Noch einiges über Kinkel’s Befreiung

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Textdaten
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Autor: W. L.
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Titel: Noch einiges über Kinkel’s Befreiung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 144
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[144] Noch Einiges über Kinkel’s Befreiung. Erlauben Sie mir, dem Artikel „Ein Nichtamnestirter“ in Nr. 2 und 3 noch einige wichtige Ergänzungen anzufügen. Mag Schurz in der Flucht eine hervorragende Rolle gespielt, mag er auch den Plan zu jener mit entworfen haben, so war er doch nur die Hand, die das ausführte, was Andere aus Rücksicht auf ihren Stand und ihr Amt persönlich nicht ausführen konnten. So viel ist klar, daß hochgestellte Männer den Plan kannten und billigten und die nöthigen Geldmittel zur Ausführung desselben gerne hergaben, und daß auch mehrere Gutsbesitzer, deren Gesinnung man genau kannte, und die vollständig unabhängig waren, mitwirkten. Das Nachfolgende kann ich Ihnen als authentisch verbürgen:

In der Nacht vom 6. zum 7. November (1850) fuhren kurz nach einander zwei leichte Wagen durch das Potsdamer Thor nach der Stadt Spandau hinein. Auf dem einen, den Kinkel auf seiner Flucht benutzen sollte, saß der Gutsbesitzer X. – wir nennen natürlich den richtigen Anfangsbuchstaben der Namen nicht – aus der Nähe von Spandau und lenkte selber seine Pferde, während den andern ein Gutsbesitzer aus der Nähe von Nauen fuhr.

Nachdem Kinkel glücklich dem Zuchthause entkommen war und den für ihn bestimmten Wagen bestiegen hatte, fuhr der andere wieder im stärksten Trabe durch das Potsdamer Thor und die Chaussee nach Nauen entlang. Pfeilschnell ging es an allen Chausseehäusern und Dörfern vorüber, so daß man glauben mußte, die Pferde gingen durch, oder das Fuhrwerk werde verfolgt und suche zu flüchten. X., der Besitzer des andern Fuhrwerks, ein kühner, entschlossener Mann, suchte nicht so eilig aus Spandau zu kommen; er hielt erst noch am Gasthof zum rothen Adler, um hier einige Erfrischungen für die Reise einzukaufen. Im Gasthofe fand er mehrere Bekannte, die sich hier bei einer Bowle versammelt hatten, auch der Zuchthausdirector war unter ihnen. Mit vollem Glase kam man dem Freunde X. entgegen und nöthigte ihn zum Trinken, der das nur unter der Bedingung thun wollte, wenn er einem Bekannten, den er noch auf dem Wagen habe, und der mit ihm nach Strelitz zu Markte reisen wolle, auch ein Glas hinaustragen dürfe. Gerne wurde dies bewilligt, und nachdem also Kinkel zum Abschiede mit dem Zuchthausdirector noch von einer Bowle getrunken und X. den nöthigen Reisebedarf eingekauft, auch noch manchen herzlichen Glückwunsch zu seiner Reise erhalten hatte, fuhr er vergnügt zum Oranienburger Thore hinaus.

Ueber Nieder-Neuendorf, Hennigsdorf und Oranienburg ging es bis Nassenhaide, einem Dorfe an der Berlin-Strelitzer Straße, etwa vier Meilen von Spandau entfernt. Hier sollten die ersten Relaispferde sein; aber die Flucht war so über alles Erwarten gut gelungen, daß X. hier vor der bestimmten Zeit eintraf und die Relaispferde noch nicht angekommen waren.

Jeder Aufenthalt konnte gefahrbringend werden, und X. fuhr deshalb von dieser ersten Station zur zweiten, die Grausee sein sollte; aber derselbe Unfall hier, wie in Nassenhaide! – Da war guter Rath theuer; die Pferde hatten ohne Unterbrechung bereits, acht Meilen zurückgelegt und konnten leicht ihren Dienst versagen, und doch mußte der Flüchtling weiter geschafft werden, wenn er nicht wieder in seine engen Kerkermauern zurückgeführt werden wollte.

Nach ganz kurzer Rast fuhr X. getrost weiter und kam glücklich in Strelitz an. Kaum vermochten die Pferde sich noch auf den Beinen zu erhalten, denn sie halten über vierzehn Meilen zurückgelegt, ohne einmal ausruhen zu können. Von Strelitz wurde Kinkel, nachdem er seinem Retter mit warmem Händedruck gedankt hatte, nach Rostock und von da nach England geschafft.

X. mußte seinen Pferden in Strelitz drei Tage Rast gönnen und fuhr dann im Schritt zurück. Niemand vermuthete in ihm den Retter Kinkel’s, vielmehr glaubte man, daß dieser auf dem Wege nach Nauen zu entflohen sei, um von dort mit der Eisenbahn nach Hamburg zu entkommen. Der flüchtige Wagen auf der Straße nach Nauen, welcher erkannt worden war, bestätigte diese Vermuthung, und schon am Vormittage des 7. Novembers waren Polizeibeamte auf dem Wege nach Nauen, durchsuchten die Gegend und das Haus des erwähnten Gutsbesitzers nach dem Flüchtling, fanden aber hier nur dessen Bildniß.

X. verkaufte späterhin sein Gut und lebt jetzt in einer entfernten Provinz. Eins der Pferde, die den Dichter nach Mecklenburg geschafft hatten, starb bald nachher in Folge der Anstrengung, das andere schenkte X. nach dein Verkauf seines Gutes einem Freunde der ihm das Gnadenbrod geben mußte. In diesen Tagen ist das brave Thier gestorben.

„Ich habe das alte, treue Thier sehr lieb gehabt,“ sprach sein Herr zu mir, und eine Thräne schimmerte in dem Auge des wackern Patrioten. W. L.