Pomologische Monatshefte:1. Band:5. Heft:Ueber eine neuere von den Pariser Obstzüchtern aufgestellte Hauptregel des Baumschnitts

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Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 5, Seite 184–189
Eduard Lucas
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Nähere Angaben über Anfertigung der Namenhölzer für Probebäume
[184]
Ueber eine neuere von den Pariser Obstzüchtern aufgestellte Hauptregel des Baumschnitts.
Vom Garteninspektor Ed. Lucas in Hohenheim.

In Dubreuil’s theoretisch-praktischer Anleitung zur Baumzucht, deutsch bearbeitet von Dr. A. Dittrich, finden sich hier und da gar seltsame Widersprüche; man vergleiche nur die beiden folgenden Sätze, die ich wörtlich mittheile und welche bei Vergleichung mit der französischen Original-Ausgabe[WS 1] [185] durchaus richtig wieder gegeben sind. Im Abschnitt 5, allgemeine Grundregeln des Beschneidens heißt es pag. 435:

„1) Man schneidet die Zweige des stärkeren Theiles sehr kurz und die des schwächern Theiles sehr lang. Wir haben gesehen, daß der Saft von den Blättern angezogen wird. Wenn man nun an den kräftigeren Stellen den größten Theil der Holzknospen wegschneidet, so raubt man diesen Theilen die Blätter, welche die Knospen entwickelt haben würden; der Saft gelangt nun in geringerer Menge dahin, und die Vegetationsthätigkeit vermindert sich. Der schwache Theil des Baumes, welcher dagegen eine große Anzahl Knospen behält, wird mit einer größern Menge Blätter bedeckt, welche eine vermehrte Thätigkeit der Vegetation erzeugen. Dieses Mittel kann für alle Bäume angewendet werden, welche Form man ihnen auch geben möge.“

Ferner §. 2. auf S. 438. ist gesagt:

„Der Saft entwickelt auf einem kurzgeschnittenen Zweige einen kräftigeren Trieb, als auf einem langgeschnittenen.

„Das hier Gesagte erklärt sich sehr leicht. Wenn der Saft auf eine oder zwei Knospen wirkt, so ist es natürlich, daß er sie mit einer weit größeren Kraft zur Entwicklung bringt, als wenn seine Thätigkeit unter 15–20 getheilt wird. Aus diesem zweiten Grundsatz geht hervor, daß wenn man Holzzweige erhalten will, man sehr kurz schneiden muß, weil die kräftigen Zweige nur sehr wenig Blüthenknospen entwickeln, und daß dagegen, wenn man Fruchtzweige zu erziehen beabsichtigt, man lang schneiden muß, weil die schwächeren Zweige eine größere Anzahl Blüthenknospen tragen. Eine andere Folgerung aus diesem Grundsatz ist die, daß wenn ein Baum durch eine zu starke Produktion an Früchten erschöpft ist, man seine Kraft dadurch wieder herstellt, daß man ihn ein oder zwei Jahre kurz schneidet.“

Beide Sätze stehen in offenbarem Widerspruche und es wäre gewiß gerechtfertigt gewesen, wenn der Herr Bearbeiter eine erläuternde Bemerkung hiezu gegeben hätte. Beide sind als Regeln richtig, allein die im ersten Satz ausgesprochene Theorie ist, wie wir bald sehen werden, eine unrichtige. Zunächst muß ich noch einer andern Autorität gedenken, welcher den ersten Satz ebenfalls als Grundregel aufstellt.

Victor Pacquet, sonst ein einsichtsvoller Cultivateur, geht sogar in der falschen Auffassung der Theorie der Ernährung durch die Blätter so weit, anzuempfehlen, beim Verpflanzen der Bäume dieselben gar nicht zu beschneiden, indem es augenscheinlich klar sey, daß mit dem Beschneiden der Zweige auch eine große Anzahl Knospen mit verloren gehen, mit diesen aber auch die in ihnen schlummernden Blätter. Derselbe sagt im l’Instructeur Jardinier unglaublichererweise:

„Einen Baum bei seiner Verpflanzung beschneiden, ist so viel als einen großen Fehler begehen. Man beschneide ihn erst im folgenden Jahre, wie es alle physiologischen Gesetze der Pflanzennatur gebieten und consequent verfolgte Versuche gut heißen.“

Als ich diesen Aufsatz vor mehreren Jahren las, hielt ich es für meine Pflicht, indem ich mich auf gegentheilige Erfahrungen in sehr umfangreichem Grade stützen konnte, in der Thüringer Gartenzeitung gegen solche Behauptungen aufzutreten und vorzüglich um jüngere Freunde des Obstbaues [186] vor Versuchen, deren Mißlingen vorauszusehen war, zu bewahren, suchte ich diese wichtige Frage zu beleuchten. Aus jenem Aufsatz mögen einige Sätze hier Platz finden. Ich sagte damals über Pacquet’s Abhandlung:

Der in Rede stehende Aufsatz enthält viel Interessantes und Wahres, aber die Anwendung der gegebenen Theorien in der Praxis ist nicht richtig. Wir finden dies leider gar häufig und um so eher, je tiefer die Wissenschaft in das innere Leben der Natur eindringt und je weniger die Praktiker eine allgemein richtige Auffassung dieser Lehren zu erstreben suchen. Einseitige Ansichten schaden in der Praxis meistens immer, da hier alle Haupt- und Nebenumstände beachtet werden müssen, wenn die Theorie ein richtiger Wegweiser werden soll.

Wie wichtig die Blattorgane für das Leben der ganzen Pflanze sind, wird jeder, der sich je mit Pflanzenkultur abgab, wissen; er weiß aber auch, daß die Pflanzen gewöhnlich nur einen Theil derselben entwickeln, daß viele in dem Knospenkeime schlafend bleiben und erst unter besondern Einflüssen in’s Leben gerufen werden. Fast jeder Zweig unserer Obstbäume ist hiefür Beleg. Eine alte Regel, die der praktische Gärtner wahrlich nicht erst von der Wissenschaft lernte, ist aber, daß Blätter und Wurzeln, oder oberirdische und unterirdische Organe in genauer Beziehung zu einander stehen, und daß ein gewisses Gleichgewicht zwischen ihnen obwalte, was die Kultur zu erhalten bemüht seyn muß. Dies Gleichgewicht ist aufgehoben, wenn (wie beim Verpflanzen es ja unvermeidlich ist) ein Theil der einsaugenden unterirdischen Organe, der Wurzeln, beschädigt und dadurch momentan unthätig gemacht wird.

Die gewöhnliche Praxis ist nun aber, wenn dies möglich ist, die oberirdischen Theile vor den Nachtheilen des gestörten Gleichgewichts, vor Erschöpfung, zu bewahren, indem wir frisch verpflanzte Gewächse theils in feuchte geschlossene Luft bringen, beschatten und dadurch sowohl vor zu rascher Verdunstung schützen, als auch durch ein Medium feuchter Luft, das wir um die Blätter erhalten, diesen eine reichere Nahrungsquelle zuführen. Wenn dies nicht möglich ist, wird das gestörte Gleichgewicht durch Wegnahme einer verhältnißmäßigen Menge von oberirdischen Organen, durch Beschneiden, wieder herzustellen gesucht. Der letztere Fall findet beim Verpflanzen junger Obstbäume Statt.

Es ist ein großer Irthum des Herrn Pacquet (wie auch in jenem ersten Satz Dubreuil’s), aus dem sich die falsche Schlußfolgerung vorzüglich herschreibt, daß er das Beschneiden der Zweige mit der Wegnahme von Blättern für gleichbedeutend hält. Pacquet sagt nämlich: „Die Blätter gehören zu den Haupthebeln alles Wachsthums. Dies beweist sich einfach dadurch, daß man einem zu üppig wachsenden Zweige nur einen Theil seiner Blätter nehmen darf, um seinen Trieb augenblicklich zu mäßigen und daß ein solcher Zweig, wenn man ihm alle Blätter nimmt, sich nicht mehr verlängert und verdickt. Fordert man noch einen andern Beweis von der Wirkung des Abstutzens der Zweige, welches gleich ist der Beseitigung der Blätter auf die Vegetation?“

Dies ist gar kein Beweis, indem zwischen dem Beschneiden im Safte, wohin das Wegnehmen von Blättern gehört, und dem Beschneiden im blattlosen Zustande ein ungeheurer Unterschied ist. Der Schnitt im Frühjahr verstärkt [187] den Trieb, der Sommerschnitt schwächt ihn und ist deshalb eines der besten Mittel zur Erlangung baldiger Fruchtbarkeit bei starkwüchsigen Pyramiden und Spalierbäumen.

Ferner bleibt aber noch zu erwähnen, daß, da der Gärtner bei allen seinen Verrichtungen und namentlich auch beim Baumschnitt zweierlei Rücksichten hat, nämlich Zweckmäßigkeit und Schönheit, auch dieser letztern Anforderung Rechnung getragen werden muß. Welcher Unterschied nun aber ist, zwischen einem auf richtige Weise beim Versetzen beschnittenen und einem Baum, wo dies unterlassen und erst nachgeholt wird, weiß jeder, der sich mit Baumpflanzungen beschäftigt. Es ist etwas ganz anderes, wenn ich den jungen Baum nöthige, gewisse Knospen zu entwickeln, als wenn ich es seiner Natur überlasse, welche derselben sich in Triebe ausbilden.

Durch Pacquet’s Methode werden, da die Kronenzweige an ihrer Basis kahl bleiben, welchen Uebelstand ein späteres Beschneiden nie ganz aufzuheben vermag, die jungen Baumkronen weder regelmäßig noch schön.

Ich wendete mich bezüglich dieser Frage an Professor Decaisne in Paris, dem bekannten Physiologen und einem der einsichtsvollsten Forsther in Fragen der Pflanzenkultur, und dieser war so gütig, mir auf eine höchst zuvorkommende Weise zu antworten. Aus seinem Brief theile ich die bezügliche Stelle hier mit: „Wir sind derselben Ansicht bezüglich der Behandlung der Obstbäume. Sie haben Recht, die von Dubreuil bezeichnete Methode zu tadeln. Es versteht sich, daß man stärkere Zweige lang schneidet und schwache kurz; die Gesetze der Physiologie geben genügend Aufschluß über diese Praxis. Obige Prinzipien sind die meinigen, zu denen ich mich seit vielen Jahren bekenne.“

Puvis würdigt diese Frage auch einer besonderen Aufmerksamkeit in seiner Schrift De la taille des arbres fruitiers[WS 2] und gibt in pag. 18., Verstärkung schwacher Aeste, zu dem Ganzen noch einen wichtigen Commentar, der die Anwendbarkeit beider sich so widersprechender Regeln in der Praxis nachweist, freilich aber nicht die richtige Anwendung jener falsch angewendeter Theorie nachzuweisen vermag. Es heißt in dem angeführten Abschnitt, der sehr interessant und lehrreich ist, wie folgt:

„Lelieux und Dalbret nehmen als wesentlichen Grundsatz ihrer Methode an, daß man, um einem Ast Kraft zu geben, man ihn lang schneiden muß, selbst ihn unbeschnitten lassen muß, während man im Gegentheil die sehr starken Aeste kurz schneiden muß[1], sie begründen ihre Meinung darüber, daß man die schwachen Aeste in ihrer ganzen Länge läßt, damit, daß sie ihnen dadurch eine große Menge Blätter hervorwachsen lassen, die für die Zweige die Mittel den aufsteigenden Saft anzuziehen und herabsteigenden Saft zu produciren sind, und somit eine größere Entwicklung verursachen; während, wenn man kräftige Aeste kurz schneidet, man ihnen einen Theil ihres Blätterapparats, welchen sie erzeugt hätten (!) wegschneidet und hiedurch ihre Kraft und Zunahme vermindert. Wir wollen diesen Grundsatz nicht im Allgemeinen bestreiten, wir führen indessen an, daß zwei unserer Brüder, die sich von der Richtigkeit dieses Satzes überzeugen wollten, beim Schnitt der Maulbeeren in einer [188] Pflanzung junger Bäume dieser Art, nach der gewöhnlichen Methode, zwei Reihen sehr kurz schnitten, fast bis zum Stamm derselben, und in zwei andern Reihen nur die Aeste wegschnitten, die Verwirrung machten. Aber die Stämme der vier Reihen von Maulbeeren einzeln mit Genauigkeit in gleicher Höhe und zu Ende des Sommers gemessen, waren fast gleich groß und dick, die einen wie die andern, und selbst wenn ein Theil einigen Vorsprung zeigte, so waren es mehr die kurzgeschnittenen, als die in ihrer ganzen Länge gelassenen. Wir müssen daraus schließen, daß die Erfahrung nicht bestätigte, daß der lange Schnitt die Kraft der Theile des Baumes oder der Aeste vermehre, und daß in Folge dessen um das doppelte Resultat zu erhalten, die schwachen zu verstärken und die starken Aeste zu schwächen, es nicht hinreichend sey, den schwachen Ast lang und den starken kurz zu schneiden; denn es ist noch erforderlich, (wie es übrigens jene Autoren auch empfehlen), die jungen Triebe an den kräftigen und kurzgeschnittenen Aesten stark abzuzwicken (pincer); ohne dies würde ihr üppiger Wuchs sich während des Sommers bald erneuern, selbst auf Kosten solcher Aeste, die man verstärken wollte, um so mehr, als sie durch ihren an sich kräftigern Trieb vor jenen entschieden im Vortheil sind.

Durch die erste Operation, den kurzen Schnitt der starken Aeste, hat man angefangen, den Saft, der sich natürlich den weggeschnittenen Trieben mitgetheilt hätte, auf die gelassenen Längen zurückzudrängen; aber im Lauf des Sommers würde dieser Saft, geführt durch die zahlreichen und weiten Saftgefässe des kräftigern Zweiges, sich in die Augen, die man denselben gelassen hätte, ergießen, und würde eine Stärke bedingt haben, viel mehr als die der langgebliebenen Zweige.

Aber das Pincement, welches den Wuchs in seiner ersten Entwicklung zurückhält, drängt den Saft auf die schwachen Zweige und diese gelangen mit Hülfe des reichen ihnen gelassenen Blätterapparats bald dahin, daß sie weitere und zahlreichere Saftkanäle bilden als jener Zweig, welchen man bändigen will, besaß.

Dieses Mittel, starke Aeste zu schwächen und schwache zu stärken, ist den älteren und wahren Grundsätzen, nach denen man die starken Aeste lang schnitt, um ihre Triebe zu schwächen, und die schwachen kurz, um die Triebe dieser zu stärken, nicht entgegen. Man erhält auf diese ältere Weise auf dem schwachen Zweig stärkere Triebe, auf dem stärkeren schwächere; aber man erlangt das Ziel, den schwachen Zweig über den starken herrschen zu lassen, sowohl durch seine Stärke als durch seine Länge nicht sogleich; der starke Zweig mit seiner größern Entwicklungskraft behält dennoch mehr die Oberherrschaft über den schwachen verkürzten Zweig; während nach dem neuen System, durch das Pincement, welches, wenn es nöthig ist, mehrmals wiederholt wird, der Saft, der für den starken Zweig bestimmt war, in dem schwachen hingedrängt wird, und so wird der schwache Zweig dahin gelangen, die Herrschaft über den stärkern zu erlangen; während er seine ganze Länge behalten hat.

Diese wesentliche Grundregel des neuen Schnitts ist Thouin zu verdanken, der, wie es scheint, ihn zuerst angerathen hat. –“ So weit Puvis, der uns in den angeführten Sätzen eine klare und verständige Kritik der neuern Regel über dieses Beschneiden [189] gegeben hat, wonach nun jene im Eingang ausgeführten beiden Regeln als richtig erscheinen, Dubreuil’s und Pacquet’s Anwendung der Theorie der Ernährung des Baumes durch die Blätter hier aber ganz am unrichtigen Platze ist.

Für die Praxis hat jene Regel der neuern Cultivateure einen großen Werth, namentlich um schöne und regelmäßige Pyramiden zu bilden. Man kann unter Beachtung der Angaben Puvis’s jetzt den untern Zweigen einer Pyramide, wenn sie auch schwächer sind als höher stehende (wie es bekanntlich oft vorkommt), doch ihre ganze Länge lassen, oder sie nur wenig einstutzen und der Form der Pyramide entsprechend, die obern, wenn gleich stärkern Zweige kurz schneiden, durch das Pincement (Abnehmen der krautartigen Spitzen der jungen Triebe, wenn sie ¾–1 Zoll lang sind) wird das Gleichgewicht hergestellt, indem dieses so wirksame Mittel zur Hemmung des Triebes bei allen auf den stärkern Zweigen erscheinenden Trieben vorgenommen wird, die dadurch trotz dem kurzen Schnitt sehr im Wuchs zurück gehalten werden, während jenen schwächern, lang geschnittenen Zweigen, der in erstern aufgehaltene Saft zuströmt und eine entsprechende Entwicklung derselben veranlaßt.


  1. Also wie Dubreuil und Pacquet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. A. Du Breuil: Cours élémentaire théorique et pratique d’arboriculture. Masson / Langlois et Leclercq, Paris 1846 California
  2. A. Puvis: De la taille des arbres fruitiers, de leur mise a fruit et de la marche de la vegétation. Librairie agricole, Paris [1850] Gallica