Passaic-Falls bei Patterson. (New-Jersey, Verein. Staaten von Nordamerika.)
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Die Landschaftsbilder Amerika’s unterscheiden sich von den europäischen durch charakteristische, fest ausgeprägte Züge. Diesen verleiht die alte Civilisation ihre eigenthümlichen Reize, die Geschichte ein besonderes Interesse; die alten Ritterburgen, deren Gemäuer Epheu und wilder Wein umkleiden; die hochstrebenden Giebel verlassener Klöster, welche von den sonnigen Gehängen in die Stromthäler herabschauen; die weißen Wallfahrtskapellchen auf den Höhen, die Städte mit ihren grauen Thürmen, Rathhäusern und ehrwürdigen Kirchen, deren Hallen sich über den Gräbern berühmter Menschen wölben, und so viele andere Oertlichkeiten, zu denen sich die Erinnerungen an wichtige Begebenheiten und interessante Persönlichkeiten gesellten, oder an die sich, der Sage nach, wunderbare Erzählungen knüpfen, staffiren eine Reise auf dem Rhein oder der Donau, in die Thüringer Wälder oder in die Gebirge Tyrols, in einer Weise, welche den Geist beständig beschäftigt.
In Amerika hingegen, namentlich in Nordamerika, haben Geschichte und Romantik keinen Theil an der Staffage der Landschaftsbilder. Der rothhäutige Urbewohner des Landes hat keine Geschichte, seine Sagen sind verschollen und seiner Hände leichte Werke sind noch früher verschwunden, als die Spuren seiner Tritte in den Wäldern. Die europäische Kolonisation aber reicht kaum auf einzelnen Punkten der Ostküste in die vierte oder fünfte Generation hinan – in die Zeit also, von der unsere Urgroßväter als von ihrer Zeit zu erzählen wußten. Die Natur allein in ihrer ursprünglichen Schönheit und Größe ist es, die das Auge fesselt und den Dichter zum Liede begeistert: die wilde Schlucht, der felsige Gebirgspaß, der schauerliche Abgrund, der tobende Wassersturz, die unabsehliche Savannah, das Grasmeer der Prairie, die Majestät der Ströme, die Unermeßlichkeit und [171] Stille des Urwalds. Gegen den Missouri oder Mississippi sind unsere größten Ströme nur Bäche, neben den kanadischen Seeen schrumpfen Genfer- und Bodensee zu Teichen zusammen; neben dem Urwald werden unsere Wälder Büsche. – An Wasserfällen ist kein Land der Erde so reich, als das Unionsgebiet; da jedoch die Kolonisation fast nirgends zu den Thalspitzen der Ströme vorgedrungen ist, so sind verhältnismäßig erst wenige bekannt und besucht. Als die berühmtesten Fälle gelten neben dem Niagara die des Trenton und Passaic.
Letzterer, der Gegenstand unsers lieblichen Bildes, ist das Prachtstück einer wilden Felsgegend in der Nähe der Fabrikstadt Patterson im Staate New-Jersey. Noch vor 35 Jahren war diese Landschaft eine menschenleere Einöde; der Bär hauste in den Höhlen und die Adler horsteten auf den Klippen, an deren Seite der Strom sich in die Tiefe stürzt. Jetzt führen geebnete Pfade in die ehemalige Wildniß, im Sommer hat die Spekulation Restaurationen in den Felsgrotten eingerichtet und vor einigen Jahren hat man sogar über die Zinne der Felswand eine Straße geführt und die Schlucht, durch die sich der Passate hinabwälzt, mit einer bedeckten Brücke überbaut. Bär und Adler sind geflohen, statt dem nächtlichen Geheul wilder Thiere hört man den Gesang fröhlicher Menschen, und in den Akkorden der donnernden Wasserwogen verhallen die Töne konzertirender Musikbanden. Wie überall in Amerika hat die Civilisation auch hier der Natur nur genommen; den Fällen selbst hat sie mehr als die Hälfte ihrer früheren Wassermenge entzogen; denn durch viele Kanäle und Leitungen oberhalb des Sturzes machte sie den Strom dienstbar, und zwang ihn, die vielen Mühl- und Fabrikwerke umzutreiben, durch welche die Gegend seit einigen Jahrzehnten zu einer der volk- und gewerbreichsten geworden ist.
Die Romantik hat auch einen Anlauf genommen, – freilich in fast kindischer Weise. Sam Patsch ist der Held der Geschichte, der letzte Trapper, welcher in einer Felshöhle am Passaic lange Jahre seine Wohnung hatte. Als es keine Bären und Wölfe mehr zu jagen gab, legte er sich auf das Schießen von größeren Fischen, welchen er am Falle aufpaßte, wenn sie, von der Wucht der Fluthen erfaßt, hinabgestürzt wurden. Er war ein vortrefflicher Schwimmer und Taucher und er holte die Fische mit Behendigkeit aus dem tiefen Schlunde herauf, den sich der stürzende Strom am Fuße der Felswand ausgehöhlt hatte. Dennoch erging es ihm elend; die kümmerliche Fristung des Lebens ward ihm oft schwer genug. Da kam ihm einmal der Gedanke bei: – Ein glücklicher Sprung mit dem Strome in den Abgrund, und dies vor einigen tausend Zuschauern, – das könnte deine letzten Jahre erträglicher machen. – Der 4. Juli, der festliche Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung, war nahe, und den andern Tag schon verkündeten Plakate an allen Straßenecken Pattersons das Vorhaben Sams. Tausende kamen, und Jeder zahlte willig seinen halben Schilling. Sam Patsch erschien zur festgesetzten Minute, das Sternenbanner schwingend, auf der Zinne des höchsten Felsens, die Böller donnerten und beim letzten Schusse sprang er in die Fluth und verschwand im Abgrund. „Todt!“ – „Zerschmettert!“ – „Er kommt nicht wieder!“ riefen die Tausende: – da [172] kräuselte es aus der Tiefe empor, und die Stange des Banners hoch emporhaltend, tauchte Sam unter dem unbeschreiblichen Jubel des Volkes auf und schwamm wohlbehalten an’s Ufer. Eine neue reichliche Sammlung lohnte das Wagniß: aber – der immer Durstige wußte nicht Haus zu halten, und ehe ein Jahr verging, war er so arm als zuvor. Er wagte den Sprung noch ein, zwei, drei Mal, bis sich das Interesse dafür verlor. Nun ging er nach Rochester, um am noch höhern und gewaltigern Trentonfall das Nämliche zu versuchen. Im Angesicht von 8000 Zuschauern stürzte er sich hinab, glücklich trugen ihn die Wogen über die ersten Felsstufen; aber nach dem letzten Sturze, 100 Fuß tief, verschwand er in der Fluth und ward nicht wieder gesehen.