Ohne Kreuz keine Krone/Kap.16

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Ohne Kreuz keine Krone
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Sechzehntes Kapitel.


§. 1. Die Christen dürfen die üppigen Moden und Gebräuche der Welt nicht mitmachen, weil sie mit dem Geiste des Christenthumes unverträglich sind. §. 2. Was für einen Kelch die wahren Jünger Jesu zu trinken haben. §. 3. O! wer will diesen Kelch trinken! §. 4. Beantwortung einer Einwendung in Ansehung der Beschaffenheit des Reichs Gottes. – Worin dasselbe bestehet. §. 5. Gemüthsbeschaffenheit der Nachfolger Christi.


§. 1. Die üppigen Moden, Gebräuche und Ergötzungen der Welt, denen in dieser Abhandlung widersprochen und entgegengearbeitet wird, sollten unter den Christen durchaus nicht geduldet werden; weil der Geist, der sie erfunden und eingeführt hat, der ein so großes Vergnügen in ihnen findet, und sie daher so sorgfältig in Schutz nimmt, mit dem Geiste und Wesen der wahren christlichen Religion ganz unvereinbar ist. Denn der Zweck, warum „ewiges Leben und Unsterblichkeit ans Licht gebracht sind,“ ist der: daß die Menschen dadurch [313] bewogen und fähig gemacht werden sollen, alle jene verderblichen Freuden und Vergnügungen den sterblichen Lebens der Welt zu verleugnen und zu verlassen; und darum sind ihnen so große und unermeßliche Belohnungen und ewige Wohnungen des Friedens verheißen, daß sie dadurch aufgemuntert und willig gemacht werden möchten, sich von den eitlen, sinnlichen Ergötzungen der Welt zu trennen, und mit Muth und Standhaftigkeit aller Schmach und allen Leiden entgegenzugehen, welche sie deshalb, vielleicht selbst von Seiten ihrer vertrautesten Freunde und nächsten Verwandten, zu erwarten haben.[1]

Wenn die christliche Religion es gestattete, daß der Genuß dieser Welt sich weiter als auf den bloßen Gebrauch der Dinge erstrecke, die Gott zur Befriedigung der Bedürfnisse seiner ganzen Schöpfung gegeben hat; wenn sie, z. B. all den Stolz, die Eitelkeit, Ueppigkeit und Pracht in Kleidern, die vielen verschwenderischen Moden, die schmeichelhaften Ehrenbezeigungen und Auszeichnungen, die verschiedenen Lustbarkeiten der Welt und Alles, was der Sinnlichkeit nur behagen und schmeicheln kann, den Menschen erlaubte; wozu bedürfte es dann eines täglichen Kreuzes und eines Lebens der Selbstverleugnung? Was hätten wir nöthig, „unsere Seligkeit mit Furcht und Zittern zu schaffen, nach Dem zu trachten, das droben ist, und unsern Schatz und unser Herz im Himmel zu haben?“ Warum sollten wir uns denn auch jedes unnützen Geschwätzes, jedes eitlen Scherzes enthalten, [314] und alle Tage in heiliger Furcht und Wachsamkeit leben? Und warum so viel Tadel, Schmach, Verfolgung und harte Behandlung erdulden? Wozu sollte alles dieses dienen, und wie könnte es durchaus erforderlich seyn, um zu jener ewigen Herrlichkeit und unvergänglichen Krone des Lebens zu gelangen, wenn die Religion Jesu die Eitelkeit, den Stolz, die Verschwendung, den Müßiggang, die Ueppigkeit, den Geitz, den Neid und die Arglist, kurz, die ganze jetzt unter den Bekennern des Christenthumes herrschende Lebensweise billigte und erlaubte? Aber nein! so ist es nicht. Sondern, da der Herr Jesus Christus wohl wußte, wie sehr die Gemüther der Menschen sowohl thörichten Kleinigkeiten, als auch groben Ausschweifungen nachhingen, und wie sie von dem himmlischen Einflusse des Lebens so weit abgewichen wahren, daß sie nicht allein den unerlaubten Genüssen der Welt begierig nachtrachteten, sondern auch täglich neue Mittel erfanden, um ihre sinnlichen Neigungen zu befriedigen; so sahe er auch sehr wohl die Schwierigkeiten voraus, welche Alle zu bekämpfen haben würden, wenn sein Ruf: alle diese Dinge zu verlassen, an sie ergehen würde, und wie ungern sie sich von ihnen trennen und entwöhnen würden. Um aber die Menschen dazu aufzumuntern und zu bewegen, führt er nicht eine Sprache, wie unter dem Gesetze nöthig war. Er verheißt kein irdisches Canaan, nicht hohes Ansehen, zahlreiche Nachkommenschaft, langes Leben und dergleichen; nein, eher daß Gegentheil; höchstens nur den mäßigen Gebrauch der irdischen Dinge in ihrem gewöhnlichen Laufe. Seine Einladungen sind höherer Art; er versichert Allen, die an ihn glauben und ihm [315] Gehorsam leisten, ein ewiges Reich und eine unvergängliche Krone, die weder Zeit noch Grausamkeit, weder Tod noch Grab, oder alle Werkzeuge der Zerstörung, jemals im Stande seyn werden, ihnen zu vereitlen oder zu entreißen. Ueberdies verspricht er ihnen, daß er sie in ein inniges Freundschaftsverhältniß, ja, in die genaueste göttliche Verwandtschaft als geliebte Brüder aufnehmen und zu Miterben aller seiner himmlischen Seligkeit und unvergänglichen Herrlichkeit machen wolle. – Möge es daher wohl erwogen werden, was wir als Wahrheit beurkundet finden, „daß wenn Jene, die Moses nicht hören wollten, sterben mußten, noch vielweniger Diejenigen entfliehen werden, die sich weigern, die Vorschriften und Gebote des ewigen Vergelters zu befolgen, der Allen, die ihn fleißig suchen und ihm Gehorsam sind, so große Belohnungen verheißen hat.“[2]

§. 2. Darum gefiel es ihm, durch sein eigenes Beispiel uns einen Begriff von dem Kelche zu geben, den seine Nachfolger in großem Maße zu trinken erwarten müssen; nämlich den Kelch der Selbstverleugnung, harter Prüfungen und bitterer Leiden. Denn er hat den Weg zur ewigen Ruhe nicht so für uns eingeweihet und ihn uns nicht auf die Art beschieden, daß wir mit Gold, Silber, Juwelen, Bändern, Spitzen und Stickereien behängt, in prachtvollen Modeanzügen, und unter abwechselnden Lustbarkeiten und angenehmen Zeitvertreiben ungestört auf [316] demselben einhertreten können; ach nein! sondern so, daß wir alle solche weltliche Freuden und thörichte Unterhaltungen verlassen, ja, zuweilen sogar erlaubte Genüsse verleugnen, und sowohl den Verlust unserer Güter, als auch den Spott und die Verachtung der Unwissenden und die ungerechte Behandlung unserer grausamen Verfolger mit freudiger Ergebung erdulden müssen.[3] Wäre der Gebrauch und Genuß weltlicher Pracht und Freuden der Natur und Eigenschaft seines Reiches angemessen gewesen, so würde es ihm gewiß an einer großen Verschiedenheit solcher Vergnügungen nie gemangelt haben; da er, – wie auch seinen Nachfolgern wiederfährt, – mit nichts Geringerm, als mit der Herrlichkeit der ganzen Welt versucht ward. Aber Er, der seinen Jüngern befahl, „ein anderes Vaterland zu suchen, und sich Schätze für den Himmel zu sammeln, die nie vergehen;“ der ihnen gebot, „nicht ängstlich zu sorgen, was sie essen, oder trinken, oder anziehen sollten, weil dieses die Sorgen der Heiden wären, die Gott nicht kenneten;“ – daher denn auch die Christen, die ihn zu kennen vorgaben, sich mit Nahrung und Kleidern begnügen müssen;[4] – Er, der Herr Jesus Christus, sag’ ich, entsagte Allem, und schärfte durch ein himmlisches Beispiel seine Lehre ein, die in der bestimmten Erklärung bestand, „daß Jeder, der sein Jünger seyn wolle, dasselbe Kreuz aufnehmen und ihm nachfolgen müsse.“[5]

§. 3. Und o! Wer will ihm folgen? Wer will ein wahrer Christ seyn? – Wir dürfen nicht denken, wir könnten einen andern Weg einschlagen, als der Herzog [317] unserer Seligkeit nahm,[6] oder einen andern Kelch trinken, als er trank. O! nein! denn als die beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes, zu seiner Rechten und Linken in seinem Reiche zu sitzen verlangten, legte er ihnen die Frage vor: „Könnet ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, und euch mit der Taufe taufen lassen, womit ich getauft werde?“[7] Auf andere Weise kann Niemand ein Jünger Jesu oder ein wahrer Christ seyn. Wer also zu Christo kommen und ein wirklicher Christ werden will, der muß freiwillig allen Vergnügungen entsagen, die seine Gemüthsneigungen gefangen nehmen und dem Einflusse des göttlichen Geistes entziehen können; ja, er muß jeder geliebten Eitelkeit, – und alles Vergängliche unter der Sonne ist eitel, wenn es mit dem Ewigen und Unvergänglichen verglichen wird, – auf immer den Abschied geben.

§. 4. Es giebt jedoch Menschen, welche für die Befriedigung ihrer verderbten Neigungen sogar einen Grund in der Schrift finden wollen, wiewohl sie dieselbe offenbar unrichtig anwenden, wenn sie den Einwurf machen: das Reich Gottes bestehe nicht in Essen und Trinken oder Kleidern, etc. Ich antworte ihnen: Ihr habt darin ganz recht; und eben deswegen haben wir auch das Ueberflüssige in diesen Dingen abgeschafft. Aber gewiß hat Niemand weniger ein Recht, uns diese Einwendung zu machen, als ihr, die ihr ja solche Dinge für so unentbehrlich haltet, daß ihr uns deswegen nur um so mehr euren Tadel empfinden lasset, weil wir uns euch hierin nicht gleichstellen wollen. In wie fern ihr nun aber [318] hierin christlich handelt, oder ob euer Betragen hierin mit der Gerechtigkeit, mit dem Frieden und mit der Freude im heiligen Geiste, worin das Reich Gottes bestehet, übereinstimmet, das lasset den gerechten Zeugen der Wahrheit in eurem Gewissen entscheiden. Unser Betragen in diesen Stücken gründet sich auf Mäßigkeit, und diese bestehet mit der Gerechtigkeit, durch welche wir jenes Reich erlangt haben, wovon eure Unmäßigkeit und eure Auschweifungen euch ausschließen. Denn, wenn nur Diejenigen wahre Jünger Jesu seyn können, welche sein Kreuz täglich aufnehmen, und nur Solche es wirklich tragen, die dem Beispiele ihres theuern Herrn in seiner Taufe, in seinen Leiden und in seinen Versuchungen treulich folgen; wenn nur Diejenigen seine Taufe kennen und erfahren haben, welche ihre Gemüther von den Eitelkeiten und Thorheiten, in welchen der große Haufe der Welt lebt, zurückgezogen haben, und dem heiligen Lichte der göttlichen Gnade gehorsam geworden sind, das ihre Seelen erleuchtet und sie täglich in der Uebung erhält, jede ihm widerstrebende Neigung zu kreuzigen, und den Gegenständen der Unsterblichkeit nachzutrachten;[8] – wenn nur Solche wahre Jünger Jesu sind, wie denn ohne Zweifel keine Andere es seyn können: so müssen gewiß die Menschen unserer Zeit, wenn sie nur ein wenig ernstlich nachdenken wollen, die richtige Schlußfolge ziehen, daß Niemand, der sein Vergnügen in den eitlen Gebräuchen der Welt sucht, und einen dem Leben Christi so ganz unähnlichen Lebenswandel führt, ein wahrer Christ oder Nachfolger des gekreuzigten Jesu seyn könne. Denn worin bestände [319] sonst das Kreuz? oder was machte das christliche Leben denn so schwer und zu einem Gegenstande des Spottes und der Verachtung der Welt? Und stände das Christenthum nicht im Widerspruche mit jenen üppigen Moden, Gebräuchen und eitlen Ergötzungen der Welt, so würde „das Aergerniß des Kreuzes“ bald aufhören;[9] des Kreuzes, das Denen, die da glauben und selig werden, „eine Kraft Gottes ist,“[10] wodurch jede verderbte und eitle Neigung überwunden und das Gemüth des Menschen zu einer heiligen Unterwerfung unter den Willen seines himmlischen Schöpfers gebracht wird. Darum ward gesagt, daß Jesus Christus geoffenbaret worden sei, und noch geoffenbaret werde, damit er durch sein heiliges Leben, seine Lehre und sein Beispiel der Selbstverleugnung, den Stolz des menschlichen Geistes zu Schanden mache,[11] und durch das ewige „Leben und unvergängliche Wesen,“ welches er ans Licht gebracht hat, und noch täglich ans Licht bringt, die vergängliche Herrlichkeit der irdischen Ruhe und Freude verdunkele;[12] so daß die Menschen, wenn ihre Gemüther davon entwöhnet und der Welt gekreuzigt sind, ein anderes Vaterland suchen und ein ewiges Erbe erlangen mögen. „Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich,“[13] und davon werden alle wahre Christen erlöset, so daß sie keine Ruhe darin suchen noch finden; „was aber unsichtbar ist, das ist ewig;“ darauf sind die Neigungen ihrer Herzen vornehmlich gerichtet, und darin finden sie Ruhe.

§. 5. Ein wahrer Jünger des Herrn Jesu Christi sucht daher sein Gemüth so sehr an den Umgang mit [320] himmlischen Gegenständen zu gewöhnen, daß ihm die Dinge dieser Welt ganz gleichgültig werden, und er sie gebraucht, als wenn er sie nicht gebrauchte. Er läßt sich mit dem, was er zur Nothdurft bedarf, begnügen, ohne den Ueberfluß der Welt zu begehren,[14] und dabei wird ihm das Vergnügen, welches er zur Zeit der Unwissenheit in der Gleichstellung der Welt zu finden glaubte, in dem verborgenen himmlischen Leben mit Jesu überflüssig ersetzt. Wer aber nicht in ihm bleibt, der kann unmöglich alle die Früchte hervorbringen, die er von seinen Nachfolgern erwartet, und wodurch sein Vater verherrlicht wird.[15] So wie es nun aber klar erhellet, daß Alle, die in den eitlen Gebräuchen, Ergötzungen und Lüsten der Welt leben, weder in Christo bleiben noch ihn kennen; – denn wer ihn kennt, verläßt den Weg der Ungerechtigkeit; – so leuchtet es auch deutlich ein, daß ihr Bleiben und Ergötzen in jenen bezaubernden Thorheiten die wahre Ursache ist, warum sie ihn nicht kennen und nahe fühlen, der doch beständig „an den Thüren ihrer Herzen stehet und anklopft,“[16] und dem sie den Eingang nicht verweigern sollten, damit sie seine göttliche Kraft als das heilige Kreuz erkenneten, wodurch jede Lieblingslust und jede verführerische Eitelkeit gekreuzigt und ertödtet wird, und so zu der seligen Erfahrung gelangten, daß sie das göttliche Leben in ihren Herzen emporsteigen fühlten, ein Verlangen nach himmlischen Dingen erwecket fänden, und eine gegründete Hoffnung hätten, „daß, wenn Christus, ihr Leben, sich offenbaren wird, auch sie mit ihm in der Herrlichkeit offenbar werden sollen, der da ist Gott über Alles, gelobet in Ewigkeit! Amen!“[17]

  1. Luk. 16, 15. Joh. 15, 18. 19. Kap. 16, 20. Kap. 17, 15. 16. Ebr. 11, 14. 25. 26. 27. Röm. 8, 19. 2 Tim. 1, 10. Ebr. 12, 1. 2.
  2. Luk. 6, 20. Kap. 12, 32. Kap. 22, 29. Koloss. 1, 13. 1 Thess. 2, 12. Ebr. 12, 28. Jak. 2, 5. Joh. 15, 14. 15. Röm. 8, 17. Ebr. 2, 11. Kap 12, 2. 1 Petri 2, 21. Luk. 12, 29–31. 2 Tim. 4, 8. Matth. 19, 27–29. Luk. 6. 22. 23. Ebr. 11, 6. Kap. 12, 25.
  3. Matth. 10, 37. 38.
  4. 1 Tim. 6, 6–11.
  5. Luk. 14, 26. 27. 33.
  6. Ebr. 2, 10.
  7. Matth. 20, 22.
  8. Phil. 3, 10. 1 Petri 4, 13. Tit. 2, 11–13. Joh. 1, 9. Röm. 6, 6. Gal. 2, 20. Kap. 5, 24. Kap. 6, 4.
  9. Gal. 5, 11.
  10. 1 Kor. 1, 17. 18.
  11. Kap. 1, 27–29.
  12. 1 Kor. 1, 27. 28. 29.
  13. 2 Kor. 4, 18.
  14. 1 Tim. 6, 8.
  15. Joh. 15, 4. 7. 8.
  16. Offenb. 3, 20.
  17. Kol. 3, 1–4. Röm. 9, 5.
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