von ihm so grausam gezwiebelt, wie nur ein menschlicher Verbrecher von seinem Inquirenten. Er soll den Leichenstein der von ihm ermordeten Herzogin Mathilde angeben, kann jedoch schlechterdings damit nicht zur Zufriedenheit der Gesellschaft und des Tübinger Herrn zu Stande kommen. Man correspondirt emsig, ja in Tübingen werden ordentliche Nachgrabungen angestellt. Konrad findet indessen stets neue Ausflüchte, und nachdem er die würdigen Herren ein Vierteljahr lang hingehalten, vertröstet er sie schließlich mit der Auffindung des Steines auf künftige Zeiten. Inzwischen benutzen ihn die Herren als Uebersetzer einer aus Pittsburg in Pennsylvanien eingesandten Hieroglyphenschrift, denn die Psychographen correspondiren schon trotz den Akademien der Wissenschaften. Diese von einem amerikanischen Medium verfaßte Schrift wird vollständig übersetzt mitgetheilt, und enthält eine Göttergeschichte und Schöpfung des Menschen auf – dem Planeten Saturn. Der Leser des Buches glaubt sich zuweilen wirklich in einem Narrenhause zu befinden, und ich bewahre von einem Besuche der Irrenstation im Berliner Arbeitshause noch einige Blätter mit Selbstbekenntnissen einer armen Wahnsinnigen auf, in denen mehr Vernunft und weniger Verstöße gegen die rohesten Elemente der Naturwissenschaft enthalten sind, als in dieser Geistermanifestation.

Eine angenehme Abwechselung bringt die plötzliche Erscheinung des ehrsamen Hans Fürchtegott Gellert hervor. Als nämlich in der psychographischen Gesellschaft gefragt wird: „Wer wird heute die hier aufgestellten Fragen beantworten?“ meldet sich unerwarteter Weise der Leipziger Professor als Stellvertreter Konrad’s. Der fromme Mann läßt sich sogar herbei, den Herren zu erklären: „wodurch Bosco befähigt sei, mit doppelt verbundenen Augen jede Schrift zu lesen“. Seine Erklärung ist sehr sublim, sehr spiritualistisch und geistmagnetisch –. –. Alle namhaft gemachten Geister brauchten eigentlich gar nicht citirt zu werden, um unsere Kenntnisse zu bereichern. Ueber das Jenseits sagen sie nichts, was nicht schon tausendmal von Schwärmern oder Gaunern wiedergekäut worden wäre, über das Diesseits nichts, was nicht alle oberflächlich Gebildeten sich an den Schuhen abgelaufen hätten. Ja Geister, welche wie der mit aufgeführte kleine Richard, der schon im Jahre 1844, elf Monate alt, gestorben ist, den besten Unterricht im Jenseits genossen haben – Richard gibt Christus als seinen Lehrer an! – zeigen sogar die empörendste Unwissenheit. Unfehlbar hätte dieser kleine Geist, wenn er leben geblieben wäre, unter der Anleitung des ersten besten Kandidaten der Philologie bessere Fortschritte im Griechischen gemacht, als im Jenseits, denn er begeht am Schluß des Buches in einem Gedicht einen so lächerlichen Sprachfehler, und Herr Rendant D. Hornung fügt eine so böotische und nie „auf Schulen“ erhörte Erklärung hinzu, daß wir der Versuchung nicht widerstehen können, die Blätter der neuesten Manifestationen zu einem Zwecke zu verwerthen, welcher das Finale eines der erfreulichsten, wenn auch nur irdischen Acte im menschlichen Leben zu bilden pflegt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johannes Trithemius, Abt des Klosters Sponheim, Universalgelehrter und Humanist; wurde auch bekannt als Hexentheoretiker (1462–1516) (Quelle: Wikipedia)
  2. Maximilian I. von Habsburg, ab 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1459–1519) (Quelle: Wikipedia)