Malerische Wanderungen durch Kurland/Talsen, Postenden, Rönnen an der Abau, das Rönnensche Pastorat und die Kirche daselbst. Fahrt nach Goldingen

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von Ulrich von Schlippenbach
Die Stadt und Burg Goldingen
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Talsen, Postenden, Rönnen an der Abau, das Rönnensche Pastorat und die Kirche daselbst. Fahrt nach Goldingen.

Dem Privatgute Waldegalen — das eine sehr angenehme Lage hat, — vorbey führt der Weg nach dem Städtchen Talsen, das an einem kleinen See von hohen Bergen umgeben liegt. Das Städtchen hat eine Kirche, [251] 27 Wohngebäude, die Krüge mitgerechnet, und 199 Einwohner. Man bemerkt Talsen nicht eher, als bis man nahe bey demselben einen hohen Berg hinab fährt. Tief im Grunde liegt ein großer geräumiger Krug, und an dem gegenüberliegenden Berge, auf dessen Spitze die Kirche steht, ziehen sich einige Häuser um den Kirchenberg herum, und reichen mit ihren kleinen Gärten bis zu einem im rund von Bergen umschlossenen Thal gelegenen, schönen See hinab. Die übrigen Häuser des Städtchens, die hinter der Kirche am Abhange des Hügels zerstreut umher liegen, werden nicht vom waldegalschen Wege aus erblickt. Ich nutzte noch die letzten Strahlen der sinkenden Sonne, die ihre fliehende Vergoldung von Hügel zu Hügel trug, bis diese endlich von einer Waldspitze, wie ein schöner Traum, in Nebel zerrann, um von dieser Seite aus das liebliche Thal mit seinen umgebenden Höhen zu betrachten, und beschloß, die Nacht im Kruge zu bleiben, um mit der Morgensonne das Städtchen nach allen Seiten zu durchwandern.

[252] Gerade an einem Sonnabend fand ich die Blüthe der Talsenschen Bürgerschaft hier bey einem vollen Glase Bier versammelt, und zog mich nach dem Gastzimmer zurück, wohin mich jedoch die Sonnabendfeyer, die bald in Jubel, bald in Streit erscholl, verfolgte. Besonders zeichnete sich ein Schuhmachergesell aus, der in so rauhen Tönen, als jemals welche aus einer Kehle drangen, die schweren Pechdampf einathmete, gar nicht aufhörte Lieder zu singen und seine Reise auszuschreieen, bis endlich der starke Geist der genossenen Getränke das schwächere Phlogision des seinigen so niederschlug, daß von diesem keine Spur mehr übrig war, und er zum selbst gesungenen Wiegenliede einschlief. Ich führe indeß diesen hingesunkenen lustigen Schuster nur an, weil er mir Gelegenheit giebt, über ein unter den Bürgern Kurlands, oder wie man sie zu nennen pflegt, — Teutschen — gewöhnliches Vorurtheil zu sprechen, das wirklich der allgemeinen Industrie so nachtheilig ist, um die Wachsamkeit der Polizeyen aufzufordern. Die mehresten Handwerker nämlich behandeln [253] jeden aus ihrer Mitte, der einen Letten, es sey dieß ein freyer, oder ein erbunterthäniger, in irgend einem Handwerk unterrichtet, verächtlich, und tadeln ihn öffentlich, als ob er ein ehrenrühriges Verbrechen begangen hätte. Eben daher wird es sehr schwer und kostbar, die Letten, deren Talente zu allerhand Künsten und Gewerben schon in alter Zeit berühmt waren[1], unterrichten zu lassen. Auch hier war ein solcher Umstand der Gegenstand des Streits unter Talsens Plebejern, und der jubelnde Schuhknecht sang, als er schon zu Boden fiel, doch im Gefühl seines Vorrangs vor einem fleißigen, redlichen Letten: „wenn mein Meister Bauern lehrt, so bin ich doch kein Bauer!“ — indeß der Meister, der ein stiller, fleißiger Mann zu seyn schien, sich nur einen Augenblick zu zeigen wagte, und dann [254] um Händel zu vermeiden, davon schlich. Frühe den andern Morgen wandelte ich den Kirchenberg hinan. Es hatte die Nacht stark gereift, und ein leichter weißer Schleier das Gras und die rothen Dächer der Häuser an der Kirche und diese selbst umzogen, und schwebte über den Anhöhen jenseits dem See, wie ein zartner, bleicher Duft um reife Früchte. Die Sonne stieg empor, und die Erde, freudig über ihr Erscheinen, ließ den Schleyer sinken, worin die kalte Nacht sie gehüllt, und blickte lächelnd dem freundlichen Gestirn ins glühende Gesicht. Es war ein wahrer Sonntagsmorgen. Still und feyerlich tönten aus den Häusern am Fuße des Kirchenberges Melodien geistlicher Gesänge herauf, die diesen Feyertag begrüßten, und über die Häuser in der Tiefe, aus denen jene Gesänge hallten, blickte ich von der Spitze des Hügels nach ein paar gegenüberliegenden Schanzen, deren oberste Fläche aber zum Ackerfeld umgeschaffen war, — und auf einen fernen Wald, der seinen Fuß im stillen See badete‚ dann die gegenüber liegende Anhöhe hinauftrat, und sein grünes Haupt in [255] die Glorie der Morgensonne tauchte. Ein heller, schöner Herbsttag, an dem des nahenden Winters erste Botschaft im leicht zerfließenden Reif von der warmen Erde lächelnd empfangen wird, und diese, wie eine zärtliche Mutter, in den Kindern, die sie gebar, die Sorgen des nahenden Alters vergißt, ist dem für Naturschönheiten empfänglichen Herzen willkommener, als ein heißer Sommertag, wo die Glut der Sonne mit leidenchaftlicher Gewalt die Erde noch umfaßt, und Stürme, von Hagel und Ungewitter begleitet, nicht wie die des Spätherbstes, nur polternd, sondern oft schädlicher vorüberziehn.

Beym Spaziergange um die Kirche fand ich ein altes wahnsinniges, mit vielen Lumpen behangenes Weib, das eben von ihrem Schlummer unter freyem Himmel an der Kirchenwand wach geworden zu seyn schien, und von der Kälte der Herbstnacht halb erstarrt, mit bebenden Lippen unverständliche und abgebrochene Worte sprach. Es wollte durchaus kein Almosen annehmen, und den — wahrscheinlich selbst gewählten — [256] Platz nicht verlassen. Vielleicht schwebte eine dunkle Idee vor ihrer Seele, daß nur auf einem Kirchhofe, wo sie jezt geschlafen, ihre Leiden enden könnten, wann erst die gespannte Nerve im letzten Erstarren ausgebebt. Im heitern Gemälde der von der Morgensonne umleuchteten schönen Natur, warf dieser Anblick menschlichen Elends einen finstern bangen Schatten, der wie ein Gespenst über die Gräber hervortrat. Die Griechen ehrten Wahnsinnige, und hielten sie für Inspirirte. Wir kennen die Sterne freilich nicht, die in der innern Nacht eines solchen Daseyns — wo wir nur den verhüllten Himmel des äußern Lebens erblicken, — aufgehen, und doch erschüttert ein solcher Anblick so tief! Sollte das nicht ein Beweis seyn, daß es die Anweisung der Natur ist, nach Wahrheit zu ringen, da wir’s, wo wir den Wahn erblicken, unmöglich halten, in seinen Träumen ein glückliches Gefühl entstehen zu sehen, obgleich für den Träumer selbst, ehe er erwacht, die Täuschungen seiner Ideen für Anschauungen und Wahrheiten gelten.

[257] Ein alter ehrwürdiger Küster, dessen Wohnung ohnweit der Kirche lag, öffnete mir diese. Sie ist geräumig und wenig verziert. Eine Tafel mit Scharlach bedeckt, an der ein kleiner Huth und Degen eines schon längst verstorbenen Knaben hing, eine große gemalte Ahnentafel und ein mit vergoldeten Figuren verziertes hölzernes Denkmal, mit schon größstentheils verwischten Inschriften, waren die einzigen Reste aus der Vorzeit. Bey letzterem fiel es mir auf, daß ein Kommandostab durch die Augenhöhlen eines Todtenkopfs gesteckt war. Ist das jedoch nicht der Fall mit allen Kommandostäben der Helden, die, wann der dürre Stab Lorbeerzweige treiben soll, in Schädeln erschlagener Menschen wurzeln müssen?

Ohnweit Talsen zeigen sich in einigen wenigen Mauerruinen die Reste eines ehemaligen Schlosses, dessen Erbauer jedoch unbekannt ist, und dessen selbst Arendt in seinem Verzeichniß aller alten Schlösser Kur- und Lieflands, nicht erwähnt. Indessen war zu Gotthard Kettlers Zeiten hier schon eine Kirche und ein Städtchen. Daß ehemals [258] in diesen Gegenden Schlachten von Wichtigkeit, noch zur Zeit der Heermeister vorgefallen, erinnere ich mich, in irgend einer alten Chronik gelesen zu haben, kann aber die darüber sprechende Stelle nicht auffinden. Von spätern Kriegsbegebenheiten zeugen die alten Schanzen, auf welchen nun Ähren reifen, die wie Siegeskränze des Friedens über das Verderben der Schlachten, die Hügel krönen. Von Talsen geht der Weg nach Rönnen, den Pforten des schönen Hofes Postenden vorbey, das mit seinen zahlreichen Gebäuden von der einen Seite von einem lieblichen Garten (den ein Teich, über den eine bequeme Brücke geschlagen ist, in der Mitte theilt) und von der andern von einem dunklen Tannenwwalde, den ein Mühlenbach mit sanft gebogenem Arm umfaßt, umgeben wird. Ein schönes Grabgewölbe in Form eines antiken griechischen Tempels mit runder Kuppel, das unweit der hier von Weidenbäumen eingefaßten Straße liegt, darf nicht übersehen werden. Hinter Postenden, einem Bauergesinde vorbey, das gewiß jeder, der es nicht als solches kennt, [259] für eine kleine Hoflage halten sollte, gelangt man in einen tiefen Tannenwald, wo man nur hin und wieder einen Krug und einzelne Bauerwohnungen erblickt. Erst unweit dem Privatgute Rönnen, wenn man sich dem Ufer der schönen Abau nähert, verläßt man den Wald. Der Rönnensche Krug, im Thale an der Abau, hat eine wahrhaft romantische Lage. Rechts erblickt man an einer Anhöhe die zum Privatgute Rönnen gehörigen mehrentheils massiven Gebäude. Sie liegen hier, wie an den hoben Ufern der Elbe unweit Meissen die zierlichen Häusergruppen. Links wendet sich die Abau, ein tiefer stiller Strom, einem abgerissenen Berge zu, auf dessen Spitze Tannen grünen, und nimmt hier alsdann eine kleine rieselnde Quelle in ihre Fluten auf, wie ein Großer die Huldigungen und Opfer des Geringeren, ohne sie zu bemerken; und doch schwellen die allmälig gesammelten Opfer dieser Art den Strom allein so mächtig auf, der auch darin manchem Vornehmen und Großen gleicht, daß er so eilig als möglich seine Quelle flieht, nie zu selbiger zurück schaut, und, alles verschlingend, was [260] sich ihm naht, so lange strömt‚ bis er selbst vom Meer oder einem glücklichern Nebenbuhler verschlungen wird. Noch konnte der Gottesdienst in der Kirche auf dem jenseitigen Ufer der Abau nicht zum Ende seyn, ich eilte daher zu Fuß dahin, um ihm, obgleich er in lettischer Sprache gehalten wurde, beyzuwohnen, und dann die Wasserfälle am Pastorate zu sehen, von denen mehrere Freunde mir so viel Schönes gesagt hatten. Die Fähre über die Abau wird an einem starken über den Strom gespannten Seile fortgezogen, und aus einer so kleinen Hütte, als sie nur der alte Mysogamos Charon besitzen mag, trat hier ein greiser Fährmann hervor, der mich mit einem so ernsten Gesichte hinüber half, daß er auch hierin seinem unterirdischen Collegen glich. Jenseits des Stroms erwartete mich ja auch ein kleines irdisches Bruchstück Elisiums, im schönen Thale beym Pastorat, und die einzelnen feyerlichen Töne des fernen Kirchengesanges, die ein sanfter Lufthauch zuweilen über den Strom und seine Ufer trug, als wollte er der Natur verkünden, welche andächtige Gesinge ein frommes [261] Volk ihrem Schöpfer weihte, — continuirten das Gemälde einer Wanderung über den stillen Strom der Lethe in meiner Seele so lange, bis mich der schwere Sandweg, den ich am jenseitigen Ufer betrat, zu den mühseligen Pfaden des Erdenlebens zurückführte. Die Kirche, welche massiv und neu erbaut worden (die alte von Holz ward vor einigen Jahren niedergerissen), fand ich von lettischen Männern und Weibern im Sonntagsschmucke angefüllt, und den Prediger — einen ehrwürdigen Greis — gerade auf der Kanzel. Ich blieb unweit der Thüre stehen; als ich aber bemerkte, daß auch hier meine Gegenwart die guten Landleute störte, die sich über den Besuch eines Fremden nicht wenig wundern mochten, so ging ich fort und eilte zum Thale beym Pastorate, das nur einige hundert Schritte von der Kirche entfernt ist. Neben der Pastoratsherberge[2] tritt man in das schöne Thal und wird freudig umfangen von einer lieblichen Aussicht auf einen klaren Bach, der sich durch hohe Erlen [262] windet, hier eine Insel formirt und dort sich unter einer neuen großen Brücke — über die eine stark befahrene Straße geht — fortwindet. Man folgt dem Laufe des Bachs durch hohe Erlen und Ulmen und hört das Geräusch eines Wasserfalles, bis man diesen selbst erblickt, da wo der Bach über einen Kalkfelsen wohl 30 Fuß hoch, über 5 verschiedene Abstufungen herabstürzt. Auf der einen Seite, unter schattenreichen Bäumen stehend, sieht man sich gegenüber ein steiles Felsenufer von beträchtlicher Höhe; das Bette des Baches selbst ist Felsen, und eben so bestehen einige Ruhesitze und Tische, von Pfählen gestützt, aus breiten Felsenplatten, die man aus dem Bache gehoben. Einen herrlichen Anblick gewährt dieser Wasserfall, der ans grünen Zweigen, wie aus einer Laube, hervorspringt, und dann im feyerlichen Rauschen, eine Hymne an die Natur hallend, sich dem harrenden tieferen Thale in die Arme wirft. Weiter hinab, dem Bache folgend, bemerkte ich unter mehreren großen Bäumen eine Linde, die ganz in einen Bogen gewachsen war, so daß die Zweige sich der Wurzel [263] näherten, und der Stamm in seiner höchsten Beugung höher als jene stand. Ich dachte, der Stamm habe, da er in der Höhe kein so schönes Schauspiel genießen können, als die Natur an seinem Fuße gewährte, so sich gebogen, und gleichsam knieend niedergeworfen vor diesem ewigen Steinaltar, auf den der Bach die Opfer stürzte, die in Schaum und feuchtem Staub gen Himmel steigen. Eine andere Linde trennte sich an der Wurzel in drey verschiedene große Stämme, oben doch wieder durch die Krone ihres Laubes mit einander verbunden, — wie Menschen, welche die Erde und der Himmel vereint, und nur die Bahn zwischen diesen, mit harter Rinde, trennt. Ein dritter mächtiger Lindenstamm ragt, vom Drucke eines großen bemoosten Steins fortgerückt, schräg aus dem Hügel, an dem er steht, hervor, und trägt den großen Stein, wie ein freyer Wille die eiserne Nothwendigkeit, gebückt, doch ohne zu sinken. So hat an diesen Stellen allenthalben die Natur im lebendigen Baum und im todten Felsen, im stürzenden Bach und seinem steigenden Staub, ihre deutende Bilder [264] für den fühlenden Menschen hingestellt, der, wo er hinsinket in die Tiefe, wie dieser Bach, auch ein freyes Aufsteigen seines Staubes ahndet. — Der Bach bietet, ehe er sich in die nahe Abau ergießt, noch zwey andere Wasserfälle, wenig niedriger als der erste, dem Auge dar. Im Frühjahre, wenn das Wasser höher gestiegen ist, und eine Menge Nachtigallen mit ihren sanften Flötentönen die tieferen Takte der stürzenden Flut begleiten, muß dieses liebliche Thal noch reizender seyn, und ich rathe jedem Reisenden es zu besuchen und hier eine selige Stunde im Anblick einer so schönen Natur zu genießen.

In der Kirche war, als ich meinen Spaziergang geendet, auch der Gottesdienst beendigt, und ich hatte Zeit, sie näher zu betrachten. Aus der alten niedergerissenen hölzernen Kirche hatte man die mit der verlorenen Kunst der Glasmalerey gezierten Fensterscheiben hierher versetzt. Es waren Wappen des Herzogs Gotthard, wie des Herzogs Wilhelm und ihrer Gemahlinnen; sie nahmen sich gut aus. Doch meine ich, es sollten [265] die Fürsten niemals, weder im Tempel des Glaubens noch der Ausbildung, dem Unterthan mit ihren Wappenschildern und Kronen — den symbolischen Zeichen ihrer Gewalt — das Licht benehmen. Auch ein paar alte Gemälde waren aus der ehemaligen Kirche hieher gewandert, und ihres jetzigen Platzes, hinter dem Altar und im Winkel am Eingange, würdig. Das eine derselben, ein altes Gemälde, stellte die Weisen des Morgenlandes vor, die dem Christuskinde, das auf dem Schooße der Muter liegt, ihre Gaben darbringen. Ein alter Graubart, als Repräsentant, überreicht dem Kinde nicht Myrrhen und kostbare Specereyen, sondern in goldner Schaale gemünztes Gold. Das Christuskind langt eine starke Handvoll heraus, ohne einmal hinzublicken. Hieher so wenig, wie in eine andere Kirche paßt dieß Bild, wohl aber in manche Sacristey, um dort den Eingepfarrten, in der Probe morgenländischer Weisheit, die Pflicht der Darbringung des Dezems recht sinnbildlich vorzustellen. Das andere Gemälde stellte Teufel vor, die unter einer großen Heerde sich [266] einige Böcke zum Einschlachten aussuchen. Hier hält ein stämmiger Pferdefuß einen armen Bock bey den Hörnern, die er vielleicht ihm selbst aufsetzen half. Dort will einer entlaufen, aber ein Schwarzpelz zerschlägt ihm mit einem Krummstabe das Bein; einige Teufel tragen Böcke fort, andere stehen sinnend da, als fiele ihnen die Wahl schwer; es ist ein schreckliches Gemetzel. Dieses Gemälde steht hier unter dem Chor am Eingange in einen Winkel verborgen, und ein so einsichtsvoller Mann, als der hiesige Prediger, hat ihm dort den rechten Platz angewiesen. Die Aussicht vom Kirchhof auf die hohen Ufer der Abau, die allenthalben bebaut und kultivirt sind und sich wie eine Kette von Schanzen über die Fläche erheben, ist schön und bietet, besonders links, wo mehrere kleine Wäldchen stehn, viel Abwechselung.

Bey dem Privatgute Rönnen selbst, das hier auch an der Abau in einer sehr schönen amphitheatralischen Ansicht liegt, muß ich noch bemerken, daß bier eine Ölmühle, die einzige, die in Kurland existirt, angelegt worden. Auch eine Papiermühle ist hier, welche [267] unter allen hier vorhandenen das beste Schreibpapier liefert. Durch Wald fährt man bis Goldingen, wo bey einem Kruge, sobald man jenen verläßt, die stolzen Ruinen der alten Fürstenburg und die rothen Dächer der Stadt Goldingen selbst sichtbar werden. Es giebt bey diesem Kruge zwey Straßen. Die eine führt zur Fähre und ist eine halbe Meile aus dem Wege; die andere, von mir gewählte, führt gerade zur Stadt. Sie war aber — wie immer auch im moralischen Sinne die geraden Wege zu seyn pflegen — äußerst schlecht und mehrentheils nur von schmalen, kleinen Bauerwagen eingefahren. Nachdem ich die Windau unter der sogenannten Rummel — wo sie nicht tief ist, durchgefahren, befand ich mich bald am Felsenufer dieses Flusses.



  1. Kelchs liefländische Kronik, Seite 223, erzählt, daß schon damals die Letten, wenn sie nur bey Handwerkern Monate lang Handreichungen geleistet, das Handwerk abgesehen, und nachher eben so gute Arheit geliefert. Sıe verfertigten oftmals ihr eigenes Büchsenpulver, und hatten selbst von dem Laufe der Gestirne manche Kenntnisse.
  2. Herberge nennt man in diesen Gegenden ein zur Hauptwohnung gehöriges Nebengebäude.