Pfingsten (Lavant)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Pfingsten
Untertitel:
aus: Der Wahre Jacob
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: J. H. W. Dietz
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Der Wahre Jacob, Nr. 53, Seite 417
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[417]

Pfingsten.

Wenn Pfingsten naht, die Zeit der Lerchenlieder,
Maiglöckchenduftig, sonnig, still und mild,
Tritt vor die Seele wieder mir und wieder
Aus ferner Knabenzeit ein traulich Bild.

5
In einen Winkel hab‘ ich mich verkrochen,

Um stillvergnügt, von keinem Blick gesehn
Und mit verhaltnem, raschem Herzenspochen:
Die Bilderbibel wieder durchzugehn.

Das Land, wo Milch und Honig einst geflossen,

10
Der Wüste weites, todtes, stummes Reich ―

Wie standen sie, wenn fiebernd ich erschlossen
Die Spangenbibel, vor dem Blick zugleich!
Das eine ward mit frischer Lust betrachtet,
Rasch umgewendet ward das andre Blatt,

15
Am Höchsten aber hab‘ ich eins geachtet

Und an dem einen sah ich nie mich satt.

Da standen sie, beseligt und erschrocken
Die treuen Jünger, bärtig von Gesicht;
Auf ihren Scheitel fiel in Feuerflocken

20
Des heil’gen Geistes unvergänglich Licht,

Und von der neuen Himmelskraft durchdrungen,
Beschlossen sie, in alle Welt zu ziehn,
Denn plötzlich war den ungelenken Zungen
Die hohe Gabe freien Wort’s verliehn.

25
Es freute mich, die Schlichten anzuschauen,

Die überall gepredigt und gelehrt,
Die sich in starkem, rührendem Vertrauen
An Noth und Tod und Elend nicht gekehrt;
Es freute mich, daß diese Handvoll Leute,

30
Die eine arme Fischersfrau gewiegt,

Verfehmt, gehetzt und der Verachtung Beute,
Der kalten Römer stolzes Reich besiegt.

Es war von dem, was heute mich begeistert
An dem Gedanken, wohl ein Ahnen kaum ―

35
Ein Reich, das eine Welt umfaßt, gemeistert

Von eines Denkers, eines Sehers Traum!
Und doch, im Kern hatt‘ ich’s herausgefunden
Vor jenem Bild, das mir im Schooße lag,
Und still heimlich wirkten diese Stunden

40
In meiner Seele fort bis diesen Tag.


Nun weiß ich lange, daß wie Feuerflocken
Sich ein Erkennen heilig, still und groß
Herniedersenkt auf braune, greise Locken
An jedem Tage, nicht zu Pfingsten blos;

45
Nun weiß ich längst, daß offen einem Jeden

Der Weg, der stets der Weg des Sieges bleibt,
Und daß in Zungen er beginnt zu reden,
Wenn ihn der Geist, der allgewalt’ge, treibt.

Und doch, wenn Pfingsten naht mit linden Lüften,

50
In denen wohlig sich ein Falter wiegt,

Wenn jungen, zarten Birkenlaubes Düften
In Haus und Flur wie mildes Trösten liegt,
Muß ich des alten Bibelbuchs gedenken,
Das immer wieder mir in’s Auge stach,

55
Und mich im Geist in jenes Bild versenken,

Das stark und ernst zur Knabenseele sprach.
                                                                      Rudolf Lavant.