Malerische Wanderungen durch Kurland/Der Dondangsche Beyhof Gypken, Fahrt nach Domesnees, die Leuchtthürme daselbst, der Strand, merkwürdige Strandungen, Heldenthat des Küsters Fritze, der Dondangsche Beyhof Irben

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Das Kirchspiel und Schloß Dondangen Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
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Der Dondangsche Beyhof Gypken, Fahrt nach Domesnees, die Leuchtthürme daselbst, der Strand, merkwürdige Strandungen, Heldenthat des Küsters Fritze, der Dondangsche Beyhof Irben.

Einige Amtsgeschäfte machten mir eine Reise nach dem 7 Meilen von Dondangen entfernten Domesnees nothwendig. In Begleitung des Herrn Amtsraths Waegner, eines wahrhaft verehrlichen Mannes, trat ich, und ein sehr gebildeter russischer Officier, der in Dondangen in Quartier stand, die Reise Vormittags an. Über einen festen Granddamm rollte der Wagen dahin. In Gypken unweit dem Meeresstrande aßen wir zu Mittage, und wechselten dort die Pferde. Unser Weg führte uns längs dem so genannten Knabenberge (Puischa Kalnu) vorbey. Dieser Berg, mitten in einem großen Walde, erhebt sich kegelförmig zu einer ansehnlichen Höhe an der östlichen Seite einer Bergkette, welche sich zwey Meilen weit längs [200] der Seeküste hinzieht. Auf der Spitze des Berges liegt ein kegelförmiger Stein vom mässiger Größe, der Ähnlichkeit mit einer Menschengestalt hat. Vor diesem Steine haben die alten heidnischen Bewohner der Gegend ihre Opfer niedergelegt, und noch in neuern Zeiten sollen die Letten zuweilen hier geopfert haben; doch schon seit mehreren Jahren ist dieser Aberglaube völlig ausgerottet.

Nicht weit vom Knabenberge befindet sich, dicht neben einem kleinen Flüßchen in einem Sandstein, eine geräumige, zum Theil schon verfallene Höhle, und in derselben ein tischförmiger Stein. Diese Höhle nennt der Lette swehtas jumprawas kambara (der heiligen Jungfrau Zimmer). Es soll hier ehemals eine große Heilige residirt haben. Außer der grünen Jungfer hat also Dondangen auch eine heilige — selbst in der Tradition ein reicher Schatz.

Ehe ich Gypken verlasse, muß ich Sie auch auf die ganz besondere Ordnung und Reinlichkeit aufmerksam machen, mit der hier, in Dondangen selbst, und in allen dondangenschen Beyhöfen, die Viehpacht besorgt [201] wird. Wie sauber ist hier der Milchkeller mit Sand und Blumen ausgestreut, wie weiß gescheuert sind die Späune und Schränke, wie nett die Kleidungen der Mägde! Dafür ist aber auch die dondangensche Butter vorzüglich berühmt. Überhaupt muß für einen Freund und Kenner der Landwirthschaft Dondangen schon deshalb ein sehr interessanter Aufenthalt seyn, weil hier die Ordnung und Regelmässigkeit in der Ökonomie auffallend groß ist.

Nach einem Spaziergange an einem kleinen, lieblichen Bache, der bey Gypken vorbey fließt, setzten wir uns wieder in den Wagen, und gelangten bald an die Seeküste, von wo wir bis Domesnees noch 3 Meilen am Strande zu fahren hatten. Schon die Beschreibung der Provinz Kurland[1] erwähnt der besondern Sorgfalt, mit der die nördlichen Ufer längs dem dondangenschen Gebiete gepflegt werden, indem man die Sandhügel durch Zäune und Anpflanzungen von Weidensträuchen [202] jährlich befestigt, und so verhindert, daß der vom Sturm aufgeregte Sand nicht Felder und Wiesen verschütten kann; ein Umstand, der hier auch am Strande die Fahrt angenehm macht, indem man, bey dem ewig schönen, erhabenen Aublick der offenen See, selbst die zur Seite am Ufer fortlaufenden Sandhügel mit grünen Weidenhecken, welche Felder und Wiesen schützen, bepflanzt sieht. Der dondangensche Strand ist sehr fischreich, und aus der Gegend von Riga, so wie aus den benachbarten Strandorten kommen jährlich Fischer hierher, die gegen eine bestimmte Bezahlung den Sommer über an diesem Ufer fischen. Sie wohnen in kleinen, an der Küste zerstreuten, nur für den Sommer eingerichteten Häusern, wodurch der Strand an Leben, gewinnt. Allenthalben sahen wir Fischerböte, von denen einige sich vom Ufer entfernten, andere eben landeten, und in jedem Bote lag ein Netz voll der schönsten Seefische. Butten, Strömlinge und Dorsche[2] [203] fängt man hier am häufigsten. Die dondangenschen Speckbutten und Breitlinge[3] sind bekannt. Auf dem Wege von Gypken bis Domesnees fanden wir bis 50 dergleichen Fischerwohnungen. An einem schönen, heitern Tage, wie derjenige, an welchem ich hier die Reise machte, scheinen diese Fischer ein wahres Idyllenleben zu führen; doch bey Sturm und Regen würde wohl diese Bemerkung nicht passen. Daß die Fischer übrigens hier mit Weib, Kindern und Verwandten ihr Wesen treiben, geht schon daraus hervor, weil ich ihr Idyllenleben bey heiteren Tagen pries, und ein solches sich schwerlich entfernt von den Reizen des schönen Geschlechts denken läßt. Wir traten in eine Fischerwohnung und fanden Groß und Klein, Männer und Weiber mit Reinigung von Seefischen, die zum Trocknen bestimmt waren, beschäftigt; unter dem Dache hingen an Stangen eine Menge schon gereinigter Fische, und auf dem Boden loderte ein Feuer, in dessen aufwärts ziehendem Rauche [204] die Fische getrocknet werden. Die Kleidung dieser Fischerbauern, so wie ihre frohen, heitern Gesichter, verriethen Wohlstand und Gesundheit. Die meisten tragen, im Sonntagsstaat, eine Matrosenkleidung mit massiv-silbernen, erhabenen, achteckigen Knöpfen, und an der Brust der Weiber glänzen silberne Breetzen[4], mit allerhand bunter Arbeit, auch mit unächten Steinen geziert. Wie klein erscheinen, gegen diesen Schmuck, die eben so getragen werdenden Medaillons unserer Damen, mit oft unächten Haaren, welche dergleichen Steinen an Werth so ziemlich gleichkommen mögen! aber freylich haben diese großen Breetzen auch mehr zu umfassen und zu bedecken, als jene kleinen Medaillons. Nicht weit von dieser Fischerwohnung, die wir unter einem lauten Lebewohl der Bewohner verließen, landeten bey einer andern eben drey Böte, von denen der frohe Gesang der Fischer und Fischerinnen ertönte. Eine Menge großer und kleiner Möven kreisten um die nahenden [205] Fahrzeuge. Freylich begleitete das Geschrey der Vögel den Gesang der Fischer nicht in schmelzenden Akkorden, aber in jeder reinen Stimme der Natur ist Harmonie. Wenn die Fischer landen, und den Fang aus den Netzen nehmen, so ziehen immer eine Menge Seevögel herbey, um die Überbleibsel des Fischfanges, die weggeworfenen Köpfe oder die an den Netzen hängen gebliebenen Wasserinsekten zu verzehren. Es ist ein schöner Anblick, die weißen Möven, wie Lichtflecke, auf den blauen, finstern Wogen schweben zu sehen. Doch dachte ich hier auch:

Des Menschen Lebens finstrer Welle,
Die über einen Abgrund schäumt,
Indeß der Schiffer ruhig träumt; —
In seiner Phantasie Gestalten,
Die ihren Flug um ihn entfalten,
Erblickt er nur des Morgens Helle;
Doch er erwacht — die Träume fliehen
Und ängstlich weicht die Truggestalt,
Und um ein Grab, so tief, so kalt,
Sieht er den Sturm vorüberziehen.

Näher und immer näher erblickten wir die Feuerbaaken oder Leuchtthürme von Domesnees; doch hier, gegen die Spitze der Erdzunge, waren die Sandhügel nicht mehr [206] durch Zäune und Weiden befestigt, sondern standen, wie Grabmäler einer blühenden Natur, kalt und einsam da. Der leiseste Wind bewegte den losen Sand, und kreiselte ihn gleich Schneeflocken umher. Endlich näherten wir uns der Spitze der Erdzunge; die Feuerbaaken, diese wahren Feuersäulen auf dem Zuge in den Hafen und zu dem niemals genug gelobten festen Lande, standen uns gegenüber. Wir lenkten in eine kleine Bucht, wo ein nettes Dorf vor uns lag, kamen etwas weiter hin einigen Speichern, in welchen von den hier so oft strandenden Schiffen die geborgenen Sachen bewahrt werden, vorbey — und nun hielt der Wagen an der Wohnung des Baakeninspektors. Doch ehe ich weiter von dem, was ich hier in Domesnees sah, Nachricht gebe, wird Ihnen eine kleine geographisch-historische Beschreibung des Riffs und seiner Baaken nicht unwillkommen seyn.

Das Riff bey Domesnees hat blos sandigen Grund, und läuft von der zugespitzten Erdzunge über 12 Werst weit in die See, unter der Oberfläche des Wassers, das sich [207] nur 5 bis 4 Fuß über den Grund erhebt, fort. Diese Erdzunge mit ihrem Riffe scheidet den rigaischen Meerbusen von der eigentlichen Ostsee. Alle Schiffe, die nach diesem Busen, nach Pernau und Riga segeln oder zurückkehren, schiffen hier vorbey. Die Schiffer müssen um die äußerste Spitze in möglichster Entfernung herumfahren, und sich sehr vorsehen, wenn sie nicht auf das Riff gerathen wollen; doch stranden hier alle Jahre wohl 6 Schiffe und mehr. Auf der äußersten Spitze der Erdzunge sind schon in der Mitte des 15ten Jahrhunderts zwey Feuerbaaken errichtet worden, welche früher von Holz waren. Die Stadt Riga zahlt jährlich 2500 Thlr. Alberts an das Kirchspiel Dondangen, wofür vom 15ten August bis zum 15ten Januar alle Nacht auf diesen Baaken ein gehöriges Feuer unterhalten werden muß. Auf der entgegengesetzten Seite des Meeres, auf den Inseln Runoe und Oesel, finden sich ähnliche Erleuchtungsanstalten, welche eben so für die Handlung und Schifffahrt, besonders von Riga, sehr wichtig sind. Bey dem Anfange des Riffs, 34 Faden weit vom nördlichen [208] Ufer, steht auf einem Hügel die erste Baake, in der Gestalt eines viereckigen Thurmes, ganz von Steinen gebaut, die andere Baake, von derselben Bauart, liegt hundert Schritte weiter. Jede hat 4 Quadratfaden Umfang, die eine aber 7½, die zweyte 9 Faden Höhe. Oben auf diesen Thürmen ist ein breiter, mit Ziegeln ausgelegter, und mit einer hölzernen starken Gallerie versehener Gang. In der Mitte steht der über der Gallerie erhabene, eiserne Rost, auf welchen das Holz mit Winden heraufgeschaft und die ganze Nacht hindurch gebrannt wird. Jährlich werden hier 750 Faden Holz verbraucht. Doch, bevor diese jede Herbstnacht dem Neptun auf hohen Altären dargebrachten Opfer angezündet werden, führe ich Sie wieder zurück in die Wohnung des Baakinspektors. Ich sagte schon vorher, daß nahe bey Domesnees die Küste kein freundliches Ansehen hat, sondern nur beträchtliche weiße Sandhügel den Blick auf das Ufer beschränken. Desto angenehmer wird man bey der Einfahrt in das Dorf und in der Wohnung des Inspektors überrascht. Diese liegt, [209] von Sandbergen, die sie vor Stürmen schützen, umgeben; aber dem menschlichen Fleiße, der keine Hindernisse kennt, gelang es auch hier, mitten in einer Sandwüste eine liebliche Ebene, voll schöner Kornfelder und grünender Wiesen, anzubauen. Starke Weidenstämme verhindern das Bewehen des Sandes, und sind der kleinen Felder Schutzwehr und Zierde zugleich. Wie in einer Insel Felsenburg hört man das keine halbe Werst entfernte Meer rauschen, ohne es, von den Hügeln verdeckt, zu sehen; man erblickt es nur, wenn man ein über dem Dache des Hauses errichtetes Observatorium besteigt.

An dem Baakinspektor, einem ehrwürdigen Greise, — der hier, in diesem eigentlichen Winkel Kurlands, seit vielen Jahren lebt, und der so oft, öfterer als mancher Reiche und Vornehme in prächtigen Städten, Gelegenheit suchte und fand, Menschenleben zu retten und Gutes zu thun, — hatten wir einen freundlichen und liebenswürdigen Wirth. Wir waren Nachmittags um 4 Uhr angekommen, und beschlossen, das Dorf [210] und die Speicher zu sehen. Schon im Hofe des Baakinspektors und rund um die Speicher fallen die Menge Schiffszierathen von gestrandeten Schiffen auf. Hier stand eine hölzerne Sirene — ach! ihre Zaubertöne hatten sie nicht vom Untergange gerettet, aufs Trockne hatte man sie gebracht, und, ohne Barmherzigkeit, an die Wand genagelt. Dort drohten hölzerne Kanonen, die irgend ein Schiff statt der metallenen einst führte; ihre hölzerne Natur hatte sie über dem Wasser erhalten. So, dachte ich, erhebt sich mancher in drohender, nur durch die Form zur Waffe geprägter Gestalt, über die Fluten des Schicksals, indeß da, wo Kraft und Gewicht die Form mit dem wahren Gehalte vereint, ein Abgrund sich öffnet, und das Würdige zu Boden streckt, der Schwäche aber, von einer Welle zur andern getragen, das Land erreicht, und vielleicht gar einen Ehrenplatz, wie hier vor dem Hause, erhält. — Dort lag der Rest eines Schiffsspiegels, welcher die Inschrift: „Die drey Schwestern“ trug. In einem Spiegel, und wäre es nur der eines Schiffs, drey Damen zu vereinigen, [211] war zu gewagt, — das Ganze mußte zu Grunde gehen, wie hier die Erfahrung lehrte. — Dort lag der Kopf einer Minerva, der ehemals auf einem Steuer befestigt gewesen war; — auch hier ein Beweis, daß Minerva, als Symbol der Weisheit, nicht immer das Steuer richtig zu führen vermag, und daß, wo es Riffe und Klippen giebt, selbst das Haupt der Weisheit strandet. — Die Inschrift eines Schiffs, mit goldenen Buchstaben auf grünem Grunde, wo ich mich recht erinnere: Die Hoffnung, stand, unter mehreren andern, über der Thüre eines Speichers — wahrlich, als redendes Bild einer zertrümmerten; man müßte denn annehmen wollen, daß, als die Hoffnung auf dem Schiffe sank, sie für den Speicher wieder auflebte. — Auch eine zweymastige Freundschaft ist hier so zu Grunde gegangen. Wie manche andere bedarf keines Riffs, keines Sturmes und keiner dunkeln Nacht, um zu scheitern. Sie gewähren einen rührenden Anblick, diese Ruinen, diese Trümmer menschlicher Größe, Glückseligkeit, Hoffnung und Freude. Ein [212] zerbrochener Anker, der hier im Sande lag, vollendete das Bild sprechend und wahr.

Illi robur et aes triplex
Circa pectus erat, qui fragilem truci
Commisit pelago ratem
Primus.

Die Bewohner des Dorfes Kolken, neben dem Hause des Baakinspektors, dem Strande näher zu, sind größtentheils Fischer, aber keine Letten, sondern Überreste des alten Liven-Stammes. Sie sprechen eine ganz eigene, von der lettischen völlig verschiedene Sprache, obgleich die Erwachsenen alle auch Lettisch verstehen. Sie selbst nennen ihre Sprache die Libische. Ihre Sitten und Kleidung stimmen mit denen der Letten in dieser Gegend überein, auch warten sie den Gottesdienst in lettischer Sprache ab, heirathen jedoch nur unter sich, und pflanzen ihre Sprache sorgfältig auf ihre Nachkommen fort. Man behauptet, daß sie abergläubischer als die Letten wären. Noch giebt es hier am Strande im dondangenschen und popenschen Gebiete acht Dörfer, wo sich diese Liven finden. Sie bewohnen in [213] allem gegen 160 Gesinde. Außer dem Baakinspektor wohnen hier auch noch ein kaiserlicher Zoll-Gränz-Aufseher und einige Gränz-Reiter.

Sobald wir unsern Spaziergang beendigt hatten, kehrten wir nach unserm Quartier zurück, wo wir in froher Gesellschaft zu Abend speisten. Mancherley Seefische, auf verschiedene Art zubereitet, machten einen Theil unsres Mahles aus, das vortreflich schmeckte. Ich empfehle vorzüglich die frischen Breitlinge, welche so köstlich nur hier, in der Gegend des Riffs, gefangen werden, und ein wahrer Leckerbissen sind. Sie können, ohne ihren schönen Geschmack zu verlieren, kaum ein paar Meilen verführt werden; man bereitet sie daher sogleich, wenn sie aus dem Wasser kommen. Nach dem Abendessen wanderten wir wieder dem Strande zu. Herr Amtsrath Waegner ließ daselbst, aus Gefälligkeit für mich, eine Seefischerey veranstalten, welche oft bey Nacht besonders glücklich ausfällt. Bald erblickten wir die jezt schon angezündeten Feuer auf den Baaken. Sie brennen von Sonnenuntergang [214] bis Sonnenaufgang. Die Dunkelheit der Nacht verbarg die Thürme und erhob das Feuer, das auf ihnen helllodernd brannte; so wie oft den Grund, auf dem sich im Menschenleben die glänzendsten Erscheinungen erheben, dicke Finsterniß versteckt. Wie Meteore schienen die Flammen in freyer Luft zu hängen, und warfen auf die zum Fischfange ausgeruderten Böte, rothe, zitternde Lichtstreifen herab, die sich weit in der nur von kleinen, kreiselnden Wellen bewegten See verloren. Es war ein schöner Abend in der Mitte des Augustmonats, und die Kühle der See ließ uns ein am Ufer angezündetes Feuer, bey dem wir Zuschauer der Fischerey standen, und das fleißig unterhalten wurde, nicht empfinden. Leise schlugen die Wellen an die Küste; wie das Rauschen der Bäume, die ein sanfter Wind bewegt, tönte die Brandung und verhallte in der Ferne.

Ich werde nie den herrlichen Abend vergessen, wo Genuß der Freude im gesellschaftlichen Umgange, mit stiller Wehmuth und Rührung im Anblick der prächtigsten Naturscenen in meiner Seele rangen.

[215]

Über leicht bewegte Wogen
Hauchte sanft ein Zephyr her,
Und wie Riesenbilder flogen
Flammenzüge übers Meer.

Von des Thurmes hoher Leuchte
Sank die Flamme in die Flut,
Und vermählt mit kühler Feuchte
Ward die helle, rothe Glut.

Streitend so und doch vereinet,
Einer Menschenseele Bild,
Wo der helle Geist erscheinet
Und das Niedre sie erfüllt,

Wo in kalten, finstern Tiefen
Jenes Geistes Strahl versank,
Und‚ was Götter Stimmen riefen,
In der Erde Sturm verklang.

Die von den Böten ausgeworfenen Netze wurden von einigen zwanzig Menschen ans Land gezogen; der Fang war ergiebig ausgefallen. Noch einmal wanderten wir zu den Leuchtthürmen, deren schönen Anblick ich nie genug genießen konnte, und kehrten dann zur Nacht in unser Quartier zurück. Nach so starker Bewegung schläft es sich herrlich. Aber den andern Morgen war unser erster Gang wieder nach der See‚ wo [216] die, während der Nacht auf den Fang von Strömlingen, Butten und Dorschen[5] ausgewesenen Fischer mit ihren Kähnen warteten, um uns ihre Beute zu zeigen. Die durchnäßten, und daher dunklen Setznetze, zum Theil von feinem Garn, hingen voll schöner Fische. Wie Silber schimmerten unter diesen die Strömlinge, und aus zehn bis fünfzehn Böten, die hier am Ufer standen, wurden eine Menge Fische in hohen Körben aufgeschichtet, und sodann von den Fischern in ihre nahen Wohnungen ins Dorf getragen. Um die Aussicht von den Leuchtthürmen nach der See an einem schönen, heitern Morgen zu genießen, eilten wir, sie zu besteigen. Welchen herrlichen Anblick hatten wir da! Sechzehn Schiffe segelten um das Riff und neben demselben. Einige segelten nach dem rigischen Meerbusen, andere kamen zurück. Der Morgenstrahl der Sonne röthete die aufgespannten Segel; wie lichte [217] Wolken zogen sie längs dem klaren Horizont; eine Menge Fischerböte mit ihren kleinen Segeln schwebten hin und her auf dem Meere. Wir überschauten sie alle, und blickten von der einen Seite in die Ostsee, von der andern in den rigischen Meerbusen hinab. Das Toben und Treiben am Strande, wo allenthalben Fischer beschäftigt waren, so wie die Verschiedenheit der Wellen zu beyden Seiten des Riffs, indem, wenn beym Nordwestwinde in der Ostsee das Meer unruhig tobt, die Wellen im rigischen Meerbusen ungleich schwächer sind, und umgekehrt beym Ostwinde die Wellen der Ostsee sich kleiner erheben, beschäftigte unsere ganze Aufmerksamkeit. Mit einem guten Fernrohr versehen, konnten wir deutlich die Inseln Runoe und Oesel unterscheiden. Auf der letzteren erblickten wir Thürme und Häuser, erstere erhob sich wie ein kleiner, mit Wald bewachsener Berg, aus der See; — so reichte unser Blick und unser Gedanke über die Ferne und Tiefe hinaus. O! wenn auch unser geistige Blick, dem so viele Meister Fernröhre schaffen wollten, mit eben der [218] Wahrheit und Bestimmtheit ein jenseitiges Ufer erreichen — Ferne und Tiefe überschauen könnte. Immer kann freylich hier die Aussicht nicht so lieblich seyn. Ich dachte mir die Scene an einem Herbsttage, wenn finstere Wolken über die brausende, schäumende See ziehen, gegenüber dem gefährlichen, so oft den Schiffen Untergang drohenden, Riffe, wo die hohe Brandung, wie ein fürchterlicher Donner tobt, und jeden Augenblick irgend ein trauriges Schauspiel des Schiffbruchs erwarten läßt, gleich gefährlich für die Unglücklichen auf der See, und für die, welche zu ihrer Rettung herbey eilen. Wie mancher Blick voll Verzweiflung und Todesangst mag hier nicht auf diese Leuchtthürme gerichtet worden seyn, wie manches Angstgeschrey der mit dem Tode Ringenden mag hier nicht der Sturm vorüber getragen haben!

Die Anstalten sind hier zwar gut; aber doch ist es zu bedauern, daß man gerade an dieser gefährlichen Stelle kein Rettungsboot unterhält. Hören Sie einen merkwürdigen Unglücksfall, der aktenmäßig wahr ist, und [219] Sie werden erstaunen, wie grenzenlos hoch menschliches Elend steigen kann, und wie dennoch zuweilen wunderbare Rettung möglich wird.

Den 16. Oktober 1801 strandete auf der äußersten Spitze des Riffs das schwedische Schiff Jupiter, vom Schiffer Niels Gustav Westerberg geführt. Der Sturm war sehr heftig, und das Schiff sank in kurzer Zeit so tief, daß nur noch die Hälfte der Masten über dem Wasser hervorragte. Der Schiffer und die andere Schiffsmannschaft wurden gleich ein Opfer der Fluthen, nur der Steuermann, Erich Gergrén, und noch ein Matrose, hatten sich zur Spitze des Mastes geflüchtet, und mit starken Tauen an demselben befestigt. Hier brachte der unglückliche Steuermann, nur in einen durchnäßten Mantel gehüllt, dem schrecklichsten Sturm und Regen ausgesetzt, bis zum 26. Oktober, also 11 volle Tage, zu, ehe von den Fischern entdeckt wurde, daß an den Masten sich etwas zu bewegen schien, und sie zur Rettung herbeyeilten. Sein Leidensgefährte war schon am achten Tage verschieden. [220] Gergrén hatte ein Pfeifenrohr in seiner Tasche gefunden, und dieses, bis auf ein kleines Stück, verzehrt. Der Durst quälte ihn vorzüglich, und mit einem Stiefel, den er an ein Strumpfband knüpfte, schöpfte er Seewasser, das er trank. Den einen Stiefel rissen die Wellen fort, nur der andere blieb ihm. Er wollte sich, da ein Boot am achten oder neunten Tage vorbeysegelte, ohne ihn zu bemerken, als er schon seine Rettung für gewiß gehalten hatte, in die Fluthen stürzen, um seine Todespein zu verkürzen, aber er war zu schwach, die starken Taue, mit denen er sich an den Mast gebunden hatte, zu lösen. Endlich sahe er ein Boot auf sich zueilen, und noch hatte er, wie er erzählte, Besonnenheit genug zu dem festen Entschlusse, sich nicht zu sehr der Freude zu überlassen, damit ihn diese nicht tödten möchte. Als das Boot ihn erreichte, und man ihn von dem Maste losgemacht hatte, sank er ohnmächtig hin. Der sorgfältigsten Pflege, die ihm anfangs nur tropfenweise stärkende Nahrung gab, gelang seine Rettung. In einigen Wochen reiste Gergrén nach Riga, [221] völlig hergestellt, um sich auf einem andern Schiffe einen Dienst zu verschaffen. Ist es möglich einen längern Todeskampf zu kämpfen, und doch gerettet zu werden? Zum Andenken dieser merkwürdigen Lebensrettung sind der Stiefel und das Stückchen Pfeifenrohr des unglücklichen Gergrén, in Domesnees im Vorhause des Baakinspektors aufgehängt.

Wo ein Mensch litt, wo ihn Unglück, Elend oder Tod in einer merkwürdigen Gestalt traf, da findet man oft Denkzeichen, die der Unglückliche selbst, oder seine Freunde, wenn er unterlag, errichteten. Das Glück und die Freude, mögen sie auch noch so auffallend erscheinen, erhalten selten ein Denkmal. Es werden mehr Todtenkränze, als Kränze der Freuden gewunden. Sollte die Ursache hiervon nicht seyn, daß auf dem Lebenswege öfterer das Glück und die Freude, als das Elend und das Unglück erscheinen, und diese dadurch mehr bemerkt werden? oder spricht hier das Herz auch die spätere Zeit um Mitgefühl an, und ist ein Denkzeichen des Unglücks etwa ein offener Wechsel [222] an das Menschenherz für alle Zeiten und Völker? Aber wie viele Proteste würden in dem Falle nicht die Armuth und das Fallissement bezeichnen!

Oft sieht man hier auch bey Strandungen merkwürdige Beyspiele von Muth und Entschlossenheit.

Ein englischer Schiffskapitain, der hier strandete, und dem der Weg zu Lande zu beschwerlich war, um nach einem Seehafen zu gelangen, kaufte sich ein ganz kleines Boot, in welchem sich hier kein Fischer über die zweyte Brandung wagt, machte sich ein Segel von einem alten Tuche daran, und schiffte, trotz aller Vorstellungen, und, als man ihn mit Gewalt zurückhalten wollte, heimlich davon. Er langte nach einigen Tagen, obgleich der Wind heftig wehete, in Pernau an, von wo er seine glückliche Ankunft nach Domesnees meldete.

Von dem fürchterlichen Orkane, der am 24. September 1805 auf der ganzen Ostsee mit unerhörter Schrecklichkeit wüthete, so viele Schiffe zertrümmerte, und Menschen und Schätze in das tiefe Grab des Meeres [223] warf, sahe man auch an der Küste von Dondangen und Domesnees die traurigsten Wirkungen. Nach einem ziemlich heitern Tage brach der Orkan plötzlich, und ohne daß man seine Nähe ahndete, aus. Die alte Burg zu Dondangen, die so lange dem Sturme der Zeit getrotzt hat, schien jezt, von den Wogen des mächtigen Luftstromes umspült, beben und sinken zu wollen. In einem Augenblick waren die größten Bäume umgerissen; Dachziegel wehte der Orkan wie leichte Herbstblätter dahin; alles starrte mit banger Erwartung der Folge dieser schrecklichen Naturscene entgegen. So wüthete der Orkan die Nacht hindurch, und kaum graute der Morgen, als athemlos und vor Schrecken fast der Sprache nicht mächtig, ein Bauer aus einem Strandgesinde in die Burg stürzte und rief: Schiffe sähe man stranden, viele Schiffe, und auf den hoben Wellen wogten allenthalben Leichen, ertrunkene Pferde und Schiffstrümmer ans Ufer. Der Oberamtmann Waegner, und mit ihm der damals gerade in Dondangen anwesende Kanzeleyl-Sektetair des piltenschen Landraths-Kollegiums, Herr [224] Beitler, eilten nach dem einige Meilen weit entfernten Seeufer, um durch jede nur mögliche Sorgfalt die unglücklichen Gestrandeten zu retten. Der Weg war allenthalben von niedergestürzten Bäumen bedeckt, und nur zu Pferde war es möglich, bis an den Strand zu gelangen. Ununterbrochen tobte der Orkan. Hagel und Regen wechselten ab, und stürzten ein Meer aus hoher Luft in die ihr jezt so fürchterlich verschwisterte Tiefe.

Bey dem Dorfe Irben erblickte man zuerst ein Schiff, das ungefähr nur 200 bis 300 Schritte vom Ufer entfernt lag. Der vordere Theil war schon ganz ins Wasser gesunken; nur der hintere ragte noch hervor, und man sah auf selbigem Menschen, die ihre Hände ausstreckten, und deren lautes Wehegeschrey zuweilen selbst das Toben der Brandung und das Geheul des Sturmes übertönte. Rettung schien hier unmöglich; alle Versprechungen, alle Aufmunterung an die am Strande versammelten Bauern blieben fruchtlos. Alle schrien: zwey Schritte in die See und unsre Böte schlagen um — wir müssen ertrinken!

[225] Doch, was ist wahrem Heldenmuthe, den ein heiliges Gefühl der Menschenliebe begleitet, unmöglich? Der Küster Fritze, ein Lette und Erbunterthan des Privatgutes Dondangen, der bisher still, in sich gekehrt und schweigend dem schrecklichen Schauspiele zugesehen hatte, trat jezt feierlich, wie von einem überirdischen Gefühle begeistert, aus der Mitte der Bauern hervor: —; „ich will die armen Seelen retten, oder sterben!“ sprach der edle Mann. „Wer kommt mit mir, ich gehe voraus!“ ‚rief er. Sein Beyspiel wirkte, noch 5 andere entschlossen sich. Ein Fischerboot ward in die See gestoßen; der brave Fritz ergriff das Steuer mit jener heldenmüthigen Ruhe, die nur den Zweck, nicht die Gefahr mißt; die großen entgegen brausenden Wellen schienen das Boot im ersten Augenblicke zu bedecken, alle am Strande Zurückgebliebenen verhüllten unwillkührlich ihr Gesicht — „sie sind verloren!“ Doch nein, ein Genius der Menschheit, der in der Brust eines Letten sein Heiligthum bewahrte, ebnete vor ihm die stürmische Bahn. Das Fischerboot durchschnitt [226] die schäumenden Wogen, erreichte das Schiff und nahm 9 Menschen auf, mit denen es glücklich ans Ufer kam. Unverzüglich fuhr der brave Fritze wieder ab, und rettete von diesem Schiffe, welches ein kaiserliches Transportschiff mit Kosaken war — zuletzt, als von der Anstrengung erschöpft, ihn Keiner mehr begleiten wollte, sogar allein — sämmtliche auf dem Schiffe noch lebende Menschen, 17 an der Zahl. Die Übrigen hatten die Wogen weggespült, oder sie waren durch Nässe und Kälte in der schrecklichen Nacht umgekommen. Bürgers schönes Lied vom braven Mann erhielt der Nachwelt das Andenken einer gleichen Edelthat.

Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang;
Wer hohen Muths sich rühmen kann,
Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.

Nicht weit von diesem Schiffe war ein anderes gestrandet, das ebenmässig Kosaken und Pferde führte. Es war näher an den Strand getrieben und kaum 100 Schritte vom Ufer entfernt. Ein seltenes Beyspiel von Muth und Entschlossenheit hatte, bevor noch [227] Veranstaltung zur Rettung durch Böte gemacht werden konnte, die ganze Schiffsbesatzung glücklich ans Ufer gebracht. Sobald nämlich das Schiff gestrandet war, ließ ein auf demselben sich befindender junger Kosaken-Officier, Namens Millerov, das Verdeck aufhauen, und die Pferde heraufbringen. Er bestieg sodann eines davon, stürzte in die Fluth und schwamm glücklich ans Ufer. Seine sämmtliche Mannschaft mit ihren Pferden folgte ihm. Von letztern ertrank nur eins, mehrere wurden beschädigt. Ebenderselbe Kosaken-Officier zeigte so wenig Bestürzung, daß er den Oberamtmann Waegner einige Meilen am Strande zu Pferde begleitete, um zu forschen, ob unter den ausgespült-werdenden Leichen nicht einige seiner Brüder wären, die sich auf andern Schiffen befanden. In diesem schrecklichen Augenblicke noch Entschlossenheit zu einer solchen gewagten Lebensrettung zu behalten, und ein herzliches Gefühl der Bruderliebe in der durch Schrecken, Kälte und Nässe beengten Brust zu bewahren, ist gewiß der Bemerkung und hoher Verehrung werth. Den [228] vortreflichen Anstalten, welche fortwährend, theils an der Küste von Dondangen, durch den Oberamtmann Waegner und den Kanzeleysekretair Beitler, die in zweymal 24 Stunden sich keinen Augenblick Ruhe gestatteten, theils auch von dem Privatgute Popen getroffen wurden, gelang es, daß von 7 gestrandeten Transportschiffen 197 Menschen und 57 Pferde, so wie von zwey, gleichfalls an demselben Tage gestrandeten Kauffahrteyschiffen 7 Matrosen gerettet, und durch sorgsame Pflege erhalten werden konnten.

Diese, auf aktenmässige Berichte und glaubhafte Erzählung der gegenwärtig gewesenen Personen gegründete Geschichte, verdient gewiß die Theilnahme aller Leser. Schrecklich war der Orkan, fürchterlich das Toben der Wellen; aber durch den Sturm der Natur strahlte ein wärmender Sonnenblick unentweihter Menschheit hervor. —

Eine so seltene Edelthath konnte Rußlands erhabener gütiger Herrscher nicht unbelohnt lassen. Der Küster Fritze erhielt eine große goldene 50 Ducaten schwere Medaille, an dem Bande des Wladimir-Ordens [229] um den Hals zu tragen, und 1000 Rubel überdies zum Geschenk; auch die erhabene Kaiserin Mutter hatte ihm eine goldene Tabatiere übersandt. Die Andern bey der merkwürdigen Strandung sich ausgezeichnet habenden Personen wurden gleichfalls Kaiserlich belohnt, und so erhielten der Herr von Behr auf Popen, der Oberamtmann Waegner und der Sekretair Beitler, jeder einen kostbaren Brillantring. Der Küster Fritze empfing seine Ehrenmedaille aus den Händen Sr. Excellenz des Kurländischen Herrn Civilgouverneur von Hrseniff, bey dem er darauf in einer besonders hierzu eingeladenen Gesellschaft, mit mehreren vornehmen Personen speiste. In allen Gesellschaften, zu denen Fritze hierauf Einladungen erhielt, erschien er immer mit seinem grauen Bauerkittel, und äußerte, daß, obgleich er sich wohl einen andern kaufen könnte, er diesen doch immer beybehalten wollte, um sich nicht vor seinen Brüdern auszuzeichnen. — Sollte der Wunsch des ganzen Publikums, diesen vom Monarchen selbst ausgezeichneten edlen Bauer und seine Kinder, von der Leibeigenschaft [230] befreyt zu wissen, von der Gutsherrschaft nicht endlich erfüllt werden? —

Als wir in die Wohnung des Baakinspektors zurückkamen, fanden wir unsere Gesellschaft durch einige Kaufleute aus Windau vermehrt, mit denen wir einen frohen Mittag verlebten. Auch lernte ich hier den T. R. S**** kennen, dessen angenehme Unterhaltung uns alle sehr interessirte. Er erzählte einen Theil seines Lebenslaufs, und versicherte, er habe mit Ehren gedient, weil er alle Strafen selbst überstanden. Obgleich wir ihm diese Erfahrung nicht beneideten, so konnten wir doch nicht umhin, sie zu bewundern, besonders bey der Versicherung des Herrn T. R., wie viel er an Charakter dabey gewonnen habe. Er zeigte auch eine Sammlung von Hünern, welche von gestrandeten Schiffen gekauft waren. Neben einem holländischen fetten Hahn — was gerade bey Hähnen sonst selten, und kein Verdienst ist — spazierte ein gewandter Engländer, und, wenn ich nicht irre, so befand sich, unter mehreren andern Nationen, auch ein Spanier hier. Wahrlich eine [231] besondere, recht eigentlich gallische Nationalversammlung.

Den Nachmittag machte ich eine glückliche Jagd auf Seeschnepfen, deren es hier eine Menge giebt, und die in ganzen Heeren fliegen, so daß man mit einem Schuß bis 20 erlegen kann. Den Morgen darauf fuhren wir über das Irbensche Pastorat, wo wir zu Mittage waren, nach Dondangen zurück. Wir passirten den sogenannten Sliter-Berg, der sich 300 bis 400 Fuß über die Meeresfläche erhebt. Die Schiffer erblicken ihn weit aus der See her, und haben ihn den blauen Berg benannt. Dieser Sliter-Berg ist ein Theil der längs der Küste fortlaufenden Bergkette, welche wahrscheinlich in der Vorzeit die Ostsee unmittelbar begränzte, wie sich aus den wellenförmigen, abwechselnden Vertiefungen und Erhöhungen nach der Seeseite schließen läßt. Im Sande der Bergkette findet sich, mehr nach dem Strande hin, ein Steinhaufen von ungeheurem Umfange, dessen Entstehung man sich nicht erklären kann; doch die Tradition hat in der Erzählung hiesiger Bauern eine [232] Erklärung gefunden, die sogar dem Teufel eine Beschäftigung dabey anwies. — Der Teufel nämlich, der schon manchen müssigen Einfall gehabt, hatte einst auch den, den rigischen Meerbusen von der Ostsee zu trennen. Er supplicirte um die Erlaubniß, und diese ward mit der Bedingung zugestanden, die Arbeit in einer Nacht zu vollenden. Nun trug er die Steine zusammen; doch der arme Teufel ward vom Morgen überrascht; der Hahn krähete, und die Steine fielen ihm aus der Hand. — Der Teufel hat wohl mehr in einer Nacht gethan — und warum er hier so schwach war, verschweigt die Sage.

Der Weg ist hier, wie allenthalben in dondangscher Gränze, vortreflich, und geht durch tiefe Waldungen. Diese umgeben auch das Pastorat Irben, wo ich den Pastor Ludwig kennen und schätzen lernte. Er ist ein würdiger Greis, der hier einsam und friedlich der stillen Häuslichkeit, seiner Familie und seinen Pflichten lebt. Außer dem 4 Meilen entfernten Dondangen, ist er von allem Umgange (denn seine eingepfarrten Letten und Liven lassen sich nicht mitrechnen) [233] geschieden. Mit edler Gutmüthigkeit erzählte er, wie er sich freue, wenn zuweilen auch nur ein fremder Bettler sich hieher verirre; doch scheint er hier froh und glücklich zu leben.

Der Mensch gleicht der Tanne, die in den tiefsten Wäldern am geradesten und höchsten wächst, selten aber in Gärten gedeiht; und menschliche Glückseligkeit ist wie ein Flötenton, der in Klüften und Bergen zehnfach wiederhallt, und in Städten höchstens nur im einsamen Zimmer, oder in Concerten, von andern Instrumenten übertönt, gehört, oft auch überhört wird.

Ich verließ Dondangen den Tag nach meiner Rückkunft, mit dankbarer Erinnerung an die gefällige und freundschaftliche Aufnahme. Keine trübe Erinnerung vernichtete mir das Bild der genossenen frohen Stunden; ich fand dort nur frohe und glückliche Meschen. Die Bauern sind wohlhabend; viele sogar, die große Bienen- und Viehzucht treiben, so wie auch einige Fischer, sind reich. Die jetzige Besitzerin fühlt menschlich und gut, und an den sehr beträchtlichen [234] Einkünften ihrer Herrschaft, die der Herr Amtsrath Waegner, im Geiste der edlen Fürstin, und übereinstimmend mit seinem eigenen Gefühle, verwaltet, haftet keine Thräne der Erbunterthanen.



  1. Beschreibung der Provinz Kurland, Mitau 1505, 4. S. 15,
  2. Butten, Pleuronectes Flesus; Strömlinge, Clupea Harengus; Dorsch, Gadus Callarias.
  3. Clupea sprattus.
  4. Breetze, brauche ich wohl durch Brustschnalle für meine Landsleute nicht zu erklären.
  5. Der Fang dieser Fische geschieht immer des Nachts. Ich führe dieß an, um nicht zu der Vermuthung Veranlassung zu geben, daß unsere Neugierde den armen Fischern eine ungewöhnliche schlaflose Nacht gemacht habe.