Mexikanische Präsidenten

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Autor: Walther Kabel
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Titel: Mexikanische Präsidenten
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 212–216
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[212] Mexikanische Präsidenten. – Unter den Staatsmännern, die die Geschicke Mexikos gelenkt haben, gibt es einige, die ein näheres Eingehen auf ihre Persönlichkeiten verdienen. Zunächst wäre der 1876 verstorbene Antonio Lopez de Santa Anna zu nennen, der nach mehrmaliger Wiederwahl schließlich als Verbannter im Auslande starb. Ein weiteres Gewissen als dieser Santa Anna hat wohl kein anderer Staatsmann besessen. Jedes Mittel war ihm zur Durchsetzung seiner Absichten recht. Als er im Kriege mit Texas 1836 die Stadt San Antonio vor den anrückenden Texanern räumen mußte, ließ er die Brunnen der Stadt vergiften, eine Scheußlichkeit, die er später vergebens abzuleugnen und anderen in die Schuhe zu schieben suchte. Beinahe hundert Texaner starben eines qualvollen Todes, ohne daß man die Ursache der Massenerkrankungen feststellen konnte.

Wenige Wochen darauf wurde Santa Anna von einem [213] feindlichen Streifkorps gefangen genommen. Zu seinem Glück war seine Giftmischerei noch nicht aufgedeckt worden, sonst hätten die Texaner ihn wohl kaum nach dem baldigen Friedensschluß freigegeben.

Dabei ist ihm jedoch persönlicher Mut nicht abzusprechen. Als er 1838 die Verteidigung von Veracruz leitete, setzte er sich ohne jede Schonung seiner Person den feindlichen Geschossen aus, trotzdem er dies sehr gut hätte vermeiden können. Von einer Kugel an der Kniescheibe schwer verwundet, ließ er sich das Bein abnehmen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Nur ein Kästchen mit fünfzig Zigaretten stand neben ihm, und diese rauchte er während der Operation bis auf die letzte auf.

Mit den Staatsgeldern wirtschaftete er in unverantwortlicher Weise. Soweit es ohne Aufsehen möglich war, füllte er seine eigenen Taschen mit den Staatseinkünften. Aber auch darin war er groß, sich durch die Verleihung von industriellen Konzessionen und Lieferungen kleine Nebenverdienste zu verschaffen. Karl v. Gagern, ein früherer deutscher Offizier, der in mexikanische Dienste übergetreten war, erzählt hiervon eine humorvolle Geschichte. Drei Bewerber, ein Deutscher, ein Franzose und ein Engländer, hatten sich gemeldet, um von Santa Anna die Ermächtigung zur Ausbeutung einer Mine zu erhalten. Der Reihe nach erbaten und erlangten sie eine Privataudienz bei dem Staatsoberhaupt. Der erste versprach ihm, im Falle, daß er bevorzugt werden sollte, fünf Prozent vom Reinertrage, der zweite eine runde Summe von hunderttausend Pesos, zahlbar nach Erteilung der Konzession, und der Engländer machte keinerlei Versprechungen. Als er aber das Zimmer verlassen hatte, sah Santa Anna ein stattliches Paket Banknoten auf dem Tische liegen. Sofort ließ er den Engländer durch einen Adjutanten zurückrufen.

„Sie haben hier Geld vergessen,“ sagte er.

„Ich?“ erwiderte mit gutgespielter Verwunderung der Engländer. „Unmöglich – ich hatte gar keines bei mir.“

„Aber diese Banknoten?“

„Sie müssen Ihnen gehören, Herr Präsident. Halten [214] Sie mich der Unachtsamkeit fähig, eine solche Summe zu verlieren?“

Damit setzte er seinen Hut auf und verließ das Audienzzimmer.

Am nächsten Tage hatte er die Konzession in der Tasche.

Eine andere Geschichte, die auf Santa Annas Charakter ein recht bezeichnendes Licht wirft, kam im Jahre 1844 ans Tageslicht, als er gestützt und vom Kongreß zu lebenslänglicher Verbannung verurteilt wurde – ein Ereignis, das vielen politischen Gefangenen plötzlich die Freiheit wiedergab. Unter diesen Leuten befand sich auch ein gewisser Carlos Benevusto, der seinerzeit angeblich wegen hochverräterischer Umtriebe kurzerhand ohne jedes Gerichtsverfahren in den Kerker geworfen war. Benevusto hatte im Jahre 1842 eine reiche Silbermine entdeckt und war zu Santa Anna gekommen, um ihm für die Erlaubnis zum Abbau der Silberader eine bedeutende Summe anzubieten. Der Präsident fragte, ob außer Benevusto noch irgend ein anderer Mensch etwas von der Existenz der Mine wisse. Auf dessen verneinende Antwort bestimmte Santa Anna einen Tag, an dem sie beide die Mine zunächst in Augenschein nehmen wollten. Bis dahin sollte Benevusto niemand etwas von seiner Entdeckung verraten. So gelangte der Präsident in den Besitz des wertvollen Geheimnisses, und einen Tag darauf ward Benevusto dann plötzlich verhaftet und in eine feuchte Zelle transportiert, aus der ihn erst der Sturz Santa Annas befreite. Inzwischen hatte dieser die Silberader für sich selbst abbauen lassen, und Benevusto sah sich um Millionen betrogen. –

Ebenfalls ein recht eigenartiger Herr war der Präsident Miguel Miramon, der bekanntlich am 19. Juni 1867 zusammen mit Kaiser Maximilian standrechtlich erschossen wurde. Miramon hatte sich schon als Leutnant in eine junge Dame namens Maria Bombardo verliebt und ihr auch einen Antrag gemacht, war jedoch mit dem Bemerken abgewiesen worden, er solle als Hauptmann wiederkommen. Der Leutnant, bis dahin durchaus kein Streber, änderte sich mit einem Schlage. Die Liebe hatte in ihm den Ehrgeiz geweckt. Nach fünf Jahren, in denen er sich mehrfach auszeichnete, war er Hauptmann. [215] Aber Maria Bombardo gab sich damit nicht zufrieden. Auf seinen erneuten Antrag vertröstete sie ihn bis dahin, wo er die Majorsepauletten errungen habe, und den Major wollte sie nach weiteren zwei Jahren dann erst wieder nehmen, wenn er – General geworden sei.

Diese Stellung errang Miramon nach einer glänzenden Laufbahn im Herbst 1852. Da erst gab sich die klug berechnende Dame zufrieden und wurde seine Frau. Aber auch fernerhin sorgte sie dafür, daß ihr nunmehriger Gatte nicht etwa auf seinen bisherigen Lorbeeren einschlief. Schließlich erreichte Miramon, und dies nicht zum wenigsten durch die klugen Schachzüge seiner Gemahlin, die Präsidentenwürde.

In dieser Stellung folgte er den Fußstapfen seines Vorgängers Santa Anna insofern bis ins kleinste, als er es gleichfalls als sein gutes Recht ansah, zunächst einmal seine eigenen Taschen zu füllen. Im Winter 1859 wurde ein verwegener Einbruch in die Staatsbank in Mexiko ausgeführt, bei dem den Räubern nicht weniger als eine Million an frisch gemünztem Goldgelde und neuen Banknoten in die Hände fiel. Es wird nun behauptet, Miramon habe den Einbrechern gegen Abtretung einer halben Million das Entkommen ermöglicht. Jedenfalls trug diese peinliche Affäre viel zu seinem baldigen Sturze bei. Später schloß er sich dann an den unglücklichen Kaiser Maximilian an, der ihn zum Großmarschall ernannte.

Bei seiner Hinrichtung bewies er jedoch, daß er neben vielen Fehlern auch manche gute Seite, so eine durch nichts zu erschütternde Unerschrockenheit und Anhänglichkeit besaß. Es wird erzählt, daß man ihm, nachdem er zum Tode verurteilt war, wiederholt die Möglichkeit zur Flucht verschaffte. Trotzdem blieb er. Er schätzte Maximilian so hoch, daß er ihn im Unglück nicht verlassen wollte. Charakteristisch für ihn sind folgende Worte: „Ich mag ein Schuft gewesen sein, aber ein gemeiner Feigling war ich nie.“ –

Auch einen Indianer, der dem Stamme der Zapoteken angehörte, hat Mexiko zum Präsidenten gehabt. Es war dies derselbe Mann, der Kaiser Maximilian und Miramon erschießen ließ und hierdurch seinen Namen Carlo Benito Juarez [216] mit blutigen Buchstaben in das Buch der Weltgeschichte eingetragen hat. Bevor Juarez zum Präsidenten gewählt wurde, bekleidete er den Posten eines Finanzministers. Wenn er als solcher auch nie in seine eigene Tasche gewirtschaftet hat, so zeigte er doch eine unglaubliche Gewissenlosigkeit bei dem Ersinnen von Mitteln und Wegen, um die Staatskassen zu füllen. Daß er Ausländern „gespickte“, das heißt wertlose Gold- und Silberminen, in deren oberste Erdschichten Gold- und Silberstücke von verlockender Größe vorher eingegraben worden waren, als großartige Kapitalanlagen empfahl und teuer verkaufte und nach berühmten europäischen Mustern die Gold- und Silbermünzen durch Beifügung unedlen Metalles um die Hälfte ihres Wertes verschlechterte, wurde ihm von seinen eigenen Landsleuten nicht weiter verübelt. Dabei besaß Juarez jedoch ein außergewöhnliches staatsmännisches Talent, verbunden mit größter Schlauheit und Rücksichtslosigkeit, Eigenschaften, die er allerdings zumeist nur zum Besten seines Vaterlandes, nie zu seinem eigenen Wohle, ausnützte. Und dieser Umstand bildet in seinem Charakterbilde, das durch die Unterzeichnung des Todesurteils gegen den so hochgesinnten österreichischen Kaisersohn für alle Zeiten getrübt ist, einen wenigstens etwas versöhnenden Lichtpunkt.

W. K.