Pomologische Monatshefte:1. Band:2. Heft:Die Hebung des Obstbaus und die Vermehrung der Obstsorten

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Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 2, Seite 49–53,
unter: Pomologie
Eduard Lange
siehe auch: Erwiderung im 4. Heft
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Beiträge zur Kultur des Himbeerstrauchs
[49]
Die Hebung des Obstbau’s und die Vermehrung der Obstsorten.
Von Herrn Professor Ed. Lange in Altenburg.

Superintendent Oberdieck, einer der tüchtigsten Pomologen Deutschlands, sagt in seiner „Anleitung zur Kenntniß und Anpflanzung des besten Obstes“ S. 61.: „In der übergroßen Zahl der Obstfrüchte liegt vorerst das größte Hinderniß eines weitern Fortschritts der Pomologie“ – und dieser Ansicht haben bei der Naumburger Obst- und Gemüse-Ausstellung im Oktober 1853 mehrere der anwesenden Pomologen beigestimmt, so wie sie auch späterhin der für die weitere Pflege der in Naumburg aufgestellten pomologischen Zwecke ernannte Ausschuß des Vereins zur Beförderung des Gartenbaus in den Königl. Preußischen Staaten zu der seinigen gemacht hat, indem er sich in [50] seinem gedruckten Aufrufe an alle Pomologen und Obstbaumzüchter Deutschlands unter d. 18. Mai 1854 folgendermaßen ausspricht: „Vor Allem ist es die übergroße Zahl der Obstsorten, mit der wir zu kämpfen haben. Sie ist entstanden einmal aus der Vorliebe für das Neue, welche die deutschen Obstbaumzüchter verleitet hat, Alles was aus der Fremde kam, vorzugsweise in ihre Sammlungen aufzunehmen, zu vermehren und zu verbreiten; sie ist ferner entstanden aus der grenzenlosen Vermehrung der Sorten durch Kernsaaten.“

So scheinen sich also die gewichtigsten Stimmen unserer deutschen Pomologen nicht für weitere Vermehrung, sondern vielmehr für geflissentliche Verminderung der vorhandenen Obstsorten auszusprechen. Mir dagegen scheint es weder möglich, noch auch für das Fortschreiten unseres Obstbaues räthlich, die weitere Vermehrung unserer Obstsorten zu verhindern.

Fragen wir nämlich zuerst, wie die gegenwärtigen Obstzüchter und Pomologen zum Besitz und zur Kenntniß derjenigen vorzüglichen Obstsorten gekommen sind, welche sie vor Allen erhalten und vermehrt zu sehen wünschen, so sind uns die meisten derselben aus der Fremde und zwar aus Frankreich, aus den Niederlanden, aus England und Italien zugeführt worden, nachdem sie dort (wer weiß, durch welchen Zufall?) gewonnen und wegen ihrer Vorzüglichkeit vermehrt worden waren. Andere sind erst in der neueren Zeit durch geflissentliche Kernaussaaten, namentlich durch Von Mons und seine Freunde, erzogen und dann nach allen Seiten hin verbreitet worden.

Hätten nun unsere Vorfahren die fremden Sorten nicht eingeführt, und hätten die neueren Pomologen nicht durch Kernaussaaten die vielen neuen Sorten hinzugefügt, auf welcher Stufe würde dann wohl jetzt unsere praktische Obstbaumzucht und mit ihr unsere ganze Pomologie stehen? Man würde, überall auf das Oertliche und Provinzielle beschränkt, an die Möglichkeit Dessen, was jetzt durch das Zusammenwirken der Pomologen aller civilisirten Völker zu Stande gebracht ist, kaum glauben. Wir Deutschen würden weder die Beurré blanc und Beurré gris noch Diel’s und Napoleon’s Butterbirne, noch die vorzüglichsten Calvillen und Reinetten, noch die Reine Claude oder die Laekenkirsche besitzen. noch würde das Ausland unsere Borsdorfer, unsere Rettig- und Petersbirne, unsere Gaishirtel und Hoyerswerder Grüne kennen gelernt haben. Statt die aus Samen neu erzogenen Obstsorten mit diesen vorzüglichen, allgemein anerkannten Obstsorten zu vergleichen, würde man überall nur einen sehr beschränkten, provinziellen Maßstab anlegen können und somit hier Dieses, dort Jenes noch ganz geflissentlich zu erhalten suchen, was die uns entgegenstehenden Autoritäten jetzt, da wir längst weit Besseres besitzen, ebenso entschieden wie wir von diesem Besseren verdrängt und in den Hintergrund geschoben zu sehen wünschen.

Doch hierüber können diese pomologischen Stimmführer kaum anderer Meinung seyn, weil wer den Zweck will, auch die Mittel wollen muß, die dazu führen. Auch ist die Verbreitung dieser allgemein anerkannten Obstsorten bereits erfolgt; sie sind auch bei uns längst eingebürgert, und von ihrer Aufnahme oder Zurückweisung kann jetzt gar nicht mehr die Rede seyn. Vielmehr scheint man nur die unruhvolle Hast Derer beschränken und bekämpfen zu wollen, die ohne genügende Kenntniß und gerechte Würdigung des bereits Vorhandenen nur immer nach Neuem oder vielmehr nach dem Neuesten haschen, und sollte es auch nur ein neuer und noch dazu falscher Name seyn. [51] Und wer wollte dieses Treiben vertheidigen? Das ist nicht die Art der Pomologen, sondern der bloßen Speculanten, die ihre Wechslerbuden überall aufschlagen, wo sich Leben und Verkehr zeigt. Ihr Daseyn ist daher zugleich ein indirekter Beweis, daß der Eifer für den Obstbau noch nicht erstorben ist, und daß manche neue Anpflanzung besser und glücklicher ausfallen würde, wenn ihre Unternehmer besser unterrichtet und berathen wären. Statt aber gegen diese Parasiten, die den Aufschwung unseres Obstbaues so sicher begleiten werden, wie Wespen und Hornissen, mit den Waffen der Wissenschaft, welche sie und die von ihnen Getäuschten wenig berühren, vergeblich zu kämpfen, dürfte es weit räthlicher seyn, in der Praxis auf der Bahn weiter fortzugehen, welche der Preußische Gartenbauverein durch die allgemeine deutsche Obst- und Gemüseausstellung in Naumburg betreten hat, in der theoretischen Pomologie aber da weiter fortzubauen, wo Superintendent Oberdieck in seiner bereits genannten Anleitung schon so Erfreuliches geleistet hat, wenn es auch nicht räthlich seyn dürfte, bei Zusammenstellung der Synonymen nach v. Biedenfeld’s Vorgange alle nur irgendwo einmal aufgetauchten Namen zu berücksichtigen, weil es sonst bei der Unkunde vieler Obstzüchter mit der Zeit selbst dahin kommen könnte, daß jede etwas weit verbreitete Obstsorte unter hundert verschiedenen Namen aufgeführt würde.

Aber – so höre ich mir einwerfen – wie soll die zusammenstellende Pomologie nun endlich einen Abschluß gewinnen, wenn alle Jahre eine Menge neuer Obstsorten auftauchen, so daß selbst die vollständigste Pomologie schon nach wenigen Jahren wieder lückenhaft und ungenügend wird? Ich frage dagegen: Welche andere Wissenschaft ist denn bei uns für immer abgeschlossen und fertig? Müßte man nicht aus demselben Grunde gegen den Fortgang der Weltgeschichte, der Literatur, der Astronomie, der Chemie und überhaupt aller Naturwissenschaften sich erklären, was doch gewiß kein Mann der Wissenschaft jemals thun wird? Wie viel neue Stoffe und Verbindungen fördert nicht die organische Chemie alljährlich an’s Tageslicht? und wie sehr hat nicht neuerdings die Zahl der entdeckten kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter zugenommen, ohne daß die strebsamen Chemiker oder Astronomen jemals einen endlichen Abschluß begehrt hätten? So muß es auch in der Pomologie und überhaupt in jeder Wissenschaft seyn, die noch inneres Leben und Fortbildungsfähigkeit besitzt.

Deßhalb soll man aber nicht sogleich jede neue aus der Fremde oder durch Kernaussaat gewonnene Obstsorte in die pomologischen Handbücher aufnehmen und beschreiben, sondern die Pomologen sollen sie nur nicht ohne Weiteres zurückweisen, nicht völlig unbeachtet lassen. Denn jeder Obstkern liefert ein neues Obstbaumindividuum, oder wie wir gewöhnlich sagen, eine neue Obstsorte, so daß selbst die Kerne eines und desselben Apfels, wie ich mich durch mehrere Versuche überzeugt habe, von einander verschiedene Apfelsorten liefern. So wenig nun der Nekrolog der Deutschen alljährlich die Lebensbeschreibungen der Million Deutscher liefert, welche in einem Jahre sterben, und so wenig die Weltgeschichte die Namen, Thaten und Schicksale aller Menschen enthält, die bisher gelebt haben, ebensowenig kann und soll die beschreibende Pomologie alle neu gewonnenen Obstbaumindividuen aufführen und beschreiben. Vielmehr muß der pomologische Schriftsteller ebensogut das Hervorragende und Ausgezeichnete vom Gewöhnlichen und Alltäglichen zu unterscheiden wissen, wie der Biograph und der Geschichtsschreiber. [52] Durch diese Beschränkung und Auswahl, die Oberdieck in seiner mehrmals erwähnten Anleitung nicht weniger als Lucas in seinen Kernobstsorten Württembergs, wenn auch von verschiedenen Gesichtspunkten aus geübt haben, gewinnt das Bedeutende erst das rechte Licht, und ohne sie würde die ganze beschreibende Pomologie zu einem unentwirrbaren Chaos werden. Die erste Arbeit der Pomologen würde demnach die seyn, diese, sobald sie wenigstens die Hoffnung erwecken, daß sie in irgend einer Beziehung z. B. durch die Feinheit ihres Geschmacks, oder durch ihre Tragbarkeit und Haltbarkeit, oder durch ihre Brauchbarkeit für die Hauswirthschaft, oder durch die Gesundheit, Dauer und Kräftigkeit ihres Stammes, die bereits vorhandenen Obstsorten übertreffen, auf ihre Sorten- oder Probebäume aufzunehmen und selbständig zu prüfen, um sie dann, wenn sie sich in irgend einer Beziehung als ein Gewinn für den praktischen Obstbau bewähren, zu beschreiben und zu verbreiten. Dadurch werden ihre Kenntnisse und Forschungen erst wahrhaft gemeinnützig werden.

Wollte dagegen der einzelne Privatmann bei Anlage einer Obstpflanzung statt der bereits in seiner Gegend vorzugeweise bewährten Obstsorten gleich hauptsächlich nur solche anpflanzen, welche die Verzeichnisse speculirender Baumschulbesitzer als die „neuesten und vorzüglichsten“ aufführen, so würde man dieses Verfahren mindestens als sehr unpraktisch und unvorsichtig bezeichnen müssen. Denn sollte er auch das Glück haben, auf diesem Wege unter anderen auch einige wenige vorzügliche Obstsorten zu erhalten, so wird er sich doch schwerlich als Nichtpomolog durch diese wenigen werthvollen Neuheiten für das viele Unbrauchbare entschädigt finden, welches die weit überwiegende Masse des Empfangenen bilden wird. Im günstigsten Falle wird er mit viel persönlichem Verlust und Verdruß den Obstbau seiner Umgegend mit einigen Neuheiten beschenkt haben, die demselben auch ohne ihn in wenigen Jahren zugegangen seyn würden.

Warum sollte nicht auch beim Obstbaue gelten, was wir durch unser ganzes Leben bestätigt finden? Alle können und sollen, zumal bei einer hoch gesteigerten Lebensentwicklung, nicht Alles zugleich sein und treiben wollen. So wenig als jeder Einzelne sein eigener Arzt, seyn eigener Sachwalter, sein eigener Kaufmann, Künstler oder Handwerker ist, sondern sich überall des Beiraths und der Hilfe bewährter Sachverständiger bedient, so muß er auch bei Anpflanzung von Obstbäumen die Unterstützung und den Beirath Sachkundiger nicht verschmähen. Und wie nicht jeder Landwirth alljährlich die verschiedenen neuen Getreide-, Kartoffel-, Oelsaat- und Rübensorten mit theuren Kosten kommen läßt und prüft, sondern das Urtheil der hiezu zunächst berufenen Versuchswirthschaften, landwirthschaftlichen Anstalten und Vereine abwartet, so mögen auch die Obstbauer vor übereilter Aufnahme aller neu angepriesenen Obstsorten die Stimme der zur Prüfung derselben zunächst berufenen Pomologen und Vereine hören und überzeugt seyn, daß sie in den auf diesem Wege bereits gewonnenen Obstsorten einen Schatz zur Auswahl besitzen, welcher den Vergleich mit den meisten neuen Obstsorten in keiner Beziehung zu fürchten hat.

Fasse ich nun die Hauptpunkte meiner Erörterung nochmals zusammen, so dürften es folgende seyn:

1) Die wissenschaftlichen Pomologen und die Gartenbauvereine haben nach der Regel: Prüfet Alles und das Gute behaltet! auch in Zukunft die irgendwo neu gewonnenen und empfohlenen Obstsorten zu beachten und zu prüfen und diejenigen, welche in [53] irgend einer Beziehung die bereits vorhandenen Obstsorten übertreffen, durch Wort und Schrift und durch öfters zu wiederholende Obstausstellungen weiter zu empfehlen und zu verbreiten.

2) Dem einzelnen Privatmanne dagegen ist durchaus nicht zu rathen, sich bei seinen Anpflanzungen auf die Empfehlungen speculirender Privatpersonen hin sogenannte neue, noch nicht geprüfte und bewährte Obstsorten kommen zu lassen, weil – selbst abgesehen von den höheren Kosten – nur wenige derselben so gut und brauchbar seyn werden, wie die bereits für seine Gegend bewährten und in jeder guten Baumschule in gehöriger Auswahl vorhandenen guten Obstsorten.