Nauwoo und die Mormonen
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Die Unwissenheit und ihre Tochter, der Aberglaube, waren in jeder Zeit das stärkste Bollwerk des Despotismus. Hinter demselben fühlt er sich sicherer und unüberwindlicher als hinter den Altären, es schützt ihn besser als die ehernen Nachen seiner Batterien, und der eiserne Mechanismus der Heere gewinnt durch Unwissenheit und Wahn die rechte Zuverlässigkeit. Daher liegt es im Interesse der weltlichen wie der geistlichen Despoten, die Völker vor dem Licht des Wissens und der Aufklärung sorgfältig zu bewahren und durch alle Mittel zu verhindern, daß kein befreiender und erlösender Strahl von Erkenntniß in die Nacht der Hörigen dringe. Selbst die Verbreitung der Urschrift der christlichen Offenbarung, der heiligen Urkunde des christlichen Glaubens, ist ihnen zuwider; denn das Bibellesen weckt Nachdenken und alles Nachdenken niederzuhalten und zu verschütten, muß ihr beständiges Verlangen seyn, weil nichts in der Seele des gemeinen Mannes aufkommen soll und darf, was fähig seyn könnte, ein Gefühl von Menschenwürde und menschlicher Gleichberechtigung, oder eine Prüfung der empfangenen Glaubenslehren zu erwecken. Deshalb suchen die Tyrannen die Intelligenz, wo sie sich in den untern Klassen blicken läßt, auszurotten und die höhere wissenschaftliche Erkenntniß an bevorzugte Stände als Privilegium zu verleihen; darum verbannen sie die philosophischen Studien aus dem Lehrkreise ihrer Universitäten; darum stoßen sie Jeden, der sich aus den arbeitenden Ständen durch hervorragende Geistesgröße, Kenntnisse und unabhängige, männliche Gesinnung erhebt und dadurch zu Ansehen gelangt in der Meinung des Volks, geflissentlich und in demüthigender Weise hinab in den Staub der Mißachtung und legen ihm,
[130] zur Strafe wegen solcher Standesüberhebung, tausend Kränkungen und alle Last der Chikane auf. Das Christenthum selbst ist in ihrer Hand nur eine Waffe gegen Menschenwürde und Menschenrecht. Sie beuten es aus im Interesse der Erhaltung einer willenlosen Unterwürfigkeit; sie fälschen es durch die Interpretation zur Fessel; denn sie wissen, das ächte Christenthum hat die Macht, zu erlösen, und folglich ist das ächte Christenthum ihnen zuwider. – „Der Geist wird sie frei machen“, sagt die Schrift, und noch unter der Peitsche würde der von der ächten Christuslehre erfüllte Sklave sich ein Freierer und Größerer fühlen, denn der Herr, der ihn peinigt und erniedrigt. Das weiß der Despotismus. Das hat ihm die Geschichte aus den Tagen erzählt, da die Christen, wie Brüder und Schwestern, in wahrer Gleichheit, noch in den Katakomben der ewigen Stadt dem Erlöser mit schüchterner Lippe ihre Lobgesänge darbrachten; das hat er in der Zeit des siebenten Gregor an den Märtyrern erfahren, die der Kirchenfürst mit seinen Bannblitzen niederschmetterte. Er fürchtet nichts mehr auf Erden, als den großen Geist eben dieses Christenthums, vor dem schon einmal die härteste Kette brach, die jemals eine Welt umspannte, vor dem der Purpur der Cäsaren, die jene Welt mit eiserner Ruthe beherrschten, in den Staub fiel, und die Adler, welche so lange die Völker zerfleischt hatten, todt zur Erde sanken. Im Christenthum schlummert der Keim eines neuen Weltalters, das keine Götzen kennt und keine falschen Priester.
Der geistige Zustand des großen Haufens ist fast überall, selbst in vielen Republiken, in der That noch ein solcher, der die Menschheit entehrt. So viel auch da und dort geschieht unter freien und menschlichen Regierungen und von humanen, erleuchteten Gesetzgebern, um die Emancipation des gemeinen Volks aus den Klauen der Unwissenheit, Dummheit und Schlechtigkeit anzustreben, so ist dies doch nur dürftig Stückwerk im Vergleich zum Ganzen, und jener Zustand, wird er nicht bald durch prinzipielle und allgemeine Reformen vorsichtig gehoben, muß ein furchtbares Gericht über die alte Gesellschaft heraufbeschwören. Er ist ihre Achillesferse. Es lebt in den Völkerseelen eine große Ahndung, und wehe! wenn sie nicht allmählig zum klaren Bewußtseyn geleitet wird, sondern in plötzlichem Losbruch mit Allgewalt in die Erscheinung zu treten sucht. Das tausendjährige Reich Christi bleibt nicht immer eine bloße Mythe im Munde des Volks; es ist eine göttliche Verheißung für die in der Entwickelung fortschreitenden Menschheit, und wenn es die an den Steuerrudern Sitzenden nicht in Zeiten anbahnen dieses Reich, welches, wie die Verheißung lautet, alle Menschen frei und glücklich machen soll: so werden hundert Reiche in den Staub sinken, damit dies eine Reich werden könne, ohne sie. „Dein Reich komme“, betet das Volk zum gerechten Gott jeden Morgen und jeden Abend. –
Wenn es wahr ist, was so Viele fürchten, daß in den höhern Schichten der alten Gesellschaft der Tod walte, daß Verderbniß, Fäulniß und Verwesung die Trias ihres Daseyns sey, und daß in diesen Schichten der Götze Selbstsucht verehrt werde als der einzige Gott: – dann kann auch aus diesen Schichten die Erlösung so [131] wenig kommen, wie zu Christus Zeit, welcher die unsrige in so mancher Beziehung gleicht. Ist, was Viele glauben, nicht dem alten Europa, sondern dem jungen Amerika beschieden, der Welt das Schauspiel einer auf der Basis ächter Humanitätsprinzipien entwickelten, wahrhaft civilisirten Gesellschaft darzubieten, und in dem Drama menschlicher Vervollkommnung die große Rolle zu übernehmen, so werden die Apostel jenes neuen Zeitraums gewiß vorzugsweise aus den untern Schichten erwachsen, aus den nämlichen Schichten, welche, obschon niedrig und wenig beachtet, doch noch manche Eigenschaften, Fähigkeiten und Vorzüge verbergen, die in der Fäulniß der höhern Stände unkenntlich geworden, zerfressen und verschwunden sind. Dann wird vielleicht eine großartige Offenbarung zur Menschenverbesserung, ähnlich der vor 18 Jahrhunderten, an’s Licht kommen, und wir werden dann wohl zur Einsicht gelangen, daß, wenn jetzt die halbe Welt in dem feurigen Ofen der Trübsal und des Elends liegt, es nur geschehen ist, um das bessere Metall von den Schlacken zu befreien, und die Geister empfänglicher zu machen zur Aufnahme der neuen Saat des Heils, wie es damals gewesen, da das römische Schwert die verderbte Welt beherrschte.
In dem Vorhofe solcher Zeit stehen Manche auf, die sich berufen glauben und nicht berufen sind, und Manche, die sich als Propheten und Apostel ankündigen, sind nichts weniger als die Erkornen Gottes und durchdrungen von seinem Geiste. Es gibt dann wohl manchen Messias, der auf unächten Urkunden sein Handwerk treibt, wie der Charlatan auf den falschen Doktorbrief. Da, wo die Institutionen der Freiheit jeder menschlichen Bestrebung freien Spielraum gönnen, werden auch die Versuche falscher Propheten die wenigsten Schranken finden, und es ist daher nicht sowohl zu verwundern, daß sie in den Vereinigten Staaten Nordamerika’s am öftersten bemerklich sind, sondern daß sie nicht noch viel häufiger erscheinen. Sie kommen, dauern eine Zeit lang, und verschwinden gemeinlich unbeachtet, wie Meteore der Nacht. Selten überdauern sie einen kurzen Zeitraum, und noch seltener gehen sie über den nähern Kreis ihres Entstehungspunkts hinaus. Um so größere Theilnahme wendet sich aber solchen Erscheinungen dieser Art zu, die eine ungewöhnliche Lebenskraft entfalten und die Keime einer dauerndern Entwickelung verrathen. –
Irrthum ist der gewöhnliche Begleiter der Menschen von der Wiege bis zur Gruft. – Unserm Geist umlagern Nebel und Wolken, und nur wenn Stürme und Blitze daher fahren und sie zerreißen, blicken wir auf kurze Zeit in der Wahrheit heiteren Himmel. Vielen wird ein solcher Ausblick nicht auf ihrer ganzen Lebensreise. Sie sehen beständig Dunstgebilde und zeigen sie Andern als ewige Gestalten. Die bethörte Menge singt die Hymne des Wahns den Chorführern nach und es geschieht dann zuweilen, daß die Nachtbilder der Phantasie und des Selbstbetrugs ganze Geschlechter und Völker verfinstern.
Es ist ein Wahn, bei großen Zwecken allemal große Menschen vorauszusetzen. Auch Bösewichter und [132] Betrüger können jene verfolgen. Immer werden jedoch nur wahrhaft große Seelen mit reinem Willen die Ziele, nach denen sie streben, vollkommen und dauernd erreichen; denn ihnen allein helfen die unsichtbaren Hände aus der Geisterwelt zu ihrem Bau. Der Schurke, welcher den Aberglauben, die Leichtgläubigkeit, die Lust am Wunderbaren und Unbegreiflichen, die Urtheilslosigkeit und Dummheit der Menge als Magneten gebraucht, seine Entwürfe durchzuführen, wird nie an’s Ende kommen. Wäre seine Kraft auch noch so groß – seinem Thun hängt doch der Keim des Verderbens an, und sein augenblickliches Glück ist nichts Besseres, als ein wilder Eingriff in das göttliche Räderwerk, das jede Mißachtung unerbittlich straft. Weise, tugendhaft und unschuldig muß der Mensch seyn, der mit dauerndem Erfolg an der ewigen Stadt Gottes bauen will; und dreimal wehe Dem, der sich als ein Werkführer ausgibt, und nur den Mörtel des Aberglaubens, den Sand der Lüge, und Todtenköpfe als Quadern herbeiträgt.
Am ersten Juni des Jahres 1830 versammelten sich etwa 30 Personen zu Lafayette in Nordamerika um einen Mann, Namens Joseph Smith, der sich ausgab als erfüllt von dem Geiste Gottes und als den obersten Propheten des Allmächtigen, um der Menschheit das Heil eines neuen Evangeliums zu verkündigen. Smith verteilte bei seinem Auftreten eine Broschüre, die er „das Buch Mormons“ nannte, und als den dritten Theil der Bibel, das neueste Testament, ausgab. Dreister noch als Mohammed, der seine Lehren im Koran seinen Anhängern auch als unmittelbare überirdische Eingebungen darstellte, versicherte Smith, daß sein Buch unmittelbaren unterirdischen Inspirationen des Weltgeistes entspringe. Er behauptete, Gott sey ihm einst im Schlafe erschienen und habe ihm befohlen, am Fuße eines gewissen Bergs im Staate New-York einen Schacht zu graben, und dort habe er das neue Evangelium aufgefunden, eingezeichnet mit Hieroglyphenschrift auf metallenen Platten. Er habe die Platten herausgenommen und nach Hause gebracht, wo er sie nächtlicher Weise mit Hülfe eines Instruments entzifferte, das, wie er sagte, den Platten beilag. Dies Instrument nannte Smith das „Urim und Thummin“. Er gab es für das nämliche aus, dessen sich die Propheten des alten Testaments bedient hätten, um die göttlichen Schriftzeichen in den Büchern der Zukunft zu lesen.
Die Zuhörer des Smith lachten über die närrischen Reden, steckten das Buch in die Tasche und gingen von dannen. Als aber am andern Mittag der Prophet zu einer neuen Versammlung einladen ließ – so wurde der Zulauf stärker, und besonders zahlreich war das weibliche Geschlecht dabei vertreten. Es hatten sich nämlich seltsame Geschichten über den Inhalt des Büchleins verbreitet, welches den Menschen das neue Heil verkündigen sollte. Es fand sich, daß die Glaubenslehren mit folgender Erzählung eingeleitet waren: Zur Zeit des Jakob ist ein jüdischer Patriarch, [133] Lehi des Namens, mit vier Söhnen und ihren Weibern über Indien und durch den großen Ocean an die Westküste Amerika’s geschifft, zu welcher Fahrt ihm Gott selbst Anleitung und in der Schiffbaukunst Unterricht gab. Lehi’s Nachkommen haben sich lange Zeit gottesfürchtig und fromm aufgeführt, und die vier Stämme sind im Laufe der Zeit vier Völker geworden, die sich weit verbreiteten. Trümmer ihrer Tempel und heiligen Städte sind noch an vielen Orten zu finden. Aber zuletzt haben sich drei Stämme der Lehiten der Wollust und Abgötterei ergeben und sie thaten sich gegen den vierten, Gott getreuen Stamm zusammen, um ihn zu vertilgen und sein Land zu theilen. Dies ist ihnen auch gelungen. Ein Einziger des ganzen Stamms, Mormon mit Namen, hat sich auf eine Warnung Gottes durch zeitige Flucht nach Osten in eine unzugängliche Einöde gerettet. Dort hat er die Schicksale und Lehren seiner Väter in die erwähnten Metalltafeln gegraben und sie dann in den Berg im Staate New-York verscharrt. Solches ist geschehen Anno 420 nach Christi Geburt. Diese von Smith, als dem auserwählten Oberpropheten Gottes, auf Geheiß desselben aufgefundenen Tafeln seyen, – so hieß es nun weiter – nachdem sie Smith entziffert und druckfertig kopirt habe, von Engeln weggetragen und in Verwahrung genommen worden. –
Dieser letztere Punkt mochte in mancher Seele einige Scrupel wecken; als aber Smith davon Kunde erhielt, stellte er Drei seiner Gläubigen als unverwerfliche Zeugen auf, welche aussagten, sie hätten die Tafeln mit ihren leiblichen Augen gesehen und mit ihren Händen betastet: ein Engel habe sie ihnen vorgezeigt.
Die Glaubenslehren selbst waren im Buch des Mormon in dunkle Formeln und Sprüche gehüllt, allerhand Ausdeutung zugänglich. Klüglich stellen sie sich mit einem Fuße in die Welt des materiellen Wohlseyns und des Sinnengenusses; mit dem andern in den Himmel, dessen unaussprechliche Seligkeiten den Gläubigen und Frommen des neuen Evangeliums ausschließlich beschieden seyn sollen. Sie verkündigen der Welt einen neuen Messias, der das tausendjährige Reich zum Heil der Menschheit mitbringen werde, jenes Reich, das das ganze Geschlecht zu einer Familie vereinigen soll, selig in einem Glauben, und glücklich als eine Gemeinschaft – nämlich durch den Mormonenglauben und das Mormonenthum. Smith legte in einer Reihe von Vorlesungen die Kapitel des „Buchs Mormon“ aus, – berief sich dabei alle Zeit auf die unmittelbare Eingebung Gottes und auf göttliche Offenbarung, und behauptete fest: jedes Wort aus seinem Munde sey wahr, unfehlbar, heilig.
Mehr und mehr vergrößerte sich der Kreis seiner Zuhörer. Als er nun dieselben hinlänglich vorbereitet hatte, schritt er nach dem Beispiele Christi zur Organisation seiner Jüngerschaft und Stiftung seiner Gemeinde. Er ließ der Aufnahme in den Neuen Bund die Taufe vorausgehen, so das Symbol christlicher Vergangenheit an das der mormonischen Zukunft knüpfend.
[134] Die Organisation des Mormonismus ruht auf einer sinnreichen Verbindung theokratischer und socialistischer Formen. Die Hierarchie der Herrschaft ist streng gegliedert. Ihr Haupt, der Prophet, dessen Befehle und Anordnungen stets als unmittelbare Ausflüsse göttlicher Offenbarung und Weisheit ausgegeben werden, ist der Mittelpunkt aller Macht und Autorität; ihm zunächst steht der Rath der 12 Apostel; und die sämmtlichen Bekenner der Mormonenlehre nennen sich Heilige – ihre Kirche aber „die Kirche Christi der Heiligen des jüngsten Tages“. Mit stolzer Selbstüberhebung sehen sie auf alle Andersgläubigen und Andersdenkenden, wie die Israeliten des alten Bundes auf die übrigen Völker, als auf Heiden und Unwürdige, herab. Ihren thatsächlich vom Betrug und vom Aberglauben erzeugten und gebornen Glauben – halten sie für das einzige Heilmittel der sündigen, verderbten Welt, und wähnen, die Zeit sey nahe, wo sich die von dem Strafgerichte Gottes verfolgte Menschheit zu ihrer Rettung in seinen Schooß flüchten werde.
Die Gemeinde der Mormonen wuchs. In demselben Maße mehrten sich jedoch auch die Reibungen mit andern Kirchen und Sekten, und die schroffe Anmaßlichkeit der neuen Heiligen schürte den Haß. Ihr Bleiben in den östlichen Staaten wurde, nachdem an mehren Orten der Wortkampf sich in den der Fäuste verkehrt hatte, unhaltbar: und Smith, eben so energisch als klug, befahl den Auszug nach Westen. Die Mormonen verkauften Hab und Gut, sammelten sich im Ohiostaate um ihren Propheten und dieser, ein anderer Moses, führte sie auf damals noch ungebahnten Wegen in die Wildnisse von Missouri, um hier auf fruchtbaren Auen das neue Zion zu gründen. Doch der Strom der Ansiedelung Andersdenkender folgte ihrer Niederlassung auf dem Fuße, und bald wiederholte sich Das, was sie aus Ohio vertrieben hatte. Unter blutigen Raufereien räumten die Mormonen im Jahre 1833 ihr neues Zion und wanderten weiter westwärts, in eine abgelegenere Gegend von Illinois, in’s Mississippithal. Hier erstand ihr Jerusalem zum dritten Male. Sie nannten die neue Mormonenstadt Nauwoo. Smith hatte in der That für seine neue Niederlassung gut gewählt. Eine Halbinsel, von drei Seiten vom prächtigen Strome umflossen, steigt vom Ufer amphitheatralisch zur Höhe empor, von deren Gipfel der Blick eine prächtige Aussicht auf- und abwärts das Mississippithal genießt. Dreizehntausend Köpfe stark und im Besitz eines Kapitalvermögens von 12 Millionen Dollars, baute die Mormonengemeinde binnen 2 Jahren auf diesem Flecke eine Stadt von 2000 Wohnhäusern und brachte gleichzeitig 40,000 Acres Prairie unter des Pfluges Herrschaft. Auf dem Gipfel der Anhöhe über der Stadt aber errichtete er eine Acropolis des Glaubens, einen Tempel, prächtiger als irgend einer in der neuen Welt. Er rief die geschicktesten Werkleute und Künstler herbei, ihn zu verzieren. In 4 Jahren war ein Werk vollendet, das über eine Million Dollars kostete. Nauwoo wurde bald als das Wunder des Westens berühmt, nicht bloß um seiner äußeren Erscheinung willen, sondern noch viel mehr um des Lebens in seinem Innern: – denn das Auge, das [135] nicht tiefer blickte, sah daselbst harmonisch zusammenwirkende Thätigkeiten, geleitet von Einem Willen, den Doppel-Zweck verfolgend: „Selbstzufriedenheit durch den Glauben und materielles Wohlseyn durch Arbeit“. Smith entwickelte in der Organisation seines kleinen Staats ein bewundernswürdiges Talent und rastlose Thätigkeit. Er machte die Arbeit zu einem Glaubenssatze, erhob sie zu einem Ehrenattribut des Menschen. „Alles durch Arbeit mit Gebet!“ – war sein Grundsatz; jeder Lebensgenuß sey ein Arbeits-Erzeugniß! – war sein Gebot. Beamte, Advokaten, Richter, Schreiber, Büttel, Zuchthäuser, Polizei, Schaffotte, Soldaten und tausend andere blutsaugende Einrichtungen, welche der Arbeit Erwerb verzehren, wurden in Nauwoo überflüssig und nicht gefunden. Kein Beamter bezog Gehalt; jedes Amt war Ehrensache. Abgaben hatten keinen andern Zweck, als die Einrichtung von Werken zu gemeinem Nutzen: von Wegen, Straßen, Kanälen, Wasserleitungen, Brunnen, öffentlichen Parks, Anlagen von Schulen und Instituten für Gewerbe und Künste. Im Angesicht solchen Gedeihens mehrte sich die Gemeinde der Heiligen des jüngsten Tages zusehens. Besonders zahlreich waren die Uebertritte aus den wenig gebildeten Schaaren der fremden Einwanderer und die Gemeinde wurde zu einem Kollektiv aller Nationen. Im Jahre 1850 war sie schon auf 40,000 Köpfe gestiegen, von denen über die Hälfte in Nauwoo selbst wohnten. –
Um die Anlässe zu neuen Reibereien und Kämpfen mit Andersgläubigen so viel als möglich zu vermeiden, hatte Smith in Nauwoo, und, wie er verkündigte, auf unmittelbaren Befehl Gottes, volle Toleranz in Glaubenssachen seinen Bekennern zur Pflicht gemacht und die Duldsamkeit zur Tugend erhoben, welcher sich kein Mormone entziehen dürfe. Es konnte sich in Nauwoo jeder Glaube niederlassen, und Keiner, der da kam, inmitten der Mormonenbesitzungen Land zu erwerben, wurde daran gehindert. Vollständige Gewissens- und Religionsfreiheit, wie sie die Verfassung der Union jedem Amerikaner verbürgt, war inmitten der Heiligen-Niederlassung eine Thatsache. Die hierarchische Arroganz der Mormonen zog sich in das Innere des Tempels, in die Winkel der Betstuben zurück. Smiths Gesetzgebung richtete sich mit wunderbarer Wirksamkeit auf die Hebung der Gewerbe. Wo etwas erfunden oder entdeckt wurde zu ihrer Verbesserung, da schickte er Boten aus, es zu prüfen und sich anzueignen. Er gründete schon im Jahre 1836 eine große polytechnische Schule und berief die besten Köpfe zu ihrer Leitung. Wenn er auch im Tempel die Verachtung der irdischen Güter predigte, so sorgte er doch dafür, daß sich die Menschen des irdischen Jammerthals freuen konnten. Er erlaubte die Vielweiberei Jedem, der mehre Frauen und viele Kinder durch seinen Fleiß ernähren könne; er gestattete und begünstigte sinnliche Genüsse als Lohn der Arbeit; aber zugleich predigte er Einfachheit der Bedürfnisse als Mittel der Unabhängigkeit. Er hieß Jeden einen Sklaven, der sich von seinen Gelüsten und Bedürfnissen in Ketten legen läßt, und sagte, daß nur Der genieße, der zu entbehren wisse. Ausgerüstet mit dem blinden Glauben der Unfehlbarkeit seiner auf’s praktische Leben gerichteten Aussprüche, [136] ward es ihm leicht, sie in seiner Gemeinde zur Uebung zu bringen, und Smith erreichte Manches, was in jedem andern Gemeinwesen ein Problem bleiben würde. Der stinkende Odem des Trunkenbolds beleidigte nie den Sinn; Tabaksqualm verpestete nie die Atmosphäre und Bettler und Faullenzer waren ganz unbekannte Dinge unter den Mormonen. „Wir sind“ – hörte man die Mormonen sagen, „hartgehämmerte Demokraten. Wir kennen nur einen Gesetzgeber, Gott, der durch den Mund unsers Propheten redet. Beamte, die nicht arbeiten, Damen, welche den Papagei im Hause spielen, Männer mit Glaçéhandschuhen, Leute, die Schwielen der Arbeit an den Händen für einen Makel halten und vornehm thun wollen, sind uns ein Greuel. Wir haben Konzertsäle, aber keine Salons“. –
Im Jahre 1843 erneuerten sich die religiösen Reibungen, die schon zweimal die Mormonen aus ihren Niederlassungen vertrieben hatten. Vergeblich verwendete der Prophet alle Macht und alle Klugheit, den Frieden zwischen seiner Gemeinde und den Andersdenkenden herzustellen; die Spaltungen wurden immer weiter, und vom Zelotismus der benachbarten Geistlichen genährt, artete die Unduldsamkeit in Versuche zur Unterdrückung aus, weiche die Mormonen mit voller Entschiedenheit zurückwiesen. Der Haß der Gegner, im Bunde mit Unverstand, Rohheit und Verfolgungssucht, verschmähte sodann auch schlechte Mittel nicht, um die öffentliche Meinung gegen das Mormonenthum zu reizen und einen Sturm gegen dasselbe anzufachen, um es zu vertilgen. Wenn man Smith einen wissentlichen Betrüger nannte, und den Mormonen, um der unvernünftigen Fabeln ihres Propheten willen, große Leichtgläubigkeit Schuld gab: so war ihnen damit nicht zu viel geschehen; daß man sie aber zugleich der gröbsten Unsittlichkeiten und des brutalsten Kommunismus bezüchtigte, und sie als Verächter und Verspötter der Christuslehre darstellte, dafür haben sich keine Thatsachen gefunden. Im Jahre 1844 war der Volkshaß in Illinois gegen die Mormonen in Nauwoo so allgemein und heftig geworden, daß die Legislatur des Staats mit Petitionen zur Austreibung der Sektiker bestürmt wurde, welche aber aus Mangel an Beweisen, daß das Thun und Treiben der Mormonen den Gesetzen des Landes zuwider sey, zurückgewiesen wurden. Dies konnte eine aufgeregte fanatisirte Bevölkerung jedoch nicht beruhigen, die sich – dem ältesten Grundsatz der Freiheit zuwider, – daran gewöhnt hatte, sich das Recht selbst durch die Stärke des Arms zu verschaffen, welches die Magistratur dem anmaßlichen Wahne versagte. Angezettelt von zeloten Priestern und von Sklavenbesitzern, die in der, die Sklaverei verdammenden, Ausbreitung des Mormonenthums Gefahr für ihr schwarzhäutiges Eigenthum fürchteten, reifte der Plan, die Mormonen mit Waffengewalt aus dem Lande zu treiben. Man predigte in zahlreichen Volksversammlungen offen den Krieg gegen die Sektiker, es bildeten sich Freischaaren, und ehe die Staatsregierung, die selbst zu schwach war, dem Unwesen zu steuern, den Beistand der Bundesbehörde erwirken konnte, hatte sich ein Heerhaufen zusammengerottet, und drohte Nauwoo zu stürmen und die Mormonen zu vertilgen. Da stellte Smith, [137] auf das freie Geleit der Staatsregierung von Illinois vertrauend, sich freiwillig mit seinem Bruder den Gerichten, die strengste Untersuchung gegen sich und seine Anhänger fordernd. Die Regierung, für Beider Sicherheit besorgt, verschloß sie in das feste Staatsgefängniß. Vergeblich. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1844 stürmten bewaffnete Pöbelhaufen das Gefängniß, und ermordeten Smith und seinen Bruder auf das Scheußlichste. – So endete der Gründer des Mormonenthums im 39. Jahre seines Lebens. Die Mormonen verehren ihn als ihren größten Propheten; die Welt sieht in ihm einen Betrüger, der ein frevelhaftes Spiel mit dem Heiligsten trieb: – die geistigen Kräfte aber, welche er in seiner kurzen Laufbahn entwickelt hat, und der Märtyrer-Muth, der ihn zum Tode begleitete, waren einer reinern Sache würdig.
Nauwoo erhob sich wie ein Mann zur Rache, als es die Katastrophe erfuhr. Doch der Rath der Apostel sprach klüglich zum Frieden. Er sah den Sturm heranziehen, welcher in dem Untergange aller Mormonen endigen mußte, sofern er nicht in zwölfter Stunde noch durch Nachgiebigkeit zu beschwören war. Binnen drei Tagen hatten sich 24,000 bewaffnete Männer um Nauwoo versammelt, die der Fanatismus nach dem Blute der Mormonen lechzen machte. Nur mit Mühe war diese wilde Menge vom sofortigen Gemetzel abzuhalten und geneigt zu machen, Kapitulationsvorschläge zu hören. – Endlich wurde eine Uebereinkunft abgeschlossen, kraft der die Mormonen sich zum Verkauf ihrer Niederlassung und zum Auszug in Masse weit weg, inmitten damals unbekannter Einöden jenseits des Felsengebirgs, binnen 6 Monaten feierlich verpflichteten. Als Smith’s Nachfolger proklamirten die Apostel den Brigham Young zum Propheten und zum Inhaber der Gnade göttlicher Offenbarungen. Noch bevor die Kapitulationsfrist ablief, war der Verkauf des Grundbesitzes der Mormonen und ihrer Wohnungen bewerkstelligt, und die ganze Gemeinde der Heiligen des jüngsten Tages zum Auszug versammelt. Es war eine Volkswanderung. Der Zug bestand aus mehr als 40,000 Personen, den 16,000 Wagen, 5000 Zelte und über 120,000 Pferde, Ochsen, Schafe und andere Hausthiere, und überdies alle zur Niederlassung in einer mehr als 1000 Meilen von den Wohnplätzen gesitteter Menschen entfernten Wüste nöthigen Werkzeuge, Geräthe und Einrichtungen begleiteten.
Niemals hatte Amerika einen solchen Zug gesehen, der auf ungebahntem Pfade durch die kulturlosen Prairien und Urwälder, wo die rothhäutigen, wilden Indianerstämme mit den Bären und Wölfen um die Verfolgung der Bisonheerden stritten, einen Paß über die beschneiten Felsengebirge suchte, um jenseits derselben, in den von dem Reisenden Fremont entdeckten Hochebenen von Utah, an dem großen Salzsee, abgeschlossen von der Civilisation, das neue Zion zu gründen. Die Schilderungen dieser 1200 Meilen langen Reise, die Entbehrungen, Gefahren und Erlebnisse während derselben, überbieten Alles, was ein phantasiereiches Gehirn Mährchenhaftes erfinden kann. Aber die beharrliche Begeisterung der Mormonen, die klugen und zweckmäßigen [138] Anordnungen ihres Führers und der nie wankende Gehorsam, der die Befolgung jener sicherte, erreichten, was allen Vorstellungen unmöglich schien. Sie bauten unterwegs fahrbare Straßen, Brücken über Flüsse und Schluchten, Dämme über Sümpfe und Moorgründe, Fähren über große Ströme; sie sprengten die Felsen, welche ihnen das Weiterdringen im Gebirge verwehrten; sie füllten Klüfte aus, die ihnen den Weg versperrten; sie mußten für die Oeffnung einer Straße durch die Wälder über eine Viertel Million Baumstämme fällen; und über tausend Männer waren beständig thätig, 10 bis 20 Meilen rechts und links die Grasgründe zu mähen, um für die Thiere, welche die Wagen zogen, und für die Heerden Fütterung herbeizuschaffen. Andere Haufen besorgten die Jagd zum Erlangen des frischen Fleisches; und an den Rasttagen, wo die Zelte die Ebene bedeckten, wurde Gottesdienst gehalten, oder gesponnen und gewebt, gefärbt oder gewaschen. Mitten in der Wüste hörte man die feierlichen Töne der Orgel zu den Gesängen für die Ehre Gottes, oder, bei Aufführung von Konzerten, die Harmonien Beethovens, Haydn’s und Mozarts. Fast ein ganzes Jahr hatten der Auszug, die Reise, die ersten Einrichtungen der Niederlassung hinweggenommen. Im Juni 1847 standen in der neuen Mormonenstadt am Salzsee schon 800 Häuser und 80,000 Acres Land hatte die Pflugschaar gebrochen. Was dort seitdem weiter geschehen ist – das wunderbare Aufblühen der Niederlassung in Utah, die rasche, bedeutungsvolle Entwickelung des Mormonismus in dem fernen Lande, die folgenreiche politische Organisation desselben, sein Propagandamachen und Werben in allen Ländern der Erde, um das neue Reich des Heils zu kräftigen, und die hochfliegenden Pläne, welche in der Salt-Lake-City im Konklave der Apostel und ihres Propheten auf der Tagesordnung stehen, – Pläne, welche sogar die Regierung in Washington beunruhigen – werde ich bei Gelegenheit der Beschreibung von „Salt-Lake-City“ besprechen, die mein Sohn nächsten Sommer besucht. Der Erscheinung des Mormonismus, so verdammungswürdig auch dessen betrügerischer Ursprung ist, kann eine außerordentliche Lebenszähigkeit nicht abgesprochen werden. Sie steht sicher noch fern von der Grenze ihrer Entwickelung. Aus Salt-Lake-City ziehen die Apostel zu Haufen aus, um das neueste Testament unter Christen und Heiden zu verkündigen. Schon 1851 gründeten sie in den verschiedenen Staaten Amerika’s und Europa’s 602 neue Zweiggemeinden und setzten 12 Oberpriester, 1590 Priester, 682 Diakonen, 1226 Lehrer ein – sie tauften in England allein an 60,000 Personen, von denen 17,000 nach dem neuen Zion ausgezogen sind. Im vorigen Jahre haben sich ihre propagandistischen Erfolge mehr als verdoppelt. In diesem Augenblicke bereisen über dreihundert Missionäre Europa; aus allen Ländern ziehen Schaaren nach dem fernen „Lande der Heiligen“. Diese Auswanderung wird durch eine besondere Kirchenbehörde in Utah geleitet, die zu dem Zwecke große Fonds zur Verfügung hat. Schon hat sie für die transatlantische Ueberfahrt eigene Schiffe und sie sorgt auf denselben für den möglichsten Comfort der Reisenden, für musterhafte Ordnung, Reinlichkeit und Wahrung von Sittlichkeit und Gesundheit.
[139] Ich verlasse für diesmal den interessanten Gegenstand und kehre nach Nauwoo zurück.
Mit dem Abzug der Mormonen war aus Nauwoo das Leben verschwunden, welches die Stadt blühend, gewerbreich und berühmt gemacht hatte. Die übrige Bevölkerung sah ihre Hilfsquellen versiegen, und sie wanderte zum Theil ebenfalls aus. Noch einmal brach der unvernünftige Haß los, diesmal sich gegen leblose Dinge wendend – der herrliche Tempel der Mormonen wurde nebst ihren Versammlungshäusern ein Raub der Flammen und der Zerstörung. – Bis zum Jahre 1850 lag er in Trümmern; da fand sich ein Mann, der die Ruine kaufte, um das herrliche Gebäude wieder herzustellen. Der Franzose Cabet erwarb es für seine Niederlassung, durch welche er den praktischen Werth des Fourier’schen Sozialismus zu prüfen im Begriff steht. Diese neue Niederlassung hat ein noch schwaches Leben. Sie entbehrt jener kräftigen Keime, welche den Mormonismus so schnell wachsen machten. Der Fourierismus hat die Glaubens-Kerzen auf den Altären des Mormonentempels nicht wieder angezündet, – der weite Dom ist ohne Priester – keine Gemeinde horcht auf des Propheten Gebet, und betet mit Alles, was sie beten hört. Der Fourierismus ist, der Idee nach, unendlich reiner und größer als die Mormonenlehre; denn die ganze weite Welt ist seine Kirche, die ganze Menschheit seine Gemeinde, und sein Gott erscheint in ihrer Mitte: aber es ist Thorheit, an die Möglichkeit zu glauben, das Große und Göttliche, was in seinem Ideale lebt, auf dieser Erde schon jetzt unter diesem Geschlecht zur praktischen Verwirklichung zu bringen. Cabet wird in Nauwoo nichts bauen als Katakomben seiner Hoffnungen, und der Philanthropismus, – der ewig-blutende Gottessohn – wird nichts dadurch gewinnen, als die Erneuerung der schmerzensreichen Erfahrung, daß die Erde jetzt noch kein Boden sey, auf dem das Edelste, was er in seiner Brust und in seinem Streben trägt, vollkommen gedeihen könne.
Kann ja doch selbst Christi Reich auf Erden vor dieser Welt des Kirchenschmucks und des weißen Chorhemdes noch nicht entbehren; – das Christus-Reich, welches sich vor Gott in die Lilien der Unschuld, in's Grün der Hoffnung, in die Rosen der Liebe und der Freiheit kleidet! –