Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien/Der erste Brieff

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[Erster Brief vom 30. April 1706 aus Südafrika]

Psalm CVII, 23. 32[1]
JEsum mit aller Fülle seines göttlichen Reichthums!
In demselben durch den Heil. Geist vereinigte Väter und Brüder, hoch- und werthgeschätzte Freunde,

JEmehr wir durch die wunderbahre Führung Gottes uns nach dem Leibe von ihnen entfernet befinden; je hertzlicher, zarter und inbrünstiger wird unsere Liebe gegen Sie; und sind versichert, daß, gleich wie wir ihrer täglich, so wol bey GOtt im Gebet, als auch in freundlichen Gesprächen unter uns selbsten, zu unserer Freude und Erweckung gedencken: so werden sie nicht weniger unser stets in Liebe eingedenck seyn, und dahero auch zugleich mit grossem Verlangen erfreuliche Post von uns erwarten. Weil wir denn nun, nach der sonderbahren Gnade Gottes über uns, gesund und frisch diesen erwünschten Hafen erlanget, und von dannen nach Europa zu schreiben Gelegenheit überkommen haben; so ist es vor allen andern unsere Schuldigkeit gewesen, daß wir an Sie, geliebte Freunde, zum Preiß göttlicher Güte, und zur Erweckung vieler frommen Seelen, von unsrer bißherigen wunderbahren Erhaltung, und glücklichen Schiffarth einen kurtzen Bericht überschicken.

[Reise von Kopenhagen zum Kap der Guten Hoffnung]

Den 29. Novembr. 1705 begaben wir uns zu Copenhagen mit grosser Freudigkeit in unser Schiff, Princessa Sophia Hedwiga genannt. Vorhero aber wurden uns von vielen frommen Seelen allerhand zu unserer Reise sehr dienliche Geschencke zugeschicket, zum Zeugniß, daß uns GOtt die kurtze Zeit über daselbsten im Seegen habe bekant werden lassen: Wie wir denn eben deswegen unter vielem Wüntschen göttlichen Seegens uns desto getroster zu Schiffe begaben; in Versicherung, daß GOTT allewege würde vor uns hergehen, und auch der aller Barbarischten Menschen [3] Hertzen in Liebe zu uns wenden. Den 30. Nov fuhren wir von dannen ab, und kamen folgendes Tages (an welchem ein Botsmann vom Mastbaum auf den Kopff stürtzete, und sich jämmerlich, zu unserm grossen Schrecken, zu tode fiel, gleich wie denn auch des andern Tages ein Matros ins Meer fiele, aber noch bey den Haaren ergriffen und gerettet wurde) des Abends nach Helsingoehr. Wegen contrairen Windes brachen wir von hier erst den 4. Decembr. auf, und kamen den 6. Decemb. unter stürmischen Wetter in einen Schwedischen Hafen, nahe bey Gottenburg gelegen, um und um mit lustigen Felsen umgeben. Daselbsten musten wir in Ermangelung guten Windes 8. Tage stille liegen. Den 14. Dec. stiessen wir von dannen ab, und kamen folgendes Tages in die Nord-See; Allwo wir beyde anfiengen ein wenig kranck zu werden; wurden aber durch GOttes Hülffe bald wieder davon befreyet. Der Tag war nunmehro allhier sehr kurtz und die Kälte sehr starck. Den 16. liessen wir Norwegen auf der rechten, und den 19. Hitland nebst andern kleinen Insuln (gegen welche ein Knabe, so an den Blattern gestorben war, von unserm Schiff, nach gehaltenem Leichen-Sermon, ins Meer als sein Grab gesencket wurde,) auf der lincken Hand liegen. Den 22 schiffeten wir die Orcadischen Insuln vorbey. Nachdem liessen wir Engeland und Irrland auf der lincken Hand liegen. Den 27. kamen wir in die Spanische See, welche uns mit ihren stolzen Wellen sehr prächtig aufnahm. Das Schiff schiene, als wann es zwischen zweyen mächtigen Bergen in einem tieffen Thal hindurch gienge. Das Anschauen der grossen Wunder GOttes machte uns allhier sehr freudig. Und je hefftiger offt das Stürmen der Winde und das Brausen des Meeres war; je grösser vermehrte sich das Lob GOttes und die Freude in uns, in Ansehung, daß wir einen solchen mächtigen und gewaltigen GOtt zu unsern Vater haben, dem wir dienen, und zu welchem wir uns täglich und stündlich als seine Kinder im Gebet nahen dürfften.

Den 1. Jan. 1706. begegneten uns 2 aus America kommende und nach Engeland gehende Schiffe, welche wir erstlich für Frantzösische Capers hielten. Dahero wurden alle Stücke geladen, die Segel loß gemacht, und warteten, biß sie an uns kämen. Jene aber, als sie solches sahen, hielten sie uns für verdächtig, und wolte also keiner der auf beyden Seiten herausgesteckten Fahnen trauen; biß sie endlich einen zu uns schickten zu vermelden, wer sie wären, und zu vernehmen, von wannen wir kämen. Darauff schieden wir unter Lösung etlicher Stücken von einander. Hier segelten wir gemeiniglich in Tag und Nacht etliche 40. biß 50. Meilen, und kamen endlich den 6. Jan. die Azorischen Eylande vorbey, welche wir auf der rechten Hand liegen liessen. Den[2] 9. erreicheten wir die Gegend von Africa; alwo es wiederum begunte ein wenig warm zu werden. Von dar schifften wir die Türckische Barbarey vorbey, und stunden immer in Gefahr, wegen der dasigen See-Räuber: GOtt aber ließ uns von ihnen bewahret werden, und glücklich die Canarischen Insuln erreichen.

Den 15. Jan. segelten wir unter dem Tropico Cancri[3] hinweg in Zonam torridam, und bekahmen nunmehro grosse Hitze, welche offte Blitz und starck Donner-Wetter verursachte. Den 19 Jan. kamen wir zu denen Souds-Eyländern. Den 22.[4] liessen wir Capo Verde auf der lincken Hand liegen, Allhier hatten wir immer biß zu der Linie sehr schwachen Wind; Die Wärme aber wurde so groß, daß offt das [4] Volck, um selbiger ein wenig loß zu werden, in die See sprunge, und bey Stillstand des Schiffes lange sich darinne aufhielte.

Den 9. Febr. passirten wir endlich gantz glücklich, ohne allen Stillstand, den Æquatorem. Nachdem hatten wir gantzer 8 Wochen contrairen Wind, und wurden gantz an America getrieben, also daß wir immer an Brasilien die Länge nach Süden hinschiffen musten, und nur wenig Meilen davon abwaren. Unter dem 18. grad disseits der Linie ist bey dieser Americanischen Küsten eine versunckene Insul, Ambrothos genannt. Und weil wir selbiger sehr nahe waren, so stunden die Schiffsleute sehr in Sorgen, daß sie entweder mit bißhero gehabten halben Winde, wiederum würden nach der Linie segeln müssen, und daselbsten ihren cours einwenig höher nach Osten nehmen; oder unversehens daselbsten Schiffbruch leiden, wie andern mahlen schon vielen wiederfahren ist. GOtt aber halff uns den 27. Febr. gantz glücklich vorbey, worüber alle im gantzen Schiffe so frölich wurden, daß den andern Tag darauff ein grosses Danck- und Jubel-Fest gehalten wurde. Den Armen wurde gleichfals eine reichliche Steuer gesammlet.

Den 5. Martii passirten wir den Tropicum Capricorni.[5] Von dannen schifften wir in dem grossen Welt-Meer bald da, bald dorthin, nach dem wir vom contrairen Winde getrieben wurden. Über manchen grad haben wir 40, 70 und mehr Meilen[6] gesegelt. Endlich kamen wir allmählig wieder in die Kälte, und so weit in Süden hinein, als vorhin kein Ostindisches Schiff wol gekommen ist. Wir hatten nunmehro fast eben so nahe nach Tranquebar, als hieher nach Caput bonæ Spei.[7] Dennoch aber wolten wir alle gerne dahin, um uns daselbst ein wenig zu erfrischen, weil wir nicht wusten, ob auch von dannen die rechte Passade leichtlich nach Ostindien zufinden sey: richteten dahero, so viel als wir kunten unsern Cours dahin. Den 31. Mart. kamen wir zu einer unbekanten und unbewohnten Insul Tristante Conto[8] genannt. Von dannen schifften wir nach Nord-Osten zu, und kamen endlich den 23. April glücklich allhier an: Nachdem wir von Copenhagen ab bis zu der Linie 1300 von dannen aber biß hieher 1500. Meilen in dem grossen Oceano herum geschwummen hatten; welches die Steuer-Leute mit ihren Instrumentis mathematicis probabiliter[9] wissen können. Dieses ist also der kurtze Abriß unsrer bishieher zurück gelegten Reise.

[Randnotizen von Heinrich Milde]

Den 1. Aug. 1715 wurde H. Ph. […???]

[…???]

Heute am 17. Jun. 1715. gibt mir d[...] Pr. Francke den Brieff aus Tranqueb. vom 8. Jan. 1714 [...] darin er unter anderm meldet, daß ihr Schiff mit der Malabarischen Buchdruckerey, so [...] 1712 abging 17 Wochen von England aus nur unterwegens nach Ost-Indien gewesen, und [...] in der kurtzen Zeit 3921 Teutsche Meilen zurücke geleget. [...]

[Beschäftigung während der Reise]

Was ferner anlanget die Zeit, wie sie von uns ist zugebracht worden; so sollen die lieben Freunde wissen, daß uns kein erwünschtere Gelegenheit hätte können gegeben werden zur Erlangung wahrer und Gott wohlgefälliger Weißheit, als eben diese. Je näher wir offt dem Tod sind gewesen; je ernstlicher haben wir uns beflissen mit dem dreyeinigen GOtt im Geist und in der Warheit recht bekant zu werden, und immerdar in einem solchen Stande der Seelen zu stehen, daß uns GOtt alle Tag bereit zum Tode finden möchte. Dieses hat denn nichts anders, als viel gutes nach sich ziehen können. Unsere Seelen-Kräffte sind dadurch immermehr gereiniget und derer Würckungen der göttlichen Weißheit fähig gemachet worden. Was wir meditiret[10], gelesen, gesehen oder gehöret, es sey in göttlichen und geistlichen oder leiblichen Dingen gewesen, das haben wir, wegen der disposition unsers Gemühts, weit tieffer einsehen, penetriren[11] und zu seinem rechten End-Zweck anwenden können. Des Morgens, [5] Mittags und Abends hatten wir unsere gewöhnliche Schiffs-Erbauung[12] mit GOttes Wort nebst beten, singen und loben GOttes: Dadurch denn zugleich viele andere aufgemuntert worden. Die übrige Zeit des Tages brachten wir zu mit meditiren Lesung und Betrachtung göttliches Wortes, mit freundlichen und erbaulichen Gesprächen, mit Anschauung der grossen Wunder GOttes, die wir täglich vor Augen gehabt haben. Dann und wann suchten wir dann auch durch eine liebliche Vocal- und Instrumental-Music GOtt zu loben, und mit geistreichen Arien unsere innere harmonie zu erwecken.

Solcher gestalt haben wir die edle Zeit nicht ohne Nutzen und mit nicht geringer Gemüts Ergetzung zu bringen können, also das selbige uns immer zu kurtz, niemahls aber zu lang worden ist; Ja wir würden es wenig achten, wenn wir auch gleich noch etliche Jahre auff dem Meere zu schiffen hätten, so uns GOtt nur Gesundheit verliehe. Denn eben dieses ist uns bißhero diejenige Schule gewesen, darinnen man GOttes Wort nicht nach dem blossen Buchstaben alleine sondern auch in seiner innerlichen Krafft und Süßigkeit verstehen und in praxi empfinden lernet. Der liebe GOtt hat uns solcher Gestalt seine in demselben verborgene Geheimnisse unterm Creutze mehr und mehr auffgeschlossen, und seine göttliche Warheiten in unserer Seele lebendig gemacht, um davon nun und künfftig desto freudiger aus eigener Erfahrung zeugen zu können. Daher wir auch so versichert sind des göttlichen Seegens in unsern anvertraueten Amte, daß wir deswegen alle bevorstehende Leiden, Wiederwärtigkeiten und Verfolgungen gantz geringe achten und mit Freuden erwarten. Solte es gleich sehr schwer seyn, Anfangs etwas gutes unter denen Heyden anzurichten; So wird doch GOtt unsern Umgang mit denen Christen nicht ungesegnet seyn lassen: wie uns der HErr schon bißher hat sehen und zu erkennen gegeben.

Indessen werden die lieben Freunde nicht aufhören, GOtt für uns hertzlich zu bitten, also daß, wie wir bißher dessen reichen Zufluß gehabt, und seine Krafft in unserer Seele und Amt empfunden; wir hinführo gleichfals, vermöge dessen, viel gutes ausrichten möchten, und auf unserer noch bevorstehenden Reise hierzu, nach dem Willen GOttes, gesund erhalten werden. Wir können mit Worten nicht gnugsam bezeugen, was für Stärckung wir in unsern Hertzen von GOTT überkommen haben, wenn wir an Sie und andere im Geist und Liebe verbundene Freunde gedacht, und ihres unauffhörlichen Gebets für die Ausbreitung des Reiches JEsu Christi uns erinnert haben. Sie sollen also wissen, das gleich wie sie mit uns, also auch wir mit ihnen gewesen seyn, wenn sie vor GOtt geseuffzet haben. Ach der HErr HErr lasse unsre Hertzen in solchem Bande der Liebe auf ewig verbunden seyn, und erhöre, was wir in einem Sinne und Geiste um die Ausbreitung seiner Ehre und Fortpflantzung seiner Warheit, täglich wündschen und verlangen.

Nebst diesem sollen sie wissen, daß uns GOtt auch dem Leibe nach grosse Gnade hat wiederfahren lassen. Bißhero hat uns noch nichts gemangelt, was zu dessen nöthigen Unterhaltung dienet. Der Schiffs-Capitain, der uns anfänglich wenig zugethan zu seyn schiene, hat uns nachmahls so hertzlich geliebet, daß er alles mit uns gemein gehalten. GOtt hat sein Hertz nebst andern dermassen gerühret und zu uns gewandt, daß es ihm eine Freude war, wenn er uns in etwas solte dienen und gutes [6] thun, und solches zwar daher, weil er durch unsere Predigten und täglichen Umgang in seinem Hertzen überzeuget würde, daß wir es auffrichtig mit ihren Seelen meyneten.

Was sonsten ihnen zu vernehmen erfreulich seyn würde, können wir anietzo bey grossen Zeit Mangel nicht alles vermelden. Indessen sehen sie schon hieraus, daß GOtt warhafftig mit uns ist, und durch uns ein kleines Feuer oder Licht seiner Erkäntniß zufoderst unter denen hin und her zerstreueten Christen suchet anzuzünden, und was wünschten wir lieber, als daß es schon brennete. Über dieses sind wir auch täglich durch die Wunder GOttes im Meer erfreuet worden. Die vielen und mancherley Fische haben uns offte manche Ergötzung gemacht. Zum öfftern schien es, als wenn sie sich alle zusammen im Meer versammlet hätten, und wolten mit grosser Macht unser Schiff stürmen. Manche giengen sehr prächtig einher, mit vielen andern kleinen Fischen begleitet. Von solcher Art, welche Hayen genennet werden, haben wir sehr viele gefangen. Einige sind über 6. Ellen lang, haben im Munde, welcher unter dem Bauche ist, 6. reihen Zähne; Ihr Haut ist als ein Finger dick und ihr Gehirn ist gut zur Artzeney. Ihre Stärcke übertrifft vieler Männer-Stärcke, und sind mit ihren Geleits-Männern im Wasser sehr lustig anzusehen, werden auch nicht eher von jenen verlassen, biß sie mit grossen Seilen ins Schiff gezogen werden. Fliegende Fische haben wir in der Wärme alle Tage in grosser Menge um uns hergehabt. Die andere Arten sind nicht alle zu erzehlen. Vor der Lienie kam ein so genanter See-Teuffel um uns, und ging den gantzen Tag um unser Schiff herum, wir konten ihn aber nicht fangen. Er hatte grosse Hörner, ist so dick als er lang, und siehet gantz abscheulich aus. Vögel haben wir gleichfals mancherley Arten gesehen etc. Bey lieblichen Wetter satzten wir uns oben auf dem Schiff, und liessen unser Gemüth durch Anschauung der schönen Situation des Himmels und des Meeres erfreuet werden, und nahmen dadurch Gelegenheit von jener zukünfftigen Herrlichkeit zu reden, und uns solcher Gestalt in der Hoffnung dessen zu ergötzen. Sonsten aber hatten wir gantz alleine unser sonderbahres Gemach auff dem Schiffe, das zu unsern studiis[13] und exercitio pietatis[14] sehr gelegen war.

In Summa[15], wir können GOtt nicht genug dancken für das Gute, welches er uns auff dieser sonst gefährlichen Reise, so wol am Leibe, als sonderlich an der Seelen erwiesen hat: und schreiben eben dieses in Demuth des Hertzens darum denen lieben Freunden, daß sie zum Lobe GOttes mit uns sollen auffgewecket werden, und alle diejenigen, die uns kennen, und es auffrichtig mit ihrem GOtt meinen, an uns ein Exempel[16] haben sollen, wie herrlich, weißlich[17] und heilsam er die Seinigen zu führen pflege, wenn man sich nur in Verläugnung seiner selbsten ihm und seinem Willen gantz übergiebet.

[Aufenthalt am Kap der Guten Hoffnung]

In diesem Orte meinten wir unter den Christen Seelen anzutreffen, die einen Hunger und Durst nach dem Worte GOttes haben würden, indem die allermeisten teutsche Lutheraner, doch ohne Prediger sind: Aber wir haben noch zur Zeit unter ihnen nur ein Politisches Staats-Christenthum angetroffen, das von dem rechtschaffenen Wesen in Christo wenig wissen will. Ein jeder meinet, er könne GOtt hier nicht so dienen, als in seinem Vaterlande. Aus diesem principio[18] versparen sie die Ausübung [7] des rechtschaffenen Christenthums, bis sie wieder ins Vaterland kommen werden. Unter denen Holländern[19] haben wir es besser angetroffen. Sie haben einen Prediger, halten eine schöne Kinder-Lehre mit catechisiren[20], sie führen immer die Bibel bey sich, und haben wol leiden mögen, daß wir fleißig mit ihnen aus selbiger redeten. Der Prediger allhier ist ein sehr gelehrter, weiser und zugleich den Lutheranern gewogener Mann. Wir haben bey ihm sehr viel schöne Bücher angetroffen von unsern Theologis,[21] und hoffen, unsere Discurse[22] werden bey ihm auch nicht ohne Segen bleiben: Wie wir ihm denn auch des Herrn Freylingshausens Theologie[23] geschencket haben. Wir haben uns sehr erfreuet, da wir gehöret, wie daß der schwartzen Sclaven Kinder auff alle Fragen des Christenthums so fein antworten können: müssen uns aber sehr verwundern, daß die Christen so gar unbillig mit ihren Sclaven umgehen, und, wie gesaget wurde, nicht zugeben[24] wollen, daß sie getaufft und zum Christlichen Glauben gebracht würden.

An den Hottentotten, die uns, aus Hoffnung eines Geschencks, sehr höfflich aus dem Schiff empfiengen, haben wir ein recht elend Volck angetroffen. Sie haben gantz keinen Gottesdienst, leben in kleinen Hütten, wie bei uns die Backöfen sind, haben ein Schaaf-Fell über sich hangen, gehen mit dem Kopffe und überall bloß; Die Weiber sind an ihren Beinen mit Schaafs-Därmen bewunden, haben allerhand Metall in Haaren und am Halse hangen. Sie sind gegen die Frembden sehr höfflich und machen gantz wunderliche Posituren. Sie haben unter sich einen Capitain: GOtt aber nennen sie den Ober-Capitain. Die meisten können ziemlich Nieder-Teutsch reden[25]. Wir sind etlichemal bey und in ihren Hütten gewesen, haben einen jedweden Geld oder sonsten etwas verehret. Da sie denn eine solche Liebe zu uns bekommen, daß sie uns allenthalben zugeruffen: Gute Christen, gute Christen, schöne Christen Mann. Item: Wir auch Christen-Mann so, Sie haben unter sich manche Ceremonien; wann man sie aber fraget, warum sie dieses oder jenes also thun, wissen sie nichts anders zu antworten, als daß es also Hottentotten-Manier sey. Wenn der Mond voll wird, so machen sie sich die gantze Nacht über fröhlich mit schreyen und tantzen. Sie haben eine wunderliche Sprache, die niemand erlernen kan. Sie sind sonsten von guter Disposition und Proportion des Leiben; stincken aber greulich, weil sie sich täglich mit Fett schmieren. Sie lieben die Freyheit sehr, und wird sich keiner so leicht denen Christen unterthänig machen. Sie beschemen uns Christen in vielen Stücken. Sie haben untereinander eine grosse Liebe, also, daß wenn einer etwas gutes geneußt, er allezeit auch denen andern solches mitgeniessen lässet. Sie sind sehr vergnügsam[26], also, daß wenn man ihnen einen Ducaten geben wolte, sie ihn nicht nehmen würden, sondern nur einen Groschen fodern, darum weil sie diesen, nicht aber jenen, den Tag über verzehren können. Sie sind sehr dienstfertig: wenn man ihnen ein Doppelchen oder Groschen giebt, so lauffen sie dafür so viel Meilen, als man haben will. Sie sind sehr treu und werden denen Christen nicht das geringste entwenden, wenn sie auch einen Hauffen Geld um sich sehen. Sie werden nicht mit dem Ehr-Geitz, Geld-Geitz und Sorge der Nahrung so geplaget, als wie wir Europäer. Ein jeder sorget nur für den gegenwärtigen Tag, und haben unter sich keinen Vorzug der Würde, ohne[27] daß ihr Capitain allezeit in der Mitte sitzet, und am ersten anfänget zu essen oder [8] zu trincken. Ihr Zustand hat uns zu grossen Mittleiden bewogen, und zugleich Anlaß gegeben, GOtt desto inniger für diejenige grosse Gnade zu dancken, welche er uns Christen für ihnen erzeiget.

Wir haben allhier zugleich einen Hällischen Studiosum[28] angetroffen, M. Colben, welcher von dem Herrn geheimen Rathe, Baron von Croseck, aus Berlin um deswillen hieher geschicket worden, daß er alle Tage das gantze Jahr durch die Observationes Astronomicas[29] dieses Orts aufzeichnen soll. Bey einem Studioso aus Königsberg haben wir unser Logiament. Den 25. April waren wir auff dem Löwen-Berge, welcher eine ungemeine Höhe hat; und weil wir gantz alleine hinauf stiegen, so hatten wir unsere Freude in Dancken und Loben der mannigfaltigen Güte GOttes über uns, sungen auch zu unserer Erweckung etliche Lieder. Der Taffel- und Teuffels-Berg war uns zu ersteigen allzuhoch. Man hat sich billig[30] über die grossen Wercke GOttes zu verwundern.

Die Ost-Indische Compagnie in Holland hat einen ungemeinen schönen und grossen Garten[31] allhier, mit raren und köstlichen[32] Gewächsen. In selbigen haben wir wunderliche Thiere gesehen, als: eine See-Kuh, welche sehr mit der Beschreibung des Behemots im Hiob übereinkommt[33], ein Nasenhornthier, welches fast so groß als ein Elephant ist, ein Elends-Thier,[34] ein wild Pferd, welches von fornen biß hinten gantz weiß und rothstreiffig ist, einen Mause-Hund, Dachse, wilde Böcke, mit gedreheten Hörnern, Hirsche, den Europäischen gantz nicht gleich, Löwen; Fische mit starcken spitzigen Stacheln, darunter einer war, so unter dem Leibe einen Kropff hatte, welchen, so er ihn auffbließ, standen die Stacheln in die Höhe, daß ihn niemand angreiffen[35] konte. Es wurde auch dazumahl gleich mit einem Netze ein Fisch gefangen von solchem starcken Giffte, daß wenn man ihn nur einwenig mit Schuen anrührete, man einige Zeit nicht auf solchen Fuß gehen konte, ja am gantzen Leibe eine grosse Empfindung davon hatte. Es wolte niemand dergleichen Fisch jemahlen gesehen haben. Nebst diesen haben sie schöne Feld-Früchte allhier; ihre Erndte aber ist schon im Januario gewesen. Jetzo solte der Winter anfangen; es ist aber so warm, als wie bey uns im heissesten Sommer-Tagen. Der gantze Ort und alle Speisen sind sehr gesund.

Wir hoffen nach wenig Tagen von hinnen wiederum abzureisen nach Ost-Indien hinein. Der HErr sey mit uns, wie er bißhero gewesen ist, und begleite uns mit dem Schutz seiner heiligen Engel. Er erhalte uns in seiner Furcht, und lasse uns beständig auf dem Wege der Warheit einhergehen. Er gebe uns grosse Freudigkeit, den guten Geruch seines Erkäntnisses auszubreiten allenthalben, damit sein Nahme an uns möchte gepriesen, sein Reich vermehret und sein Wille in allen Stücken vollbracht werden! Er wolle auch die lieben Freunde und Brüder seiner Gnade und Liebe ernstlich befohlen seyn lassen; Er begleite ihr Amt mit seiner göttlichen Krafft und mache sie recht freudig und getrost, unermüdet an dem Wercke des HErrn zu arbeiten; Er belohne auch ihre Treue mit zeitlichen und ewigen Seegen. Sie grüssen die Ihrigen, und alle, die mit uns in der Liebe vereiniget sind. JEsus sey mit ihren Geiste, Amen.

Wir verbleiben unter dem Schutz des Allmächtigen
Ihre
Gegeben in Africa von Capo de bonne     zu Gebet und Liebe verbundene
Esperance, d. 30. April 1706. Bartholomäus Ziegenbalg,
 Heinrich Plütscho.

  1. Psalm 107, 23.32 lautet: „Die mit Schiffen auf dem Meer fuhren und trieben ihren Handel in großen Wassern, [...] [sollen den Herrn] bei der Gemeinde preisen und bei den Alten rühmen.“ (Luther-Bibel 1545 nach BibleGateway.com). Die Verse dazwischen beschreiben die Gefahren auf See.
  2. korrigiert: im Druck Deu
  3. „Wendekreis des Krebses“, der „nördliche Wendekreis“, damals ungefähr 23° 28' nördlicher Breite
  4. unleserlich
  5. „Wendekreis des Steinbocks“ oder „südlicher Wendekreis“, damals ungefähr 23° 28' südlicher Breite
  6. pro Tag
  7. lateinisch für „Kap der guten Hoffnung“
  8. vermutlich „Tristan da Cunha“ im Südatlantik, die erst 1767 genauer erforscht und 1810 erstmals besiedelt wurde
  9. lat.: mathematische Instrumente; nachprüfbar, wahrscheinlich
  10. Gemeint ist hier keine Entspannungsübung, sondern die geistige Auseinandersetzung mit einem bestimmten Begriff, Thema oder Bibelabschnitt
  11. lat.: durchdringen
  12. Andacht
  13. Studien
  14. wörtlich „Übung (Training) der Frömmigkeit“, also Gebet, Andacht, Bibelstudium
  15. Zusammenfassung
  16. Beispiel, Vorbild
  17. weise
  18. lat.: Grundsatz, Prinzip, Grund
  19. Die niederländische evangelische Kirche ist nicht lutherisch, sondern reformiert.
  20. Unterricht über die wesentlichen Glaubenslehren
  21. Theologen
  22. Gespräche über Lehrfragen
  23. Johann Anastasius Freylinghausen: Grundlegung der Theologie. Halle 1703. Freylinghausen kam 1695 nach Halle und war später Direktor des Waisenhauses, das der genannte August Hermann Francke gegründet hatte.
  24. zulassen, erlauben
  25. Die niederländische Sprache, aus der die Sprache „Afrikaans“ entstand, ist eine Hochform des Niederdeutschen.
  26. genügsam
  27. außer, abgesehen davon
  28. also einen Wissenschaftler aus Halle
  29. lat.: astronomische Beobachtungen
  30. angemessen, ordentlich
  31. wohl eine Plantage
  32. kostbaren
  33. Demnach dürfte es sich um ein Flusspferd handeln, siehe Hiob 40, 15-24 (Luther 1545) (BibleGateway.com)
  34. Elends-Thier: Elen-Antilope, auch Eland genannt
  35. anfassen