Melpomene/Band 2/052 Bei dem Grabe eines Mannes, der von einem Kirchthurm herab zu tod fiel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< 052 Bei dem Grabe eines Mannes, der von einem Kirchthurm herab zu tod fiel >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 144–149
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[144]

52. Bei dem Grabe eines Mannes, der von einem Kirchthurm herab zu tod fiel.

Melod XIV. Melod I.

1. In diesem neuen Grabe ward
Ein junger Mann begraben,
Den wir auf nie gehörte Art
So schnell verlohren haben.
Im Todesschauer beben wir
Vor Schrecken und Entsetzen,
Wenn wir uns in Gedanken hier
An seine Stelle setzen.
[145]
2. Es war in Kirchenhaselach
Der Thurm zu repariren,
Und diese schwere Arbeit, ach!
Gefährlich auszuführen.
Man machte also einen Plan
Und Überschlag der Kosten,
Und gieng die Sach mit Vorsicht an,
Denn schwürig war der Posten.

3. Das Mißlichste der Arbeit war
Ein passendes Gerüste,
Weil Mancher schon in der Gefahr
Mit seinem Leben büßte.
Man wollte Anfangs das Gerüst
Von Memmingen abhollen,
Allein man hätt, was Vieles ist,
Zehn Gulden zahlen sollen.

4. Der kluge Bauinspektor trat
Nun mit der Heil’genpflege
Zusamen, daß in weisem Rath
Er Alles überlege,
Um Alles nach Erforderniß
Doch billig zu besorgen;
Und wirklich, wenn kein Strick zerriß,
Wär Alles gut geborgen.

5. Man brauchte also zum Gerüst
Zwei alte Glockenseiler,
Und, was dabei das Beßte ist:
Sie waren viel wohlfeiler,
Als das Gerüst von Memmingen.
[146] Dann ward an starken Stangen
Das Baugerüst, um fest zu stehn,
An selben aufgehangen.

6. Drei Maurer waren schon bereit,
Darauf hinaus zu steigen,
Und hatten dessen sich gefreut,
Um ihren Muth zu zeigen,
Denn Alles war erstaunlich hoch,
Daß einem schwindeln müßte,
Nun krochen sie zum Glockenloch
Hinaus auf das Gerüste.

7. Die beiden ersten kamen an
Auf ihren hochen Posten,
Und keiner dachte je daran:
Es könnte sLeben kosten.
So stieg auch schon hinaus zum Loch
Mit einem Fuß der dritte,
Ganz ahnunglos, und wallte noch
Hinab in ihre Mitte.

8. Auf einmal brach ein Glockenseil
Entzwei wie faule Stricke,
Der dritte suchte noch sein Heil,
Und kehrte schnell zurücke.
Doch um die andern beiden ists
Geschehn im Augenblicke;
Denn von der Höche des Gerüsts
Zerfallen sie in Stücke.

9. Der eine hatte Arm und Bein
In diesem Fall gebrochen
[147] [Und wird noch nicht geheilet seyn
In fünf und zwanzig Wochen]
Und noch ein Auge eingebüßt;
Der andre war, o Schrecken!
An einem Kirchhofkreutz gespießt,
Und blieb an selbem stecken.

10. Man zog ihn aus dem Kreutz heraus
Schon halb entseelt, da traten:
Sogleich die Eingeweide aus;
Da war nicht mehr zu rathen:
Das Blut ergoß in Strömen sich
Den Eingeweidewunden;
So war, eh eine Stund verstrich,
Sein Leben schon verschwunden.

11. In dieser Zwischenzeit genoß
Er noch die Seelenspeise
Mit festem Glauben, und beschloß
Die Erdelebensreise;
So starb der letzte Lebenskeim
Im letzten Pulsesschlage,
Und seine Leiche wurde heim
Gebracht mit lauter Klage.

12. Und welch ein Anblick für sein Weib,
Und seiner Kinder Herzen!
Sie sehen seinen todten Leib
Mit namenlosen Schmerzen
Und fallen, wie vom Donnerstreich
Berührt, in Ohnmacht nieder,
[148] Und werden, wie sein Leib, so bleich,
Und kalt durch alle Glieder.

13. Man brachte langsam sie zu sich
Doch nur zu größern Schmerzen,
Der Tod des Mannes war ein Stich
Durch ihre zarten Herzen;
Sie werfen auf die Leiche sich,
Benetzen sie mit Zähren,
Und rufen aus: wer wird für dich,
O Vater! uns ernähren!

14. O theures Leben! kehre doch
In seine Brust zurücke!
O Mann! o Vater! öffne noch
Einmal die holden Blicke!
Allein ihr lautes Klaggeschrey
Und Flehen war vergebens,
Und jeder Hoffnungschein vorbei
Zur Rettung seines Lebens.

15. Sein Eingeweide war zu sehr
Zerrissen schon in Stücke,
Der Athem kehrte nimmermehr
In seine Brust zurücke. –
Und nun! wer hat von seinem Tod
Die Schuld sich beizumessen?
Als welche vor Gefahr und Noth
Zu schützen ihn vergessen.

16. Ein Maurer muß auf dem Grüst
Ja mehr als sicher stehen,
[149] Denn um sein theures Leben ist
Es ja so leicht geschehen;
Und hier allein kann das Zuviel
Wie nirgendens, niemal schaden;
Sonst steht das Leben auf dem Spiel,
Und hängt an einem Faden.

17. Ein Thor nur kann sein höchstes Glück
Auf blinden Zufall bauen,
Und einem alten faulen Strick
Sein Leben anvertrauen.
Ein weiser Maurermeister geht
Gewiß auf kein Gerüste,
Wenn es nicht unbeweglich steht,
Und er sich sicher wüsste.

18. Nehmt also an dem Manne hier
Ein warnendes Exempel,
Und bauet sicherer dafür
In euch den Tugendtempel:
Dann mag der Körperbau sogleich
Im Tod zusamen fallen,
Ihr werdet in das Himmelreich
Zu Gott hinüber wallen.

Kommentar (Wikisource)

Kirchenhaselach ist die Gemeinde Kirchhaslach im Unterallgäu, etwa 25 km von Memmingen entfernt.