Oberlandesgericht München – Ostensibles Leichenbegängnis

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Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus dem Erkenntnisse des k. Oberlandesgerichtes München vom 19. Juli 1890
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1890, Nr. 24, Seite 376–379
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Kurzbeschreibung: Umzüge von Vereinen sind anzumelden
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Auszug aus dem Erkenntnisse des k. Oberlandesgerichtes München vom 19. Juli 1890
in der Anklagesache gegen J. K. K., Maurer und Steinhauer von A. wegen Vergehens wider das Vereinsgesetz.

Am 14. Februar 1890 starb zu A. der Maurer und Steinhauer Konrad St., Mitglied des zu A. bestehenden Maurer- und Steinhauer-Vereins.

Die Beerdigung fand am 16. Februar 1890 vom Trauerhause aus statt. An dieser Beerdigung betheiligte sich der obengenannte Maurer- und Steinhauerverein. Derselbe sammelte sich im Vereinslokale, und zog dann in geschlossenen Reihen und im Marschtempo mit der Vereinsfahne, jedoch ohne Musik, vor das Trauerhaus, von wo aus die Leiche in den Kirchhof verbracht wurde. Nach der Beerdigung zog dann jener Verein wiederum in geschlossenen Reihen und im Marschtempo mit der Vereinsfahne und ohne Musik vom Kirchhofe in das Vereinslokal.

Vorstand des genannten Vereins war damals der Angeklagte, der die obengeschilderte Thätigkeit des Vereines veranlaßt und geleitet hat.

Derselbe hat hiezu vorher die Genehmigung der Gemeindeverwaltung und Distriktspolizeibehörde nicht erholt.

Trotz dieser Feststellungen hat die Strafkammer des k. Landgerichtes A. mit Urtheil vom 31. Mai 1890 den Angeklagten J. K. K. von der Anklage eines Vergehens gegen Art. 4 mit Art. 21 des Gesetzes vom 26. Februar 1850, die Versammlungen und Vereine betreffend, freigesprochen, indem das Gericht von der Anschauung ausging, daß es sich im gegebenen Falle lediglich um eine Betheiligung des genannten Vereines an einem gewöhnlichen Leichenbegängnisse handle, und daß das Ziehen des Vereines in geschlossenen Reihen und im Marschtempo vom Vereinslokale zum Trauerhause und vom Kirchhofe wieder zurück in’s Vereinslokal als ein selbständiger öffentlicher Aufzug im Sinne des Art. 4 Abs. 1 a. a. O. nicht zu erachten sei, weil das Hinziehen des Vereines vom Vereinslokale zum Trauerhause lediglich einen „Vorbereitungs-, das Heimziehen vom Kirchhofe zum Vereinslokale einen „Schlußakt“ des „Hauptaktes“ des Leichenbegängnisses gebildet habe.

Die gegen dieses Urtheil eingelegte Revision des Staatsanwaltes stellt sich als begründet dar.

Wie aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 26. Februar 1850 „die Versammlungen und Vereine betreffend“ hervorgeht, wurde eine Vorschrift dahin, daß zu öffentlichen Aufzügen in Städten und Ortschaften, gleichwie zu Versammlungen, welche auf [377] öffentlichen Plätzen und Straßen in Städten und Ortschaften stattfinden sollen, seitens des Unternehmers, Leiters oder Ordners vorher die Zustimmung der betreffenden Gemeindeverwaltung zu erholen und sodann die Genehmigung der Distriktspolizeibehörde nachzusuchen sei, um deswillen für nothwendig erachtet, weil dabei Erwägungen und Anordnungen nicht nur bezüglich der Erhaltung der Ordnung und Sicherheit, sondern auch bezüglich des freien Verkehrs in Frage kommen, und eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gebote nur solche Aufzüge zugelassen werden könne, welche ihrer Natur oder es geringen Umfanges wegen jedes Bedenken ausschließen oder der Polizei als herkömmlich ohnedies schon bekannt sind. Vergl. Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten 1849/50 Beil. Bd. I Seite 177; Bd. III (Ausschußbericht) S. 31/32; Stenographische Berichte Bd. III S. 167.

Geht man von dieser Zweckbestimmung des Gesetzes aus, so bedarf es keiner weiteren Ausführung über die Bedeutung der in Abs. 2 des Art. 4 des bezeichneten Gesetzes getroffenen Ausnahmen und über die Auslegung der dort gebrauchten Begriffe „herkömmlich“, „gewöhnlich“ „hergebracht“, denn die in Abs. 2 des Art. 4 a. a. O. von einer polizeilichen Bewilligung nicht abhängig gemachten Veranstaltungen („Herkömmliche kirchliche Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge der Hochzeitsversammlungen und hergebrachte Umzüge der Innungen“) sind entweder solche, die der Polizeibehörde schon ohnedies (auch ohne besonderes Bewilligungsgesuch) zum voraus bekannt sein müssen, so daß dieselbe in der Lage ist, die nöthigen Vorkehrungen zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie des freien Verkehrs zu treffen, oder solche, die ihrer Natur oder ihres geringen Umfanges wegen zu besonderen Vorkehrungen in den bezeichneten Richtungen keinen Anlaß geben.

Daraus ergibt sich, daß auf alle derartigen Veranstaltungen, wenn sie nicht als herkömmliche, hergebrachte sich darstellen, oder wenn sie das Maß des „Gewöhnlichen“ überschreiten, die Ausnahmsbestimmung in Abs. 2 des Art. 4 a. a. O. keine Anwendung finden kann.

Vergl. Entsch. des vorm. obersten Gerichtshofes vom 17. März 1876 in Samml. der E. des O.-G.-H. in Gegenständen des Strafrechtes und Strafprozesses Bd. VI Seite 111 ff.

Ob hiernach ein Leichenbegängniß, bei welchem sich Vereine in ostensibler Vereinigungsform und unter Benützung dekorativer Vereinsabzeichen betheiligen, nicht schon hiedurch den Charakter eines „gewöhnlichen“ verliert und den eines „außergewöhnlichen“ annimmt, und demnach diejenigen, welche es unternehmen, ein Leichenbegängniß zu einer außergewöhnlichen Leichenfeierlichkeit [378] zu gestalten, zur Erholung der Zustimmung der betreffenden Gemeindeverwaltung und der distriktspolizeilichen Genehmigung verbunden wären, auch wenn im Uebrigen das Leichenbegängniß in der üblichen, gewöhnlichen Weise vor sich geht, möchte kaum zweifelhaft sein, kann aber hier dahin gestellt bleiben, weil sich nach den getroffenen Feststellungen die Mitglieder des hier fraglichen Maurer- und Steinhauer-Vereines nicht darauf beschränkten, dem eigentlichen Leichenbegängnisse, welches in der gewöhnlichen Weise mit der Abholung der Leiche an dem Orte, wo sie aufgebahrt ist, seinen Anfang nimmt und mit der Bestattung des Leichnams am Begräbnißplatze sein Ende erreicht, beizuwohnen, wozu sich die Vereinsmitglieder in wenig auffallender und störender Weise vor dem Sterbehause hätten einfinden und nach Beendigung der Beerdigungsfeier in aufgelöster Ordnung wieder nach Hause hätten begeben können, sondern in geschlossenen Reihen und im Marschtempo mit der Vereinsfahne von dem Vereinslokale zum Sterbehause und in gleicher demonstrativer Weise vom Kirchhofe wieder zum Vereinslokale zurückzogen.

Wollte man mit der Strafkammer in dem Hinziehen des Vereines vom Vereinslokale zum Trauerhause lediglich einen „Vorbereitungs-“ und in dem Heimziehen vom Kirchhofe zum Vereinslokale nur einen „Schlußakt“ des „Hauptaktes“ des Leichenbegängnisses, und demzufolge in diesen öffentlichen Aufzügen nur „Bestandtheile des Leichenbegängnisses selbst“ erblicken, so stände nach dem oben Dargelegten außer Zweifel, daß eben dadurch dieses Leichenbegängniß das Maß eines gewöhnlichen überschritten hätte, und daß das geschilderte Auftreten des fraglichen Vereines nicht mehr als Theilnahme an einem gewöhnlichen Leichenbegängnisse betrachtet und damit auch nicht unter den des Abs. 2 des Art. 4 a. a. O. gestellt werden könnte.

Es können aber die beiden Akte des ostensiblen Hinziehens zum Trauerhause und des Heimziehens vom Kirchhofe zum Vereinslokale keineswegs als Bestandtheile des fraglichen Leichenbegängnisses selbst betrachtet werden, da, wie schon bemerkt, die Betheiligung des in Rede stehenden Vereines an dem Leichenbegängnisse recht gut auch ohne diese demonstrativen Aufzüge hätte erfolgen können.

Daß derartige Aufzüge von Vereinen in geschlossenen Reihen im Marschtempo und mit der Vereinsfahne als öffentliche Aufzüge im Sinne des Absatz 1 des Art. 4 a. a. O. zu erachten sind, ist unbestreitbar (vergl. das oben angef. Erkennt. des bayer. O.-G.-H. vom 17. März 1876 und das weitere E. dess. G.-H. vom gleichen Datum – Samml. der Erk. Bd. VI S. 124; Urt. des O.-L.-G. München vom 18. Dezember 1888 Samml. Bd. V S. 238 fg.), [379] und daß solche öffentliche Aufzüge von der nach Art. 4 Abs. 1 des Vereinsgesetzes vom 26. Februar 1850 erforderten Zustimmung der Gemeindeverwaltung und Genehmigung der Distriktspolizeibehörde nicht um deswillen entbunden sein können, weil sie aus Anlaß einer an sich nach Abs. 2 des Art. 4 a. a O. an eine polizeiliche Bewilligung nicht gebundene Veranstaltung unternommen werden, gibt die aus der oben dargelegten Zweckbestimmung des Gesetzes zu schöpfende Erwägung, daß die Nothwendigkeit polizeilicher Vorkehrungen behufs Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutze des freien Verkehres in Städten und Ortschaften bei derartigen Aufzügen stets gegeben ist, gleichviel aus welchem Anlasse solche stattfinden - (Vergl. Poezl’s Erläut. zu dem Ges. vom 26. Februar 1850 „die Versamml. betr.“ in Dollmann, Gesetzgebung Bayerns Thl. II Bd. 4 S. 455 und die Entschließung des k. Staatsministeriums des Innern vom 10. Oktober 1875 „die Trauerparaden und Leichenkondukte bayer. Krieger- und Veteranen-Vereine betr. im Amtsblatt des Staatsministeriums des Innern Jahrgang 1875 S. 503/504).

Die Strafkammer hat demnach damit, daß sie dem Begriffe eines Leichenbegängnisses im Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes vom 24. Februar 1850, „die Versammlungen und Vereine betr., eine Ausdehnung gegeben hat, welche weder durch den Wortlaut noch durch den Sinn und Zweck des Gesetzes gerechtfertigt erscheint, die erwähnte Gesetzesstelle durch unrichtige Anwendung, zugleich aber auch damit, daß sie den von dem Angeklagten veranstalteten und geleiteten öffentlichen Aufzug als an eine Zustimmung der Gemeindeverwaltung und Genehmigung der Distriktspolizeibehörde nicht gebunden erachtete, die Art. 4 Abs. 1 und Art. 21 desselben Gesetzes durch Nichtanwendung verletzt.

In Folge dieser Gesetzesverletzungen mußte das angefochtene Urtheil aufgehoben werden.