Neuere Literatur zur Geschichte Frankreichs im Mittelalter (DZfG Bd. 5)

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Autor: Auguste Molinier
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Titel: Neuere Literatur zur Geschichte Frankreichs im Mittelalter
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 5 (1891), S. 185–208.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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[185]
Neuere Literatur zur Geschichte Frankreichs im Mittelalter.


In dem gegenwärtigen Berichte über die auf Französische Geschichte des Mittelalters bezüglichen Werke, welche von November 1889 bis Nov. 1890 erschienen sind, werden wir wie letztes Jahr[1] alle diejenigen [186] unerwähnt lassen, welche rein localgeschichtl. oder populärer Natur sind; wir werden vorwiegend Arbeiten anführen, durch welche neue Quellen bekannt gemacht sind oder in denen selbständige Ideen vorgetragen werden.


I. Bibliographie, Quellenkunde und Hilfswissenschaften. Das Repertorium von R. de Lasteyrie und Eugène Lefèvre-Pontalis erscheint weiter, aber ziemlich langsam[2]. Ein fünftes Heft, das erste von Band II, ist 1890 erschienen; es enthält das Verzeichniss der von den gelehrten Gesellschaften der folgenden Departements veröffentlichten Schriften: Hérault, Ille-et-Vilaine, Indre, Indre-et-Loire, Isère; Jura, Landes, Loir-et-Cher, Loire, Loire-Inférieure, Haute-Loire, Loiret, Lot, Lot-et-Garonne, Lozère, Maine-et-Loire. – Für die Inventaires sommaires[3] des archives départementales communales et hospitalières fehlen uns genaue Notizen, da der officielle Bericht noch nicht erschienen ist. Der Handschriftenkatalog[4] endlich ist um folgende Bände bereichert worden: Arsenal T. V, Mazarine T. III; Départements T. XI. Der letztere Band enthält die Handschriften der Bibliothek von Chartres, die eine der reichsten in Frankreich ist und dem alten Ruf der Capitelsschule dieser Stadt durchaus entspricht.

Während diese bibliographischen Arbeiten officiellen Charakters sind, haben die Belgischen Jesuiten ihrerseits es unternommen, die hagiographischen Manuscripte der Pariser Nationalbibliothek auszubeuten. Der erste Band ist erschienen[5]; er enthält die Beschreibung von 274 Latein. Mss., mit zahlreichen Verweisungen auf gedruckte Werke. Im Anhang haben die Herausgeber den Text der wichtigsten unedirten Stücke, welche sie anführen, mitgetheilt. – Die Arbeit des Abbé U. Chevalier ist weit specieller; der Autor hat sich begnügt, liturgischen Büchern und Specialsammlungen, geschriebenen und gedruckten, soweit sie ihm zugänglich wurden, die verschiedenen in der Römischen Kirche üblichen Gesänge[6] zu entnehmen und nach dem Alphabet zu ordnen. Dieses trockene Verzeichniss wird allen denen gute Dienste leisten, welche sich mit der Geschichte der Lateinischen [187] Poesie im Mittelalter beschäftigen. Das erste erschienene Heft enthält die Buchstaben A–D. – An dieser Stelle ist zu erwähnen die sehr wichtige Arbeit Barthélemy Hauréau’s[7], des einzigen oder fast des einzigen Gelehrten in Frankreich, welcher sich ernstlich mit den Lateinischen Schriftstellern des eigentlichen Mittelalters beschäftigt hat. Dem grossen Publicum sind jene Autoren unbekannt und selbst von unseren Geistlichen werden dieselben nur selten durchgeblättert. In der Form von Handschriftenbeschreibungen vereinigt nun Hauréau eine Menge brauchbarer Notizen über diese heutigen Tages sehr vernachlässigte Literatur zu einem ersten Bande. In jenen dunklen Commentaren und schwer zu verstehenden Tractaten werden die Gedanken, die Ideen der Gebildeten des 11. und 12. Jahrhunderts, also derjenigen, welche damals die Angelegenheiten der Christenheit leiteten, zu suchen sein.

Das beim Unterrichtsministerium bestehende Comité des travaux historiques et scientifiques hat es für nothwendig erachtet, seinen Provinzialcorrespondenten neue Instructionen zu ertheilen. Zwei Hefte sind erschienen. Das eine, von L. Delisle, handelt über Literatur und Geschichte des Mittelalters[8]; Verfasser gibt treffliche Regeln über das Aufsuchen und Commentiren unbekannter Documente und veröffentlicht eine gewisse Anzahl von Texten, die aus den Manuscripten der Nationalbibliothek sorgfältig ausgewählt sind. Das andere, von E. Leblant verfasst, ist eine Uebersicht über die Regeln der Kritik, welche heute von den Epigraphikern beim Studium christlicher Denkmäler befolgt werden[9].

Wir erwähnen noch das Répertoire des sources imprimées de la numismatique française von Engel und Serrure[10], welches nunmehr einschliesslich des Registers vollständig vorliegt; und eine Untersuchung des Abbé Douais über eine Handschrift der Geschichtswerke des Bernard Gui[11], sowie eine Abhandlung desselben Verfassers über die Handschriften des Schlosses Merville[12]. In letzterer findet man mehrere für die Geschichte Südfrankreichs wichtige Stücke ziemlich ausführlich beschrieben, u. a. auch eine bisher unbekannte Copie der in Provençalischer Prosa geschriebenen Chronik des Albigenserkrieges.

[188] M. Prou’s Manuel de paléographie[13] füllt eine empfindliche Lücke aus. Man hatte in Frankreich bisher kein Buch, welches den Anfängern die Elemente dieser so wichtigen Wissenschaft darbot; die Curse der Paläographie an den Universitäten sind heute noch wenig zahlreich, und man kann von einem gewöhnlichen Studenten doch nicht verlangen, dass er sich in dem umfangreichen Traité de diplomatique der Benedictiner, oder gar in den Eléments de paléographie von N. de Wailly zurechtfinde. Prou’s Werk ist ein gutes Handbuch und steht auf der Höhe der Wissenschaft; man hat ihm nur den Vorwurf gemacht, dass die Vertheilung des Stoffes wenig übersichtlich sei und die mehrmaligen Abschweifungen auf das Gebiet der Diplomatik oder Chronologie nicht zur Sache gehörten. Bei einer neuen Auflage wird der Verfasser diese geringfügigen Mängel leicht beseitigen können. Das Verzeichniss von Abkürzungen, welches den Band schliesst, wird gleichfalls den Anfängern gute Dienste leisten, wenn es sie auch nicht der Mühe überheben wird, auf Specialwerke, wie Walther’s Lexicon diplomaticum, zurückzugreifen.

Zum Schluss dieses Abschnittes sei noch eine neue Zeitschrift angezeigt, welche im November 1889 ins Leben trat, die Archives historiques[14]. Diese Sammlung wird von zwei ehemaligen Schülern der École des chartes, B. Prost und Welwert, redigirt und scheint lebenskräftig zu sein. Die Herausgeber wollten eine Zeitschrift schaffen, in welcher Jedermann die Documente, auf welche er bei seinen Forschungen gestossen, ob lang oder kurz, veröffentlichen könnte. Man kann dem Unternehmen nur guten Fortgang wünschen. Die im 1. Bande erschienenen Artikel sind fast alle beachtenswerth, für mittelalterliche so gut wie für neuere Geschichte; und wenn jeder Band ein sorgfältiges Register erhält, so wird diese Zeitschrift eine wahre Fundgrube sein und den Gelehrten nur empfohlen werden können.


II. Allgemeine und Verfassungs-Geschichte. Der im April verstorbene Ad. Tardif hatte es unternommen, eine Geschichte des Französischen Rechts zu schreiben, welches er seit nahezu 40 Jahren an der École des chartes lehrte. Nur zwei Bände konnte er noch erscheinen lassen, einen über das kanonische Recht (1887), den anderen über den Römischen Ursprung des Französischen Rechts[15]. Dieser letztere ist der weitaus bessere; er zeichnet sich durch klare und [189] präcise Darstellung aus und bietet jungen Historikern, zumal solchen, welche sich nicht speciell mit dem Rechtsstudium befasst haben, alle nur wünschenswerthen Aufschlüsse über die Quellen, die Glossatoren und die Commentatoren des Römischen Rechts. Es ist sehr zu bedauern, dass der Tod den Verfasser hinwegraffte und uns so des 3. Bandes beraubte, welcher die Quellen des Französischen Gewohnheitsrechts behandeln sollte, ein Gebiet, auf welchem Tardif eine staunenswerthe Kenntniss besass. – Allerdings wird in einem gewissen Masse das Werk P. Viollet’s[16] diesen 3. Teil von Tardif’s Handbuche ersetzen können. In einem früheren, sehr beifällig aufgenommenen Bande hatte der gelehrte Rechtshistoriker das Privatrecht behandelt; jetzt beschäftigt er sich mit dem Staatsrecht, und der 1. Band erstreckt sich bis an das Ende der Fränkischen Zeit, d. h. bis an das Ende des 9. Jahrhunderts. Der Verfasser beherrscht die Literatur seines Gegenstandes: er hat eine gewaltige Anzahl von Werken gelesen und die Quellen selbst studirt. Auch dieses Werk ist in jeder Hinsicht empfehlenswerth. Man wird wohl über viele Einzelheiten anderer Ansicht als Viollet sein, gewisse von ihm entwickelte allgemeine Ideen verwerfen, z. B. seine Bewunderung für den durch den Untergang des Römischen Reiches geschaffenen Zustand übertrieben finden können, aber selbst die, welche den einen oder den anderen von diesen Punkten für anfechtbar erklären, werden an dem Autor die Lauterkeit der Gesinnung und sein Wissen bewundern müssen und werden seine Auseinandersetzungen mit Nutzen lesen. Nur wenige Bücher sind gleich anregend und nutzbringend; man kann dasjenige Viollet’s Anfängern empfehlen, sie werden darin viel Richtiges und eine unparteiische Darstellung finden.

Dagegen wird man derselben Classe von Lesern nicht die Werke Fustel’s de Coulanges empfehlen können. Ein merkwürdiger Schriftsteller! Man hat ihn ohne allzu grosse Uebertreibung mit Montesquieu verglichen, und er kam sicherlich Guizot gleich; aber er besass eine solche rein persönliche Arbeitsmethode, eine solche wenigstens scheinbare Geringschätzung vor ihm erschienener Arbeiten, eine solche Scheu vor den durch andere Gelehrte entdeckten Wahrheiten, dass von seinem Geschichtswerk mehr Negatives als Positives übrig bleiben wird. Er hat gewiss seine Verdienste, besonders dadurch, dass er die schwachen Seiten der von ihm bekämpften Theorien aufzeigte, aber er hat mehr vernichtet als aufgerichtet. Jedoch zeichnen sich die beiden nach Fustel’s Tode von pietätvollen Schülern veröffentlichten Bände[17] in dieser Hinsicht vor den vorhergehenden aus. Zwar verliert [190] sich der Verfasser, indem er sich nicht damit begnügt, seine eigenen Ansichten über den Ursprung des unbeweglichen Eigenthums auseinanderzusetzen, in langathmige Erörterungen gegen die Verfechter eines ursprünglichen Collectiveigenthums. Aber gerade die Uebertreibungen in seinem System machen dasselbe wenig gefährlich, und die Ansicht, welche Fustel über den Ursprung des Lehnswesens und die Lage von Land und Leuten zur Merovingerzeit äussert, scheint sich nicht wesentlich von derjenigen zu unterscheiden, welche G. Waitz aufgestellt hat; und man weiss, dass des Letzteren System jetzt fast allgemein angenommen worden ist.

Einer der Gegner Fustel’s, dem er am übelsten mitspielte, war E. Glasson, Professor in der Juristenfacultät zu Paris, der den Versuch gemacht hat, gegen ihn das Vorhandensein von Gesammteigen in Frankreich zur Merowingerzeit zu erweisen. Die Beweise erscheinen ziemlich überzeugend, aber offen gestanden, die Frage gehört kaum in das eigentliche Gebiet der Geschichte[18]. Das grosse Werk von H. d’Arbois de Jubainville über den Ursprung der Ortsnamen in Frankreich[19] ist sehr wichtig; der gelehrte Verfasser weist nach, dass die meisten den Namen der ersten Eigenthümer der Fundi der Römischen Zeit entlehnt und in gewissen Fällen mit Gallischen Suffixen versehen worden sind. Diese Thatsache war schon bekannt, aber man hatte sie nie im Zusammenhang studirt, und die neuen Gesichtspunkte, welche d’Arbois bezüglich der Beschaffenheit des Grundeigenthums in der Gallischen und Gallorömischen Zeit eröffnet, bestätigen in gewissen Punkten, berichtigen in einigen anderen die Ansichten seiner Vorgänger.

Das Werk von A. Luchaire über die Französischen Gemeinden zur Zeit der Capetinger ist ein Ueberblick, verfasst von einem tüchtigen Historiker, der im Stande ist, auf Grund der in neuester Zeit aufgestellten Theorien über die Entstehung dieser interessanten Bildungen sich seine eigene Ansicht zu bilden und dieselbe zum Ausdruck zu bringen[20]. Der Verfasser kennt die Begebenheiten und die Menschen des 12. Jahrhunderts sehr gut, und versteht es, unter jenen auszuwählen und diese zu beurtheilen. Selbst die Gelehrten werden aus der Lectüre dieses Buches, das bescheiden als populäre Darstellung für das grosse Publicum bezeichnet wird, Nutzen ziehen. – Weit weniger wichtig ist der dem Kriegsdienst der Roturiers im 11. und 12. Jahrhundert gewidmete Artikel von M. [191] Prou[21]. Das Meiste von dem, was der Verfasser erwähnt, ist längst bekannt, und der ganze Aufsatz scheint lediglich zu dem Ende geschrieben zu sein, das Buch von Championnière über den Besitzwechsel, ein unvollkommenes, ganz veraltetes Werk, das einige darin enthaltene originelle Ansichten kaum vor der gänzlichen Vergessenheit schützen, in Erinnerung zu bringen.

Man gestatte dem Verfasser des vorliegenden Berichtes beiläufig seine eigene Abhandlung über die Französischen Nekrologien im Mittelalter zu erwähnen[22]. Bei diesem Werke, welchem ein umfangreiches Verzeichniss handschriftlicher und gedruckter Nekrologien des alten Frankenreichs beigefügt ist, wird der Versuch gemacht, Ursprung und Gebrauch jener Register darzulegen und zum Gebrauch für Gelehrte, welche damit zu thun haben, kritische Grundsätze aufzustellen. Ein Theil desselben Gegenstandes ist in einem kürzlich in Deutschland erschienenen Buche von Ad. Ebner[23] behandelt worden; der Verfasser schliesst mit der Karolingerzeit, d.  h. gerade mit dem Zeitpunkte, um welchen die Nekrologien zum Vorschein kommen. Man wird in dieser Arbeit und in derjenigen von A. Molinier viel Verwandtes finden; sie werden sich gegenseitig ergänzen können.

In einer Abhandlung über die Anfänge des Parlamentes[24] zeigt Ch. V. Langlois, wie der Hof des Königs, das Parlament des 13. Jahrhunderts, allmählig aus der alten curia regis der ersten Capetinger, einer Versammlung von Getreuen des Königs, welche beauftragt sind, die richterliche Gewalt im Namen des Königs auszuüben, hervorgeht. Vom 12. Jahrhundert ab besitzt dieser Gerichtshof bereits eine eigene Rechtsprechung und feststehende Satzungen; im 13. Jahrhundert nimmt seine Zusammensetzung eine bestimmte Form an, er organisirt sich. Gleichwohl dauert es bis zur Regierung Philipp’s des Schönen, ehe man authentische Bestimmungen über die Thätigkeit dieser grossen politischen Körperschaft findet. – F. Aubert hat es unternommen, die Geschichte eben dieses Parlamentes von 1314 bis 1422 zu schreiben. In einem ersten Bande, welcher 1887 erschien, hatte er die Organisation des Gerichtshofes erforscht; der zweite behandelt die Zuständigkeit desselben[25]. In diesem Bande, ohne Frage dem besten des Werkes, zeigt Aubert, dass das Parlament von Paris, als Erbe der alten curia regis, zugleich ein [192] Gerichtshof und ein Verwaltungstribunal ist. Es entscheidet als oberste Instanz alle Processe des Reiches und gleichzeitig beaufsichtigt es die Schulen, die Universitäten und die Gemeindeverwaltung von Paris, beschäftigt sich mit den Hospitälern, dem Strassenwesen und der Verproviantirung der Hauptstadt. Als eifrige Stütze der Prärogative der Krone kämpft es scharf und ausdauernd gegen den Klerus und die grossen Herren, und arbeitet mit aller Kraft daran, das Aufkommen des Absolutismus, den Sieg der Ansprüche des Königthums vorzubereiten.

Die von A. Franklin veröffentlichten drei Bände über das Privatleben von ehemals[26] ermangeln nicht des Interesses; Verfasser spricht von den Mahlzeiten, von der Lage der Handwerker und von der Hygiene. Viele der angegebenen Facten datiren aus den letzten Jahrhunderten, doch hat der Verfasser durchgehends sein Augenmerk darauf gerichtet, den Ursprung der von ihm mitgetheilten Gebräuche zu erforschen. Das Bild, welches er von dem Leben der Franzosen von ehedem entwirft, ist nicht sehr verführerisch; dass dasselbe zutreffend, ist bestritten worden, gleichwohl muss man zugeben, dass man im Mittelalter gewöhnlich mit den Fingern ass, dass Communalverwaltung und Sanitätswesen auch in den reichsten Städten viel zu wünschen übrig liessen, endlich, dass der Handwerker trotz des Schutzes und der Hilfe, die er durch die Zünfte erhielt, nicht glücklicher war, als heute.


III. Geschichte einzelner Perioden. Man weiss, wie sehr sich die Werke über die sogenannte vorgeschichtliche Zeit seit einigen Jahren vermehrt haben; es wäre an der Zeit, zu versuchen, aus dieser wirren Masse von gewagten Hypothesen und scharfsinnigen Beobachtungen die wirklich annehmbaren Thatsachen hervorzuheben. Sal. Reinach hat es versucht, in seiner Einleitung zum Katalog der Alterthümer des Museums von S.-Germain-en-Laye. Seine lichtvolle, mit peinlicher Kritik verfasste Abhandlung wird ein trefflicher Führer für die zahlreichen Historiker sein, welche sich mit diesen entlegenen Zeiten beschäftigen; sie ist ein guter Wegweiser für das Studium der Anthropologie, soweit es sich dabei um Frankreich handelt[27].

Christliche Urzeit. Die Untersuchungen des Abbé L. Duchesne über die alten Bischofskataloge der Diöcese Tours[28] scheinen über die alten, noch heute von den Anhängern des apostolischen [193] Ursprungs der Gallischen Kirchen hartnäckig vertheidigten Legenden definitiv das Urtheil gesprochen zu haben. Soweit es sich historisch wahrscheinlich machen lässt, ist der westliche Theil des alten Lyonnais erst ziemlich spät christianisirt worden. Der hl. Gatian, der erste Bischof von Tours, scheint zu Constantin’s Zeiten gelebt zu haben; der hl. Martin, welcher 397 starb, fand das Heidenthum in diesem Theile des Kaiserreiches noch in Blüthe, und wenn es in Armorica auch schon früh Christen gab, so sind doch Bischöfe dort erst ziemlich spät eingesetzt worden: in Rennes und Vannes im 5., in Alet, Dol etc. im 8. und 9. Jahrhundert. Man darf hoffen, dass der gelehrte Akademiker derselben kritischen Prüfung auch die Bischofslisten der anderen Gallischen Diöcesen wird unterziehen können, z. B. die von Sens und Reims. – Die Schriften des hl. Avitus sind erst kürzlich in den Monum. Germ. von Neuem herausgegeben worden; die neue Ausgabe der Homilien, Gedichte und Briefe dieses Bischofs von Vienne, welche der Abbé Ul. Chevalier soeben erscheinen liess, wird der Französischen Forschung zu gute kommen[29]. Die Feststellung des Textes ist mit peinlicher Sorgfalt erfolgt, die geschichtlichen Erläuterungen sind zahlreich und die Einleitung ist sehr instructiv; auch für die Geschichte des Königreichs Burgund wird man gut thun, die Daten, welche der neue Herausgeber für die Briefe des hl. Avitus gibt, zu beachten.

Die Merowingische Zeit ist der Gegenstand einer Anzahl werthvoller Arbeiten geworden. Die Schrift von Max Bonnet über die Sprache Gregor’s von Tours[30] ist die wichtigste unter denjenigen, deren Gegenstand das Werk dieses Vaters der Französischen Geschichtsschreibung seit einigen Jahren gewesen ist. Vom rein philologischen Standpunkte aus beleuchtet Bonnet von Neuem die Geschichte des Vulgärlateins in Gallien im 6. Jahrhundert; er gibt eine Fülle feiner und treffender Bemerkungen, deren Werth ein bleibender sein wird und welche ebenso wohl den Historiker wie den Sprachforscher interessiren. – Die Abhandlung von G. Kurth über die Gesta regum Francorum[31] ist nicht von derselben Bedeutung, aber sie bietet einige neue und, wie es scheint, sichere Facten; der Verfasser hat, wohl schärfer als seine Vorgänger, die der epischen Ueberlieferung entlehnten Theile des Werkes von denjenigen geschieden, welche jüngere volksthümliche Ueberlieferung enthalten.

Die Reihe der „Questions mérovingiennes“ von J. Havet ist 1890 um zwei neue Abhandlungen bereichert worden. Die erste [194] behandelt die Anfänge von Saint-Denis[32]; Havet stellt hier fest, dass das Kloster von Dagobert, dem damaligen König von Austrasien, zwischen Januar 622 und Juli 625 gegründet wurde und dass die Uebertragung der Reliquien Dienstag den 22. April 626 stattfand; die eigentliche Abtei des hl. Dionysius muss von der „basilica S. Dionisii“, welche Gregor v. Tours wiederholt erwähnt, getrennt werden. Der hl. Dionysius hätte das Martyrium in dem Orte Catulliacus, wie Saint-Denis früher hiess, und nicht auf dem Montmartre erlitten. Alle diese Resultate wird man, scheint es, annehmen müssen, ausgenommen vielleicht das letzte, das man aus verschiedenen archäologischen Gründen wird bestreiten können. – In der zweiten Abhandlung[33] zeigt Havet an einigen Beispielen, wie man die Texte Merowingischer Urkunden mit Hilfe paläographischer Regeln berichtigen kann, und stellt die Echtheit einer Urkunde Chlotar’s I. von 629, welche alle früheren Herausgeber unter die acta spuria verwiesen haben, fest.

Charles Nisard, der im Laufe des Jahres 1890 gestorben ist, hatte zum Gegenstande seiner letzten Arbeiten den Dichter Fortunat gemacht. Sein Buch, betitelt „Fortunat, panégyriste des rois mérovingiens[34], enthält in ebenso geschmackvoller wie besonnener Formulirung ein allgemeines Urtheil über den Menschen und den Dichter. Diese sämmtlichen Arbeiten Nisard’s sind jetzt vereinigt in einem besonderen Bande und unter eigenem Titel erschienen[35].

Für die Karolingische Zeit haben wir nur die Ausgabe der Gesta Aldrici von den Abbés Charles und Froger[36] anzuführen. Die Arbeiten Simson’s über den Entstehungsort und die Entstehungszeit der falschen Decretalen haben die Aufmerksamkeit der Gelehrten von Neuem auf diese merkwürdige Quelle gelenkt. Die neue Ausgabe, welche mit Sorgfalt nach der einzigen in Le Mans aufbewahrten Handschrift veranstaltet ist, wird also willkommen sein, doch haben die Herausgeber leider nicht versucht, das Echte vom Unechten zu scheiden. Alderich war zweifellos ein Fälscher, die Geschichte der Urkunden von Saint-Calais beweist es, aber man weiss noch nicht, welche von jenen Stücken er erfunden und welche er nur interpolirt hat. – Interessant ist die Abhandlung von J. Desilve über die Klosterschule von Saint-Amand[37]; man findet dort gute Angaben über die hervorragenden Schriftsteller, welche ihr im 9. und 10. Jahrhundert zum Ruhm gereichten: Milo, Hucbald, Giselbert und Folcuin, [195] auch eine treffliche Studie über die alte Klosterbibliothek, welche jetzt theils in Valenciennes, theils in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt wird. – Führen wir noch eine Abhandlung des Abbé U. Chevalier an, betitelt: La plus ancienne chronique de l’église de Vienne[38]; sie ist nach einer Handschrift saec. 10 in Bern wiedergegeben und bietet ein gewisses Interesse für die alte Geschichte der Provinzen Arles und Vienne.

11. und 12. Jahrhundert. Das Leben des hl. Hugo, Abtes von Clugny, von P. Lhuillier, ist weniger ein Geschichtsbuch als ein Panegyricus[39]. Der Verfasser nimmt ganz in der Auffassungsweise älterer Zeit ohne Zaudern die phantastischsten Erfindungen der Legendenschreiber des 11. Jahrhunderts an; doch ist aus dem dicken Bande eine gute Studie über Gilo’s bis auf Lhuillier nicht benutzte Biographie des hl. Hugo hervorzuheben. Das Buch ist übrigens interessant zu lesen und gibt eine sehr sorgfältige Uebersicht über die Schriften der alten Hagiographen. – Das Werk P. Ragey’s über den hl. Anselm[40] ist wissenschaftlicher; man findet darin zwar breite und überflüssige Auseinandersetzungen, aber der Verfasser hat es doch verstanden, ein hinlänglich klares und im ganzen interessantes Bild von der Thätigkeit dieses grossen Heiligen zu entwerfen, der zu den regsten Geistern seiner Zeit zählte und noch heute einer der am besten bekannten Philosophen des Mittelalters ist. – Weniger wichtig ist sicherlich die Biographie des Dichters und Bischofs von Rennes, Marbod, von L. Ernault[41]. Verfasser hat es nicht vermocht, ein kritisches Verzeichniss der Werke dieses Mannes herzustellen; doch muss man anerkennen, dass er umfassender als seine Vorgänger das Leben des Prälaten studirt hat.

Die Jahrbücher der Regierung Ludwig’s VI. von Luchaire nehmen unter den Erscheinungen des Jahres 1890 eine hervorragende Stelle ein[42]. Das Werk besteht aus zwei getrennten Theilen: einer umfangreichen Einleitung und Regesten. Diese letzteren sind nicht ganz vollständig; man merkt, dass der Verfasser sich nicht an jene Genauigkeit gewöhnt hat, welche man heutzutage von einem Gelehrten verlangt. In der Anordnung der Verweisungen und in den Urkundenauszügen zeigt sich bisweilen eine gewisse Unerfahrenheit. Gleichwohl [196] werden diese Regesten, die Frucht langer und ausdauernder Forschungen, gute Dienste leisten, und die Einleitung ist, alles in allem, ein vortreffliches Stück geschichtlicher Darstellung, besonnen und elegant geschrieben; sie ist reich an neuen Anschauungen über die Geschichte des 12. Jahrhunderts. Seit Michelet dürfte der Charakter Ludwig’s VI. nie mit gleichem Glück gezeichnet sein und kein Geschichtschreiber mit gleicher Gründlichkeit die Ursachen der Grösse des Capetingischen Hauses erforscht haben. Ohne Frage ist es das beste Werk Luchaire’s; wir ziehen es selbst seiner Geschichte der Französischen Verfassung unter den ersten Capetingern vor. – Die Geschichte der Ehescheidung Ludwig’s VII. und Eleonore’s von Poitou ist noch immer wenig bekannt. Der Abbé Vacandard hat nun die Rolle, welche das Papstthum in dieser Angelegenheit spielte, untersucht; seine Resultate sind etwas unbestimmt und er scheint vergessen zu haben, dass im 12. und 13. Jahrhundert die Päpste in Angelegenheiten dieser Art sehr oft grösseres Gewicht auf die Anforderungen der Politik als auf kanonische Fragen legten[43]. Selbst die Rolle des hl. Bernhard in dieser Sache ist im Ganzen wenig bekannt. Uebrigens ist dies nicht der einzige Punkt, welcher in der Geschichte des Lebens und der Werke des berühmten Schriftstellers aufgeklärt werden muss; so zeigt z. B. Hauréau[44], dass die nach Angabe der Zeitgenossen von ihm verfassten Gedichte jedenfalls verloren sind und dass man dem Stifter von Clairvaux streng genommen keinen von den jämmerlichen Versen wird zuschreiben dürfen, welche unter seinem Namen von den sachkundigsten Editoren, selbst von Mabillon veröffentlicht worden sind.

V. Mortet’s Biographie des Maurice de Sully, Bischofs von Paris, Stifters von Notre-Dame und Reformators des Klerus der Diöcese, ist ein ausgezeichnetes Geschichtswerk[45]. Ein wissenschaftlich gebildeter Prälat wird uns hier gezeigt, der es versteht, mit der königlichen Macht auf gutem Fusse zu bleiben und seine Kirche weise zu leiten, dabei doch seine Tafelgelder vortrefflich verwaltet und gewaltige und kostspielige Projecte zu einem guten Ende führt.


Vom 13. bis Anfang des 14. Jahrhunderts. Universitäts-Geschichte. Die Bemühungen der Behörden um die Reorganisation des höheren Unterrichtswesens in Frankreich beginnen unleugbar ihre Früchte zu bringen. Die Geschichte der alten Universitäten steht bei den Gelehrten in grosser Gunst und wir haben auf diesem Gebiete [197] drei Werke anzuzeigen, von denen zwei im Auftrage der Centralverwaltung veröffentlicht sind. Das erste und beste ist das Chartularium universitatis Parisiensis von H. Denifle und E. Châtelain[46]. Band I erschien und umfasst die Jahre 1200–1286; vermöge des Interesses, welches die hier veröffentlichten Urkunden erwecken, und durch die auf ihre Herausgabe verwendete Sorgfalt ist dieses Werk das beste unter allen, deren Gegenstand die Geschichte der alten Pariser Universität seither gewesen ist. Fehler in grösserer Anzahl hier nachzuweisen, würde schwer halten; die sehr massvollen und umsichtigen Erläuterungen bekunden die tiefe Gelehrsamkeit und den guten Geschmack der Herausgeber. – Das zweite Werk, Die Statuten und Privilegien der Französischen Universitäten, hrsg. von Marcel Fournier[47], ist gleichfalls sehr interessant und wird gute Dienste thun. Aber vielleicht hat der Herausgeber in dem Wunsche, die Ausgabe zu beschleunigen, nicht genug Sorgfalt auf die Auswahl der zu veröffentlichenden Texte und auf die Correctur verwendet: daher die vielen kleinen Fehler, welche den schönen Band entstellen, allerdings ohne das Interesse daran merklich zu schmälern. Man darf erwarten, dass die nächsten Bände mehr nach Wunsch ausfallen. – Führen wir endlich das Werk des Abbé Péries über die Pariser Juristenfacultät bis zu ihrer Aufhebung im Jahre 1793[48] an; dasselbe ist interessant, bietet aber für das Mittelalter am wenigsten Neues. Der Verfasser hat vorwiegend die neuere Zeit, das 16. und 17. Jahrhundert, studirt.

Für das 13. Jahrhundert haben wir sonst nur einige Zeitschriftenartikel anzuführen; in erster Linie eine Notiz L. Delisle’s, welche die Entdeckung der Fragmente von Verwaltungsberichten aus der Zeit Ludwig’s des Heiligen in Büchereinbänden, die aus dem Anfang des Jahrhunderts herrühren, meldet[49]; diese Fragmente datiren von 1247 und 1248 und betreffen die Picardie. – Ch. V. Langlois hat einige Details aus für Frankreich wichtigen Acten mitgetheilt, welche er in Englischen Bibliotheken und Archiven gefunden hat[50].

Aus der viel reichhaltigeren Historiographie über das 14. Jahrhundert sei zunächst die Abhandlung Pirenne’s über die Schlacht von Courtrai 1302 erwähnt, in welcher die Französische und [198] die Vlämische Version des Schlachtberichtes untersucht werden; beide gehen bis ins 14. Jahrhundert zurück[51]. Hier führen wir auch an einen von Viard sehr sorgfaltig veröffentlichten Text[52]; es ist eine etwa 1329 für die Rechnungskammer angefertigte Liste aller königlichen Beamten in Frankreich mit Angabe der Höhe ihrer Gehälter.


Zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Einer der Artikel des Vertrages von Brétigny (1360) bedang die Freilassung König Johann’s gegen eine hohe Summe aus; als Garantie für die Zahlung dieses Lösegeldes stellte der König von Frankreich eine bestimmte Anzahl Bürgen. Sir Duckett hat eine Anzahl interessanter Berichte über die Ausführung dieser Clausel zusammengestellt: sie sind theils dem reichen Lyoner Stadtarchiv, theils Documenten entnommen, welche kürzlich der Herzog de la Trémoille der Pariser Nationalbibliothek geschenkt hat[53][WS 1]. – S. Luce, der wohlbekannte Herausgeber der Chronik von Froissart, vereinigt jetzt unter einem Gesammttitel mehrere hier und da von ihm veröffentlichte Abhandlungen, die sich ausnahmslos auf die Geschichte Frankreichs während des hundertjährigen Krieges beziehen[54]. Der Verfasser hat geglaubt, den kritischen Apparat, Anmerkungen und Verweise weglassen zu müssen; aber trotz dieses Entschlusses wird der Band ebensowohl und vielleicht noch mehr das Interesse der Gelehrten als der Laien erregen. Jede dieser Abhandlungen, für sich genommen, ist interessant und enthält wichtige Thatsachen und neue Ansichten. Man hat aber dem Verfasser die üble Neigung zum Vorwurf gemacht, auf ganz moderne Vorgänge anzuspielen, zu voreilig vom Besondern aufs Allgemeine zu schliessen, zu oft – bei jedem Anlass und auch ohne solchen – seine persönliche Ansicht zu geben.

Die Fragen der Wirthschafts- und Socialgeschichte sind heute für den Historiker von grossem Interesse; er findet mannigfache Belehrung in dem Contobuch der Gebrüder Bonis, welches E. Forestié veröffentlicht hat[55]. Die Bonis waren Bankiers und Commissionäre in Montauban um die Mitte des 14. Jahrhunderts, [199] und ihre Unternehmungen erstreckten sich auf die verschiedenartigsten Dinge: Ein- und Verkauf von Möbeln, Kleidungsstücken und Ausrüstungsgegenständen, von Pferden, Spezereien und Medicamenten, Darlehen und Einziehung von Steuern und Zinsen. Ihr von Forestié veröffentlichtes Contobuch wimmelt von werthvollen Nachrichten über die Lebensweise der Bewohner von Quercy und Toulouse in der Zeit von 1345–1368, über Umlauf und Werth der Münzen und über den Preis der unumgänglich nothwendigen Producte, sowie der einheimischen und fremden Marktwaare. Die Vorrede des Herausgebers ist sorgfältig und sehr gelehrt; vielleicht werden seine Folgerungen ein wenig optimistisch erscheinen. Nichtsdestoweniger scheint es sicher, dass dieser Theil Frankreichs zu jener Zeit sich einer Wohlhabenheit, eines Reichthums erfreute, den das ganze Land erst viel später gewann.

Die Abhandlung von Fr. Delaborde über die eigentliche Chronik des Mönchs von Saint-Denis[56] zeigt, welcher Platz in der Französischen Historiographie der berühmten Chronik über die Regierung Karl’s VI., deren Autor noch nicht sicher ermittelt werden konnte, gebührt. Der Verfasser führt den Nachweis, dass der Mönch von Saint-Denis, ehe er die Geschichte der letzten Jahre des 14. Jahrhunderts erzählte, eine grosse Universalgeschichte verfasst hatte; und von dieser Geschichte hat Delaborde zwei wichtige Bruchstücke wiedergefunden, von denen das eine von 768 bis 1065, das andere von 1057 bis 1270 reicht.

De Circourt setzt seine Forschungen über die auswärtige Politik des Herzogs Louis von Orléans fort[57]; in einer neuen Abhandlung beschäftigt er sich mit den Beziehungen dieses Fürsten zum Hause Luxemburg und zu König Wenzel; man wird darnach das im vorigen Jahre hier angezeigte Werk von Jarry in einigen Punkten ergänzen und berichtigen können.


Erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Coville’s Werk über den Pariser Aufstand von 1413 ist zweifellos eines der besten Geschichtswerke, welche in Frankreich innerhalb des verflossenen Jahres erschienen sind[58]. Das Buch beginnt mit einem Gesammtbild des Zustandes des Königreichs in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts. [200] Man hat dem Verfasser den Vorwurf gemacht, er habe zu schwarz gemalt. Mag dieser Vorwurf in gewisser Hinsicht begründet sein und Coville sich haben hinreissen lassen, die Angaben der Quellen zu sehr zu verallgemeinern: nichtsdestoweniger bleibt ein bemerkenswerthes und, wie es scheint, im Ganzen zutreffendes Bild bestehen. Weiterhin werden dann die vom Bürgerthum und den Gebildeten bewirkten, durch die Verordnung vom Jahre 1413 bestätigten, aber durch die Gewaltthätigkeiten des Pöbels und die Intriguen des Herzogs von Burgund, Johann ohne Furcht, wieder beseitigten Reformen dargelegt. Nie scheiterte eine so weise und so trefflich angeordnete Reform in einer so kläglichen Weise. Im 15. wie im 18. Jahrhundert und überhaupt stets führten die Ausschreitungen der rohen Volksmasse die Rückkehr aller Missbräuche und eine blutige Reaction herbei. – Die Abhandlung Dognon’s über Languedoc während der Jahre 1416 bis 1420[59] zeigt, in welchen Zustand das Land bald wieder zurücksank; durch einen neuen Aufstand aus Paris verjagt, musste der Dauphin, der spätere Karl VII., im südlichen Frankreich einen Stützpunkt suchen und, von dem Adel Nordfrankreichs verrathen, sich mit kaum noch Französischen Fürsten, wie dem Grafen von Foix, verbünden.

Jedes Jahr mehren sich die Forschungen zur Geschichte der Jeanne d’Arc. Wir haben noch mehrere Werke über diesen Gegenstand zu verzeichnen, aber die umfangreichsten sind nicht die bedeutendsten. Das Buch von H. Blaze de Bury, ein nachgelassenes Werk, dessen Herausgabe pietätvolle Hände für nützlich erachtet haben, ist ganz und gar werthlos[60]; der Verfasser war alles eher, denn ein Gelehrter, und das Publicum würde wohl gerne darauf verzichtet haben, seine Meinung über die Jungfrau von Orléans kennen zu lernen. – Das Werkchen Lesigne’s[61] ist nur ein Paradoxon; der Verfasser, ein hervorragender Philosoph, behauptet, dass Johanna gar nicht in Rouen verbrannt wurde, vielmehr aus der Gefangenschaft entronnen, später unter dem Namen Jeanne des Armoises wieder auftauchte, sich verheirathete und Familienmutter wurde. Wir würden dieses wunderliche Buch gar nicht anführen, hätten es nicht viele Journalisten, Französische wie fremde, ernsthaft genommen. – Die vier Bände des Capitän Marin[62] haben ebensowenig [201] Werth. Dass ein Franzose den Charakter der Jungfrau verherrlicht, auch wohl ihren Antheil an den Ereignissen übertreibt, – nichts natürlicher als das; aber aus diesem heldenmüthigen Mädchen eine Heerführerin, eine Schlachtenlenkerin zu machen, diese Zumuthung ist denn doch zu stark. Der Verfasser kennt übrigens seinen Gegenstand nur unvollkommen und sein Werk ist verworren, zu weitschweifig und ermüdend zu lesen. Marin’s wie Lesigne’s Werke werden hier lediglich erwähnt, um vor ihnen zu warnen. – Interessanter ist die von Lanery d’Arc[63] veröffentlichte Quellensammlung; sie enthält die zur Zeit des Rehabilitationsprocesses Johanna’s von den hervorragendsten Kanonisten und Theologen jener Zeit gelieferten Denkschriften. Viele derselben waren von Quicherat, dem Herausgeber der Processacten, mit Fug und Recht weggelassen worden; nichtsdestoweniger verdienen einige die Beachtung der Gelehrten. Der neue Herausgeber hat den Text ohne jeden kritischen Apparat gegeben; er hätte vielleicht noch besser daran gethan, wenn er die Wiederholungen und den grösseren Theil von dem Gerede seiner schwatzhaften und über die Massen weitschweifigen Autoren gestrichen hatte. – Weit wichtiger sind die Ausführungen, welche Ch. de Beaurepaire, Archivar des Departements Seine-Inférieure, über die Richter der Jeanne d’Arc gibt[64], ihre Persönlichkeiten schienen zwar schon hinreichend bekannt, doch haben Beaurepaire’s Nachforschungen in den ihm unterstellten Archiven es ermöglicht, zu den älteren Nachrichten viele neue hinzuzufügen. – Unter jenen Richtern befanden sich mehrere fromme Dominicaner. Diese schon von einigen Andern bemerkte Thatsache hatte einen der neueren Biographen der Jungfrau, einen von denjenigen, welche seit Quicherat das Meiste zu unserer Kenntniss der Anfänge der Jeanne d’Arc beigetragen haben, S. Luce, zu dem Schlusse geführt, dass der Predigerorden der Heldin gegenüber stets eine feindselige Haltung beobachtet habe. Letzteres hat einen Dominicaner, den Pater Chapotin, gewaltig aufgeregt, so dass er unternommen hat, jene Ausführungen zu widerlegen[65]. In mehreren Punkten scheint Chapotin Recht zu haben. So weist er nach, dass Luce etwas leichthin behauptet habe, dass [202] Jean Petit Predigermönch gewesen sei und dass der genannte Dominicanerorden mit Leib und Seele der Sache Burgunds ergeben gewesen sei. Aber Ch. hat weder die Väter des Konstanzer Concils gegen den Vorwurf der Bestechlichkeit rechtfertigen können, noch das Andenken des dem Johann ohne Furcht mit Leib und Seele ergebenen Martin Poirée wieder zu Ehren zu bringen vermocht. Luce’s Buch behält trotz einiger Irrthümer in der Hauptsache seinen vollen Werth, und es scheint erwiesen, dass wir Jeanne d’Arc den Predigten der Minoriten verdanken.

Um mit dem hundertjährigen Kriege zu Ende zu kommen, erwähnen wir noch kurz einige Abhandlungen, welche einzelne Provinzen des Königreiches in der Mitte des 15. Jahrhunderts betreffen. Zuerst eine gute Arbeit André Joubert’s[66] über Maine; sodann eine wichtige Abhandlung de Fréminville’s über die Schinder in Burgund[67]; ferner einen umfangreichen Aufsatz des Abbé R. Charles über die Englischen Einfälle in Maine in den Jahren 1417 bis 1428[68]; endlich die interessanten Untersuchungen Gasté’s über die Volksaufstände in der Normandie. Letzterer bespricht ausführlich die Vaux-de-Vire des Olivier Basselin[69].


Zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. G. de Beaucourt, der den Druck seiner grossen Geschichte Karl’s VII. fortsetzt, hat einige Bruchstücke von Bd. V.[70] veröffentlicht. Er behandelt darin den Process des Jacques Coeur und sucht nachzuweisen, dass der König seinen Minister nicht aus Feigheit preisgab. Es dürfte schwer sein, diesen Theil so getrennt vom Ganzen zu beurtheilen; der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass der Sturz Jacques Coeur’s aus schwer zu ermittelnden politischen Gründen erfolgte. Dies ist wohl möglich, doch dürfte de Beaucourt in diesem Punkte wie in der Sache Jeanne d’Arc’s Mühe haben, Karl VII. von jedem Vorwurf der Undankbarkeit zu reinigen. – Die Beziehungen der Französischen Könige zu den Italienischen Staaten im 15. Jahrhundert sind noch lange nicht genügend bekannt; man wird daher die beiden Abhandlungen P. M. Perret’s über die Gesandtschaft Jean’s de Chambres an Venedig (1459)[71] – der Verfasser veröffentlicht hier die Berathungen des Venetianischen Senates über die Vorschläge des Königs – und über den am 9. Januar 1478 zwischen Ludwig XI. [203] und dieser Republik geschlossenen Frieden[72], welcher den langen Streitigkeiten zwischen Frankreich und Venedig ein Ziel setzte, mit Interesse lesen.

Unter eben diesem Ludwig XI. wurde die Buchdruckerkunst in Frankreich definitiv eingeführt. Diese Frage war im vergangenen Jahre der Gegenstand mehrerer werthvoller Arbeiten. An erster Stelle ist zu erwähnen die grosse Sammlung von Platten, welche O. Thierry-Poux[73] herausgegeben hat. Man findet dort Schrifttafeln in Lichtdruck reproducirt, welche den ältesten Französischen Drucken des 15. Jahrhunderts (1470–1500) entlehnt sind. Diese Sammlung enthält zwar alles, was man heute von den Anfängen der Buchdruckerkunst in Frankreich weiss, doch jeder Tag bringt neue Entdeckungen, welche die eben gewonnenen Vorstellungen modificiren. In Avignon z. B. hat der Abbé Requin Urkunden gefunden, aus denen hervorgeht, dass in dieser Stadt 1444–1446 ein gewisser Procope Waldfoghel lebte, welcher zum Zweck der Ausübung des Buchdrucks Gehilfen suchte; er besass Pressen und bewegliche Lettern. Wenn man nun auch nicht wird behaupten können, dass schon von dieser Zeit ab in Avignon Bücher gedruckt worden, so beweisen diese Quellen doch, dass die neue Erfindung damals bereits einen ziemlichen Weg zurückgelegt hatte[74].

Für die Regierung Ludwig’s XI. haben wir nur noch den die Jahre 1469–72 umfassenden vierten Band der Sendschreiben dieses Fürsten anzuführen, welche Vaesen für die Société de l’histoire de France herausgegeben hat[75], und eine sehr wichtige Abhandlung von B. de Mandrot über Jacques d’Armagnac, Herzog von Nemours[76]. Ausgedehnte Forschungen haben es dem Verfasser ermöglicht, ein definitives Urtheil über ihn zu fällen. Er war ein schwacher, treuloser Charakter, der es weder vermochte, Ludwig XI. offen zu verrathen, noch getreu sein Glück an dasjenige dieses Fürsten zu ketten. Er besass allerdings daneben gute Eigenschaften, war auch sehr gebildet und hatte eine prachtvolle Sammlung von Handschriften, von denen viele noch in Paris sind, zusammengebracht. Aber die Unentschlossenbeit seines Charakters richtete ihn zu Grunde. Ludwig XI. verzieh ihm zwar ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit wiederholt, aber dafür liess er auch, nachdem er sich einmal entschlossen, ihn zu strafen, eine ungewöhnliche Strenge und Grausamkeit walten. [204] Ohne diese Ausschreitungen vertheidigen zu wollen, muss man freilich zugeben, dass Jacques de Nemours ein Verräther war, und dass er zu einer Zeit, zu welcher auf politische Verbrechen die Todesstrafe gesetzt war, sein Schicksal verdient hatte. Ludwig’s XI. strenges Verfahren war um so unpolitischer, als es dem Herzoge von Nemours die Sympathien der Zeitgenossen verschaffte und seine Fehler vergessen liess.

Die Chronik Ludwig’s XII. von Jean d’Auton war seit Anfang des letzten Jahrhunderts nicht wieder in sorgfaltiger Weise edirt worden; die Ausgabe von de Maulde[77] wird daher willkommen sein. Die Herstellung des Textes war übrigens ziemlich leicht, denn wir besitzen noch die Originalhandschrift des Werkes. Es handelte sich also nur darum, dasselbe abzuschreiben und zu erläutern. Die Erläuterungen, welche der neue Herausgeber gibt, scheinen etwas ungleichmässig zu sein: bald sind sie zu zahlreich und überflüssig, bald hinwiederum fehlen die Anmerkungen gerade da, wo sie nöthig wären. Nichtsdestoweniger wird diese Ausgabe erwünscht sein, zumal der Text unendlich besser als derjenige Godefroy’s zu sein scheint. Demselben de Maulde verdanken wir eine Geschichte Ludwig’s XII., die umfangreich zu werden verspricht. Die beiden ersten Bände, die bisher erschienen, reichen bis zu Karl’s VIII. Italienischem Feldzuge[78]. Verfasser hat viel gelesen und gesammelt, und veröffentlicht nun das Resultat seiner Forschungen, doch ein rechtes Buch daraus zu machen, versucht er nicht. Das Werk ist weitläufig und lässt die Gestalt Ludwig’s XII. nicht klar hervortreten. Es scheint, als wolle de Maulde die gangbaren Ansichten über Charakter und Bedeutung dieses Fürsten adoptiren, ohne Front zu machen gegen die herkömmliche Bewunderung für diese in jeder Hinsicht sehr mittelmässige Persönlichkeit.


Localgeschichte. Des Abbé Lebeuf Geschichte von Stadt und Diöcese Paris wird noch heute von den Gelehrten geschätzt; zwar ist sie in ihrer Form zerrissen und in ihrer Anordnung unbequem, indess der Verfasser hatte viele Urkunden gesehen und besass in nicht geringem Grade Sinn für die alte Zeit. Jedenfalls konnte es verdienstlich erscheinen, das Werk dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechend zu vervollständigen. Vor 25 Jahren hatte dies ohne Erfolg Hippol. Cocheries versucht; seine Arbeit, die übrigens unvollendet blieb, ist mangelhaft und schlecht entworfen. Bessere Dienste wird die neue Ausgabe F. Bournon’s leisten, von welcher [205] soeben Heft 1 erschien. Die Zusätze des Herausgebers sind bequem vertheilt und beschränken sich in massvoller Weise auf die Hauptpunkte. Das Werk des Abbé Lebeuf wird aus seinen Händen mehr als doppelt so stark und unendlich vollständiger hervorgehen[79]. – Die von E. Coyecque veröffentlichten Texte sind den Berathungsprotokollen des Capitels von Notre-Dame in Paris entnommen. Sie werfen ein ganz neues Licht auf die Geschichte des Krankenhauses der Stadt[80]; der Herausgeber bat die von ihm abgedruckten Urkunden nicht mit Anmerkungen versehen, doch ist hierfür zu beachten, dass ein erster Band, der noch erscheinen soll, die Geschichte des Krankenhauses bis zum 16. Jahrhundert enthalten wird. Viele der von Coyecque mitgetheilten Stücke scheinen übrigens von untergeordnetem Interesse zu sein; wir haben hier eine ein wenig ins Kleine gehende Gelehrsamkeit vor uns. – Die Geschichte des Hospitals von Bicêtre von E. Richard[81] ist anziehend, bietet aber für das Mittelalter nichts, was man nicht schon anderswoher wüsste. – Endlich erwähnen wir zur Pariser Provinzialgeschichte noch einen Artikel L. Sandret’s über die Fähre von Conflans-Sainte-Honorine im Mittelalter[82], der Verfasser veröffentlicht hier einen ziemlich interessanten Bericht vom Jahre 1467; ferner die Notes historiques sur Saint-Mandé von Ul. Robert[83]. Letztere Arbeit ist eine treffliche Monographie über dieses jetzt zu einem blühenden Städtchen gewordene Dorf. – Von vielen Benedictinerabteien besitzen wir handschriftlich Geschichten, welche im 17. und 18. Jahrhundert von den Mönchen der Congrégation de Saint-Maur verfasst worden sind. Diese Ausarbeitungen bleiben sich an Werth nicht überall gleich, man könnte vielleicht bei der Herausgabe derselben stark kürzen. Denn diese schriftstellernden Mönche waren so weitschweifig als nur möglich, und viele der von ihnen mitgetheilten Details sind jetzt von keinem Interesse. So verhält es sich mit der Geschichte von Orbais, welche Nicolas du Bout im Jahre 1702 verfasste und E. Héron de Villefosse jetzt veröffentlichte[84]. Die Zusätze und Anmerkungen des modernen Schriftstellers sind so interessant und erheblich, dass sie den Werth des Originalwerkes [206] verdoppeln. Man findet namentlich viele interessante Einzelheiten über die Kirche und die Klostergebäude. – P. Guilhermoz veröffentlichte neue und sehr beachtenswerthe Stücke, die den mutterbürtigen Adel in der Champagne betreffen[85]. Man weiss, was für Staub jene Frage aufgewirbelt hat. Mehrere Gelehrte glaubten, dass es sich hier nur um einen privilegirten Bürgerstand handle; andere dagegen haben behauptet, dass dieser Punkt des Gewohnheitsrechtes nie unumstösslich festgestanden habe. Die von Guilhermoz mitgetheilten Stücke beweisen nun, dass der fragliche Rechtssatz zu Anfang des 14. Jahrh. vollkommen anerkannt war und dass damit die für Leibeigene geltende Regel „le fruit suit le ventre“ auch auf den Adel ausgedehnt war. Es gab also wie Leibeigene so auch Adlige durch mütterliche Abstammung. – Endlich erwähnen wir für die Geschichte der östlichen Provinzen Frankreichs noch die Abhandlungen Ch. Pfister’s über die Legenden vom hl. Dié und vom hl. Hydulphe[86]. Der Verfasser stellt hier als Datum der Gründung des Klosters Saint-Dié das Jahr 669 und für das Kloster Moyenmoutier den Anfang des 8. Jahrhunderts endgültig fest.

Die Geschichte der Provinz Perche ist bisher ein wenig vernachlässigt worden. Zwei ehemalige Schüler der École des chartes, O. de Romanet und H. Tournouer, haben zur Ausfüllung dieser Lücke die periodische Veröffentlichung von Quellen über diese Provinz unternommen; diese Hefte erscheinen vierteljährlich. Man findet hier Arbeiten der alten Geschichtschreiber des Landes, Urkunden und Copialbücher, endlich eine Specialbibliographie[87]. Die ersten Hefte bieten manches Interessante. – Für dieselbe Provinz können wir noch das Chartular der Abtei La Trappe anzeigen, welches die Société historique de l’Orne[88] herausgegeben hat. Der Text ist interessant; unglücklicherweise haben aber die Herausgeber dem Chartular selbst noch neun Stücke nach einer beglaubigten Abschrift vom Jahre 1741 hinzugefügt. Wenigstens eins von den Stücken dieses Anhanges, eine Urkunde Ludwig’s IX. von 1240, ist offenbar untergeschoben. Delisle hat dies unwiderleglich nachgewiesen. Man begreift kaum, wie die Herausgeber ein Stück in ihre Sammlung aufnehmen konnten, in [207] welchem unter diesem Datum von den „presides summorum senatuum totius Francie“ gesprochen wird. Die Abhandlung über die historische Geographie der Bretagne von A. de la Borderie[89] ist viel wichtiger. Der Verfasser kennt die Provinz, von der er spricht, vortrefflich und setzt, ohne das Detail zu vernachlässigen, in vorzüglicher Darstellung die tiefliegenden Ursachen auseinander, welche im 10. Jahrhundert in der Bretagne die Feudalität mit ihren grossen Grafschaften und Grenzlehen herbeiführten, und zeigt, wie die Festsetzung der Einkünfte von Penthièvre die Unterwerfung des Herzogthums unter fremden Einfluss bewirkte.

Für das mittlere Frankreich können wir einen guten Bericht L. Guibert’s über das Chartular von Obazine anführen[90]. Dieses Manuscript, das jüngst der Nationalbibliothek geschenkt wurde, ist sehr werthvoll für die Geschichte von Limousin und La Marche. Guibert’s Abhandlung hebt die Wichtigkeit desselben genugsam hervor und gibt ein Inhaltsverzeichniss. – Champeval hat die Veröffentlichung der Chartulare von S. Martin du Tulle[91] und von Uzerche[92], die beide sehr wichtig sind, fortgesetzt. – Spont’s Artikel über die Steuern in Languedoc von 1490–1515 ist eine gute Einzeluntersuchung über die Französischen Finanzen gegen Ende des Mittelalters[93]. Unter Ludwig XI. machte Languedoc die Hälfte des eigentlichen Königreiches und sicherlich die reichere aus. Spont ist im Stande gewesen, für jedes Jahr die von den Landständen bewilligte Summe und die vom König verlangten Hilfsgelder zu bestimmen. Man sieht, dass die grossartige Politik Ludwig’s XI. und die unsinnigen Feldzüge Karl’s VIII. und Ludwig’s XII. dem Lande sehr theuer zu stehen kamen. Frankreich konnte diese Lasten ohne Nachtheil ertragen dank dem wunderbaren Aufschwung von Industrie und Handel am Ende des verderblichen 100jährigen Krieges.

Das von dem Domherrn Pottier bearbeitete Verzeichniss von gedruckten oder handschriftlichen „Chartes de coutumes“ der Ortschaften des jetzigen Departements Tarn-et-Garonne wird gute Dienste leisten[94]. Dieselbe Arbeit ist schon für Ariège gethan worden und die Localhistoriker müssten ähnliche Verzeichnisse auch für die übrigen Provinzen [208] anlegen. – Wir können hier auch die Abhandlung Rébouis’ über die Coutumes von Agenais[95] einreihen, welcher zwei ungedruckte Aufzeichnungen aus den Jahren 1256 und 1358 beigegeben sind. – Ferner erwähnen wir an dieser Stelle die Untersuchung A. Ducom’s über die Geschichte und Verfassung der Gemeinde Agen bis zum Vertrag von Brétigny[96], und von Abbé Douais die Ausgabe des Gewohnheitsrechtes von Montoussin, im alten Toulousain westlich von der Garonne (1270), nach einer Handschrift des 15. Jahrhunderts[97].

Das Syndicatsbuch von Béarn, das L. Cadier[98] veröffentlichte, enthält die Verwaltungsacten der Landstände dieser Provinz von 1488 bis 1521. Die sehr gelehrte und schön geschriebene Einleitung setzt den Werth dieser Quelle in das gehörige Licht; man wird sie für die Geschichte der Beziehungen zwischen Frankreich und Spanien zu Anfang des 16. Jahrhunderts mit Nutzen zu Rathe ziehen, da die Beherrscher von Béarn bis 1515 das Königreich Navarra (südlich der Pyrenäen) besassen.

In einer gehaltvollen Abhandlung erzählt uns noch Abbé J. Chevalier die Geschichte der Kirche von Valence in der Dauphiné unter den Bischöfen Wilhelm und Philipp von Savoyen 1226–1267[99]. Diese beiden kriegerischen und unruhigen Prälaten brachten ihr Leben in Streitigkeiten mit ihren Nachbarn hin und mischten sich in alle politischen Händel ihrer Zeit. Philipp, der gleichzeitig Bischof von Valence und Erzbischof von Lyon war, wurde nie zum Priester geweiht, trat nach 25 Pontificatsjahren ins Weltleben zurück, verheirathete sich und regierte 17 Jahre lang die Grafschaften Savoyen und Burgund.

Paris, im December 1890.

A. Molinier.     



Anmerkungen

  1. Vgl. den Bericht Bd. III p. 143 ff. – Als Erscheinungsjahr ist diesesmal 1890 anzunehmen, als Verlagsort Paris, als Format 8°.
  2. Bibliographie des travaux hist. et archl. Vgl. a. a. O. 143 Note 1.
  3. Vgl. jedoch Bibliogr. ’91, 72.
  4. Catalogue général des mss. Vgl. Bd. III p. 143 Note 3.
  5. Catalogus codd. hagiograph. Latinorum antiquorum saec. 16., qui asservantur in bibl. nat. Parisiensi. Picard. 600 p. 15 fr.
  6. Repertorium hymnologicum: catalogue des chants, hymnes, proses, séquences, tropes en usage dans l’église latine. Louvain, Lefever. 1889. 272 p. 10 fr. Vgl. Bibliogr. ’90, 3705 d.
  7. Notices et extraits de manuscrits latins de la bibl. nat. I. Klincksieck. 406 p.
  8. Leroux. 116 p. 3 fr. 50.
  9. Leroux. 140 p. 4 fr. – Vgl. Nachrr. ’90, 280.
  10. Vgl. Bibliogr. ’89, 1671 u. ’90, 4370.
  11. Vgl. Bibl. ’90, 938.
  12. Annales du Midi, fasc. 4 et 5.
  13. Vgl. Bibliogr. ’90, 4300 u. die Anzeige Nachrr. ’90, 132.
  14. Monatlich ein Heft. – Vgl. Nachrr. ’90, 61 b.
  15. Vgl. Bibliogr. ’90, 3583.
  16. Vgl. Bibliogr. ’90, 824.
  17. Vgl. Bibliogr. ’90, 77 u. 2786.
  18. Vgl. Bibliogr. ’90, 2797.
  19. Vgl. Bibliogr. ’90, 2796 a u. ’91, 230.
  20. Vgl. Nachrr. ’90, 136 d.
  21. Vgl. Bibliogr. ’91, 338.
  22. Impr. nationale. 358 p. 7 fr.
  23. Vgl. Bibliogr. ’90, 3727.
  24. RH 42, 74–114; vgl. DZG III, 214.
  25. Vgl. Nachrr. ’90, 136 h.
  26. Les repas. – Comment on devenait patron. – L’hygiène. Plon, à 3 fr. 50.
  27. Vgl. Nachrr. ’89, 223 b.
  28. Thorin. 109 p. 5 fr.
  29. Vgl. Bibliogr. ’91, 187.
  30. Vgl. Bibliogr. ’90, 2754.
  31. Vgl. Bibliogr. ’90, 46.
  32. Vgl. Bibliogr. ’90, 2759.
  33. Vgl. Bibliogr. ’91, 192.
  34. Vgl. Bibliogr. ’90, 47.
  35. Vgl. Bibliogr. ’90, 803 a.
  36. Vgl. Bibliogr. ’90, 2767.
  37. Vgl. Bibliogr. ’90, 2780.
  38. Bulletin d’histoire ecclés. du diocèse de Vienne, Valence etc. 1890, sept.–oct.
  39. Vgl. DZG III, 223 u. Bibliogr. ’89, 261 u. ’90, 861.
  40. Histoire de S. Anselme, archev. de Cantorbéry. Paris et Lyon, Delhomme. 2 vol. 556; 499 p.
  41. Vgl. Nachrr. ’90, 136 e.
  42. Vgl. Bibliogr. ’90, 867.
  43. RQH 47, 408–32.
  44. Vgl. Bibliogr. ’90, 2881.
  45. Vgl. Bibliogr. ’91, 364.
  46. Vgl. Bibliogr. ’90, 128 u. 2892.
  47. Vgl. Bibliogr. ’90, 3770.
  48. Vgl. Bibliogr. ’90, 3771.
  49. CR de l’acad. des inscriptions. 1890, mars et avril.
  50. Documents relat. à l’Agenais, au Périgord et à la Saintonge. (BECh 51, 298–304.)
  51. Vgl. Bibliogr. ’91, 408.
  52. BECh 51, 238–67.
  53. Original documents relat. to the hostages of John king of France and the treaty of Brétigny, 1360, ed. by Sir G. F. Duckett. London, Selbstverl. 78 p.
  54. Vgl. Nachrr. ’90, 136 i u. Bd. IV, 176.
  55. Livre de comptes des frères Bonis, marchands montalbanais du 14. siècle. Champion. ccxiij 246 p. 10 fr.
  56. BECh 51, 93–110.
  57. Documents luxembourgeois à Paris concernant le gouvern. du duc Louis d’Orléans. (Publl. de la sect. hist. de l’institut de Luxembourg, T. XL [1889]).
  58. Les Cabochiens et l’ordonnance de 1413. Hachette. 1888. xix 456 p. 7 fr. 50. (Erschien erst Dec. 1889).
  59. Vgl. Bibliogr. ’90, 2953.
  60. Vgl. Nachrr. ’90, 136 k u. Bd. IV, 185.
  61. La fin d’une légende. Vie de Jeanne d’Arc. Baylé. 152 p. 2 fr. 50; vgl. DZG IV, 185.
  62. Jeanne d’Arc, tacticien et stratégiste. Baudouin, 4 vol. 321; 330: 322; 324 p. à 3 fr. 50; vgl. DZG IV, 185.
  63. Mémoires et consultations en faveur de Jeanne d’Arc par les juges du procès de réhabilitation, d’après les mss. authentiques. Picard. 1889. 600 p. 9 fr.
  64. Notes sur les juges et les assesseurs du procès de condamnation de Jeanne d’Arc. Rouen, Cagniard. 135 p.
  65. In einer in den Études historiques sur la province dominicaine de France (Lecoffre. xxxj 361 p. 5 fr.) wiederabgedruckten Abhandlung.
  66. Vgl. Nachrr. ’90, 136 o.
  67. Vgl. Nachrr. ’89, 143 h und Bibliogr. ’89, 4750.
  68. Vgl. Nachrr. ’90, 136 n.
  69. CR de l’ac. des sc. mor. et pol. 1889, oct.–déc.
  70. RQH 47, 433–71.
  71. BECh 50, 559–66.
  72. Ebd. 51, 111–35.
  73. Vgl. Bibliogr. ’90, 3080.
  74. Bibliogr. ’90, 3081. – Vgl. L. Duhamel, Les origines de l’imprimerie à Avignon. Avignon, Séguin. 15 p. 3 fr.
  75. Vgl. Bibliogr. ’91, 432.
  76. RH 43, 274–316. 44, 241–312.
  77. T. I. Laurens. 1889. 414 p. 9 fr.
  78. Vgl. Bibliogr. ’90, 965.
  79. Histoire de Paris; rectifications et additions. Champion. 244 p. 10 fr.
  80. L’Hôtel-Dieu de Paris au moyen-âge; hist. et docc. 1326–1539. (Soc. de l’hist. de Paris et de l’Ile de France.) Champion. 449 p. 10 fr.
  81. Steinheil. 158 p. 6 fr.
  82. Soc. de l’hist. de Paris, Bulletin, 1889, sept. et oct.
  83. Saint Mandé, Beucher. 153 p.
  84. Histoire de l’abbaye d’Orbais (Marne) par du Bout, publ. d’après le ms. orig. par Et. Héron de Villefosse. Picard. 706 p. 20 fr.
  85. Un nouveau texte rel. à la noblesse maternelle en Champagne. (BECh 50, 509–36).
  86. Annales de l’Est 1889, juill.–oct.
  87. Vgl. Nachrr. ’90, 288 b. – Le Chevallier. à 2 fr. 50.
  88. Cartulaire de l’abbaye de Notre-Dame de La Trappe, publ. par le comte de Charencey. Alençon, Reinaut de Broise. 665 p. 10 fr. – Vgl. BECh 51, 378 f.
  89. Rennes, Plichon. 1889. 198 p.
  90. Soc. des lettres etc., de la Corrèze, (siégeant à Tulle). Bull. 1869. livr. 4.
  91. Soc. archl. de Tarn-et-Garonne, Bull., 1889. 4. trimestre.
  92. Soc. des lettres de la Corrèze, Bull. 1889.
  93. Ann. du Midi, 1890, juillet.
  94. Montauban. 29 p. (Soc. archl. de Tarn-et-Garonne, Bulletin, 1889.)
  95. NRH de droit français, 1890, mai–juin.
  96. Soc. d’agriculture etc. d’Agen. (Recueil des travaux, II, 11.)
  97. NRH de droit 1890, juillet–août.
  98. Auch, Cocharaux (Paris, Champion). 1889. lv 199 p. 7 fr.
  99. Vgl. Bibliogr. ’91, 322.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage (in der Anmerkung): sir