Ohne Kreuz keine Krone/Kap.7

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Ohne Kreuz keine Krone
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Siebentes Kapitel.

§. 1. Vom Stolze, der ersten Hauptleidenschaft des Menschen; sein Ursprung. §. 2. Nähere Erklärung und Auseinandersetzung desselben. §. 3. Eine unerlaubte Begierde nach Wissen, der Adam nachgab, führte das menschliche Elend herbei. §. 4. Dadurch verlor der Mensch seine Unschuld und Reinheit. §. 5. Was für Menschen sich in Adams Zustande befinden. §. 6. Das Wissen blähet auf. §. 7. Von den übeln Wirkungen des falschen Wissens und Erkennens und dem Nutzen der wahren Erkenntniß. §. 8. Kains Beispiel dienet hierin zum Beweise. §. 9. Stolz der Juden; indem sie sich dünkten, weiser [117] zu seyn als Moses, der Knecht Gottes war. §. 10. Die Folge davon war, daß sie die wahren Propheten verfolgten. §. 11. Die göttliche Erkenntniß Christi brachte Frieden auf Erden. §. 12. Von den blinden Führern und dem Schaden, den sie angerichtet haben. §. 13. Der Stolz, den die Menschen in ihre falsche Erkenntniß und eigene Weisheit setzen, macht sie unfähig, das einfache Zeugniß vom Evangelio anzunehmen. §. 14. Die falschen Christen übertreffen die Juden sowohl in ihrem Stolze auf ihre höhere Erkenntniß, als auch in ihrer Abweichung von dem wahren christlichen Leben. §. 15. So wie Adam und die Juden durch ihren Ehrgeiz und durch ihr Trachten nach hohen Begriffen sich zu Grunde richteten, eben so haben die Bekenner des Christenthums sich ihren Untergang dadurch zugezogen, daß sie, nachdem sie die Furcht Gottes verloren hatten, sich selbst hohe Glaubensbekenntnisse und schöne Formen der Gottesverehrung verfertigten, denen Jedermann bei Strafe, verbrannt zu werden, beipflichten sollte. §. 16. Die übeln Wirkungen, welche dieses in der sogenannten Christenheit hervorgebracht hat. §. 17. Das Mittel, von diesem elenden Verfalle zurückzukommen.




§. 1. Nachdem ich nun in Ansehung der unerlaubten Eigenliebe, – insofern dieselbe die Menschen täuscht und verleitet, sich für wirkliche Christen und wahre Gläubige, ja für Heilige zu halten, während sie doch mit dem Kreuze Christi und den heiligen Wirkungen desselben gänzlich unbekannt sind, – mein Gewissen befreiet und zugleich in der Kürze gezeigt habe; worin die wahre Gottesverehrung bestehet, und was für einen Einfluß die Krait des Kreuzes dabei haben müsse, wenn dieselbe dem allmächtigen Gott wohlgefällig seyn soll; so werde ich [118] nun, mit dem Beistande des Herrn, mich ausführlicher über diejenigen Gegenstände der unerlaubten Eigenliebe verbreiten, welche die Hauptangelegenheit, Sorge und Unterhaltung der Welt ausmachen. Diese sind nun unter den drei Hauptleidenschaften, dem Stolze, dem Geitze und der Ueppigkeit begriffen, aus welchen alle andern bösen Neigungen, wie die Bäche und Ströme aus ihren natürlichen Quellen, herfließen, und deren Ertödtung gewiß mächtige Wirkungen des wahren Kreuzes erfordert; da sie, obgleich sie hier zuletzt abgehandelt werden, doch in der Erfahrung sich zuerst zeigen, und folglich auch früh der Vernichtung des Kreuzes übergeben werden müssen. Denn sobald dieses geschiehet, treten an die Stelle jener verderbten Neigungen und Gewohnheiten die gesegneten Früchte der so nothwendigen Gemüthsverbesserung, nämlich Selbstverleugnung, Demuth, Mäßigkeit, Liebe, Geduld und Himmlischgesinntheit mit allen andern geistlichen Tugenden, die den Nachfolgern Jesu, des vollkommenen Gottmenschen, wohl anstehen.


Das Streben und die Liebe aller Menschen ist entweder auf Gott oder auf sich selbst gerichtet. Diejenigen, welche Gott über Alles lieben, sind immer beschäftigt, ihre Eigenliebe den Geboten Gottes zu unterwerfen, und sie lieben sich selbst nur in dieser Unterwerfung unter ihn, der der Herr über Alles ist. Diejenigen aber, die von der wahren Liebe zu Gott abgewichen sind, lieben sich selbst mehr als Gott; denn einer von Beiden wird immer der Gegenstand unserer höchsten Liebe seyn. Mit jener ungeordneten Selbstliebe verbindet der Apostel [119] sehr richtig Stolz und Aufgeblasenheit.[1] Auch waren die Engel nicht sobald von ihrer Liebe, Pflicht und Ehrfurcht gegen Gott abgewichen, als sie anfingen, sich selbst übermäßig zu lieben und hochzuschätzen, welches sie verleitete, sich über ihren wahren Stand zu erheben und nach einem höhern Range in der Schöpfung zu trachten. Dieses war die Wirkung des Stolzes, und, durch die traurige Abweichung von der Liebe zu Gott, der schreckliche Fall Derer, die in Ketten der Finsterniß bis auf den großen Gerichtstag Gottes aufbehalten werden.

§. 2. Der Stolz, dieses verderbliche Uebel, mit dessen Auseinandersetzung dieses Kapitel anfängt, begann auch das Elend des ganzen Menschengeschlechts. Er ist eine so mächtige, aus ihren furchtbaren Wirkungen und traurigen Folgen so allgemein gekannte Leidenschaft, daß jedes unveränderte Herz eine Erklärung seines Wesens in sich trägt. Doch will ich mit Wenigem sagen: der Stolz ist ein Uebermaß von Selbstliebe, verbunden mit einer Geringschätzung Anderer und mit einem Verlangen, über sie zu herrschen, welches ihn zum unruhigsten Uebel in der Welt macht. Durch vier Stücke hat der Stolz sich dem Menschen vornehmlich zu erkennen gegeben, deren Folgen mit der Menge seiner Verbrechen ein gleiches Maß von Elend verknüpfen. Das erste ist, ein ungezügeltes Trachten nach hoher Erkenntniß; das zweite, ein ehrgeiziges Streben und Ringen nach Macht; das dritte, ein übertriebenes Verlangen, sich selbst geachtet und geehrt zu sehen; und endlich, Prachtliebe oder Verschwendung in Verzierungen der Hausgeräthe und anderer weltlichen Dinge. Wegen der Wahrheit dieser Behauptung [120] berufe ich mich auf den wahrhaftigen Zeugen des ewigen Gottes, der in den Herzen aller Menschen sich befindet.

§. 3. Was den ersten Punkt betrifft, so ist es klar, daß ein ungezügeltes Verlangen nach hoher Erkenntniß das Elend des Menschen herbeiführte, und einen allgemeinen Fall von der Herrlichkeit seines ursprünglichen Zustandes verursachte. Adam wollte gern noch weiser seyn, als Gott ihn gemacht hatte. Es genügte ihm nicht, seinen Schöpfer zu kennen, und ihm die heilige Huldigung zu leisten, wozu sein Daseyn und seine Unschuld ihn aufforderten und antrieben. Er war nicht zufrieden, einen Verstand zu besitzen, der ihn über alle Thiere auf dem Felde, über die Vögel in der Luft und über die Fische im Meere erhob, und ihm die Macht gab, über die ganze sichtbare Schöpfung Gottes zu herrschen; nein, er wollte auch so weise als Gott selbst seyn.[2] Dieses unverzeihliche Trachten, dieser eben so thörichte als ungerechte Ehrgeiz, machte ihn der von Gott empfangenen Wohlthaten unwürdig.[3] Dieser vertrieb ihn aus dem Paradiese; und anstatt Herr über die ganze Welt zu seyn, ward Adam der Elendeste auf der Erde.

§. 4. Seltsame Veränderung! Statt Göttern gleich zu seyn, fallen beide, Adam und Eva, niedriger als die Thiere, mit denen verglichen sie als Götter geschaffen waren. Die traurige Folge dieses großen Falles war eine bejammernswerthe Verwandlung der Unschuld in Schuld, eines Paradieses in eine Wildniß. Das Schlimmste aber war noch, daß Adam und Eva in diesem unglücklichen Zustande statt des wahren lebendigen Gottes einen andern [121] Gott annahmen; denn der Versucher, der sie zu diesem ganzen Unglücke gereizt und verleitet hatte, versah sie nun mit einer eiteln Erkenntniß und schädlichen Weisheit, mit Geschicklichkeit und Fertigkeit im Lügen und zweideutigen Reden, und mit List, Ausreden und Entschuldigungen zu machen. Das gerade, rechtschaffene, reine Herz des Menschen, dieses ihm anerschaffene göttliche Ebenbild, nahm die Eigenschaften der krummen, sich windenden und drehenden Schlange, das Bild des ungerechten, unreinen Geistes an, dessen Versuchungen ihn, durch seine eigene Nachgiebigkeit, und durch seinen Ungehorsam gegen Gott, um seine paradiesische Glückseligkeit brachten.

§. 5. Dieser unglückliche Fall beschränkt sich aber nicht allein auf Adam; denn Alle, die das herrliche Gesetz Gottes in ihren Herzen übertreten haben, sind wirkliche Kinder seines Ungehorsams. Sie haben, wie er, von der verbotenen Frucht gegessen; nämlich das gethan, was sie nicht hätten thun sollen, und das unterlassen, was sie schuldig waren, zu thun. Sie haben gegen das von Gott empfangene Maß des Lichts und der Erkenntniß gesündigt, den göttlichen Geist betrübt und daher auch die Erfüllung des schrecklichen Ausspruchs erfahren: „Welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.“[4] Das heißt: sobald du thust, was du deiner Erkenntniß nach nicht thun solltest, wirst du aufhören, in der Gunst Gottes zu leben, und den Genuß des seligen Friedens seines Geistes verlieren. Dieses ist das Sterben jener unschuldigen und heiligen Sehnsucht und Zuneigung die Gott dem Menschen anerschuf; der geistliche Tod, der ihn kalt, erstarrt und fühllos für die Liebe [122] Gottes, für den Einfluß seines Geistes, seiner Kraft und Weisheit macht, und ihn des Lichts und der Freude seines Angesichts, der Ueberzeugung eines guten Gewissens, und des Mitzeugnisses und Beifalles des heiligen Geistes beraubt.

§. 6. Die Erkenntniß Gottes, die Adam in seinem gefallenen Zustande besaß, bestand also nicht mehr in einer täglichen Erfahrung der Liebe und des Werks Gottes in seiner Seele, sondern bloß in einer Wissenschaft und Vorstellung von Dem, was er früher davon erkannt und erfahren hatte. Da dieses nun nicht die wahre, lebendige Weisheit, die von oben kommt, sondern gewissermaßen nur eine Abbildung derselben ist, so kann sie den Menschen auch nicht in der Reinheit des Herzens bewahren, sondern dienet vielmehr dazu, daß sie ihn mit einer hohen Meinung von sich selbst aufblähet, ihn stolz auf seine erhabenen Begriffe und Einsichten, und, Widersprüche zu ertragen, ganz unfähig macht. Dieses war der Zustand der abgefallenen Juden, ehe Christus erschien, und ist noch immer, seit seiner Erscheinung, der Zustand der abgewichenen Christen; indem ihre Religion, wenn man einige leibliche Uebungen ausnimmt, theils nur in der Erinnerung dessen, was sie ehemals von dem Werke Gottes in ihrem Innern erkannten, und wovon sie abgewichen sind, theils in einem bloß historischen Glauben und eingebildeten Begriffe, oder in wörtlicher Auslegung der Erfahrungen und Weissagungen jener heiligen Männer und Weiber bestehet, die zu allen Zeiten den Namen und Charakter der wahren Kinder Gottes verdienten.

§. 7. So wie nun eine solche Erkenntniß Gottes nicht wahr und wesentlich ist, so lehret uns auch die Erfahrung, [123] daß die Wirkungen, die sie hervorbringt, mit den Früchten der wahren Weisheit beständig im Widerspruche stehen. Denn so wie diese „zuerst keusch, (rein) dann friedsam, dann gelinde ist, und sich sagen läßt;“[5] so ist das Wissen entarteter, mit Selbstverleugnung unbekannter Menschen, zuerst unrein, und dann in allen Stücken das Gegentheil der Weisheit von oben. Denn es entsprang aus der Uebertretung, und erhält sich nur in einem bösen und unreinen Gewissen bei Denen, die dem Gesetze Gottes in ihren Herzen ungehorsam sind, und täglich Dinge thun, die sie nicht thun sollten; weshalb sie auch vor dem Richterstuhle Gottes in den Herzen der Menschen verurtheilt werden. Denn das Licht der Gegenwart Gottes entdeckt die verborgensten Werke der Finsterniß, die geheimsten Gedanken und verstecktesten Absichten der ungöttlichen Menschen. Dieses ist die „falsch berühmte Kunst,“[6] oder „fälschlich sogenannte Wissenschaft,“ die, so wie sie an sich unrein ist, die Menschen auch unfriedsam, verdrießlich, unbiegsam, launig, hartnäckig und verfolgungssüchtig macht, so daß sie Andere, die besser als sie seyn wollen, nicht ertragen können, und Diejenigen, die es wirklich sind, hassen und schmähen.

§. 8. Dieser eifersüchtige Stolz, diese verabscheuungswürdige Leidenschaft voll Neides und Rachsucht war es, die Kain zum Brudermörder machte. Wie? war denn seine Religion und Gottesverehrung nicht eben so gut als die seines Bruders? Es fehlte ja an keinem äußern Theile derselben. Kain opferte eben so wie Abel, und sein Opfer konnte an sich auch eben so gut als [124] Abels Opfer seyn; allein es scheint, daß sein Herz es nicht war. – Von so langer Zeit her hat Gott also schon auf die innere Anbetung der Seele gesehen! – Und was war nun die Folge dieser Verschiedenheit des Herzens jener beiden Gottesverehrer? Kains Stolz empörte sich. Er konnte es nicht ertragen, daß sein Bruder ihn übertraf. Sein Zorn entbrannte. Er beschloß, die Verwerfung seines Opfers an dem Leben seines Bruders zu rächen; und ohne auf die natürlichen Bande der Liebe, noch auf die geringe Anzahl der damals lebenden Menschen Rücksicht zu nehmen, färbte der Grausame seine Hände mit dem Blute seines Bruders.

§. 9. Die Religion der ausgearteten Juden brachte keine bessere Früchte hervor. Denn nachdem sie das innere Leben, die Kraft, den Geist des Gesetzes verloren hatten, bläheten sie sich mit ihrer erlangten Erkenntniß desselben; und in dieser eigenliebigen Gemüthsverfassung dienten ihnen ihre Ansprüche auf Abraham und Moses und auf die göttlichen Verheißungen nur dazu, daß sie ihren Stolz, ihre unerträglichen Anmaßungen und ihre Grausamkeit auf’s Höchste trieben; so daß sie wahre höhere Erscheinungen, wenn sie damit heimgesucht wurden, nicht ertragen konnten, und die an sie gesandten Boten des Friedens wie Wölfe und Tiger behandelten.

§. 10. Es ist auch sehr bemerkenswerth, daß die falschen Propheten, die sich beständig als die heftigsten Gegner der wahren bewiesen, diese immer als falsche verfolgten, und die weltlichen Fürsten und die arme verführte Menge durch ihren Einfluß auf dieselben als Werkzeuge ihrer Bosheit gebrauchten. Daher geschah es, [125] daß ein heiliger Prophet von einander gesägt, ein Anderer zu Tode gesteinigt wurde, u. s. w. So stolz und steifsinnig macht die falsche Wissenschaft Diejenigen, welche ihr nachtrachten; und dieses bewog den heiligen Stephanus, auszurufen: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren! Ihr widerstrebet allezeit dem heiligen Geiste. Wie eure Väter thaten, so thut auch ihr.“[7]

§. 11. Die wahre Erkenntniß ward mit Freuden von den Engeln verbreitet, „welche Frieden auf Erden und Wohlwollen gegen die Menschen“ verkündeten;[8] allein die Anhänger der falschen Wissenschaft suchten diese Botschaft durch Verläumdungen zu verdunkeln. Christus sollte durchaus ein Betrüger seyn; und dieses sollte seine Macht, Wunder zu thun, beweisen, welche doch gerade das Gegentheil bewies. Sie suchten oft ihn zu tödten, und führten ihre gottlose Absicht auch endlich aus. Und was war ihr Beweggrund? – Christus zeugte gegen ihre Heuchelei; gegen ihre breiten Denkzettel; gegen die Ehre von Menschen, die sie suchten, – doch sie geben ihre Ursachen selbst in diesen Worten an: „Lassen wir ihn also, so werden Alle an ihn glauben;“[9] so wird er uns um unser Ansehn beim Volke bringen; es wird ihm anhangen, und uns verlassen, und dann ist es um unsere Macht und um unsern Ruf bei der Menge geschehen.

§. 12. Eigentlich kam auch Christus, um ihre Ehre herabzubringen, ihr Rabbiwesen umzustoßen, und durch seine Gnade die Menschen zur innern Erkenntniß Gottes anzuleiten, von der sie durch ihre Uebertretungen abgewichen [126] waren. Dadurch sollten sie zur Einsicht der Betrügereien ihrer blinden Führer gelangen, die durch ihre leeren Ueberlieferungen die Gerechtigkeit des Gesetzes vernichtet hatten, und, weit entfernt, wahre Schriftgelehrte und rechte Ausleger des Gesetzes zu seyn, vielmehr wahre Kinder des argen Feindes waren, der von jeher ein stolzer Lügner und grausamer Mörder war.

§. 13. Da nun ihr Stolz auf ihre falsche Erkenntniß sie für die Annahme des einfachen Evangeliums ganz unfähig gemacht hatte, so dankte Christus seinem Vater, „daß er die Geheimnisse desselben den Klugen und Weisen verborgen und den Unmündigen geoffenbaret habe.“[10] Eben diese falsche Weisheit hatte auch die Gemüther der Athenienser zu einem solchen Grade aufgeblähet, daß sie die Predigt des Apostels Paulus als eitel und thöricht verwarfen. Allein dieser Apostel, der eine vorzüglich gelehrte Erziehung seines Zeitalters genossen hatte, drückt sich über jene von den Juden und Griechen so hoch geschätzte Weisheit sehr scharf und treffend aus, wenn er sagt: „Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weltweisen? – Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht?“[11] Und er giebt weiter unten auch einen guten Grund dafür an: „Damit vor ihm kein Fleisch sich rühme.“[12] Das heißt: Gott wird die eingebildete falsche Erkenntniß des Menschen zu Schanden machen, damit er in dieser Hinsicht nichts habe, worauf er stolz seyn könne, sondern Alles der Offenbarung des göttlichen Geistes verdanken müsse. Der Apostel geht noch weiter und behauptet, „daß die Welt durch ihre Weisheit Gott nicht erkannte;“ welches [127] so viel sagen will, als daß diese Weisheit, so wie die Menschen sie anwenden, statt ihnen behülflich zu seyn, ihnen vielmehr an der wahren Erkenntniß Gottes hinderlich ist. Und seine erste Epistel an seinen geliebten Timotheus schließt er mit den Worten: „O Timotheus! bewahre was dir anvertrauet ist, und meide das ungeistliche lose Geschwätz und das Gezänk der falsch berühmten Kunst.“[13] Dieses waren die herrschenden Gesinnungen der Christen in den apostolischen Zeiten, als die göttliche Gnade ihnen die wahre Erkenntniß Gottes verlieh und ihr Führer war.

§. 14. Was für Fortschritte haben nun aber die Jahrhunderte gemacht, welche auf die apostolischen Zeiten folgten? Haben sie sich besser als die jüdischen Zeiten gehalten? Nein! nicht im geringsten. Die Bekenner des Christenthums haben es vielmehr sowohl hinsichtlich auf die hohen Ansprüche auf größere Erkenntniß, als auch in Ansehung ihrer Abweichungen von dem wahren christlichen Leben, noch ärger als die Juden gemacht. Denn obgleich sie einen bessern Vorgänger als die Juden hatten, zu welchen Gott durch seinen Knecht Moses redete; indem er sich ihnen durch seinen geliebten Sohn, das Ebenbild seines Wesens, die Fülle aller Sanftmuth und Demuth, mittheilte; und obgleich ihnen nichts so sehr als die Anbetung seines Namens und die Verehrung des Andenkens seiner gesegneten Jünger und Apostel anzuliegen schien; so wurde dennoch ihre Abweichung von der innern in der Seele sich offenbarenden Kraft Gottes und von dem reinen Leben des Christenthumes so groß, daß ihre Ehrfurcht und Achtung fast in [128] nichts Anders, als in leeren Formen und Zeremonien bestand. Sie bezeigten freilich, wie die Juden, ungemein viel Eifer, die Grabmäler der verstorbenen Heiligen zu schmücken und ihre Bilder künstlich zu schnitzen; auch suchten sie nicht nur unter jedem Vorwande Alles sorgfältig zu sammeln und aufzubewahren, was als eine Reliquie oder als ein Ueberbleibsel von ihren Personen betrachtet werden konnte, sondern gaben auch tausend Dinge für Reliquien aus und empfahlen sie als solche, deren Ursprung bloß erdichtet war, die nicht selten ins Lächerliche fielen, und im Ganzen genommen mit dem Christenthume nicht übereinstimmten; von den wesentlichen und wichtigen Stücken des christlichen Gesetzes aber, von der Liebe, Sanftmuth und Selbstverleugnung waren sie entartet. Sie wurden hochmüthig, stolz, ruhmredig, unnatürlich oder gegen natürliche Zuneigung unempfindlich, vorwitzig und streitsüchtig; so daß sie beständig die Kirche mit zweifelhaften und spitzfindigen Fragen beunruhigten, und der Menge Veranlassung zu Mißhelligkeiten und Zänkereien gaben, woraus dann Parteien entstanden, die endlich zum Blutvergießen schritten; – gerade als wenn sie dadurch, daß sie sich zum Christenthume bekenneten, nur desto schlimmer geworden wären.

O des bejammernswerthen Zustandes der vorgeblichen Christen! die, anstatt daß sie, der Lehre Christi und seiner Apostel gemäß, „ihre Feinde lieben und Diejenigen, die ihnen fluchen, segnen sollten,“ die Menschen lehren, unter dem Vorwande eines christlichen Eifers, einander auf die unmenschlichste Weise zu zerfleischen und umzubringen; die, anstatt daß sie bereit seyn sollten, ihr eigenes Blut für das Zeugniß Jesu vergießen zu [129] lassen, das Blut der Zeugen Jesu, als vorgeblicher Ketzer, vergießen. So hat also die listige Schlange, jener schlaue böse Geist, der mit seinen Versuchungen Adam um seine Unschuld brachte, und die Juden verführte, von dem Gesetze Gottes abzuweichen, nun auch durch eitle Lügen die Christen betrogen und verleitet, das heilige Gesetz des Geistes Christi in ihren Herzen zu verlassen, und seine Sklaven zu werden, „der in den Herzen der Kinder des Ungehorsams herrscht.“[14]

§. 15. Es ist bemerkenswerth, daß, so wie der Stolz, der immer von Aberglauben und Starrsinn begleitet ist, Adam verleitete, sich über den Stand, in welchen Gott ihn gesetzt hatte, erheben zu wollen, und daß, so wie die Juden, durch denselben Stolz angetrieben, das ihnen von Gott durch Moses auf dem Berge gegebene Vorbild zu übertreffen suchten, indem sie „ihre Pfosten an Gottes Pfosten setzten, und ihre eigenen Menschengebote für wahre Lehren ausgaben,“[15] eben so auch die abgewichenen Namenchristen, durch dieselbe Sünde des Stolzes verleitet, mit starrem Aberglauben und kühner Anmaßung, statt der wahren geistlichen Gottesverehrung und Kirchenzucht bloß weltliche Zeremonien und Anordnungen eingeführt, und mit solchen Neuerungen und überlieferten menschlichen Meinungen vermischt haben, die, wie ihre zahlreichen Concilien und verwickelten Glaubensartikel beweisen, offenbare „Früchte der irdischen Weisheit“ sind.

§. 16. So wie nun dieser unverantwortliche Stolz sie zuerst verleitete, die geistige Beschaffenheit der christlichen [130] Gottesverehrung so sehr zu verkehren, daß sie eher der bildlichen Verehrungsart der Juden und dem pomphaften Gottesdienste der Egypter ähnlich war, als mit der schlichten Einfachheit der christlichen Anordnung übereinstimmte, – welche weder der Anbetung auf dem Berge noch der zu Jerusalem gleichen sollte –; so trieb auch derselbe Stolz, dieselbe Anmaßung sie an, den Ruf ihrer großen Diana durch alle nur erdenkliche Mittel der Grausamkeit zu behaupten und aufrecht zu erhalten. Weder die sanften Bitten, noch die demüthigen Vorstellungen von Seiten Derer, die sich genau an die ursprüngliche Reinheit der christlichen Lehre und Gottesverehrung hielten, konnten diese hartherzigen Namenchristen bewegen, sie von der Befolgung ihrer unapostolischen Ueberlieferungen auszunehmen oder zu befreien. So wie die Lehrer und Bischöfe dieser Ausgearteten anfingen, sich um die mühsame Untersuchung und Pflege der Heerde Christi nicht mehr zu bekümmern, wurden sie ehrgeitzig, habsüchtig und üppig, so daß sie in ihrem Betragen eher stolzen, weltlichen Herrschern, als demüthigen, sich selbst verleugnenden Jüngern Jesu glichen. Und die Geschichte fast eines jeden Landes sagt uns, mit welchem Stolze, mit welcher Grausamkeit, und mit was für einem Blutdurste, – der sie die ungewohntesten Martern und seltensten Foltern erfinden ließ –, sie die heiligen Glieder Christi verfolgt und aus der Welt geschafft, und noch überdies mit so furchtbaren Bannflüchen belegt haben, daß sie dieselben, insofern es ihnen möglich gewesen wäre, auch der himmlischen Seligkeit beraubt haben würden.

[131] Solche Schlachtopfer wurden immer von den wahren Christen Märtyrer genannt; aber die falsch sogenannte Geistlichkeit hat ihnen, den verfolgungssüchtigen Juden nachahmend, den Namen der Gotteslästerer und Ketzer beigelegt. So haben diese Abtrünnigen die Vorhersagung unsers Herrn Jesu Christi erfüllt, der nicht sagte, daß die Menschen glauben würden, den Göttern einen Dienst zu thun, wenn sie seine theuern Nachfolger, die wahren Christen, tödteten, – welches sich auf die Verfolgung der Christen von Seiten der abgöttischen Heiden beziehen könnte –; sondern, daß sie meinen würden, Gott einen Dienst damit zu thun;[16] woraus klar hervorgehet, daß es von solchen geschehen würde, die sich zu dem wahren Gott bekennen, wie auch allezeit die abtrünnigen Christen vorgeblich gethan haben. Diese müssen also, ohne Zweifel, jene Wölfe seyn, von denen der Apostel vorhersagte, „daß sie unter die Gläubigen kommen und der Heerde nicht verschonen würden,“[17] wenn der von ihm angekündigte große Abfall seinen Anfang nähme, der nothwendig kommen müßte, damit der Glaube und die Treue der Rechtschaffenen geprüft und das große Geheimniß der Bosheit offenbar gemacht würde.

Ich schließe diesen Abschnitt mit der Behauptung der ganz unverkennbaren Wahrheit, daß überall, wo die ausgeartete Klerisei, oder sogenannte Geistlichkeit, am meisten Gewalt und Ansehen besaß und auf Fürsten und Staaten den größten Einfluß hatte, auch immer die größten Verwirrungen, Streitigkeiten, Blutscenen, Einziehungen [132] der Güter, Einkerkerungen und Verbannungen statt fanden; und zur Rechtfertigung dieser Wahrheit berufe ich mich auf die Geschichte aller Zeiten. Wie es in unserm Zeitalter hiermit stehet, überlasse ich den Lebenden aus eigener Erfahrung und Beobachtung zu beurtheilen. Nur einige Thatsachen liegen uns so klar vor Augen, daß sie unserer Bemerkung schwerlich entgehen können: Die Menschheit ist nicht bekehrt, sondern in einem so hohen Grade, auf eine so verfeinerte Art verderbt, daß die Geschichte voriger Zeiten uns kein Beispiel davon liefert. Die Gottesverehrung der Christen ist, augenscheinlich, in Zeremonie und Pomp ausgeartet. Der geistliche Stand sucht größtentheils unter dem Vorwande der geistlichen Beförderung, nur weltliche Vortheile; indem gewöhnlich bei Denen, die sich demselben widmen, die Aussicht zu einer gemächlichen zeitlichen Versorgung die Haupttriebfeder in der Bestimmung ihrer Wahl ist, und fast Jeder von ihnen sich bereit findet, seine gegenwärtige Stelle zu verlassen und um eine andere zu werben, sobald diese ihm einen höhern Rang und reichlichere Einkünfte darbietet. Es muß uns also klar einleuchten, daß Stolz und Geiz die beiden unglücklichen Leidenschaften sind, von denen der gute fromme Petrus wohl voraussah, daß sie ihnen zu Fallstricken werden würden, und durch welche sie so viel Unwissenheit, Irrthum und Religionsverachtung in der Christenheit erzeugt haben.

§. 17. Das Mittel nun, aus dieser unglücklichen Abweichung und Verirrung zurückkommen, ist kein anderes, als daß man sich eine lebendige, seligmachende Erkenntniß der Religion Jesu, nämlich eine innere Erfahrung von dem Werke Gottes in der Seele, erwerbe. [133] Diese zu erlangen, mußt du, o Mensch! fleißig und sorgfältig auf die „Erscheinung der heilbringenden Gnade“[18] in deiner Seele achten, und derselben Gehorsam leisten. Sie wird dich von der breiten Straße auf einen schmalen Weg leiten, von der Befriedigung deiner verderbten Neigungen dich zurückhalten und zur Erfüllung deiner Pflichten dich antreiben. Sie wird dich von den sündlichen Vergnügungen der Welt zu einem heiligen Leben der Selbstverleugnung, von der Gewalt des Satans, des argen Feindes deiner Glückseligkeit, zu Gott bekehren. Aber du mußt dein eigenes Leben, das Leben deiner Eigenliebe, einsehen und hassen;[19] du mußt wachen und beten, und auch fasten; nicht auf deinen Versucher, sondern auf deinen Helfer und Erlöser sehen, böse Gesellschaft meiden, dich oft in die Einsamkeit zurückziehen, und wie ein reiner Pilger in dieser bösen Welt leben. Auf diese Weise wirst du zu der wahren Erkenntniß Gottes und Jesu Christi gelangen, die deiner Seele ewiges Leben; eine wohlgegründete Ueberzeugung von dem, was sie selbst davon empfindet und erfährt, mit unzweifelhafter Gewißheit ertheilet. Die Herzen Derer, die zu dieser Erfahrung gelangen, sind getrost und fürchten sich nicht.“[20]

  1. 2 Tim. 3, 2. 4.
  2. 1. Mos. 2,19. 20. Kap. 3, 5.
  3. Kap. 3, 24.
  4. 1. Mos. 2, 17.
  5. Jak. 3, 17.
  6. 1 Tim. 6, 20.
  7. Ap. Gesch. 7, 51.
  8. Joh. 11, 18.
  9. Joh. 11, 18.
  10. Matth. 11, 25.
  11. 1 Kor. 1, 20.
  12. V. 29.
  13. 1 Tim. 6, 20.
  14. Eph. 2, 3.
  15. Ezech. 43, 8. Jes. 29, 13. Matth. 15, 9.
  16. Joh. 16, 2.
  17. Ap. Gesch. 20, 29.
  18. Tit. 2, 11. 12.
  19. Luk. 14, 26. Joh. 12, 25.; Matth. 10, 39.
  20. Ps. 112, 7. 8.
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