Originale (Die Gartenlaube 1857/26)

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Autor: unbekannt
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Titel: Originale (Die Gartenlaube 1857/26)
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 363–364
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[363] Originale. Einer der Generale Friedrich des Großen, ein Graf von Anhalt wurde, man weiß nicht aus welchem Grunde, von Berlin nach Bartenstein in Ostpreußen versetzt. Der General, an seinem neuen Bestimmungsorte angelangt, empfand bald die drückendste Langeweile, die kleine Garnisonstadt genügte ihm auf keine Weise. Er beschloß, koste was es wolle, sich eine Zerstreuung zu suchen. Eines Tages wanderte er durch die entfernten Gassen und bemerkte an einem Eckhause einen eigenthümlich gestalteten, sogenannten Prellstein. Es hatte dieser Stein die rohen Züge einer menschlichen Gestalt. Je länger der Graf den Stein betrachtet, desto gewisser wird es ihm, daß sich damit ein erfolgreicher und langandauernder Scherz ausführen lasse. Heimlich läßt er den Stein ausgraben und ihn an eine öde Stelle außerhalb der Stadt schaffen, wo er ihn einige Fuß tief unter die Erde einscharren läßt. Nach einiger Zeit stellt er unter Zuziehung des gelehrten Pfarrers und eines Lehrers an der Stadtschule Nachgrabungen nach Alterthümern an. Der Stein wird gefunden und der Graf stellt sich ausnehmend erfreut über den Fund an, erklärt auch sogleich, dies könne nichts anderes als die Statue des heiligen Bartholomäus sein, des Schutzheiligen von Bartenstein, und man müsse eilen, die Figur auf dem Marktplatze aufzustellen. Die beiden gelehrten Herren stimmen ihm bei, und es wird an den Fürstbischof von Ermeland geschrieben, der zwei Geistliche sendet, um das kostbare Denkmal der Vorzeit auf den ihm zugesicherten Ehrenplatz zu setzen. Die Stadt gibt die Kosten her und der Tag ist festgesetzt, wo unter großem Zudrange der Bevölkerung der Umgegend der heilige Bartholomäus auf das Postament gesetzt werden soll, das auf dem Markte, neben dem Brunnen, errichtet worden. Niemand ist glücklicher als der Graf, der jetzt einen vortrefflichen Spaß hat, indem er die Stadt und die Umgegend mystificirt. Aber ein einfacher Landmann, der des Weges daher kommt, zieht einen Strich durch die Rechnung. Als dieser die Figur sieht, ruft er aus:

„Ei, das ist ja der Schweinsbartel am Eck der rothen Tanne! ich kenn’ ihn gar gut!“

Die Versammelten wurden stutzig, man forschte, man sah nach, und die ganze ergötzliche Komödie kam an den Tag. Die Folge war, daß der Graf ein stark zurechtweisendes Schreiben aus Berlin erhielt, wo es ihm verboten wurde, sich ferner mit Alterthümern zu befassen. Der vom Bauer erkannte Prellstein, der „Schweinsbartel“, ward wieder an seine bescheidene Stelle gebracht. Aber der Graf empfand von dieser Zeit an eine lebhafte Neigung, seine lieben Mitbrüder zum Besten zu haben, sei es auf diese oder auf jene Weise. Es hatte gar zu viel Erheiterung verschafft, die Geschichte mit dem Schweinsbartel. Besonders machte es ihn stolz, daß sogar der gelehrte Büsching in seiner berühmten Erdbeschreibung den heiligen Bartholomäus auf dem Markte zu Bartenstein mit aufgenommen hatte. Er kam auf den Gedanken, eine Menge andere Alterthümer unter die Erde zu schaffen, wie verrostete Schlüssel, Ringe, unbrauchbares Küchengeschirr, dem ein künstlicher Rostüberzug gegeben worden und dergl. mehr, und diese Dinge, da er sich selbst nicht getraute eine Rolle dabei zu spielen, weil die Geschichte mit dem Prellstein allzu ruchbar geworden, ließ er durch seine Helfershelfer gelegentlich ausgraben, und hatte dann seinen wohlerworbenen Spaß, wenn die Gelehrten sich über die Entdeckungen stritten und ganze Ansammlungen davon nach Greifswald und noch weiter nach Kopenhagen und Stockholm gingen. Die scharfsinnigen Untersuchungen in den gelehrten Zeitschriften, der kleine Krieg der Alterthumsfreunde, der sich unvermeidlich bei der Erklärung und Deutung der interessanten Alterthümer entspann, machte ihm und dem kleinen Kreise seiner miteingeweihten Freunde unendliches Vergnügen, bis auch hier eine unwillkommene Entwickelung dem Spiele ein Ende machte und neue unangenehme Folgen für den humoristischen Antiquitäten-Fabrikanten entstanden. Jetzt kaufte er ein ziemlich weitläufiges Grundstück und legte auf demselben einen Garten nach einem eigenthümlichen Plane an. Der Hauptbestandtheil dieses Gartens war ein sogenanntes Labyrinth, aus dessen Gängen, wenn man nicht im Besitze des Schlüssels zu diesem Räthsel sich befand, es völlig unmöglich war, sich wieder herauszufinden, wenn man sich darinnen befand. Einst besuchte den Grafen eine Gesellschaft zu Mittag. Er führte sie in’s Labyrinth. Die Unglücklichen gehen in die Falle und irren umher, ohne den Ausgang zu finden. Unterdessen läutet die Glocke zum Mittagessen. Welch’ ein Pein! Man ist hungrig, man ist müde, und – es ist nicht möglich, aus den verwünschten Baumgängen und Taxuswänden hinauszugelangen. Kaum bietet sich ein breiter Gang, der in das Freie zu führen verspricht, so schiebt sich wie durch Zauberei eine Wand vor und von Neuem beginnt der jetzt schon in wilder Hast laufende Trupp die trostlose Wanderung. Dabei läutet die Mittagsglocke wiederholt. Endlich, nach mehreren Stunden, wo Hunger und Ermüdung auf’s Höchste gestiegen, erscheint ein Diener des Grafen und führt die Irrenden hinaus. Des Grafen Vergnügen läßt sich mit nichts vergleichen. Ein anderer Theil des Gartens zeigt einen runden Platz von kühlen Baumschatten umschlossen, der zum Ruhen einladet, doch kaum hat der Ermüdete auf der Bank Platz genommen, so schießen von allen Seiten feine Wasserstrahlen auf ihn zu und durchnässen ihn bis auf die Haut. Diese Kunststückchen hatten viel Geld gekostet, doch bot die Anlage des Gartens auch harmlose und auf’s Nützliche gehende Verschönerungen, die ihren Werth behielten selbst nach dem Tode des barocken Schöpfers. Der Hang zum Seltsamen lag in der Natur dieses Mannes, nur hatte er in seinem früheren Wirkungskreise keine Nahrung gefunden und keinen Raum, sich auszubreiten; die Langeweile im kleinen Garnisonstädtchen brachte sein Talent [364] an’s Tageslicht. Der Hang, seinen Nebenmenschen zu verspotten, ihm einen Possen zu spielen und auf Kosten des Verhöhnten sich zu belustigen, liegt in der menschlichen Natur, wir sehen diesen Trieb oft bei Kindern in einem hohen Grade ausgebildet. Man sagt, daß damit gewöhnlich kein gutes Herz verbunden sein soll, und dies ist wahr, insoweit die Schadenfreude keine auf edle und hochherzige Gefühle basirte Freude ist, doch ist nicht zu leugnen, daß dieser Hang, in rechter Weise geleitet, dem Verstand und dem Urtheil eine gewisse Schärfe verleiht, die er auf anderem Wege nur unvollkommen und langsam erreichen würde. –

Wir fügen diesem Originale ein anderes bei, das freilich nichts mit jener gerügten Spottsucht zu thun hat, sondern sich lediglich auf ein seltsames Motiv, sich die Vergänglichkeit und die Genüsse des Lebens stets in frischem Anschauen zu erhalten, gründet. Richard Roos erzählte oft von einem Freunde, der Arzt und dabei ein berühmter Anatom war. Als Student verzierte der junge Mann sein Zimmer auf folgende Weise, und er hatte ebenfalls manchen Thaler daran gewendet, wie Andere sich bequeme Möbel anschaffen, sich diese seltsame Zimmerdecoration zuzueignen. An der Eingangsthür stand das Skelet einer Frau, die ihren Vater ermordet hatte, an dem Skelet hing der junge Mann seinen Rock auf, wie wir es an einem Kleiderhaken thun. Am Bette hielt ein kolossales Skelet Wache, einem ehemaligen Soldaten angehörend, der als Raubmörder hingerichtet und auf die Anatomie geschafft worden war. Ein drittes Skelet eines alten Weibes, das sich erhenkt hatte, nahm den Platz am Schreibtische ein und die leeren Fächer zwischen den Rippen dienten dazu, um Bleistift, Federmesser, Siegellackstange und eine Anzahl kleiner Papierstreifen und Couverts zum täglichen Gebrauche aufzubewahren. Oefters erhielt dieses Ungethüm auch die Schlafmütze zur Aufbewahrung und trug sie auf ihrem auf die Brust herabhängenden Schädel. Die Zuckerschale dieses Sonderlings bestand aus dem zur Hälfte gesägten Schädel einer Kindesmörderin, und dazu gehörig fungirte ein großer Beinknochen als Zuckerhammer. Das Mittelstück seiner Tabackspfeife bestand aus der Armröhre eines vergifteten Kindes, an welchem auch mehrere Knöchelchen als Tabacksräumer, Zahnstocher u. s. w. dienten. Bei dieser Umgebung und diesem Geräthe muß man sich den Zimmereigenthümer als den jovialsten Jungen unter der Sonne denken. Die Ueberschrift über seiner Zimmerthür lautete: Memento vivere! und weder der kolossale Gardist am Bette, noch die Alte mit dem Schreibeapparat im Brustkasten, noch die Portière an der Thüre verhinderten im mindesten, daß gerade in diesen Räumen an kalten Novemberabenden, wenn der Sturmwind heulte und Regen und Schnee an’s Fenster prasselte, die heiße Punschbowle dampfte und das lustige Lied, das Jugend, Liebe und Schönheit preist, von der Studentenlippe frisch in die Nacht hinaustönte. Und dieser Jüngling wurde ein tüchtiger Gelehrter in seinem Fache, und selbst das Leben genießend verhalf er Andern, mit gesundem Körper es zu genießen.