Pompeji, die Lavastadt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Th. v. Huber-Liebenau
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Pompeji, die Lavastadt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34–35, S. 570–572, 582–584
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[570]
Pompeji, die Lavastadt.
Zum achtzehnhundertsten Gedenktage ihres Untergangs (24. August).
I.

Unter dem tiefblauen Himmel des süditalienischen Paradieses, nach welchem die in nordische Gefilde gebannte Menschheit sich stets wieder zurücksehnt, breiten sich die Fluthen des Golfes von Neapel aus, in denen sich die unvergleichlich schöne Stadt, der villenumkränzte Posilippo, die Gestade von Portici und das entzückende Sorrento widerspiegeln. Wie viele traurige Herzen mögen hier schon Tröstung gefunden und aus dem Bronnen der Schönheit Gesundheit der Seele geschöpft haben!

Aber unter all’ der Fülle von Augenwonne und Herzerquickung, die von der verschwenderischen Natur hier gespendet wird, lauert auch Schrecken und Gefahr, „der Feuerdrachen alte Brut“, die unter dem Vesuv Jahrhunderte lang ruhig lagert, um dann plötzlich Tod und Verderben auf die blühende Landschaft und unter die glücklichen Menschen zu schleudern, reizende Gärten in Wüstenei, Paradiese in schauerliche Einöden zu verwandeln, wie es nach zuverlässigen Ueberlieferungen dort schon wiederholt geschehen ist. Wer sieht es dem alten finstern Gesellen, dem aschgrauen Vesuv jetzt an, daß er einst, vor 1900 Jahren, noch von üppigen, lachenden Wein- und Obstgärten überkleidet war, als sein zweiter Gipfel, die zackige, wildzerklüftete Somma, noch gar nicht existirte, denn diese wurde erst später durch die Genossen Vulcan’s herausgehoben. Damals lagen am Fuße des Vesuvs die Städte Herculanum, Pompeji und Stabiae in malerischer Gruppirung, gleich anderen Provinzialstädten der campanischen Küste beliebte Zufluchtsorte für solche vornehme Römer, welche für einige Zeit, dem wirren Treiben der Hauptstadt entflohen, in glücklicher Zurückgezogenheit leben wollten.

Große geschichtliche Bedeutung hat keine dieser Mittelstädte erreicht, aber wenigstens Pompeji nahm, besonders in der römischen Kaiserzeit, einen so mächtigen Aufschwung, daß es bei längerem Bestand vielleicht sogar zu einer Großstadt emporgestiegen wäre. Zunächst dürften hier einige rückblickende Betrachtungen über die Entstehung und Geschichte Pompeji’s am Platze sein, zu denen einer der verdienstvollsten deutschen Alterthumsforscher, Th. Mommsen, in dem Werke „Unteritalien, Dialekte“ trefflichen Anhalt darbietet.

Nach seinen Angaben war Pompeji keine griechische Colonie wie viele andere Küstenstädte Italiens, sondern wurde nebst Herculanum von den oskischen Samniten gegründet; wenigstens weisen einige wichtige Ueberreste, z. B. die untere Stadtmauer und der sogenannte Tempel des Hercules auf dem Forum triangulare auf eine vorrömische Zeit zurück. Ueber den Namen der Stadt scheint mir das, was Dr. Overbeck darüber sagt, am meisten zutreffend, daß nämlich die alten Pompejaner einen blühenden Speditionshandel betrieben haben, weil ihre Stadt, begünstigt [571] durch die ausgezeichnete Lage am schiffbaren Sarno, zum Hauptstapelplatz für den lebhaften Getreide- und Oelhandel der ganzen Gegend wurde, und daß also Pompeji wegen dieser Spedition, griechisch πόμπη (Sendung), von den Griechen seinen Namen erhielt. Uebrigens wird der Name auch aus dem Oskischen – von Pumpago – abgeleitet.

Ueber die ältere und spätere Geschichte Pompejis bietet sich uns eine reiche Literatur dar, denn wir können sowohl aus den alten römischen Historikern wie auch aus zahlreichen, zum Theil ausgezeichneten Werken und Aufsätzen moderner Gelehrter und Schriftsteller, z. B. Winckelmann, Mommsen, Mazois, Ternite, Gervinus, Breton, Welcker, O. Müller, Dr. J. Overbeck, Garucci, Fiorelli, Katte, E. Preshun und Anderer schöpfen. Die römischen Historiker berichten, daß die Gründer der Stadt, die Samniten, in langen Kämpfen sich tapfer gegen den Ansturm der Römer behaupteten, bis 290 v. Chr. Samnium nebst Campanien unter das Römerjoch gebeugt wurde.

Pompeji war dann Provinzstadt mit Municipalverfassung (aber ohne Stimmrecht in den römischen Comitien) und hob sich in jeder Hinsicht, denn seine Blüthe überdauerte auch den von Sulla, 82 v. Chr., grausam niedergeworfenen Aufstand der Pompejaner, weil seine vorzügliche Handelslage und bedeutende Industriethätigkeit einestheils und der Zuzug reicher Ansiedler, die wegen der herrlichen Luft und klimatischen Vorzüge herbeikamen, anderntheils den Aufschwung bedeutend förderten. Für Rom wurde Pompeji ein Eldorado, zuletzt eines der berühmtesten Luxusbäder, in welchem z. B. Cicero, die Kaiser Augustus und Claudius schöne Villen besaßen. Augustus liebte es besonders, und deshalb ließ er dort eine nach ihm benannte nördliche Vorstadt, Pagus Augustus felix, erbauen. Es war ein Sitz des Reichtums, des Wohllebens, eine Heimath der Künste und des Handels zugleich, gerade weil es bei seiner Kleinheit (Overbeck schätzt die höchste Einwohnerzahl auf nur 12,000 bis 18,000) politische Bedeutung nicht besaß und nicht darnach strebte. Die Bewohnerschaft war dagegen eifrigst dem Erwerb, dem Handel, aber auch der Kunst und dem Vergnügen ergeben. Prachtvolle öffentliche Gebäude, reizende Privathäuser, reich ausgeschmückte Bäder, in denen sich Kostbarkeiten der feinsten Art aufhäuften, zierten die Stadt, Malereien und Sculpturen von bedeutenden Künstlern das Innere und Aeußere der Häuser.

So war denn die beglückte freudenreiche Stadt auf dem Gipfelpunkte der Entwickelung angelangt, als plötzlich im Jahre 63 n. Chr. am 5. Februar ein furchtbares Erdbeben den Boden erschütterte und die schreckensbleichen Bewohner durch einander jagte. Man hatte den alten rebenumkränzten Vesuv, der allerdings über tausend Jahre lang sich ruhig und friedlich verhalten hatte, stets mit den sorglosesten Blicken betrachtet und sicher angenommen, daß die ausgebrannte vulcanische Kraft in Ewigkeit erloschen sei. Grausamer Irrthum! Ein großer Theil Pompejis wurde durch Einsturz der Häuser zerstört. Wie viele unersetzliche Denkmäler griechischer Kunst, römischer Prachtliebe und altoskischer Architektur mögen damals verloren gegangen sein! Das damalige Bedenken des römischen Senats, den Wiederaufbau der Stadt an derselben Stelle zu gestatten (vgl. Winckelmann: „Nachrichten“ 7 und „Geschichte der Kunst“ VII, 3), erscheint sehr begründet, aber die Liebe für den heimathlichen Boden überwand alle Vorsicht und Befürchtungen. Die Stadt wurde in dem specifisch römischen Baustile der Zeit Nero’s wieder erbaut, gewährte also nunmehr ein vollständiges Bild einer echten römischen Municipalstadt. Schöner und schöner entfaltete sich die neue Stadt im nächsten Jahrzehnt und war schon nach sechszehn Jahren der Vollendung nahe, allein die Unterirdischen „haßten das Gebild der Menschenhand“ und das entsetzlichste Naturereigniß jener Zeit (zur Zeit des Kaisers Titus), ein furchtbarer Ausbruch des Vesuvs, vernichtete in ebenso viel Stunden, wie der Ausbau Jahre beansprucht hatte, das herrliche Pompeji für immer.

Am 24. August des Jahres 79 n. Chr. (nach Anderen schon am 23.) gegen ein Uhr Nachmittags, als gerade eine festlich begeisterte Menge die großen Räume des Amphitheaters füllte, verwandelte sich plötzlich der hellste Tag in dunkelste Nacht, das Fest in Jammer und Noth, die Lust in Schrecken und Verzweiflung, während unaufhörliche Blitze, riesengroße Feuersäulen, Asche, Felsstücke, Rauchwolken – kurz, ein Chaos des Entsetzens, die von Todesangst Ergriffenen umgab.

In dem bekannten Briefe von Plinius dem Jüngeren wird das für Jahrtausende unvergeßliche Schauerdrama am anschaulichsten in allen seinen Scenen geschildert und auch der Tod des älteren Plinius erzählt (Plinius, Epistolae VI, 16, 20). Dunkle, nur von den flammenden Blitzen durchleuchtete Nacht hüllte die ganze Gegend ein, über welche unaufhaltsam das Verderben sich wälzte, und als nach drei ewig langen Tagen und Nächten die Aschen- und Rauchwolken wieder den Sonnenstrahlen den Durchblick gestatteten, war das schon früher zerstörte Stabiae in seinen Ueberresten, waren die blühenden Städte Herculanum und Pompeji nebst Oplontis und Teglana vom Erdboden verschwunden, versenkt in ihr dunkles Lavagrab für mehr als anderthalb Jahrtausende.

Die Begrabenen verfielen im Laufe der Zeit vollständig der Vergessenheit, als wären sie nie dagewesen; nur der Name „civita“ (Stadt) wurde noch von Landleuten, die ja stets an alten Traditionen am treuesten festhalten, dem Orte der Verschüttung beigelegt, und selbst als der Architekt Fontana im Jahre 1592 bei Anlegung eines unterirdischen Canals mitten durch das frühere Pompeji auf Mauertrümmer mit Inschriften stieß, blieb Letzteres unbeachtet, bis endlich im Jahre 1748 (unter der Regierung Karl’s von Bourbon, des spätern Königs Karl’s des Dritten von Spanien) einige Winzer beim Umgraben von Weinbergen die ersten glücklichen Wiederfinder Pompejis und seiner höchst kostbaren Schätze wurden. Der Geniecorps-Officier Don Rocco Alcubierre durfte darauf die Ausgrabungen beginnen und Pompeji vollständiger entdecken. Weit eifriger betrieb man später, zur Zeit Murat’s, die wichtige Ausgrabung der Stadt, die so oft längeren Unterbrechungen ausgesetzt war, aber die systematische Fortführung des Werkes blieb bis in die neueste Zeit verschoben, und erst durch den genialen Director Fiorelli wurde zum Ruhme der Italia unita die Ausgrabung so gründlich gefördert, daß bis jetzt schon mehr als der dritte Theil Pompejis offen zu Tage liegt.

Die Ausgrabungsarbeit hat sich mit Grund hauptsächlich auf Pompeji concentrirt, weil diese Stadt höher gelegen, das heißt auf einer uralten, aus Lava gebildeten Anhöhe erbaut war, sodaß nur eine fünf bis sechs Meter tiefe Verschüttungsmasse wegzuräumen ist, und auch, weil die Ueberdeckung größtentheils nur aus schwarzer Vulcanasche, mit Bimsteinbrocken vermengt, besteht. So ist denn die Ausgrabung sehr erleichtert, lohnender und kann im größten Umfang ausgedehnt werden, während Herculanum viel tiefer, etwa dreißig Meter tief, unter vulcanischer Auswurfsmasse, verglaster Lava und sonstigem schwer zu durchbrechendem Material begraben liegt. Außerdem müßten die direct über Herculanum aufgebauten Städte Portici und Resina dem Auferständniß der todten Stadt geopfert werden. So muß wohl das alte Herculanum mit seinen vielleicht unschätzbaren Kunst- und Wissenschaftsalterthümern für die Ewigkeit da unten liegen.

Heute ist das Studium der pompejanischen Ausgrabungen Allen recht bequem gemacht. Der Tourist fährt vom Centralbahnhofe in Neapel ab nach Nocera (hart am Golfe geht diese Eisenbahnlinie entlang), weidet seine Blicke an dem reizenden Landschaftsbilde und erreicht schon in einer Stunde das kleine Bahnhofsgebäude mit der Aufschrift „POMPEI“. Nun wird er sich vermuthlich erst in einem der Hôtels auf dem grünüberwachsenen Wall vor der Stadt erholen und dann seine Wanderung in den Ruinen beginnen, nachdem er das Eintrittsgeld (zwei Franken) erlegt hat.

Er tritt durch das Herculanerthor von Westen her in Pompeji ein und ist gleich im Anfange nicht wenig darüber erstaunt, daß diese welterobernden alten Römer in so kleinen, niedrigen und niedlichen Häusern, worin Alles so eng zusammengekästelt, so beschränkt und unbequem gewesen sein muß, wirklich gewohnt haben.

Man sieht freilich von den schönen alten Tempeln und größeren Häusern nur noch die Mauern, die massiven Erdgeschosse, denn die Dachstühle und oberen Stockwerke (meist aus Fichtenholz) wurden ja durch die feurigen Massen verbrannt und zerstört. Auch sind alle transportablen Monumente, namentlich die metallenen und steinernen Geräthe, Sculpturen, Decorationen, ferner die Wandgemälde, Mosaiken etc., um sie vor neuen Zerstörungen der Elemente zu sichern, nach Neapel in das „Museo nazionale“ (früher Borbonico) hinweggetragen worden. So sehr aber auch dieser Ausschmuck vermißt wird, so ergreift doch jeden Beschauer, der für welthistorische Tragik Sinn und Empfänglichkeit besitzt, ein [572] eigenthümliches elegisches Gefühl beim Anblick dieser einst vergrabenen Menschenwohnungen, dieser Säulenstümpfe, Mauerreste und Kunstdenkmäler; die Phantasie versetzt sich mitten hinein in das Leben und Treiben jener längst vergangenen Culturepoche, als von Rom aus noch die ganze bekannte Welt beherrscht und geknechtet wurde und noch nicht das kräftige Germanenthum die römischen Fesseln in Stücke gebrochen hatte.

Das Areal Pompejis bildet ein von Ost nach West verschobenes Oval, dessen Gesammtfläche noch nicht 3000 Meter beträgt. Bis jetzt sind von den alten Eingängen oder Thoren acht bekannt geworden, von denen das schon erwähnte westliche Herculanerthor das bedeutendste und architektonisch schönste gewesen sein muß. In der Nähe dieses Thores, das heißt außerhalb desselben, finden sich einige sehenswerthe Grabmonumente namhafter Männer Pompejis, sowie einzelne prächtige Villen, z. B. die reizende einstige Besitzung des Marcus Arrius Diomedes. Das Herculanertor hat drei verschiedene Eingänge, in der Mitte für Fuhrwerke, zu beiden Seiten für Fußgänger, aber von weit größerem Interesse sind die mit weißem Stuck überkleideten Pfeiler, Album genannt; sie dienten seinerzeit zur Publication von Anzeigen, vertraten also den Inseratentheil unserer Zeitungen. Man schrieb, respective malte mit rother oder schwarzer Farbe irgendwelche Mittheilungen für das Publicum darauf, die dann nach einiger Zeit wieder beseitigt, nämlich weiß übertüncht wurden. Solche Albums, von denen die Benennung unserer modernen Albums (für Photographien etc.) herstammt, fanden sich auch zahlreich an Plätzen und Kreuzungspunkten der Straßen. – Rechts am Thore ist eine Nische, in welcher bei der Ausgrabung ein Gerippe mit Stahlhaube und in Waffen – die Schildwache, die, getreu ihrer Soldatenpflicht, auf dem Posten den Tod fand – entdeckt wurde.

Sehr belebt muß einst die Straße vom Thore in das Innere der Stadt gewesen sein, auch befanden sich in derselben das Zollhaus, die Post und einige Herbergen oder Gasthäuser, ferner Kaufmannshäuser, Lagergebäude etc.. Die Straße mündet in die von Südwest nach Nordost das Centrum der Stadt bis zum Nolanerthor durchschneidende Hauptstraße, von welcher die Mercurstraße, die nobelste der Stadt, sich abzweigt und durch einen Triumphbogen nach dem Forum civile hinführt. Südlicher liegen dann das Forum triangulare, die Tempel, die öffentlichen Gebäude, links am äußersten Ende der Stadt das Forum boarium und das berühmte Amphitheater. Wie in so vielen Städten Südeuropas sind die Straßen erstaunlich eng, oft nur zwei bis drei Meter breit, sodaß immer nur ein Wagen darin fahren und keinem zweiten ausweichen konnte.

Das ohrenzerreißende Gerassel schwerer Lastwagen hat man übrigens in Pompeji niemals zu erdulden gehabt, denn nur elegante Wagen vornehmer Bürger und reicher Gäste passirten diese engen Straßen. Sicher aber waren die engsten Straße, als die schattigsten, auch die verkehrreichsten. Alle Fahrstraßen müssen ausgezeichnet gepflastert gewesen sein, und zwar benutzte man dazu große Lavablöcke. Man fand auf dem Pflaster meist noch die Spuren der Wagenräder. Auf den sehr hohen Trottoirs gingen die Pompejaner sehr bequem und waren wohl auch nicht wenig stolz auf den Ausschmuck derselben, der in Ziegelmosaik, in Sandsteinplatten, Asphalt oder Marmor ausgeführt war. An den Kreuzungen waren schöne Brunnen angebracht, und die Abflüsse liefen durch Gossen in unterirdische Canäle.

[582]
II.

Das antike Hauptforum Pompejis war ursprünglich, ähnlich unseren Marktplätzen des Mittelalters, Mittelpunkt der Stadt, wo das Rathhaus nebst den Gerichtsämtern und städtischen Verwaltungsgebäuden stand, die Märkte und der Handelsverkehr sich concentrirten. Später aber wurde es nur für die öffentlichen Angelegenheiten reservirt und dem Handelsverkehr entzogen.

Es muß einst einen ungemein schönen Gesammtanblick dargeboten haben, indem daselbst ein Triumphbogen als Haupteingang, ein prächtiger Jupiter-Tempel, eine Basilika (Gerichtsgebäude mit den drei Tribunalien), das bilderreiche Pantheon mit den Wechslerbuden, der Sitzungssaal der Decurionen, das Eumachia-Gebäude oder die Börse, ein Venus-Tempel (früher dem Bacchus gewidmet), in welchem der gesetzliche Aichungsblock oder das Normalmaß der Pompejaner sich befindet, nebst anderen Häusern zusammen ein harmonisches, an architektonischer Schönheit reiches Ganzes bildeten. In dem ebenfalls sehenswerten Zollhaus hat man einige Gewichte, eine Normalwage und zwei menschliche Skelete auf Pferdegerippen, denen Glocken um den Hals hingen, bei der Ausgrabung aufgefunden.

Aelter als das Hauptforum ist das Forum triangulare, das noch aus der Zeit der pompejanischen oder campanischen Unabhängigkeit stammt und das man als die Burg oder Akropolis der Stadt betrachten kann. Nicht nur der Ausschmuck desselben mit schönen Propyläen, sondern auch die herrliche Fernsicht, die man von dort herab genießt, haben diesen Platz wohl zu einem Lieblingsort der alten Pompejaner gemacht. Auch steht auf ihm Pompejis ältestes Bauwerk, ein griechischer Tempel.

Unter den sonstigen Tempelbauten interessiren am meisten der Tempel der Fortuna, der des Quirinus, und auch der Isis-Tempel, der sich von allen am besten erhielt. Man fand darin Opferüberreste (Brod, Wein, Hühnerfüße, Fischgräten) und das Skelet eines Opferpriesters, welcher mit dem Opfermesser in der Hand, also gerade bei seiner heiligsten Handlung, vom Aschentode ereilt worden ist.

Ganz besondere Anziehungskraft bewähren auch die drei ausgegrabenen Theater, von denen das eine, etwa 70 Ellen breit und tief, ungefähr 5000 Zuschauer faßte und noch den Platz für die Bühne, das Orchester und die Rangclassen der Zuschauerplätze erkennen läßt. Das kleinere Odeum genannt, hatte wohl nur für 1600 Menschen Raum und diente hauptsächlich für musikalische Aufführungen. – Das großartige Amphitheater am Ostende der Stadt gehört zu den schönsten und besterhaltenen Baudenkmälern des classischen Alterthums überhaupt. Dort ergötzten die grausamsten Schaustücke: Gladiatorenkämpfe, blutige Thierhetzen und andere hochbeliebte Spielarten unmenschlicher Barbarei den feinsten und niedrigsten Pöbel der Stadt und Umgegend. Die räumliche Ausdehnung des Bauwerks ist höchst bedeutend; sie umfaßt 30 Sitzreihen, die von der Arena treppenförmig aufsteigen und wohl an 20,000 Zuschauer fassen konnten.

Sehr luxuriös war sicherlich die Einrichtung der Bäder der Stadt, wohl meist Thermen, von denen 1824 ein sehr gut erhaltenes, mit Malereien und Stuckarbeiten reich verziertes öffentliches Badehaus ausgegraben wurde, das so wundervolle [583] Einrichtungen aufzuweisen hat, wie keine von unseren heutigen luxuriösesten Badeanstalten. Freilich gehörte auch bei den Römern der Aufenthalt in Bädern so sehr zum feinen Ton und war so sehr zur Leidenschaft geworden, daß in der Kaiserzeit reiche Vertreter der Jeunesse dorée oft Tage und Nächte lang daselbst verweilten und selbstverständlich den größten Comfort verlangten.

Für alle Alterthumsforscher muß es hochinteressant sein, hier in Pompeji das echte römische Wohnhaus aus der classischen Zeit römischer Baukunst vor sich zu sehen und genau studiren zu können. Am Aeußeren desselben fällt zunächst auf, daß meist nur glatte Wände die Façade bilden, Fenster nur im höchsten Stockwerk in kleinster Gestalt vorkommen und auch das Portal keinen besondern Ausschmuck zeigt. Ganz im Gegensatz zu dem antiken Tempelbau, an welchem die Hauptzierde architektonischer, malerischer und bildnerischer Kunst hauptsächlich auf die Außenseite verwendet ist, erscheint beim antiken Wohnhaus alle Pracht und Zierde dem Innern zugewendet. Die feineren Privathäuser Pompejis haben meist eine ganz gleichartige Einrichtung. Durch die Hausthür und einen Gang (vestibulum) gelangt man in die innere Vorflur (prothyrum), dann in die innere Hausflur (ostium), neben welcher die Zelle des thürhütenden Sclaven (ostiarius) lag, und nun erst in das Atrium, einen unserem heutigen Salon entsprechenden schönen, mit Marmor getäfelten Raum mit einer großen Oeffnung (compluvium) inmitten des Plafonds. An das Atrium schließen sich an beiden Seiten die Audienzzimmer des Hausherrn an, in denen er seine Freunde oder auch Clienten empfing, und im Fond befindet sich das Tablinum oder das Archiv für die Ahnenbilder und Geschlechtstafeln der Familie. Vertrautere Bekannte wurden auch in die weiteren Zimmer, die private Abtheilung des Hauses, eingeführt, zunächst durch einen schmalen Gang (fauces) in das Peristylium (auch Porticus genannt), um welches sich die Schlafzimmer (cubicula), die Speisezimmer (triclinia), endlich die Küche, die Badezimmer, die Conversationszimmer für die Familie und die Hauscapelle (sacellum), in welcher die Penaten hausten, gruppirten. Die Säulen des Peristyls bildeten Arcaden, die ein reizendes Gärtchen umschlossen, in dessen Mitte ein Springbrunnen mit Fischbehälter (piscina), außerdem Marmorgruppen und sonstige plastische Kunstwerke den Reiz des Gesammtbildes erhöhten. Aus allen Einzeltheilen und der schönen Einheitlichkeit des Ganzen erkennt man den hochausgebildeten Kunst- und Schönheitssinn der Pompejaner.

Wie auf vielen Gebieten der Kunst, so waren auch in der Architektur die Römer mehr Eklektiker, die aus allen früheren Kunstepochen entlehnten, als orginelle oder schöpferische Geister. Speciell die Architektur der Pompejaner zeigt mehr Annäherung an die dorische und corinthische Ordnung, als an die ionische, hat aber im Allgemeinen gar keinen ausgeprägten Stil, auch nicht im Ornament, das mitunter überladen und ohne strenge Anpassung an die Hauptformen des Gebäudes erscheint, jedoch auch nicht in irgend welchen Naturalismus oder in unschöne Verwilderung verfallen ist, sondern stets den Eindruck lieblicher und zierlicher Heiterkeit macht.

Selbst die Wohnhäuser einfacher, wohlhabender Bürger Pompejis entbehren nicht des zierlichsten Ausschmuckes. Der Fußboden bestand meist aus Mosaik, von welcher sich die Säulen der Hallen und das Saftgrün der Tropenpflanzen wunderbar abhoben. Ein Musterstück solcher Mosaikkunst ist die in der sogenannten Casa del Fauno 1831 entdeckte große Alexander-Schlacht, Copie eines Gemäldes, das Timon’s Tochter Helena (aus Aegypten) zugeschrieben wird, über welche Goethe seine glühendste Bewunderung in Briefen aussprach. – Die Wände des Atriums wurden fast stets mit Malerei (al fresco und auch enkaustisch) verziert, welche als „pompejanische“, namentlich wegen der schönen Farbenzusammenstellung mit vorherrschendem Roth (pompejanisches Roth) und einem hell leuchtenden Gelb noch heute so hoch geschätzt wird, wie dies offenbar im Alterthum der Fall war.

Einzelne sehr hervorragende Privatgebäude Pompejis verdienen noch eine nähere Betrachtung, z. B. die schon erwähnte schöne Villa des Marcus Arrius Diomedes mit der unvergleichlichen Terrasse, die einen wonnereichen Blick über den Golf von Neapel gewährt. (Eine bis in die kleinsten Einzelheiten getreue Nachbildung dieser Diomedes-Villa oder der „Casa del questore“ findet sich bekanntlich in Aschaffenburg, im Auftrag des Königs Ludwig des Ersten 1842 bis 1849 vom Oberbaurath von Gärtner ausgeführt.) Bei der Ausgrabung entdeckte man an der Gartenthür zwei Skelete, von denen das eine, durch einen goldenen Ring kenntliche, vermuthlich der traurige Ueberrest des einst so glücklichen Besitzers ist. Er war offenbar auf der Flucht begriffen, um seine Gold- und Silberschätze in einem Sacke auf das Meer zu retten, als ihn der Aschenregen erstickte.

Im Kellerraume fanden sich etwa 21 Opfer des Erstickungstodes, zum Theil eng zusammengekauert vor, und eines der Weiber, mit der Brust an der Wand liegend, hinterließ die Form der Brust in der feuchten Asche abgedrückt. Dadurch kam Director Fiorelli auf die glückliche Idee, auch andere eingedrückte Formen, z. B. die eines classisch schönen Mädchenkörpers, mit Gyps ausgießen zu lassen, und so erhielt man das beste, vollständigste plastische Abbild der Originale.

Noch berühmter als die Diomedes-Villa wurde das in der Fortunastraße gelegene Haus eines dramatischen Dichters durch das entschieden vorzüglichste aller pompejanischen Wandgemälde: „Uebergabe der Briseïs durch Achill an Agamemnon“ und durch den auf dem Mosaikfußboden dargestellten Hund mit der Inschrift: „Cave canem!“ (Hüte dich vor dem Hund.)

Es giebt noch zahlreiche durch Gemäldeschmuck interessante Privathäuser, allein ihre Aufzählung würde ermüden. Wenden wir uns daher den für die Kenntniß des römischen Culturlebens wichtigen Arbeitsstätten der Handwerker und den Kaufläden zu, die in Pompeji stets die Erdgeschosse in belebten Straßen einnehmen! Wie bei uns waren manche Läden durch Abzeichen, dort aber plastische, kenntlich gemacht, z. B. bei einem Bäckerladen fand man eine von einem Maulthier getriebene Mühle, bei einem Milchladen das Bild einer Ziege aus Terracotta. Die Ladentische waren ausgemauert und oben mit Marmor bedeckt. An einigen Vertiefungen, durch die großen Wein-Amphoren gebildet, konnte man herausfinden, daß daselbst eine Weinhandlung oder Weinschenke gewesen sei. In der Herculanerstraße kennzeichneten sich die Werkstätten durch die aufgefundenen Gegenstände: Hämmer, Zangen, Wagenachsen, Hufeisen etc., sodaß man wußte: Hier hauste ein Grobschmied, dort ein Wagner, dort ein Töpfer, dort ein Bildhauer etc.. Auch die Locale der Friseure, Parfumeure und andere Luxusgeschäfte erkennt man an aufgefundenen Phiolen mit eingetrockneten Flüssigkeiten, Harzen und Pillen.

Mehrere Bäckereien wurden offengelegt, die größte in der Herculanerstraße mit vier von Menschen und Vieh getriebenen Mühlen, einem Backofen, der noch einundachtzig verkohlte, sonst aber wohlconservirte gestempelte Brode enthielt, ferner eine Conditorei mit zwei antiken Torten. Bei den aufgefundenen Handwerkerhäusern interessiren auch besonders die bildlichen Darstellungen der gewerblichen Verrichtungen, z. B. bei einer Tuchwalkerei. Manche Inschriften deuten auf die damalige Existenz von Genossenschaften und Zünften der Handwerker hin. Jedenfalls hatten in Pompeji die Goldschmiede, Zimmerleute, Stellmacher schon ihre Zünfte, und die Obsthändler, Oelhändler, Lastträger, Maulthiertreiber u. dergl. ihre Genossenschaften.

Culturelles Interesse gewähren ganz besonders auch die auf den Albums eingeschriebenen und eingeritzten Veröffentlichungen, meist geschäftlicher, aber auch ganz privater Art. Dort wurden die Wahlumtriebe und Wahlempfehlungen zum Austrage gebracht. Z. B. wird an dem Eumachia-Album der reiche Großhändler Photinus als Aedil vorgeschlagen und zwar „zum Schutze der nationalen Arbeit“; an einer andern Stelle wird ein pompejanischer Socialdemokrat von den Brüdern der Lastträgersippe zum Stadtrath decretirt. Außerdem brachten hier viele Clienten ihre Bittgesuche bei den Patronen an. Wohnungsanzeigen wurden, oft mit orthographischen Verstößen, hingekritzelt; auch wurde die Aedilen dringend ersucht, für die Straßenordnung zu sorgen, und ein gewisser „Maserius mit sämmtlichen Schläfern“ bittet um Einstellung des Straßenlärms. Am meisten wurden jedenfalls, wie auch bei uns, die Ankündigungen von Spielen und Vergnügungen gelesen, z. B. steht da zu lesen: „Die Gladiatorentruppe des A. Cerius wird in Pompeji am letzten Mai kämpfen, es wird auch eine Jagd stattfinden!“ Lustig sind zuweilen die Privatkritzeleien, die sogenannten Graffiti, z. B. der Name „Psyche“ in einem nunmehr versteinerten Herzen, dann die indiscrete Mittheilung: „Fräulein Ocula liebt den Arabinus,“ vermuthlich von einem verschmähten Rivalen, endlich eine Hauptmalice gegen die Justiz in den Worten. „Was kostet hier die Justiz?“ Auch [584] eine Weinwirthin wird wegen ihres ganz „erbärmlichen Gesöffes“ an den Pranger gestellt.

Am wenigsten zeichnet sich Pompeji durch Reichthum an plastischen Kunstwerken aus, denn die Ueberreste bestehen größtentheils in Mittelgut: Statuen, Götterbildern, Portraitstatuetten, Brunnenfiguren, Genrebildern aus Marmor, Bronze, Terracotta und Stuck. Eine Ausnahme davon machen nur wenige Meisterwerke meist von griechischen Künstlern.

Viel zahlreicher und bedeutender sind die kunstgewerblichen Werke von Meisterhand, die ein Zeugniß ablegen von dem fein ausgebildeten ästhetischen Sinne der Pompejaner für schöne, ja ideale Formen und auch von dem so löblichen Triebe, selbst triviale Dinge, wie Küchengeräte, kunstgemäß zu verzieren. Dort könnten unsere deutschen Kunsthandwerker viel lernen! Wie schön sind diese Mobilien, Geräthe, Gefäße und Schmucksachen aus Bronze, Eisen und edeln Metallen, aus Glas und Thon! Wie gut ist das Material verwendet, wie fein die Form ausgearbeitet, wie graziös der Aufbau und die Ornamentation wie stilvoll! Die größte Mannigfaltigkeit von pompejanischen kunstgewerblichen Ueberresten besitzt das Museo nazionale in Neapel und unter diesen als ein vielgepriesenes Meisterwerk eine in einem Grabe gefundene, mit prächtigem Laubwerke und Reliefs umrankte Amphora von blauem und weißem Glase. Wer solche Kunstschönheit betrachtet, wird gewiß das Schiller’sche Wort bestätigen:

„Damals war Nichts heilig, als das Schöne,
Wo die keusch erröthende Camöne,
Wo die Grazie gebot...“

So ist denn das alte Pompeji, dieser Weihealtar der Kunst, zum Segen der Künstler wieder auferstanden, gleichsam ein Dornröschen, das, vom Prinzen der Gegenwart aus seiner Versteinerung befreit, nun dem warmen Hauche des Lebens zurückgegeben worden ist, obwohl es den Anschein des Todes behält. Getreu hat Alles die Erde bewahrt, Nichts ist verloren gegangen, Nichts für die weitere Forschung und gelehrte Combination abhanden gekommen. Wurde bisher auch nur ein Theil des Verschütteten zu Tage gefördert, so ist doch der hohe Werth des bereits Vorhandenen so unschätzbar, weil es uns einen tiefen und klaren Einblick in das ganze antike Leben gestattet, mehr als alle Traditionen, Schriften und sonstige gelehrte Hülfsmittel.

Und in der That, unsere trotz alles geistigen Fortschrittes phantasie- und freudenarme moderne Zeit gewann viel durch die pompejanischen Alterthümer, denn sie haben uns hochbedeutende Anregungen gebracht. Dennoch wird beim Anblick dieser nach achtzehn Jahrhunderten wieder gefundenen Lebensspuren auch das wehmüthige Gefühl, daß jene Welt von Schönheit und Poesie für immer dahin geschwunden, zu seinem Rechte kommen.

„Aus der Zeitfluth weggerissen, schweben
Nun die Götter auf des Pindus Höh’n –
Was unsterblich im Gesang soll leben,
Muß im Leben untergeh’n!“ –

Aber das Schöne und Große, das in Pompeji trotz so langer Einsargung in Asche und Lava nicht untergegangen ist, das wird für immer der kunstbegeisterten Menschheit zur Erbauung und nachdenklichen Betrachtung dienen.[1]

Th. v. Huber-Liebenau.

  1. Wir machen die Besitzer der früheren Jahrgänge der „Gartenlaube“ darauf aufmerksam, daß sie im Jahrgang 1856, Nr. 1, Overbeck’s „Vogelansicht von Pompeji“, im Jahrgang 1861, Nr. 49, eine bildliche Darstellung der Ausgrabungsarbeiten und im Jahrgang 1869 eine Wiedergabe von R. Riffe’s Oelgemälde nach E. L. Bulwer’s berühmtem historischem Roman „Die letzten Tage von Pompeji“ mit den dazu gehörigen Texten finden.                D. Red.