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Montenegro und die Montenegriner

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Titel: Montenegro und die Montenegriner
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 24-26
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Montenegro und die Montenegriner.



So streng wir uns auch in der Gartenlaube von aller raisonnirenden Politik fern halten werden, so glauben wir doch den Dank unserer Leser zu verdienen, wenn wir sie mit den Verhältnissen und augenblicklichen Zuständen eines Landes bekannt machen, dessen Name neuerer Zeit vielfach genannt und das jedenfalls in den nächsten Tagen eine große Rolle in der politischen Welt spielen wird. Wir meinen das kleine Bergländchen Montenegro. Dieses kleine Stück Erde oder vielmehr Felsen scheint dazu berufen zu sein, eine wichtige Rolle bei den Ereignissen zu spielen, die sich nach und nach vorbereiten, um die Herrschaft der Türken in Europa zu erschüttern, wenn nicht ganz über den Haufen zu werfen. Unter unsern Freunden sind unzweifelhaft viele eifrige Zeitungsleser, und diesen besonders glauben wir mit dieser kurzen Darstellung zur richtigen Beurtheilung der kommenden Ereignisse einen Dienst zu erweisen.

Montenegro, welches auf deutsch schwarzes Gebirge heißt, von den Eingebornen selbst Tscherna Gora, von den Albanesen Mal Iris und von den Türken Karadaph genannt wird, stößt in südwestlicher Richtung an das adriatische Meer und wird westlich von dem schmalen Küstenlande des österreichischen Dalmatien, nördlich, östlich und südlich aber von der Herzogewina und Albanien begränzt und umfaßt einen Flächenraum von etwa 60 Quadratmeilen. Durch seine Berge vollständig in sich abgeschlossen und eben deshalb schwer zugänglich, ist Montenegro, obgleich in nächster Nähe des, von allen civilisirten Völkern besuchten adriatischen Meeres, lange Zeit hindurch der übrigen Welt wenig bekannt gewesen und erst in unsern Tagen hat man über das interessante Bergland und seine Bewohner nähere Kunde erhalten. Es ist nur ein kleines Völkchen von etwa 120,000 Seelen, das seit Jahrhunderten mit Muth und Entschlossenheit seine Unabhängigkeit gegen die Türken behauptet und seine Sitten und Gebräuche, seine Sprache und Religion rein erhalten hat. Die Montenegriner sind ohne Zweifel von allen südslavischen Stämmen diejenigen, die ihre ursprüngliche Abkunft am treuesten bewahrt und alle diejenigen Elemente fern von sich gehalten haben, die bei [25] den übrigen südslavischen Stämmen, ja bei ihren nächsten Nachbarn, den Bosniern und Albanesen, theils in Folge der türkischen Unterjochung, theils in Folge des Verkehrs mit den Griechen und Italienern Eingang fanden.

Der Montenegriner ist noch bis zur Stunde der einfachste Naturmensch, der als Hirt oder Jäger auf seinen wildromantischen Bergen umherschweift, und entweder nur zu räuberischen Streifzügen oder um sich mit seinen geringen Bedürfnissen zu versehen in die Ebenen der benachbarten Länder herabsteigt. Mit hoher, kräftiger und schöner Körperbildung vereinigen sich bei dem Montenegriner edle und stolze Gesichtszüge, die jedoch von jener Wildheit nicht frei sind, die als das Charakteristische bei allen Naturvölkern erscheint. Sein von Jugend auf an Strapazen aller Art gewöhnter Körper erträgt jede Anstrengung mit Leichtigkeit; er tritt überall mit Kühnheit und Sicherheit auf und zeigt in allen seinen Bewegungen eine kaum zu übertreffende Gewandtheit. Dieser äußeren körperlichen Ausstattung entspricht vollkommen der Charakter des Montenegriners. Wild und leidenschaftlich, schlau und hinterlistig, so wie in hohem Grade rachsüchtig ist er stets bereit, sich selbst Recht und Hülfe zu verschaffen, zeichnet sich dabei aber auch durch bewunderungswürdige Tapferkeit und eine glühende Liebe zur Freiheit aus. Diesen männlichen Tugenden stehen, was sonst bei rohen Natursöhnen nicht immer der Fall ist, eine große Mäßigkeit, Genügsamkeit und Sittenreinheit zur Seite.

In einem einfachen patriarchalischen Verhältnisse lebend, sind die Familien im engeren und der Stamm im weiteren Sinne diejenigen Bande, die den Montenegriner unauflöslich fesseln; jede Verletzung seiner Familie, so wie jede Antastung der Ehre seines Stammes fordern ihn zur Rache heraus, und weit häufiger als auf der Insel Korsika, fallen in Montenegro der Blutrache oft zahlreiche Opfer. Familie kämpft gegen Familie, Stamm gegen Stamm, bis das erlittene Unrecht gesühnt ist.

Leicht erkennt man aus dieser kurzen Charakterdarstellung des Montenegriners, daß derselbe alle Eigenschaften in sich vereinigt, die ihn zu einem tapfern, jeder Gefahr trotzenden Krieger machen, ja dieser kriegerische Muth treibt ihn zu den kühnsten und verwegensten Thaten hin, wenn seinem Heiligsten, seinem Vaterlande oder seinem Glauben Gefahr droht. Stolz auf seine Freiheit und Unabhängigkeit und als treuer Sohn der griechisch-katholischen Kirche ist der Montenegriner ein unversöhnlicher Feind der Türken, die sich seit Jahrhunderten vergebens bemüht haben, das tapfere Bergvolk unter ihr Joch zu beugen. Die Republik Venedig wußte die Tapferkeit der Bewohner der schwarzen Berge wohl zu schätzen, und in ihren blutigen Kriegen mit den Türken im 16., 17. und 18. Jahrhundert hatte sie an den Montenegrinern die treuesten Verbündeten, die auch später als Venedig seine Besitzungen auf der östlichen Seite des adriatischen Meeres aufgeben mußte, den Kampf fortsetzten und sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit errangen, die jedoch von der Pforte[WS 1] niemals anerkannt wurde.

Bis gegen das Ende des 14. Jahrhunderts gehörte Montenegro zu Serbien, riß sich dann davon los und war bis zu Anfang des 16. Jahrhunderts ein für sich bestehendes Fürstenthum unter eigenen Fürsten, von denen der letzte im J. 1516 abdankte. Von da ab bildete sich eine Verfassung aus, die ohne wesentliche Abänderungen bis auf die neueste Zeit bestanden hat und als eine priesterlich-republikanische bezeichnet werden kann. Dieser Verfassung gemäß leiteten ein Wladika (Anführer) und ein Erzbischof die Angelegenheiten, und ihnen zur Seite stand ein Senat, den das Volk aus den Aeltesten der Familien wählte. Dieses weltliche und geistliche Regiment wurde im Laufe der Zeit in einer Hand vereinigt, so daß der Wladika zugleich auch die erzbischöfliche Würde übernahm. In dieser doppelten Stellung als weltliches und geistliches Oberhaupt verwaltete er alle öffentlichen Angelegenheiten und die Gerechtigkeitspflege. In neuester Zeit ging diese vereinigte Würde auf die Familie Petrowitsch über, welcher auch der vorletzte Wladika Petro Petrowitsch II. angehörte, der am 31. October 1851 zu Cettinje, dem Hauptplatze Montenegro's und der Residenz des jeweiligen Oberhauptes, verstarb. Petro Petrowitsch II. gebührt der Ruhm, daß er unablässig bemüht war, sein Volk zu civilisiren, und wie gering auch immer die Anfänge in dieser Beziehung genannt werden mögen, so ist es ihm doch gelungen, durch strenge Handhabung der Gerechtigkeit einen sicherern Rechtszustand zu begründen und hierdurch der grausamen Blutrache Einhalt zu thun. Von besonderer Wichtigkeit ist das Verhältniß, in das Montenegro schon gegen das Ende des 18. Jahrhunderts zu Rußland trat. Das Verhältniß, das wohl zunächst durch das religiöse Interesse begründet ward und hierin seinen stärksten Anhaltpunkt hat, wurde unter Petro Petrowitsch II. ein immer innigeres, und es ist eine seit Jahren bekannte Thatsache, daß Rußland die Montenegriner unter seinen Schutz genommen und den Wladika mit Geld und allen den Mitteln unterstützt, die dem armen und spärlich angebauten Berglande fehlen. Trotz dieses Schutzverhältnisses, in welchem Montenegro zu dem mächtigen Rußland steht, dauerten auch unter Petrowitsch II. die Händel mit den Türken fort, ja diese führten im Jahre 1844 einen förmlichen Krieg gegen die Montenegriner und entrissen ihnen mehrere kleine Inseln im See von Scutari. Schon vorher war der Wladika auch in Streitigkeiten mit Oesterreich gerathen, die jedoch, wiewohl sie durch die raublustigen Montenegriner herbeigeführt waren, unter Vermittelung Rußlands in gütlichem Wege ausgeglichen wurden.

Von dieser Zeit ab, bis zum Tode Petrowitsch's II. am 31. October 1851 trugen sich keine Ereignisse zu, welche die Aufmerksamkeit der übrigen Welt auf Montenegro gelenkt hätten. Erst nach dem Ableben des letzten Wladika sind die Montenegriner wieder Gegenstand eines allgemeinen Interesses geworden; sie sind von Neuem in einen ernsten Kampf mit den Türken verwickelt und scheinen, begünstigt durch die außerordentlichen Sympathien, welche die übrigen südslavischen Stämme so wie überhaupt die christliche Bevölkerung in den türkischen Provinzen, namentlich in Bosnien, theils im Geheimen, theils offen für sie an den Tag legen, auf größere und nachhaltigere Erfolge rechnen zu können. Es handelt sich aber auch in dem neuerlichst ausgebrochenen Kampfe nicht etwa um die Besitznahme eines einzelnen streitigen Grenzortes, sondern vielmehr um die thatsächliche Unabhängigkeit [26] Montenegros und seines jungen Fürsten Danilo (Daniel), die dieser um so mehr zu erringen und von Seiten der türkischen Regierung anerkannt zu sehen bestrebt ist, da er sich unter dem Schutze Rußlands zum unabhängigen Fürsten von Montenegro erhoben hat und als solcher von eben dieser Schutzmacht anerkannt worden ist.

Danilo, ein Sprößling aus der bei den Montenegrinern gleichsam für heilig gehaltenen Familie Petrowitsch, war ursprünglich von seinem Vorgänger nicht zum Nachfolger bestimmt worden; vielmehr hatte dieser die Herrschaft über Montenegro dem Sohn seines älteren Bruders zugedacht und ihn nach Petersburg gesandt, um sich für seinen hohen Beruf auszubilden. Der Tod dieses Neffen Petrowitsch II. erfolgte während seines Aufenthalts in der russischen Residenz, und nun lenkte der schon bejahrte Wladika seine Aufmerksamkeit auf den jungen Danilo, der gerade zu dieser Zeit die Schule in dem benachbarten Cattaro (im österreichischen Dalmatien) besuchte. Danilo ward von dort zurückberufen und bald darauf nach Petersburg gesandt. Auf der Reise dorthin begriffen, ereilte ihn die Nachricht von dem Tode seines Oheims, und sofort kehrte Danilo nach Montenegro zurück. Hier hatten sich unterdessen verschiedene Parteien gebildet und es schien, als sollte es wegen der Nachfolge Danilo’s zu inneren Streitigkeiten kommen, die um so gefährlicher für Montenegro hätten werden können, da Pero, der Präsident des Senats, in dem Verdachte stand, daß er darauf ausgehe, die Herrschaft an sich zu reißen. Rußland wandte diesen Parteiungen die größte Aufmerksamkeit zu, schickte einen besonderen Abgeordneten nach Montenegro ab, ließ sich durch diesen über die Verhältnisse desselben genau unterrichten und begünstigte den jungen Danilo, der sich überdies durch sein kluges und entschiedenes Benehmen in kurzer Zeit die Zuneigung seines Volkes erworben hatte, so sehr, daß die Bemühungen seiner Gegner erfolglos blieben, und diese sich endlich für ihn erklärten.

Dem Willen seines Vorgängers gemäß sollte Danilo seine Ausbildung in Petersburg vollenden und dort zu seiner kirchlichen Würde eingeweiht werden. Der junge Fürst reiste demzufolge nach Petersburg ab, doch kaum war dies geschehen, so traten die Häupter der Montenegriner zu Cettinje zusammen und berathschlagten, wie einer längeren Abwesenheit Danilo’s vorgebeugt werden könne. Nur in der Trennung der weltlichen Würde von der geistlichen sah man die Möglichkeit, den jungen Fürsten in kürzester Zeit seinem Volke wieder zuzuführen. Alsbald schritt man zur Ausführung dieses Planes. Man wandte sich zu diesem Ende in einer Bittschrift an den Kaiser von Rußland und entwickelte in dieser die Gründe, die eine Trennung der weltlichen von der geistlichen Würde nothwendig machten, so schlagend, daß sich der russische Kaiser, der sich überdies noch durch seinen Abgeordneten Bericht erstatten ließ, dem Gesuche des montenegrinischen Senates willfährig zeigte und dem jungen Danilo in einem eigends hierzu ausgefertigten Diplome den Titel "erlauchter Fürst des montenegrinischen Volkes" beilegte.

Mit dem Orden des heil. Stanislaus erster Klasse geschmückt, kehrte Fürst Danilo zu seinem Volke zurück, dem er in einer großen Versammlung das feierliche Versprechen gab, mit unermüdeter Anstrengung nur für sein Wohl zu sorgen. Der junge Fürst, der, wenn auch keine gebietende Heldengestalt, wie die meisten seiner Vorgänger, doch mit einer einnehmenden Persönlichkeit, einen seltenen Scharfblick, Entschlossenheit und Neigung zu nützlicher Thätigkeit verbindet, hat bereits während seines kurzen Regiments Beweise dafür gegeben, daß es ihm mit seinen dem Volke zugesagten Verheißungen Ernst sei, und namentlich ist er bemüht, durch Gründung von Schulen und Kirchen, durch eine bessere Gerechtigkeitspflege und durch Anlage von Straßen die Montenegriner für Kultur und Civilisation empfänglich zu machen. Zum geistlichen Oberhaupte hat er den Archimandriten Nikodem Rajcevic ernannt, der sich bereits nach Petersburg begeben hat, um sich dort als Erzbischof weihen zu lassen.

Für den Augenblick ist freilich die Aufmerksamkeit des jungen Fürsten und seines Volkes auf den Kampf gegen die Türken gerichtet. Der Sultan ist weit entfernt, Danilo als unabhängigen Fürsten von Montenegro anzuerkennen, im Gegentheil hat er ein ansehnliches Heer gegen die Montenegriner gesandt, und sogar einen ansehnlichen Küstenstrich Albaniens in Blokadezustand erklärt. Ihrerseits haben sich die Montenegriner stärker gerüstet als je; Danilo selbst steht an ihrer Spitze, und durch die Ueberrumpelung der, am See von Scutari belegenen Feste Czabljak hat er bereits einen festen Operationspunkt gewonnen. Ob es indeß die Montenegriner wagen werden, weiter in die Ebenen vorzudringen und den Türken in offener Feldschlacht entgegenzutreten, läßt sich kaum erwarten, es sei denn, daß unter den übrigen slavischen Stämmen eine entschiedene Bewegung zu ihren Gunsten einträte. In diesem Falle würde sich der kaum begonnene Kampf weit hin über die westlichen Provinzen der europäischen Türkei ausbreiten, und, welchen Ausgang er auch nehmen möchte, zur Kräftigung der türkischen Herrschaft gewiß nicht beitragen. Gerade die Möglichkeit eines solchen Ereignisses ist es, die dem kräftigen Auftreten der Montenegriner eine so hohe Bedeutung giebt.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. zwischen 1718 und 1922 Synonym für den Sitz der osmanischen Regierung (Quelle: Wikipedia)