Ostafrikanische Wald- und Wasserbilder

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Autor: Johann Maria Hildebrandt
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Titel: Ostafrikanische Wald- und Wasserbilder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 419–422
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ostafrikanische Wald- und Wasserbilder.[1]
Von J. M. Hildebrandt.


Bei Erwähnung des Namens Afrika formt sich dem Unkundigen gewöhnlich ein Bild starrer Wüstennatur. Nirgends Leben, nur „einsam und trauernd“ steht die Palme; vielleicht daß der nächste Gluthwind auch ihr freudloses Dasein vernichtet. Allerdings ist der Charakter des nordafrikanischen Wüstengürtels, der sich von West nach Ost über den Continent verbreitet und durch Arabien sogar bis tief in’s Innere Asiens als Schamo hinzieht, wenig besser. Aber wie der Ocean seine Gestade hat, die er vergebens anbraust, so sind auch dem Sandmeere seine Grenzen vorgezeichnet. Als mächtige, vielzerklüftete Insel steigt die abessinische Bergmasse aus ihm empor. Weder die sudanesischen Steppenwüsten von Nord, noch die Sanddünen des Rothen Meerstrandes von Ost, noch die Dürre der Somâli-Plateaux von Süd vermögen den ewig jugendlich frischen Bergriesen Habesch zu bezwingen. Stolz erhebt er sein waldumkränztes Haupt in die Wolken, die, aus der Verdunstung des Indischen Oceans gebildet, sich an seiner kalten Felsstirn niederschlagen, um als Quellen und Wildbäche, hinabrieselnd in die Thäler, deren Verlauf sie folgen, nordöstlich und östlich in’s Rothe Meer und das Salzbassin des Uferlandes zu fließen, südlich in weitem Laufe als Dschub zum Indischen Ocean zu strömen, südwestlich und westlich endlich ihren Tribut dem Urvater Nil zu bringen, dieser Aorta im nordafrikanischen Flußgeäder, die so recht eigentlich aus dem Herzen Afrikas, den großen Binnenseen, hervorquillt.

Das südliche Gestade des Sandmeeres wird theilweise vom Tschadsee und seinem Flußsysteme gebildet.

Wie das Blut dem thierischen Körper Leben und Wachsthum vermittelt, so führen diese Stromadern das befruchtende Element, das Wasser, weithin durch die Wüste und zaubern die überschwengliche Pracht tropischen Pflanzenwuchses inmitten trostloser Einöden.

Südafrika bis zum Wendekreis des Steinbocks zeigt in seinen Steppen und Wüsten ein dem eben entworfenen ähnliches Bild. Die mittlere Zone unseres Continentes jedoch, vom Senegal bis Benguëla einerseits, von Sansibar bis Mosambik andererseits, und die weite Mulde im Herzen desselben, das Seengebiet, ist von der Mutter Natur in wunderbarer Weise begünstigt. Hier, wo Passat- und Monsûnwinde die von der senkrechten Tropensonne aufgesogenen Wasserdämpfe des Atlantischen und Indischen Oceans über das Land breiten und durch ihre von der Erdoberfläche verschiedene Temperatur sich als Nebel und Regen niederlagern, sind die Bedingungen zu luxuriösestem Pflanzen- und Thierleben gegeben, Bedingungen, wie sie in der Jugend unseres Planeten geherrscht haben, was das Museum der Natur in Steinkohle, lithographischen Abdrücken und plastischen Darstellungen durch Versteinerung mächtiger Knochengerüste, die einst von Fleisch und Blut belebt waren, bezeugt. Ist auch in anderen Erdstrichen dieses jugendliche Feuer längst erloschen, in unserem Gebiete hat sich die productive Urkraft erhalten. Liebliches Parkland, aus majestätischen Palmenhainen und vielerlei fremdartigen Bäumen gebildet, die wie von künstlerischer Hand in stets grünem Krautteppiche gewoben, auf dem die Giraffe – die Scherifa der Araber, das heißt die Liebliche – und seltsam gehörnte Antilopen weiden, scharf ausspähend nach dem allgewaltigen Löwen und dem listig schleichenden Leoparden, wechselt in den Niederungen mit für den Menschen undurchdringlichen Gras- und Schilfwäldern – Wäldern, denn baumartig und übermanneshoch wuchert der Graswuchs. – Aus ihnen erhebt sich die Riesengestalt des Baobab, dieses „Dickhäuters unter den Bäumen“. Sein Alter reicht weit hinaus über die Periode, in die der kurzsichtige Mensch das Geburtsjahr der Welt setzt. Mächtige säulenstämmige Palmen mit klafterbreiten Fächer- oder, wie die Weinpalme, mit oft bis zwanzig Fuß langen Fiederblättern, wetteifern mit ihm an Höhe. Hier haust der Elephant, das Nashorn und der trotzige breithörnige Büffel.

Da endlich, wo das Wasser sich in tiefliegenden Gründen sammelt, sei es, um stagnirend Sümpfe zu bilden oder in Flußbetten hinzuziehen, da erwächst der Urwald in seiner ganzen [420] Pracht und Herrlichkeit. Wie in einem tausendsäuligen Tempel reiht sich Stamm an Stamm; dicht in einander verwoben bilden die Baumkronen die Wölbung. Kein Sonnenstrahl dringt in dieses Heiligthum der Natur; selbst der Schall wird gedämpft durch die mächtigen Laubmassen; dumpfe Schwüle lagert über dem weich-schwammigen Morast, in den der Wanderer knietief einsinkt. Oft versperren riesige, halbvermoderte Baumleichen, die das Alter oder die Wuth des Orkans gestürzt, seinen Weg; knorrige Wurzeln überziehen wie riesige Schlangen den Boden, während seltsam verflochtene Lianenstämme wie Glockenstränge von der Wölbung herabhängen. Plötzlich wird die bange Stille, die diesem Dome eigen, durch ein furchtbares Gebrüll gebrochen; wie der mächtige Ton der sechszehnfüßigen Orgelpfeife dröhnt es, erst langgezogen, dann in kurzen Stößen, endlich in gedehntem Schlußton: es ist das Flußpferd, das sein Weib ruft. Staunend steht der Wanderer still; das Getöse brechenden morschen Holzwerks sagt ihm, daß das Unthier sich naht. Dort erscheint es. Mit den kurzen stämmigen Beinen im Schlamme knetend, der zur Seite aufquillt und spritzt, auf dem breiten Bauch gleitend, bewegt sich das Ungethüm dahin, den unförmlich breiten Kopf gesenkt, mit den großen, trüben „Fischaugen“ dumm vor sich hinglotzend, mit den weitgeöffneten Nüstern schnaubend wie ein Dampfpflug, zieht es eine tiefe Furche im Morast. Es watet dem nahen Flusse zu. Der mächtige, tonnenförmige, braunschwarze Körper verschwindet im dichten Ufergehölz; ein Aufbrausen des Wassers, als wäre ein Schiff vom Stapel gelassen, erschallt; dann ist’s wieder still im Urwald.

Folgt der Beobachter dem Pfade, den der Koloß gebahnt, so eröffnet sich ihm, nachdem er den Vorhang, der, aus lianendurchwebtem Laubwerke gebildet, den Urwaldtempel gegen die vom Flusse geschlagene Lichtung verschließt, gelüftet, ein wunderbares Bild. In trägem Laufe wälzt sich die trübe Fluth dahin; hier von einem gigantischen, vollkronigen Baume, der, vom Strome unterwaschen, quer in’s Flußbett fiel, halb abgedämmt, dort über schwarze Schlamm- oder gelbe Sandbänke fließend, an anderer Stelle wieder von steilen Uferwänden eingeengt, schneller und wirbelnd ziehend. Während im Innern des Urwaldes aus Mangel an Licht und freier Luft wenig Unterholz auftritt und aus dem Gewirr der Laubkronen die einzelne Schönheit sich nicht sondert, entfaltet sich hier, am Rande der Lichtung, frei und ungezügelt der Pflanzenwuchs. Es ersprießt, neben vielen andern Bäumen, die zierliche, vielstämmige wilde Dattelpalme (Phoenix silvestris), deren bohnengroße längliche Frucht den Affen eine gesuchte Speise bietet.

Himmelanstrebende Bäume mit weit ausladenden Aesten erheben sich hier und dort und unterbrechen die gerade Horizontale der Mittelwaldkronen; zierliche Schlingpflanzen spannen sich guirlandengleich von Baum zu Baum, schwebende Affenbrücken bildend; ihre Enden hängen herab und schaukeln, graziös vom Winde bewegt; mancherlei Büsche mit meist feurigroth- oder gelbleuchtenden Blüthen, oft auch mit einem zart lila Blumenflor, wachsen auf dem Rande der Flußböschung; dicht am Wasser jedoch, im schwarzen, zähen Schlamme, entfaltet die kopfgroße Zwiebel eines lilienartigen Crinum seine schneeweißen, von rosa Adern durchzogenen Kelche aus hellgrüner Rosette breitschwertförmiger Blätter. An Farbe jener Blume täuschend ähnlich, steht unbeweglich der Silberreiher. Er harrt der Krabben und Fische, die sich ihm unachtsam nähern. Andere Stellen des Ufers sind von weiten Schilfhorsten bestanden, die oft in das seichte Flußbett hineinwuchern und in ihren wogenden Massen dem Wasser gleichen, in dem sie sich spiegeln. So ist der Palast des Flußpferdes beschaffen. Laßt uns sehen, wie es darin haust!

In Familien von oft zwanzig Gliedern – die Weiber und die heranwachsende Jugend sind dem Familienhaupte unterthan – behaupten sie ein bestimmtes Revier im Flusse, Sumpfe oder Meere, in welch letzteres sie oft meilenweit hinausziehen. Ein einzelnes Thier hielt sich sogar lange Zeit am Nordende Sansibars auf, muß also wohl den breiten Meerarm zwischen dieser Insel und dem Festlande überschwommen haben. Uebrigens saufen die Flußpferde das Meerwasser nicht, finden auch wohl schwerlich in Algen oder anderen Seepflanzen Nahrung, sondern begeben sich jede Nacht an’s Land, um ihre Vorrathskammer, den geräumigen Magen, zu füllen. Auch die, welche das Brack- und Süßwasser zu ihrem Aufenthalte bei Tage gewählt – und letztere sind bei Weitem die meisten – fressen wohl nur bei Nacht; wenigstens gewahrte ich nie ein Thier auf der Weide, so lange die Sonne am Himmel stand. Sie kehren vielmehr nach nächtlichem Mahle mit dem ersten Morgenroth in ihr nasses Versteck zurück.

Eine solche schwimmende Heerde gewährt dem „stillen Beobachter“ ein höchst anziehendes Bild: bald taucht der Kopf des einen, bald der des andern aus dem trüben Wasser auf, schnaubt einen feinen Wasserstaub, der in der Sonne Regenbogenfarben bildet, aus und schleudert mit schneller, fast zitternder Bewegung das Wasser aus den kleinen Ohren. Von der Seite betrachtet ähnelt er in diesem Augenblicke einigermaßen einem Pferdekopfe (besonders da der unförmliche, massige Unterkiefer bis zum geschlossenen Maule im Wasser verbleibt), weshalb das Thier wohl seinen in jeder andern Beziehung so schlecht passenden Namena „Hippopotamus“ (Flußpferd) erhalten. Es schaut und horcht umher, grunzt befriedigt vor sich hin oder macht seinem Herzen in einem tiefen Liebesseufzer Luft, dem eine seiner Ehehälften antwortet, schwimmt träge eine kurze Strecke stromauf oder stromab, holt tief Athem, schließt die klappigen Nasenlöcher und sinkt wie Blei unter, um nach ungefähr einer halben Minute abermals zu erscheinen, entweder (wie in stehendem Wasser) an derselben Stelle, oder (wie im Flusse) etwas abwärts getrieben.

Die heranwachsenden Jungen halten sich stets in der Nähe der Mutter und ahmen, wenn auch anfangs etwas ungeschickt, deren Bewegungen nach. In der allerfrühesten Jugend jedoch, wenn die Beinchen noch zu schwach, um ihre Pflicht zu thun, liegen sie wie in einer Wiege auf Kopf und Hals der Mama, sich mit den Füßen vor und hinter den Ohren derselben festklammernd. So sind sie zugleich gegen jede Gefahr geschützt. Wehe dem Krokodil, wenn es sich, lüstern auf das zarte Fleisch des Säuglings, heranschleicht; das nahe, furchtbar bewehrte Maul der Mutter würde das „Teufelsvieh“ zweitheilen wie eine Sardelle. Zeigt sich in der Entfernung ein Kahn der badenden Heerde, oder erschallt irgend ein ungewohntes Geräusch, so entsteht große Unruhe. Höher und öfter erheben sich die Köpfe aus dem Wasser, ängstlich und doch zugleich wüthend geschüttelt, mit starkem Stoße, begleitet von grimmigem Knurren, spritzt das Wasser in hohem Strahle aus den Nüstern, die Jungen drängen sich an ihre Mütter, welche, wie die andern, die tiefsten Stellen des Flusses aufsuchen. Ist die Gefahr festgestellt und nähert sie sich, so werden übrigens die Unthiere sehr kleinlaut; immer seltener erscheint eines, zuletzt nur noch der Alte, bis auch ihm schließlich ungemüthlich zu Muthe wird. Unter dem Wasser, auf der Sohle des Flußbettes im Schlamme watend, fliehen die Thiere; aber nur langsam bringen sie den gewaltigen Tonnenleib von der Stelle. Da die vor dem Untertauchen eingenommene Luft nun nicht lange[2] vorhält, so sind die Thiere wohl oder übel gezwungen, sich dem Wasserspiegel zu nähern und wenigstens ihre Nase der Gefahr auszusetzen. Mit erstaunlicher Schnelligkeit ziehen sie dieselbe nach eiligem Luftschnappen aber wieder hinter die Wassercoulisse zurück.

Da die Unthiere im schlammgetrübten Elemente nicht genau zu sehen vermögen, so will zuweilen der böse Zufall, daß gerade über der Stelle, an der sie auftauchen, der schmale Baumkahn des Negers gleitet, der dann auch gewöhnlich an diesem Fleischriff scheitert, das heißt von ihm umgestürzt wird. Nicht weniger erschreckt aber, als der Schwarze, der eilig durch Wasser und Schlamm dem Ufer zuzappelt, ist dann auch gewöhnlich das Flußpferd; augenblicklich verschwindet es und nur ein kräuselnder Wellenstreif zeigt, wie es sich spornstreichs davon macht. Es giebt übrigens alte griesgrämliche Flußpferde, die, durch eine „jüngere Kraft“ verdrängt, von ihrer Familie verstoßen und einem Lear gleich, einsam umherirren, ihrem Groll nachhängen, alle Manier außer Acht lassen und Jeden, der ihren Weg kreuzt, grimmig anschnaufen. So begegnete es uns, als wir mit Herrn Hagenbeck aus Hamburg, von Juni bis September 1873 in den Gebieten des Kingani- und Wámiflusses reisten und uns in einem vierrudrigen Boote befanden, in dem eine große Provisionskiste stand, deren Höhe das Bord überragte und auf deren Deckel unsere verschiedenen Gewehre lagen, daß ein solcher Junggesell,

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Heimkehrendes Flußpferd in den ostafrikanischen Gewässern. Originalzeichnung von G. Mützel.

[422] der wohl durch den Gesang unserer schwarzen Ruderer im Schlafe, den er im dichten Uferschilfe gehalten, gestört worden, sich in’s Wasser stürzte und gegen uns anbrauste. Ich saß, nur eine leichte Vogelflinte in der Hand – denn ich war eben daran, uns ein Reiherbraten-Frühstück zu besorgen – im Schnabel des Bootes; Hagenbeck nahm den Platz am Steuer ein, ergriff aber sofort vom erwähnten Kistendeckel unsere Elephantenbüchse (Kaliber acht mit Sprengkugel), um dem „alten Knaben“ guten Morgen zu sagen. Dieser aber tauchte, wie um einen Anlauf zu nehmen, unter und rannte wie ein Sturmbock dem Boote in den Bauch, so daß ein Plankenstück von doppelter Handlänge ausbrach und unser Schifflein an der gegenüberliegenden Seite Wasser schöpfte.

Aber die Geistesgegenwart verließ uns nicht. Hagenbeck warf einen neben ihm sitzenden Negerdiener über die Flinten, die bereits angefangen zu rutschen und, einmal im Wasser liegend, sicher für immer verloren gegangen wären; ich packte einen der Ruderer, drückte ihn auf den Leck, aus dem ein Wasserstrahl einquoll, und stopfte diesen mit der nackten Seite des Entsetzten zu, ihm bedeutend, sich nicht zu rühren. Dies Alles war das Werk eines kaum bestimmbaren Zeitraumes. Unserm Angreifer schien übrigens die Nuß, die er zu knacken versucht, denn doch etwas gar hart und er fand es gerathen, im wahren Sinne des Wortes „Hals über Kopf“ auszukneifen. Dabei legte er aber sein ungeheures Hintertheil bloß, und Hagenbeck fand eben noch Zeit, an ihm mit Pulver und Blei eine gewisse Operation vorzunehmen, die in Europa gewöhnlich der Barbier verrichtet; der Patient schied, in der Eile selbst den Dank vergessend, auf Nimmerwiedersehen. Wir aber fuhren zu Land, flickten das Boot aus und zogen, noch lange lachend, weiter.

Gegen zehn Uhr Vormittags verlassen die Flußpferdheerden das Wasser und lagern auf den Schlamm- und Sandbänken, die sich in diesen von keinem Strombaumeister regulirten Flüssen allenthalben finden. Hier entwickelt sich ein liebliches Stillleben: die Alten liegen, im weichen Schlamm und Sand gebettet, in den gemüthlichsten Stellungen „dickfellig“ hier und dort und befinden sich so recht „sauwohl“, die Jungen krabbeln um ihre mächtigen Leiber herum, liegen auch saugend oder im Saugen eingeschlafen neben der Mutter oder spielen und „fechten“ mit den schon ganz respectablen Mäulchen, ihre noch nicht „gebrochenen“ Stimmen übend. Dazwischen schnarcht der tiefe Baßton des ernsten schlafenden Vaters.

Plötzlich kracht aus dem Röhricht in nächster Nähe ein Schuß. Jäher Schreck durchfährt die Heerde; einer über den andern stürzen sich die Kolosse in’s nahe Wasser, das hochaufbrausend sich über ihnen schließt. Nur eins, von einer Kugel in’s Hirn getroffen bleibt zurück. In furchtbarem Todesringen wühlt der mächtige Körper tief in dem schwarzen Schlamme; der gräuliche Rachen öffnet und schließt sich krachend; ein dumpfes Todesröcheln, ein letztes Zucken, dann liegt es verendet da, einem gestürzten Eichstamme gleich. Wenn die Flußpferdfamilie ungestört bleibt, so verweilt sie bis nahe vier Uhr Nachmittags auf der Bank, nur daß eins oder das andere einmal zum Bade geht, um die durch Trockenheit der Luft oder Sonne eingeschrumpfte „Dickhaut“ wieder etwas aufzuweichen, kehrt aber dann meist bald wieder zum weichen Schlammbette zurück. Gegen Vier nun betreten sie wieder allesammt ihren nassen Lebenspfad und wiederholen dieselben Wasserspiele wie Morgens, deren Schilderung ich oben bereits versucht habe.

Wenn die Tropensonne ihren „feurigen Ritt“ vollendet, sei es, um magischem Mondlichte oder schnell eintretender Finsterniß zu weichen, dann tritt, nachdem kaum das leise Abendzwitschern der Vögel verklungen, ein Nachtleben in seine Rechte, welches in seiner mächtigen Entfaltung zeugt von der nie ermüdenden Naturkraft in äquinoctialen Gebieten: der Aeolsharfenklang tanzender Moskitos, das Schnurren großer Grillen, das scharfe Zirpen geisterhaft segelnder Flederthiere aus der Nähe, das Kläffen der Schakale, das schaurige Grabesgeheul der Hyäne von der entfernteren Steppe, das gierige Gähnen des Leoparden und, Alles übertönend, das Commandowort des Löwen, des Königs im Reiche der Tropennacht, wirkt überwältigend und lehrt den Menschen erkennen, welch ein Schwächling er ist. Jetzt erwacht auch das Flußpferd aus dem Hinbrüten, dem es bei Tage sich ergeben. Wie Dämonen entsteigen sie dem Wasser und dem grauen, schwülen Nebel, der darauf lagert. Posaunengleich dröhnt das Brüllen, mit dem der Alte zum Sammeln ruft, durch die Finsterniß; aus Ufergebüsch, aus dichtem Schilfhorste, begleitet vom Knacken brechender Rohre, schallt ihm die Antwort der Weibchen. Geräuschlos entfernt sich die Heerde, vom Wasser durch Sumpflachen, Urwald und Grasdickicht; voran schreitet der Alte mit dem breiten Maule und der gewaltigen Brust, den Weg durch den Dschungel für die ihm folgenden Seinen bahnend. Da aber, wo das Terrain freier, bewegt sich der Troß durcheinander, das Junge zur Seite der sorgsam umherblickenden Mutter. Wo mögen sie hinziehen, die Unholde?

Ein gar seltsamer Ton schlägt mir, der ich den nächtlichen Wanderern folge, an’s staunende Ohr; stammt er aus dem Kuhhorne eines heimathlichen Hirten, oder hat ein grauses Geschick einen deutschen Nachtwächter in diese unwirthlichen Gefilde geschleudert und ihn verdammt, aus geborstenem Horne sein Leid ewig den Sternen zu klagen? Diesem Getöne schreiten die Flußpferde zu; schon klingt es ganz aus der Nähe – da verstummt’s. Die Thiere drängen vorwärts; ich folge schleichend und erreiche bald den Rand einer Lichtung, wo ich mich verstecke. Vor mir liegt, vom eben aufgehenden Monde beleuchtet, das Reisfeld eines Negers; die heuschoberähnliche Hütte scheint verlassen; denn kein Gesang, kein Klang der Handtrommel läßt sich aus ihr vernehmen. Stille ringsumher. Was aber gewahre ich dort? Aus dem Wasserspiegel, der hier und da zwischen den noch jungen Reispflanzen hervorblickt, erhebt sich auf vier wohl zehn Fuß hohen schwankenden Stöcken ein flaches, kaum quadratmetergroßes nestähnliches Dach aus Astwerk und Stroh, auf dem, wie ein brütender Vogel, die schwarze Gestalt eines Negers kauert. Er war der Musikant, der das Horn seines Vaters und Vorvaters ergriffen, um durch dessen Schreckruf die Verwüster seiner Saaten fernzuhalten. Mögen nun auch die Väter und Vorväter der Thiere, die ich begleitete, diesen dem „Organe“ des Herrn der Schöpfung ähnlichen Tone gewichen sein, die jetzige Hippopotamus-Generation, da es nie gefährlich sich zeigte, hat die frühere Achtung vor ihm in Liebe verwandelt und folgt, wie das Vieh der Schalmei, freudig seinem Rufe; führt es sie doch zur saftigen Reisweide. Als wären es Sicheln, mähen die breiten Schneidezähne der Ungethüme die köstliche Saat, die gewaltige Zunge führt sie zum Schlunde und Magen; lange währt es, bis dieser gefüllt ist; was den Weg zu ihm nicht gefunden, haben die ungeschlachten Beine in den Schlamm geknetet.

Und der Musikant? War ihm schon beim ersten Gewahren der Unthiere das „Gebläs“ ausgegangen, so mußte ihn jetzt wohl, da dieselben sich dicht unter seinem klapperigen Gestell herumwälzten, kalter Graus erfassen. Wenn einer der Giganten mit der Schulter anstieße, aus Versehen oder Muthwillen, so würde der leichte Pfahlbau unzweifelhaft zusammengebrochen sein, und wahrscheinlich hätte er dann, wie seine Pflanzung eingeknetet im Morast, das Grab gefunden. Wenn nun die Flußpferde ihren Hunger gestillt – und dazu gebrauchen sie fast die ganze Nacht – so kehren sie, hier und dort auch wohl noch etwas junges Gras[3] abweidend, zum Wasser zurück.

  1. Anknüpfend an seinen Artikel „Die Jagd auf Flußpferde“ (Gartenlaube 1874, Nr. 43) und denselben gewissermaßen ergänzend, giebt der berühmte Afrika-Reisende in dem obigen instructiven Beitrage eine überaus interessante Schilderung des afrikanischen Flußlebens. Bekanntlich hat unser vielgewanderter Mitarbeiter seine Forscherreisen kürzlich wieder aufgenommen und ist, wie wir dem Berichte des Prof. H. Vogel, eines Mitgliedes der Venus-Expedition, entnehmen, jüngst in Aden gesehen worden, von wo er sich wiederum in das Land der wilden Somali zu begeben gedenkt.
    Die Redaction.
  2. Die längste Zeit, die ein Hippopotamus unter dem Wasser ausharren kann, übersteigt nach meinen Beobachtungen nicht vier Minuten, und selbst dieser Zeitraum wird nur in der höchsten Angst ausgehalten.
  3. Laub scheinen die Hippopotamen nicht zu fressen, wenigstens fand ich keine Ueberreste davon in den untersuchten Mägen mehrerer derselben.
    D. V.