Palermitanisches Studentenleben

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Autor: unbekannt
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Titel: Palermitanisches Studentenleben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 464
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[463] Palermitanisches Studentenleben. Zu dem bourbonischen System gehörte, wie man weiß, eine gänzliche Vernachlässigung des Unterrichts, verbunden mit der strengsten Beaufsichtigung aller derer, welche sich den Künsten und Wissenschaften widmeten. Wie sich das Leben der sicilianischen Studenten dadurch gestaltete, wollen wir, gestützt auf lauter Angaben aus amtlichen Regierungsschriften, Erlassen, Ordonnanzen etc., an dem Beispiel der Hochschule von Palermo zeigen. Der angehende Jurist oder Mediciner hatte im Jesuitencollegium der Stadt eine Vorbildung erhalten, die hinsichtlich der Fürsorge für sein Seelenheil nichts zu wünschen übrig ließ. Auf der Hochschule aufgenommen, genoß er einer verdoppelten geistlichen Berücksichtigung. Man gab ihm einen besonderen „Seelenmeister“ (Maestro di spirito) und stellte ihn unter die Aufsicht eines Präfecten, der in seiner Thätigkeit von dem Rector der Hochschule und von sämmtlichen Professoren unterstützt wurde. Die Vorträge der Professoren nachzuschreiben, war dem Studenten verboten, aber dafür mußte er an jedem Sonnabend vor einem Professor aufsagen, was er die Woche über gelernt hatte. An jedem Sonntag hatte er im Oratorium zu erscheinen, um die Messe zu hören und sich katechisiren zu lassen. Beim Herausgehen aus der Kirche erhielt er einen Schein über seine Anwesenheit ausgestellt, den sorgfältig zu bewahren sein Interesse war, denn man ließ ihn später zu keiner Prüfung, zu keinem Amt zu, wenn er nicht schwarz auf weiß beweisen konnte, daß er ein steter Besucher des Oratoriums gewesen sei. Der Rector, immer ein Theatinermönch, hatte das Recht, jeden Studenten auf die bloße Anklage eines Lehrers hin von der Hochschule auszuschließen. Der Fortgewiesene hatte dagegen kein Rechtsmittel, da die Deputation der Hochschule (der Großkanzler, der Rector und vier Professoren), der der Fall allerdings vorzutragen war, blos zu untersuchen hatte, ob die Ausschließung fortdauern oder eine härtere Strafe eintreten solle.

Von den ersten Tagen des Juni bis zum 5. November waren Ferien. In der Zeit der Vorlesungen gab es viele Feiertage, in der Regel mit Processionen verbunden, bei denen die Hochschule mit allen ihren Studenten paradirte. Die wichtigste Periode des Jahres war die Fastenzeit. In dieser hatte der Student unter der Aufsicht eines Geistlichen eine Woche lang [464] die ascetischen Uebungen des heiligen Ignatius durchzumachen. Die Regierung sah es sehr gern, wenn die jungen Leute dazu das Kloster Sexta Casa wählten, wo besondere Zimmer eingerichtet waren. In allen Fällen mußten die Uebungen bei möglichst verdunkelten Fenstern gemacht werden. Es war Vorschrift, daß der Student allein war und nach einer genau vorgeschriebenen Reihenfolge bald saß, bald stand, bald sich auf den Rücken legte und Hände und Füße vor sich streckte. Er sollte sich der Beschaulichkeit überlassen und sich in seiner Phantasie die sämmtlichen christlichen Vorstellungen lebendig ausmalen, heute die Hölle, morgen die ewige Seligkeit, ein Mal die unbefleckte Empfängniß, ein anderes Mal den blutigen Schweiß des Erlösers. Wer sich dem Allen mit frommem Gefühl unterwarf, wurde für eine gute Anstellung vorgemerkt; wer sich lässig oder gar ungehorsam zeigte, wurde verdächtig, d. h. der Willkür des Polizeidirectors Maniscalco und seiner mehr als tausend öffentlichen und geheimen Sbirren preisgegeben. Für solche Verdächtige besaß das Gefängniß des Vicariats unterirdische Räume, in denen mancher Unschuldige bei Brod und Bohnensuppe Jahre lang saß. So war das Leben beschaffen, von dem Garibaldi mit seinen Alpenjägern die sicilianischen Studenten erlöst hat.