Melpomene/Band 2/077 Bei dem Grabe eines Kindes, das durch die Hand seiner Mutter starb

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aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 200–203
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[200]

77. Bei dem Grabe eines Kindes, das durch die Hand seiner Mutter starb.

Melod. III. XVIII.

1. Hier stehen wir betäubt, und beben
Zurück von diesem Grabesrand,
Wo eines armen Kindes Leben
Im ersten Augenblick verschwand.
Denn ach! es war noch ungebohren,
So hatte schon die Unnatur
Der Mutter ihm den Tod geschworen;
Und ach! sie that nach ihrem Schwur.

2. Sie hatte nemlich böse Triebe
Genährt in unbewachter Brust,
Und dann in unerlaubter Liebe
Genossen die verbothne Lust;
So traute sie der falschen Schlange
Und gab sich der Verführung blos;
Doch wars ihr für die Ehre bange,
Die vor den Menschen sie genoß,

3. Bald merkte unter ihrem Herzen
Sie den Erfolg der bösen That,
Und wußte voll der Reue Schmerzen
[201] Für ihren Zustand keinen Rath;
Sie wollte noch als Jungfrau gelten,
Aus Tugendstolz und Heuchelei,
Und dachte nicht, daß so nur selten
Das Aug der Welt zu täuschen sey.

4. Sie dachte lange nach darüber,
Zu retten ihren Tugendschein,
Und will von Gott am Ende lieber,
Als von der Welt, verachtet seyn;
Die Gottesfurcht begann zu wanken
Mit blöder Menschenfurcht im Streit;
Und so gewann der Mordgedanken
In ihrem Herzen Festigkeit.

5. Es nahte sich die Schreckensstunde,
Wo unter Schmerzen sie gebahr,
Und ihre Tugend gieng zu Grunde
In dieser schrecklichen Gefahr. –
Der Säugling lag in ihren Armen –
Der Willen war zur That gereift,
In der sie blindlings, ohn Erbarmen,
An seinem Leben sich vergreift.

6. Sie wurde der Geburt verdächtig;
Man suchte nach, und fand sogleich
Sie der Besinnung nicht mehr mächtig,
Und ach! ihr Kind im Todesreich:
Sie war betroffen, und bekannte
Vom strengen Richter inquirirt:
Sie hab, aus Furcht vor Straf und Schande,
Des Kindes Tod herbeigeführt.
[202]
7. So wollte sie durch ein Vergehen,
Das laut zu Gott um Rache schreit,
Sich vor der Welt geachtet sehen,
In heuchlerischer Frömmigkeit,
Und hat, statt ihren Ruhm zu retten,
Mit größter Schande sich bedeckt,
Und selbst geschmiedet jene Ketten,
Die man zur Straf ihr angelegt.

8. Und welche grenzenlose Strafe
Ist jenseits ihr noch zugedacht,
Wenn sie aus ihrem Sündenschlafe
Durch wahre Buße nicht erwacht?
Bring also wahre Bußefrüchte,
Unglückliche Verbrecherin!
Bekehre dich zu Gott, und richte
Nach seinem Willen deinen Sinn.

9. Betrachte nur, wie ganz unschuldig
Dein Säugling war, der arme Wurm,
Und leide deine Straf geduldig
In deinem Schuldentilgungsthurm;
Dann kannst du noch Verzeihung hoffen
Für dein Verbrechen beim Gericht,
Wenn einst dein armes Herz, getroffen
Vom scharfen Todespfeile, bricht.

10. Und nun, du leichtsinnvolle Jugend!
Die du dich noch für besser hältst,
Gib acht, daß du im Schein der Tugend
Nicht auch in gleiche Sünden fällst;
Und hast du eine Sünd begangen,
[203] Die deine Ehre dir verkürzt,
So laß dich nicht vom Stolze fangen,
Der dich in grössre Sünden stürtzt.

11. Bekämpf die böse Lust, und binde
Mit Bösen keinen Umgang an,
Denn mit dem ersten Schritt zur Sünde
Ist auch der zweite schon gethan:
Und ach! so geht es immer weiter,
Die Sünde läßt dir keine Rast,
Bis du auf der Verbrechen Leiter
Die höchste Stuff erstiegen hast.

12. Nun ruhe sanft im Grabeshügel,
Du unschuldvoller Säugling du!
Dich trugen deines Engels Flügel
Gewiß dem Reich des Himmels zu;
Und bitt für deiner Mutter Seele:
Daß Gott ihr einmal gnädig sey,
Und ihr in ihrer Grabeshöhle
Auch eine sanfte Ruh verleih.

Anmerkungen (Wikisource)

Jungs Errata (Bd. 2, S. 295) wurden in den Text eingearbeitet.