Nachklänge zur Uhland-Feier
[399] Nachklänge zur Uhland-Feier. In der von Karl Emil Franzos herausgegebenen Zeitschrift „Deutsche Dichtung“ finden sich 31 Lieder und Epigramme Uhland’s, welche weder in den bisherigen Sammlungen des Dichters, noch in der Cotta’schen Jubiläumsausgabe, noch in einer seiner Biographien enthalten sind. Darunter giebt es sehr werthvolle Liederspenden, wie z. B. das folgende schöne Gedicht:
Naturfreiheit.
Leben, das nur Leben scheinet,
Wo nicht Herz, nicht Auge spricht,
Wo der Mensch zur Form versteinet,
Machst du ganz mein Herz zu nicht’?
Die mich oft mit Trost erfüllet,
O Natur, auch du so leer?
Tief in Schnee und Eis gehüllet,
Blickst du frostig zu mir her.
Hör’ ich nur ein Waldhorn klingen,
Hör’ ich einen Feldgesang:
Rühret gleich mein Geist die Schwingen,
Fühlt der Hoffnung frischen Drang.
O Natur, voll Muttergüte,
Gieb doch deine Kinder frei,
Sonnenstrahl und Quell und Blüthe,
Daß auch ich gerettet sei!
Mit den Lüften will ich streifen
Rauschend durch den grünen Hain;
Mit den Strömen will ich schweifen
Schwimmend in des Himmels Schein;
In der Vögel Morgenlieder
Stimm’ ich frei und fröhlich ein:
Alle Wesen sollen Brüder,
Du, Natur, uns Mutter sein!
Ein Werk von Georg Hassenstein: „Ludwig Uhland. Seine Darstellung der Volksdichtung und das Volksthümliche in seinen Gedichten“ (Leipzig, Karl Reißner) verdient ebenfalls als ein Beitrag zum Uhlands-Jubiläum betrachtet zu werden. Der Verfasser sucht die volksmäßigen Bestandtheile der Uhland’schen Dichtungen nachzuweisen und giebt Uhland’s Abhandlung über die deutschen Volkslieder im Zusammenhang, aber mit Ausschluß alles speciell Gelehrten wieder, um Freunde des Meisters auf die Schätze wahren dichterischen Genusses hinzuweisen, die auch in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen enthalten sind.
Auch das im Stuttgarter Hoftheater aufgeführte Festspiel zur Uhland-Feier von Friedrich Theodor Vischer ist jetzt im Druck erschienen (Stuttgart, Adolf Bonz u. Comp.). Der Genius Schwabens, der Genius Deutschlands, der Genius der Menschheit feiern den Dichter und krönen am Schluß gemeinsam seine Büste. Von den schwunghaften Versen führen wir die folgenden an, welche dem Genius Schwabens in den Mund gelegt sind:
„Bei Dir sein, Deinen Lebenshauch verspüren,
Heißt athmen in gesunder freier Luft,
Heißt Balsamduft in Fichtenwäldern trinken.
Du Braver, Laut’rer, Ungebroch’ner, Ganzer!
Du Mann, von dem man sagen darf: sein Leben
Liegt vor uns wie ein unbeflecktes Tuch!
O selten in der argen Welt und herrlich,
Wenn eine Seele wie ein Kind so rein,
So schlicht, so mild, so innig und so keusch,
So liederreich, von Feeenhand gesegnet,
Des Lebens herben, undurchsicht’gen Stoff
In Rosenlicht des jungen Tags zu tauchen,
Mit Dämmerschein des Mondes zu umweben,
Mit sinnigen Gedanken zu durchwirken –
Wenn diese Seele stark ist wie von Stahl,
Wenn Mark der Menschheit nicht im Liede nur,
Auch in der That sich offenbart und draußen
Im Lebenskampf, im Ringerkampf ums Recht
Nicht wankt und weicht und schmerzlich Opfer bringt.“ †