Melpomene/Band 2/030 Bei dem Grabe eines Mannes, der aus Unvorsichtigkeit erschossen wurde

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aus: Melpomene
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30. Bei dem Grabe eines Mannes, der aus Unvorsichtigkeit erschossen wurde.

Melod. III. XVIII.

1. O welche trauervolle Leiche,
Die dieser Grabeshügel deckt!
Er wurde aus dem Lebensreiche
Zum Tode plötzlich hingestreckt;
Er hatte sich erhollt im Jagen,
Und kehrte froh nach Haus zurück,
Und unter Wegs hat schon geschlagen
Sein letzter Puls im Augenblick.

2. Er gieng mit zweien seiner Freunde
Der Heimath zu den nächsten Pfad,
Und wahre Bruderlieb vereinte
Ihr Herz in einem hochen Grad,
Und jeder gäbe gern sein Leben
Für seines Freundes Leben hin,
Nur fehlte bei dem beßten Streben
Der Vorsicht aufmerksamer Sinn.

3. Es waren nemlich die Gewehre
Geladen noch vom Jagen her,
Vergessen war die weise Lehre:
Man schiesse die Gewehre leer,
Denn ach! es schläft der Tod in ihnen,
So lang sie noch geladen sind,
[93] Und will man ihrer sich bedienen,
So sind geladen sie geschwind.

4. Und wollt ihr sie auch nicht entladen,
Was immer doch das Beßte wär,
So schützet andere vor Schaden
Und tragt sie niemal in die Quer,
Und laßt den Lauf hinunter sehen;
So würde, gieng ein Schuß auch los,
Ein Unheil nie daraus entstehen,
Er gieng nur in der Erde Schooß.

5. Doch diese trugen sie geladen
Auf ihren Schultern wagerecht,
Und dachten nicht: daß je ein Schaden
Auf diese Weis entstehen möcht;
Sie dachten nicht der Todesfälle,
Die durch Gewehre schon geschahn,
Und wie durch ihre Blitzesschnelle
Um einen Menschen es gethan.

6. So giengen sie der Nähe wegen
Durch einen engen Wagenschopf
Mit einem vorsichtlosen, trägen,
Und ganz gedankenlosen Kopf;
Sonst hätten sie bemerken müssen
Den Wagen, der im Wege stand,
Und daß einander zu erschiessen
Sich jeder in Gefahr befand.

7. Nun mußte einer nach dem andern,
Weil hier der Weg zu enge war,
Auf diesem schmalen Pfade wandern,
[94] Und dachten nicht an die Gefahr:
Doch plötzlich streifte an dem Wagen
Der zweite mit dem Hahnen an,
Und seine Flinte, losgeschlagen,
Durchbohrte seinen Vordermann.

8. Die Schrote mit den Pfosten fuhren
Demselben durch das Schulterblatt,
Und bei der Wunde tiefen Spuren
Fand keine Rettungshoffnung Statt;
Denn ach! der nahe Schuß durchzückte
Gleich einem Blitzestrahl sein Herz,
Daß röchelnd er im Blut erstickte,
Besieget von des Todesschmerz.

9. Man denke sich der Freunde Schrecken,
Als so ihr Freund erschossen fiel;
Sie wollten ihn zum Leben wecken,
Betäubet selbst von Schmerzgewühl;
Allein sein Leben war verlohren,
Verlohren ohne Wiederkehr:
Bei Wunden, die das Herz durchbohren,
Beeselet keine Hoffnung mehr.

10. Sie riefen zwar die Nachbarsleute
Zu diesem Unglücksfall herbey,
Ob noch dem Tode seine Beute
Durch Hülfe zu entreissen sey:
Allein man konnte nur beklagen
Die große Unvorsichtigkeit,
Und so die Leich nach Hause tragen
Mit grenzenlosem Herzenleid.
[95]
11. So läuft man oft bei dummen Freunden
Die augenscheinlichste Gefahr:
Nicht so bei offenbaren Feinden;
Sie stellen sich als Feinde dar. –
So gieng es einst dem armen Greisen
Der durch des Bären Freundeshand,
Nach Lafontainis Fabelweisen,
Den Tod aus lauter Freundschaft fand:

12. Er sah sich eine Raupe regen
Auf des entschlafnen Freundes Stirn:
Ha! dir will ich das Handwerk legen,
So brummte er mit klugem Hirn,
Und schlug, weil er es redlich meinte,
Mit dem Gewicht von einem Stein
Die Raupe tod, jedoch dem Freunde
Zugleich auch seinen Schedel ein.

13. So ist gefährlich zwar, und schädlich
Der offenbare kluge Feind,
Doch schädlicher, auch noch so redlich,
Der allerbeßte dumme Freund.
Drum laßt uns solche Freunde wählen,
Die gut, und klug, und weise sind,
Denn sollte ihnen Weisheit fehlen,
So ist der beßte Willen blind.

14. Sie stürtzen uns nur in Gefahren
Durch ihre Unvorsichtigkeit,
Und wäre sie mit Haut und Haaren
Sich uns zu opfern stets bereit.
Wir aber wollen unsre Freunde
[96] Beschützen vor Gefahr und Noth,
Bis sie der größte aller Feinde
Des Lebens uns entreisst, der Tod.

15. Laßt euch daher bei Schießgewehren
Die Vorsicht stets empfohlen seyn,
Und präget ihre weisen Lehren
Auch eueren Kamraten ein;
Dann wird kein Unglück mehr entstehen
Aus blinder Unvorsichtigkeit,
Und nie in Trauer übergehen
Des Jagens unschuldvolle Freud.

16. Besonders wollen wir bewahren
Die Freunde, treu nach dem Geboth,
Vor den so vielen Heilsgefahren,
Womit Verführung sie bedroht;
Dann möge sie der Tod erschiessen
Mit seinem unfehlbaren Pfeil,
Sie sterben fröhlich, und geniessen,
Der ew’gen Freundschaft wahres Heil.

17. Nun ruhe sanft in deinem Grabe
Unglücklicher erschossner Mann!
Verzeih dem Freund, und denk: er habe
Doch dieses nicht mit Fleiß gethan;
Dann wirst auch du für deine Sünden,
Die du vielleicht noch nicht bereut,
Bei dem Gerichte Gnade finden
Und ewige Glückseligkeit.