Malerische Wanderungen durch Kurland/Privatgut Willgahlen, die Freysassen in den Kurisch Königen Dörfern; die Peterskirche; Privatgut Wangen

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Die Stadt und Burg Goldingen Malerische Wanderungen durch Kurland
von Ulrich von Schlippenbach
Die Stadt Hasenpoth
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Privatgut Willgahlen, die Freysassen in den Kurisch Königen Dörfern; die Peterskirche; Privatgut Wangen.

Von Goldingen aus auf dem Wege nach Hasenpoth, ist die Gegend abwechselnd sehr angenehm, vorzüglich auf einer Anhöhe nicht weit von der Stadt, wo man diese in ein weites Thal an dem Ufer der Windau ausgebreitet sieht. Eine ganz besonders schöne [302] Ansicht aber genießt man von den ansehnlichen Höhen, bey dem Privatgut Willgahlen, dem der Weg vorbey führt, und vorzüglich ist sie auf der Spitze eines Hügels ohnweit dem Hofe romantisch schön. Man übersieht hier den Willgahlenschen See, an dessen Ufern der Hof, zu dem eine dicht belaubte Allee vom Wege aus hinführt, liegt. Rund um den See erheben sich fruchtbare Höhen, mit Feldern und Bauergesinden besetzt, oder auch mit Laubwäldern bewachsen, zwischen denen man in der Ferne am gegenüber liegenden Seeufer, das Dach einer von Stein gemauerten Papiermühle hervorschimmern sieht. Auf der andern Seite wechseln Wiesen und Thäler, mit belaubten Hügeln, und in der weiten Ferne schließt den Horizont ein dichter Wald, wie ein dunkler Rahmen ein schönes Gemälde einfaßt.

Nicht weit von Willgahlen sind die Dörfer der Freybauern gelegen, die man unter der Benennung der Kurischen Könige kennt. Da sie unter allen Letten die Einzigen sind, die ein freyes, ihnen selbst eigenthümliches Land besitzen, so will ich dem [303] Leser, so viel mir von ihrer Geschichte aus handschriftlichen Nachrichten bekannt geworden ist, mittheilen. — Der Name Kurisch Könige kommt eigentlich nur einem einzigen Dorfe zu, und die andern 4 Dörfer heilen, Kalleiendorf, Semeln, Plikken und Wesalgen. Das Kurisch Königsche Dorf hat zwölf Wirthe und einen Schmidt. — Diese Freybauern genießen auf alte herrmeisterliche Lehnbriefe gegründete Rechte des Adels, und werden in jenen alten Dokumenten auch Mitgebietiger (oder Mitgebroedre), die Lesart der alten Schrift ist verschieden, genannt. — Sie haben ein eigenes Wappen, das auch auf Glas in der Lippaickschen Kirche sich gezeichnet findet — einen Reiter zu Pferde mit einer Feder auf dem Hute, einem kurzen Schwerte an der Seite, und einer fliegenden Reiterfahne auf dem rechten Fuße, mit der Umschrift (der Kurisch Königen Wappen 1664). Sie haben indessen einen Theil jener alten Vorrechte eingebüßt; auf welche Weise, ist mir unbekannt, wahrscheinlich, wie das wohl mit alten Rechten geschehen kann, durch freywillige Unterwerfung. [304] Indessen gewiß ist es, daß ihre Rechte nicht mehr so unbeschränkt, als ehemals sind. — Die Geschichte ihrer Entstehung wird auf verschiedene Weise erzählt, weil es keine Urkunden hierüber giebt, und Traditionen oder Muthmaßungen die Stelle vertreten. — Einige behaupten, daß diese Bauern die Verräther ihrer Brüder gewesen, und daher besondere Vorrechte errungen; andere, daß ihre Belehnung, und das ertheilte neue Wappen nur eine Posse der Kreuzherren gewesen sey[1]. Doch glaube ich diesen Muthmaßungen mit Grund widersprechen zu dürfen. Ich gründe meine Meinung auf Nachrichten, welche der jetzige Prediger zu Lippaicken (wohin die Freybauern eingepfarrt sind) Herr Bergesonn mit vieler Sorgfalt gesammelt — auch auf die, welche ein ehemaliger Prediger daselbst, Namens Heinsius, hinterlassen. Der Stammvater dieser Freybauern hieß Gigal oder Kikal, und war einer der lettischen Wannems oder Heerführer, welche von mehreren Geschichtschreibern Könige der Letten [305] genannt werden. In diesen Gegenden war dieser Gigal einer der Ersten, die die Taufe annahmen, und er erhielt den Taufnamen Andreas, wie auch sowohl das Dorf, in welchem er selbst lebte, als auch ein paar andere, ohnweit demselben, zum Eigenthum. – Doch dieser König hatte (welche rohe Zeiten müssen damals gewesen seyn!) keinen Begriff von eigentlicher Herrschaft, die andere für sich erwerben und arbeiten läßt, sondern ließ jedem seiner Dorfunterthanen sein uneingeschränktes Eigenthum, war und blieb nur ihr Heerführer und der Bewahrer ihrer Rechte, und jezt da diese nicht die Natur, sondern Pergament verbürgte, ihrer Dokumente und Privilegien[2]. Doch so ganz unentgeldlich wollten die Ritter nicht den Kurischen Wannem, und sein Volk in dem Besitze ihres Eigenthums gelassen haben, sondern brauchten sie, so lange der Orden bestand, im Kriege gegen den Feind, und im [306] Frieden als Knappen auf der Jagd[3]. Zur Zeit des Herrmeisters Plettenberg zeichneten sich diese Dorfbewohner vorzüglich durch Tapferkeit aus. Die aus einem Dorfe, das früher Tondegadden hieß, schwammen nackt durch die Düna, und zerstörten die Böte und Flöße der Feinde — und nannten sich hierauf zum Andenken ihrer Thaten — die Nackten (Plikken), wie das Dorf noch jezt heißt. — Plettenberg belohnte sie durch Erneuerung ihrer alten Privilegien, und nannte sie in selbigen wiederholt Kurische Könige. Als nachher die Herzöge zur Regierung gelangten, die Kriege seltener wurden, und dem Letten, nur blos der Landarbeit bestimmt, keine Kriegsanführer mehr nöthig wurden; sank das Ansehen der armen Kurischen Könige immer mehr, und jezt haben sie nur noch den alten Königsnamen, als bloße Reminiscenz dessen, was sie nicht sind, übrig behalten. — Doch in der Geschichte der Menschheit geschieht es wie in der Natur, [307] daß aus dem Ey, das eine Königin in den Bienenstock legte, eine gemeine Arbeitsbiene entsteht, und wohl ihr, wann sie wenigstens das, und keine Drohne ist. Das den Kurisch Königen eigenthümliche Land soll im Umkreise ohngefähr 3 Meilen einfassen. Es ist sehr fruchtbar, nur ihre Wälder, obgleich sie eigene Buschwächter haben, sind bis auf bloße Gehäge, in denen es noch schöne Buchen giebt, ruinirt. — Ehemals haben mehrere Bauern in der Frauenburgschen und Bauskenschen Gegend, gleichsam als Unterbefehlshaber des hier wohnenden obersten Heerführers Kikal, den hiesigen Bauern ähnliche Privilegien gehabt — diese aber bis auf die Kapseln des herrmeisterlichen Siegels, die sie noch besitzen sollen, verloren. Es ist wahrlich mehr rührend als lächerlich — bey dem Verluste alter Berechtigungen, dergleichen alte Kapseln noch zu bewahren. Doch so ist es schon; wo Gegenwart und Hoffnung ihre Freuden versagen, da muß sie die Erinnerung der Vergangenheit gewähren, und mancher arme Bauer mag im Anschauen jener leeren Hülsen seiner ehemaligen [308] gen Größe, eben den Trost finden, den ein Schweizer in Tells Kapelle, oder im Beinhause zu Murten sucht. O! welch eine Menge giebt es nicht dergleichen leere Hülsen, die ehemals den Kern des Glücks für Nationen bewahrten! Ist ein zerbrochener Zepter, eine zerschmetterte Königskrone mehr? Sind sie nicht auch dem, der sie noch besitzt, die Zeichen der ehemaligen Größe eben so sehr, als der jetzigen Dienstbarkeit? Auch die Kurischen Könige haben ein solches altes Andenken, das sie als Geschenk eines Herrmeisters bewahren, eine hölzerne braun lakirte, und mit goldenem Rande und dergleichen Sternen und halben Monde verzierte Schale, die an dem Henkel die Jahreszahl 1297 hat. — Es hat Jemand, doch ohne Grund, die Hypothese darauf gebaut, daß die entdeckte Verschwörung, die Küttner als den Entstehungsgrund der Kurischen Könige angiebt, eine beabsichtigte Vergiftung des Herrmeisters gewesen, und daß der Entdecker derselben dafür außer seinen Privilegien auch die Schale, worin die vergiftete Speise gewesen, zum Andenken [309] erhalten. — Doch obgleich im Jahr 1297, wo Bruno starb, und Gottfried von Rogga Herrmeister wurde, immer Kriege zwischen den Erzbischöffen der Stadt Riga und dem Orden wütheten, und ersteren eine Vergiftung allenfalls zuzutrauen gewesen, so schweigt die Geschichte, die eines solchen Umstandes wohl erwähnt haben würde, doch hierüber gänzlich. Es läßt sich vermuthen, daß bey den Kurisch Königschen Freybauern, als am wenigsten von allen andern ihrer Nation eingeschränkt, und als Nachkömmlinge lettischer Fürsten, die alten Nationalsitten sich am meisten erhalten haben müssen. Doch nach den Bemerkungen ihrer Prediger weichen sie in ihren Sitten und Gebräuchen wenig von andern Letten ab, nur daß sie etwas abergläubischer als diese zu seyn scheinen, und noch viel auf Zaubereyen halten. Vor ohngefähr 60 Jahren haben sie noch eine Art Bacchanale in der Johannisnacht, in ihren Wäldern gefeyert, sind, wie man behauptet, ganz nackt herum geschwärmt, und haben verschiedene auf ihren alten Götzendienst Bezug habende Ceremonien [310] beobachtet. Doch einmal hat ihr damaliger Prediger Heinsius, der früher Preußischer Husar gewesen seyn soll, sie bey diesen kurisch-königlichen Festen überrascht, und die nackten Prinzen mit schweren Geiselhieben bekleidet.

Ich habe dem Leser nun genug über diese Könige gesagt, die Bauern geworden, wie man von Gartenblumen erzählt, die mit der Zeit zu gemeinen Feldblumen ausarten — und bitte ihn mich auf dem Wege nach Hasenpoth zu begleiten — wo er eine alte von Fachwerk erbaute Kirche, und ihr gegenüber eine, in drey große Stumpfe sich theilende große Linde zu betrachten hat. — Die sogenannte Peterskirche (eine Filialkirche der Hasenpothschen) in der nur lettischer Gottesdienst gehalten wird, ist, nach einer notorischen Sage, ganz auf Kosten eines reichen Bauer des Gutes Kloster-Hasenpoth, vor mehr als 200 Jahren erbaut worden, denn in jenzeitigen Dokumenten findet man dieser Kirche schon gedacht. — Noch jezt sind ehrbare Wirthe der Güter Kloster-Hasenpoth und Kikurn die Vorsteher der Kirche, [311] so wie auch der Küster blos von den Bauern erwählt und besoldet wird. Die alte, sich dicht an der Wurzel in drey großen Stämmen ausbreitende Linde, eines der größten Bäume die ich jemals gesehen — ist noch ein Rest des Heidenthums, ist ein aus der damaligen Zeit noch übrig gebliebener heiliger Baum. Noch jezt betrachten ihn die Letten als ein Heiligthum, und versichern unter seinen Zweigen wunderbare Gestalten erblickt zu haben. — Dem schönen Hofe Wangen vorbey, den man auf einer Anhöhe erbaut, in meilenweiter Ferne erblickt, führt unser Weg zur Stadt Hasenpoth, die man an einem Hügel, so viel ihr die Zahl ihrer Häuser nur erlaubt, ausgebreitet überschaut; und die schon von weiten eine so schöne Gegend verspricht, als sie wirklich in der Ansicht ihrer romantischen Umgebung gewährt.


  1. Küttners Curonia, Seite 118.
  2. Das vornehmste Gesinde, wo die Dokumente dieser Freybauern aufbewahrt werden, heißt noch Kikal-Gesinde.
  3. So sind sie auf der Glocke in der Lippaikschen, als Jäger, mit Spiesen Wölfe verfolgend, abgebildet.