Professor Ernst Gladbach

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Autor: Wilhelm Ludwig Lehmann
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Titel: Professor Ernst Gladbach
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aus: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898, S. 1–29
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Erscheinungsdatum: 1898
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Erscheinungsort: Zürich
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Kurzbeschreibung: Kurze Biographie über Professor Ernst Gladbach
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[1]
Neujahrsblatt
der
KUNSTGESELLSCHAFT IN ZÜRICH
für
1898.
PROFESSOR ERNST GLADBACH.


BUCHDRUCKEREI BERICHTHAUS (vorm ULRICH & Cie.).


[3]
PROFESSOR ERNST GLADBACH.


An einem sonnigen Herbsttage vor bald zwanzig Jahren stieg ein junger Gymnasiast mit etwas klopfendem Herzen zur Kirche Fluntern empor. Er wollte Professor Gladbach aufsuchen, von dem er gehört hatte, dass er ein berühmter Mann sei, – und berühmte Männer waren ihm bisher nur wenige begegnet. Er hatte sie meist nur im Rathaussaale von weitem gesehen, und der Begriff von schwarzem Rock, weisser Kravatte und höchst gelehrten Reden haftete daran. Ein kleines Häuschen, gleich oberhalb der Kirche Fluntern, wurde ihm als das des Professors gewiesen; sehr einfach, aber sauber und mitten in blühendem Gärtchen. Astern prangten in allen Farben in wohlgepflegten Beeten, zwischen denen sich eine sympathische Frau mit schönen Augen zu schaffen machte. Das alles sah so sonnig und heiter aus, dass es ihm schon leichter um’s Herz wurde. Auf seine Frage nach dem Professor wies ihn die Frau freundlich ins Haus. Ein enges Treppchen führte zum Studierzimmer empor. Auf das «Herein» öffnete er die Türe, sah aber gar nichts – ein beissender Tabaksqualm schlug ihm entgegen und erfüllte das Zimmer mit dichtem Nebel. «He holla, guter Freund», rief es aus der Wolke heraus, «warten Sie ein bischen, ich mache das Fenster auf, es wird gleich besser!» Ein Durchzug entstand, und aus dem Nebel tauchte eine lange, magere Gestalt auf, im Schlafrock und mit langer Pfeife, aus der es beständig qualmte. Der Professor begrüsste ihn aufs freundlichste, nötigte ihn auf das winzige Kanapee, das trotz seiner Kleinheit die Hälfte des Zimmers ausfüllte, und war sogleich bereit, sein Begehren nach Privatstunden in Zeichnen und Perspektive zu erfüllen. Auf dem Tische, der gerade an der andern Seite des Zimmers noch Platz hatte, lag ein Reissbrett mit der angefangenen Zeichnung eines Schweizerhauses; ohne lange Umstände nahm er es [4] vor und zeigte daran, wie er so etwas beginne, erzählte von Mathaeus Merian, seinem Hauptlehrmeister, schleppte einen alten Band von dessen Topographie heran und konnte nicht fertig werden, die Schönheiten und Eigenheiten der berühmten Stiche zu erklären. Und während er so in der liebenswürdigsten Art schon gleich eine Art Stunde gab, betrachtete ihn der Schüler etwas näher. Er war lang, mager und etwas vorgebeugt, aber noch ungemein rüstig für einen starken Sechziger; nur die vielen Falten des Gesichtes und das rötliche, sehr ins Graue spielende Haar verrieten etwas das Alter. Für seine Kunst war er voll jugendlichen Enthusiasmus und dabei im Wesen so liebenswürdig und herzlich, dass der schüchterne Besuch gleich anfangs schon die Scheu vor dem «berühmten Manne», wie er ihn sich vorgestellt hatte, verlor. – Und als er ihn in den Pantoffeln und die lange Pfeife im Munde herunterführte, die Tannenzapfen zeigte, die er auf seinen Waldspaziergängen für den Winter zu sammeln begann – «sie heizten so gut» – im Garten ihm eine späte Birne anbot, die am Spalier reifte, und seinem «Mutterchen» den neuesten und jüngsten Schüler zeigte, – da kam diesem alles vor wie eine Zeichnung von Ludwig Richter, und er hatte den sehnlichsten Wunsch, mit solchen Menschen befreundet zu werden.

*     *     *

Die Stunden begannen und der Schüler freute sich jedesmal darauf. Mit Perspektive und Schattenkonstruktion wurde angefangen, um später angewandt perspektivisch zu zeichnen. Perspektive ist aber ein schwieriges Fach für den Lehrer; es genügt nicht, dass er sie absolut verstehe, es gehört auch ein grosses Darstellungsvermögen dazu, um sie andern klar zu machen – zumal wenn letztere mathematisch ungenügend vorgebildet sind. Es zeigten sich bald grössere Schwierigkeiten, an deren Erklärung er sich abquälte und die der Schüler trotz allen guten Willens nicht verstand, – dann konnte er ausser sich geraten, auf den Tisch schlagen und schreien, um im nächsten Augenblicke sich wieder aufs liebenswürdigste zu entschuldigen. Und wenn auch der Schüler sich hierbei die Hauptschuld beimass, so hatte er doch instinktiv das Gefühl, dass es auch etwas an der Art des Unterrichtes liege. War aber einmal irgend ein Gegenstand fertig konstruirt, dann war es eine helle Freude zuzusehen, wie ihn der alte Professor mit der grössten Liebe zu schattiren begann. War es ein Haus, so wuchs gleich ringsherum ein Park in die Höhe, oder ein Blick auf die Alpen eröffnete sich – alles spielend und in kürzester Zeit aus dem Kopfe hingezeichnet. – Als die Stunden schon einige Zeit gedauert hatten, frug er den Schüler, ob er nicht einem seiner Söhne Nachhülfestunden im Latein geben wolle: Für zwei Stunden Latein solle er dann stets von [5] ihm selbst eine Stunde im Zeichnen erhalten. Der Pakt wurde abgeschlossen, und der Schüler kam dadurch mehr und mehr in das gemütliche Haus. Und als auch der Professor eingesehen hatte, dass das Latein nicht das Alleinseligmachende auf der Welt sei, und den Sohn Kaufmann werden liess, wie dieser es selbst gewünscht hatte, als damit die gegenseitigen Stunden aufhörten, blieben doch die Samstag-Nachmittage stets für gemeinsame Ausflüge auf den Zürichberg bestehen, und dieser Gewohnheit blieben sie treu, so lange der jüngere später unter die wirklichen Schüler Gladbachs am Polytechnikum gehörte und so oft ihn nachher der Weg wieder nach Zürich führte.

*     *     *

Obwohl sich der Professor schon dem Greisenalter näherte, nahm er es im Gehen noch mit jedem Jungen auf, und sie durchquerten den Zürichberg nach allen Richtungen. Jeder Bauer da oben kannte ihn, und die kleinen Kinder liefen auf ihn zu und sagten ihr «Grüss Gott, Herr Professor». Wie viel Schönes auf den einfachen Höhen des Zürichberges zu sehen und zu empfinden ist, weiss nur der, der viel und oft darauf gewandert, wie sie es in jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter getan. Aus dem Blick auf die Stadt herunter machten sie sich beide nicht viel, sie wuchs ihnen so wie so viel [6] zu schnell herauf, dagegen liebten sie die Höhen, wo jetzt der Flunterer Kirchhof liegt, und die schönen Waldstrecken gegen den Greifensee hin ganz besonders. Wenn dort im ersten Frühjahr der Säntis im blauen Dufte herübersah und der helle See aus dem graugelben Schilfe herausleuchtete, oder wenn sie an stillen Winterabenden den Weg zurückkamen und über den kalten, verschneiten Höhen ein Stück Limmattal mit seinen schönen Linien sich öffnete und tieffarbig der Abendhimmel über all dem Weiss stand – in solchen Augenblicken sprach Gladbach wenig, doch empfand er all die Schönheit um so tiefer.

Im allgemeinen war er aber auf den Spaziergängen sehr unterhaltend und vor allem auch belehrend. Kam er irgendwie in besonders angeregtes Gespräch, so blieb er stehen und zeichnete mit seinem Stocke die Sache auf die Strasse. Dabei wurde jedes Bauernhaus erläutert, und der Tobelhof oder die Adlisberger Höfe haben ihn oft genug vor sich stehen sehen. Da konnte er anregend sein, wie es wenigen Menschen gegeben ist; mit der grössten Liebe ging er auf Alles ein und wusste es auch aufs vorzüglichste zu erklären. – Ging es dann wieder zurück, so freute er sich schon von weitem auf seinen Kaffee und seine «Peif», ohne welche er sich ein gemütliches Leben gar nicht vorstellen konnte! –

*     *     *


Man mochte ihn aufsuchen, wann man wollte, stets war er in seinem kleinen Studirstübchen an der Arbeit zu finden. Eigentliche Aufträge hatte er erst gegen das Ende seines Lebens gefunden; Alles, was früher entstanden, machte er auf eigene Faust und suchte erst nachher einen Verleger oder Käufer dafür. Da er aber keine kaufmännische Ader besass, so wurde er auch nur selten in entsprechender Weise bezahlt. (Für eine der von ihm selbst auf Stahl radirten Platten seines Hauptwerkes über den «Schweizer Holzstil» erhielt er z. B. 50 Fr.)!

Gladbach war keine produzirende Künstlernatur. Seine Bedeutung lag in der mustergültigen Wiedergabe von Bauwerken, namentlich der Holzbauten der Schweiz. Hier leistete er geradezu Vorzügliches, da sich eine ungemeine Kenntnis der Holzkonstruktionen mit einem seltenen Darstellungsvermögen vereinten, und die ganze Schönheit und Schlichtheit dieser einfachen Volksarchitekturen nur von einer ähnlich schlichten und naiven Künstlerseele so liebevoll und überzeugend wiedergegeben werden konnten.

Er war geborner Federzeichner, und alle seine Reproduktionen liefen auf diese Manier hinaus. Seine ersten Werke radirte er selbst auf Stahl, später zeichnete [7] er die Blätter gross in Feder für Zinkographie und Lichtdruck. Ein gütiges Geschick hat ihm sein Augenlicht bis in sein höchstes Alter erhalten; im 82. Jahre vollendete er seine letzte Publikation.

Merian, der berühmte Kupferstecher des 17. Jahrhunderts, war ihm der höchste Lehrmeister. Von ihm hatte er die Art des Federzeichnens erlernt, die Lehre von den drei Gründen, die sich gegen einander abheben müssen, übernommen, bis auf den Wolkenschatten, der auf keinem Vordergrunde fehlen durfte; auch in der Behandlung des Baumschlages und der Luft schloss er sich eng an ihn an – ohne ihn übrigens jemals genau zu kopiren. In seinem Nachlasse befindet sich noch ein Manuskript über «Federzeichnen und Radiren», worin er zum grössten Teile auf Merian zurückgreift, in der Behandlung der Architekturen aber zu einer völlig neuen Art gelangt, wie dies bei der Besprechung der einzelnen Werke nachgewiesen werden soll.

*     *     *

Ein anderes Gebiet, das er mit Vorliebe pflegte, war das Aquarell. Hier aber kam er nie über die trockene Manier hinaus, wie sie vor 50 Jahren fast allgemein herrschte. Man suchte alles nach bestimmten Regeln zu behandeln und mit Rezepten zu erreichen, was nur mit langem Naturstudium und viel Gefühl gemacht werden kann. Auch hierüber hat Gladbach eine Anleitung verfasst, aus welcher vielleicht einige Notizen von Interesse sind. «Um ein vollkommenes, harmonisches Aquarell auszuführen, sieht man vorerst von allen Lokalfarben ab, wie wenn die ganze Landschaft, mit weisser Kalkfarbe angestrichen, gleichsam im Negligé wäre, und behandelt zuerst die Schatten nach der Luftperspektive: im Hintergrund mit Kobalt, im Mittelgrund mit Indigo und im Vordergrund mit Sepia. – Für die Bemalung der Lichtflächen nimmt man für Himmel und Erde die umgekehrte Reihenfolge der Farbe an, d. h. für die Erde behandelt man die Lichtflächen des Hintergrundes mit Karmin, des Mittelgrundes mit Mennige und des Vordergrundes mit Gelb, während für den Himmel die untersten Schichten mit Gelb, die mittleren mit Mennige und die obersten mit Karmin angelegt werden, an welche sich zuletzt Kobalt anschliesst. Erst wenn diese Töne wie die Regenbogenfarben so harmonisch als möglich mit sehr sanften Uebergängen vollendet sind, übermalt man die ganze Himmelsferne und Mittelgrund mit reinem Kobalt in mehreren aufeinander folgenden Lagen, sowie die obersten Luftschichten mit Berliner Blau. – Die Wolken werden mit sanfter Neutraltinte schattirt, die Lichtflächen mit reiner Mennige belegt» u. s. w.

[8] Da sich Gladbach selber strenge an diese Regeln hielt, so war es nicht zu verwundern, dass ein Aquarell stets aussah wie das andere, und die gute Natur nicht sehr glimpflich dabei wegkam. Und doch hatte diese Art auch wieder eine grosse Berechtigung: als Hintergrundsmalerei für Architektur- und Ingenieurprojekte. Hier darf die Malerei gerade nicht malerisch sein, sondern hat sich, in gewissem Sinne stilisirend, der Zeichnung anzupassen, damit das Projekt möglichst hervorgehoben werde und sie nur den begleitenden Hintergrund bilde. Und wie viele solcher Blätter hat der alte Professor in seinem langen Leben für Schüler gemalt. Blatt um Blatt giengen sie hinaus in die Welt, oft an sich kleine Kunstwerke, und hunderte von Schülern bewahren daran ein teures Andenken an ihren liebenswürdigen Lehrer. –

*     *     *

Auf seinem Arbeitstische lag stets ein kleines aufgeschlagenes Buch, sein Tagebuch. Von jedem Tage seines Lebens, von früher Jugend bis zu den letzten Stunden zeichnete er auf, was er erlebte und arbeitete. Meist sind es kurze Notizen ohne poetischen Schwung, aber oft auch rührend naiv und von unendlicher Güte zeugend.

Auf diesen Tagebüchern und seinen Erzählungen fussend, sind die folgenden Notizen über sein Leben gegeben. Ausserdem ist eine kurze von ihm selbst 1894 verfasste Biographie, sowie das von ihm aufgestellte genaue Verzeichnis seiner Werke vorhanden. – In der Schweizerischen Bauzeitung vom 16. Januar 1897 erschien eine Biographie Gladbachs von Professor Lasius, welcher der Verfasser auch einige Daten verdankt.




Ernst Gladbach entstammt einer geistreichen deutschen Schwärmerfamilie. Sein Vater, Fritz Gladbach, war als junger Mann nach Paris gegangen, von Freiheitsideen begeistert und seine gute Advokaturpraxis in Hannover im Stiche lassend. Nach mannigfachen Schicksalen in der republikanischen französischen Armee (er kämpfte unter Hoche) kam er nach Gründung des Kaiserreiches nach Darmstadt als Legationsrat, wo er sich mit einem Fräulein Hessemer verheiratete. (Von ihm ist ein sehr interessantes Tagebuch vorhanden, das wertvolle Aufzeichnungen aus dieser bewegten Zeit enthält und entschieden kulturhistorischen Wert besitzt). – Sein ältester Sohn Georg machte die Freiheitsbewegung der dreissiger Jahre in Deutschland mit und musste nach der Schweiz fliehen, wo er in Aarau Professor an der Kantonsschule wurde. Dem jüngeren [9] Sohne, Ernst, ging dieser Zug vollständig ab; an Politik hat er sich nie praktisch beteiligt. Hatte er doch, wie er selbst erzählte, «eine so herzensgute Amme gehabt, dass ihm der Hang zu seiner grossen Gutmütigkeit für’s ganze Leben eingeimpft wurde»! Ein Kind ist er auch zeitlebens geblieben, aber eines jener Glückskinder, denen ein gütiges Geschick den sichern Instinkt für ihren Lebensgang mitgegeben, den sie gehen, ohne zur Seite zu sehen, und auf dem sie in ihrem engen Gebiete das Höchstmögliche leisten.

In der Familie der Mutter trat das künstlerische Element stark hervor. Ein Bruder der Mutter war Baurat Bernhard Hessemer in Darmstadt, dessen Sohn, Fritz Hessemer, sich ebenfalls der Architektur zuwandte und später Professor am Städel’schen Institut wurde. Der bedeutendste Verwandte war jedoch Baudirektor Moller, der eine Schwester der Mutter geheiratet hatte, daneben aber auch noch blutsverwandt mit der Familie Gladbach war.

Am 30. Oktober 1812 wurde Ernst Gladbach in Darmstadt geboren. Bei ihm trat die Freude an künstlerischer Tätigkeit schon sehr früh auf und äusserte sich bald mit einer Bestimmtheit, wie sie sonst dem träumerischen Knaben nicht eigen war. Der Vater wollte von Kunst nicht viel wissen, sondern den Sohn vor allem wissenschaftlich und sprachlich ausbilden lassen; dabei verfuhr er jedoch mit solcher Strenge, dass der Sohn schliesslich heimlich das Haus verliess, um sich bei seinem Onkel Wedekind einzuquartiren und von hier aus ganz seinem Herzenstriebe zu folgen. Onkel Moller nahm sich nun seiner an, und damit war seine Berufsfrage, das Studium der Architektur, entschieden.

Moller nimmt unter den Architekten Deutschlands eine ganz hervorragende Stellung ein, und es war für Gladbach ein grosses Glück, gerade in seine höchst anregende Umgebung zu kommen. In diesen Jahren erbaute Moller das Mainzer Theater, an welchem er in origineller Weise zuerst den Rundbau des Zuschauerraumes auch im Aeussern zum Ausdrucke brachte. Gladbach durfte an der Ausarbeitung der Baupläne mithelfen und wurde dafür zum ersten Male zu seiner grossen Freude bezahlt.

Moller muss es verstanden haben, seine jungen Angestellten höchst geschickt auszuwählen und vorzüglich auszubilden, denn die Namen sämtlicher jungen Leute, mit denen Gladbach zusammenarbeitete, haben im spätem Leben einen guten Klang erhalten: Fritz Hessemer, Christoph Riggenbach aus Basel, W. Mithoff aus Hannover, Ferdinand Stadler von Zürich, H. v. Rietgen u. a. m. Mit ihnen allen trat Gladbach in anregenden Verkehr, und treue Freundschaft verband sie bis zu ihrem Tode.

[10] Neben seiner praktischen Bautätigkeit war Moller auch bahnbrechend durch Herausgabe eines vorzüglichen Werkes über mittelalterliche Architektur, in welchem er seine eingehenden Studien über altdeutsche Baudenkmäler niederlegte. Er publizirte darin zum ersten Male eine Reihe alter Baurisse, wie es auch seinem Scharfsinne zu verdanken ist, dass der Originalriss des Kölner Domes als solcher erkannt und gerettet wurde. An all’ diesen anregenden Studien liess er den jungen Neffen teilnehmen und förderte damit eine Seite in ihm, die sich später mehr und mehr zu seiner Haupttätigkeit entfalten sollte. Dankbar erkannte auch Gladbach die grosse Anregung an, die er in jener Zeit von seinem Vetter, Fritz Hessemer, erfahren. Er durfte ihn oft auf seinen Reisen begleiten und erhielt von ihm einen vorzüglichen Unterricht im Zeichnen nach der Natur.

In diese Jahre fällt auch die erste Publikation Gladbachs. In seiner freien Zeit zeichnete er eine Reihe Ansichten von Darmstadt, welche er mit Hülfe der Kupferstecher Rauch auf Kupfer radirte und an den Buchhändler Leske verkaufte. Ein Abdruck wurde von ihm als Modell in Wasserfarben vorgemalt, worauf Leske die einzelnen Blätter von Fabrikmädchen nach diesem Muster aquarelliren liess.

Die Folge dieser Blätter war ein schöner Auftrag des Engländers Knight. Gladbach musste für ihn Ansichten aus Mannheim, Wiesbaden, Boppard, Speier und Worms zeichnen und namentlich die Dome der letztern Orte aufnehmen. Die Blätter selbst wurden von Kupferstecher Snell radirt und einzeln in den Handel gebracht.

Nach beendigter Lehrzeit riet Moller seinem Neffen, die Universität Giessen zu besuchen, um sich hier für das Staatsexamen in Sprachen und Hülfswissenschaften auszubilden. Die Mutter beschaffte durch Anleihen die nötigen Geldmittel, und nun begannen die Wanderjahre. In Giessen hörte er Chemie bei Liebig und Mathematik bei Umpfenbach, siedelte aber später nach Heidelberg über, wo namentlich sein berühmter Landsmann Gervinus einen grossen Einfluss auf ihn ausübte. Durch diesen wurde er auch bei dem Historiker Schlosser eingeführt, für welchen er zeitlebens grosse Verehrung bewahrte und dessen Weltgeschichte er bis ins höchste Alter immer wieder mit grösster Begeisterung las.

Nach glücklich bestandenem Staatsexamen kam er als wohlbestellter Accessist zuerst nach Bensheim an der Bergstrasse, wo er «hauptsächlich das Rauchen erlernte und seitdem höchst eifrig betrieb», später aber nach Nidda zu dem vortrefflichen Kreisbaumeister Ritter. Drei Jahre verbrachte er hier in anregender Tätigkeit, wobei er in erster Linie bei dem Ausbau des Kurbadehauses Salzhausen beschäftigt war. In der Familie seines Vorgesetzten fand er dabei sehr liebevolle Aufnahme und lernte in der [11] Schwester von Frau Ritter seine spätere Frau kennen. Trotz ihrer damaligen fünfzehn Jahre verlobte er sich mit ihr, vorerst noch heimlich, da er selbst einige Jahre auf eine definitive Anstellung zu warten hatte.

Nach dreijähriger praktischer Tätigkeit nahm er einen längeren Urlaub zu einer Reise nach Norddeutschland, vor Allem aber nach Italien, mit der bestimmten Absicht, «seine Aufnahmen in einem dritten Bande zu Mollers Werk über Gothische Baukunst herauszugeben». Die Reise führte ihn 1837 über Hannover nach Berlin, wo ihm die Empfehlungen Mollers die Häuser vieler bedeutender Männer öffnete. Er lernte Schinkel kennen und aufs Höchste verehren, er kam öfters zu Rauch ins Atelier, verkehrte mit Hegel und konnte bei Langhans an dessen Plänen für das Palais des Prinzen Wilhelm mitarbeiten. Über Dresden, wo er Prof. Semper kennen lernte, führte ihn der Weg wieder zurück nach Mainz zu kurzem Wiedersehen mit seiner Verlobten und nach Darmstadt zu seiner Mutter, die beim Abschied für Italien ihre Tränen verbarg in der bangen Ahnung, dass sie ihren geliebten Sohn nicht mehr werde zurückkehren sehen.

In Begleitung seines Freundes Mithoff wurde die italienische Reise angetreten, Mailand kurz besucht, und der erste längere Aufenthalt in Florenz genommen. Hier trafen die beiden Freunde mit Gervinus und dessen junger Frau zusammen, mit welchen sie höchst anregende Abende verlebten. Nach eingehenden Studien in Pisa und Orvieto wurde endlich in Rom für lange Zeit Station gemacht. Hier erreichte ihn seine Ernennung zum Kreisbaumeister, womit die Veröffentlichung seiner Verlobung verknüpft war, – aber auch zu gleicher Zeit die tiefschmerzliche Nachricht vom Tode seiner geliebten Mutter.

Der Urlaub begann zu Ende zu gehen. Neapel und Paestum wurden rasch besucht, um vor allem die Reise rings um Sicilien herum noch in Ruhe machen zu können. Ein höchst ergötzliches Tagebuch existirt hierüber mit viel Humor in Text und Bildern. In origineller Weise umritten sie auf Maultieren die ganze Insel in 30 Tagen unter Führung des braven Giovanni und des Dieners Giuseppe, die für alles zu sorgen hatten und meistens selber auch kochten. Es waren noch billige Zeiten, denn der Akkord mit dem Führer war so gemacht, dass sie für alle Bagage, Cafe, Frühstück und Pranzo, Nachtlager, sowie für drei Maultiere nur 4 Piaster 3 Tarini, d. h. etwas mehr wie einen Napoleon bezahlten! Das ungewohnte Reiten brachte anfangs mancherlei Beschwerden mit sich, und dass der Diener abwechselnd hinter den einzelnen aufsitzen musste, war auch nicht gerade angenehm, doch gewöhnten sie sich bald an alles, und Gladbach verzeichnete mit Vergnügen verschiedentliches Steckenbleiben in Sümpfen und frugale Mahlzeiten unter freiem Himmel. Der Führer, der anfangs etwas mürrisch gewesen und über die unberufene Jugend klagte, die Bärte trüge, taute zusehends auf und erwies sich als [12] höchst zuverlässig, zumal bei der Besteigung des Aetna am 18. Oktober 1838. Als die beiden Freunde glücklich aus dem Stein- und Aschenregen zurückgekehrt waren, gelobten sie, sich stets am Jahrestage ihrer Aetnabesteigung zu schreiben. Es geschah dies auch bis zum Tode Mithoffs, worauf Gladbach die treue Anhänglichkeit auf dessen Schwester übertrug und bis wenige Jahre vor seinem Tode die Korrespondenz mit dieser fortsetzte.

Nach nochmaligem kurzem Aufenthalte in Rom kehrten sie über Verona, Bremen und München in die Heimat zurück, wo Gladbach sofort die Kreisbaumeisterstelle von Oberingelheim mit Wohnsitz in Mainz übertragen erhielt und am 2. Mai 1840 seine Hochzeit mit Henriette Aull feierte.

Eine Kreisbaumeisterstelle der damaligen Zeit brachte höchst selten eine künstlerische Aufgabe mit sich; sie bestand fast ausschliesslich in der Erhaltung der vorhandenen Gebäude und erforderte eine Unmasse trockener Schreibereien. Da ihn dies alles höchst wenig befriedigte, wandte er seine ganze freie Zeit wieder dem Studium der mittelalterlichen Architektur zu, um Mollers Werk fortzusetzen. Eine Reihe von Aufnahmen waren von ihm schon früher gemacht worden, andere Bauten nahm er neu hinzu, und bald konnten die ersten Blätter dem Kupferstecher zur Reproduktion geliefert werden. Allein diese Stiche genügten ihm ganz und gar nicht. Schon im Moller’schen Werke waren sie höchst ungleich ausgefallen, da jeder Stecher nach seiner eigenen Auffassung arbeitete und von der Architektur gewöhnlich sehr wenig verstand. So kommt es zum Beispiel vor, dass im gleichen Werke eine sehr malerische aber architektonisch ungenügende Ansicht des Limburger Domes neben einem Gesamtbild von Marburg steht, das höchst unerfreulich in trockenen, hölzernen Kontouren gegeben ist. Auch Gladbach erfuhr jetzt das Gleiche und entschloss sich rasch, die Übertragung auf die Platten selber zu besorgen, und man ist höchst freudig überrascht, wenn man beim Durchblättern des Werkes nach den anfänglich nüchternen Seiten auf das erste von ihm selbst radirte Blatt, den Hof von Münzenberg, trifft. Da paart sich das Verständnis des Architekten mit der Kenntnis des Archäologen und einer mustergültigen einfachen und doch liebevollen Wiedergabe, so dass er in diesen Publikationen fast unerreicht auch heute noch dasteht. Die geometrischen Ansichten sind meist nur mit den einfachsten Mitteln gegeben und auf die schlichteste Weise geätzt, so dass man sie fast für Stiche halten könnte; auf malerische Wirkung ist vollständig verzichtet zu gunsten des rein archetektonischen Eindruckes. Bei den perspektivischen Ansichten ist mehr auf Wirkung gesehen, aber auch hier ganz in Merian’scher Weise die Hauptsache strenge herausgehoben, alles klar und in ruhigen Schraffuren gegeben.

Während sich Gladbach voll Schaffensfreude ganz dieser Arbeit widmete, brachen [13] schwere häusliche Sorgen über ihn herein. Zwei Söhne und eine Tochter hatte ihm seine junge Gattin schon geschenkt, als sie nach der Geburt des vierten Kindes schwer lungenleidend wurde. Das jüngste Kind starb, und die Frau musste zu besserer Pflege zu einer Tante nach Mainz übersiedeln, wo sie 1849 ihrem Leiden erlag. Die Tante nahm nun auch die drei Kinder zu sich nach Mainz, so dass Gladbach wieder allein und einsam in der Welt stand. Seine Aufnahmen waren herausgegeben, eine neue künstlerische Aufgabe nicht in Sicht. Da begann er mathematischen Problemen nachzugrübeln und sich völlig von der Welt abzuschliessen, so weit es die Amtsgeschäfte nur erlaubten, – war er doch auch in den wenigen Jahren fünfmal versetzt worden, so dass er nirgends zu dem ihm so nötigen menschlichen Verkehr gekommen war. Aus diesem für sein Talent höchst unerfreulichen Stadium riss ihn eine Berufung an das eidgenössische Polytechnikum nach Zürich, welcher er mit Freuden folgte. Er hatte dies seinem Jugendfreund Ferdinand Stadler zu verdanken, der an dem neugegründeten Polytechnikum Baukonstruktionslehre dozirte, sich aber mehr zu eigenem produzirendem Schaffen hingezogen fühlte. Er fand Gladbach höchst unglücklich in seiner Stellung in Oppenheim und beschloss, ihn als seinen Nachfolger zu empfehlen; auch Gervinus verwandte sich warm für ihn, so dass er 1857 von dem damaligen Schulpräsidenten, Dr. Kern, als Professor für Baukonstruktionslehre ernannt wurde.

Mit vollem Eifer und grösster Freude gab sich Gladbach seiner neuen Lehrtätigkeit hin, die seiner Natur weit mehr angepasst war, als die praktische Bauausführung. War er doch wirklich ein geborener Lehrer, wenn ihm auch sein Fach nicht gerade auf den Leib zugeschnitten war. Aber der Zauberschlüssel für alle Lehrtätigkeit war ihm zu Teil geworden: bei seinen Schülern die Freude am Fach zu erwecken und sie zu eigener Tätigkeit anzuregen. Mit Worten konnte er es freilich nicht – eine Rednergabe hat er nie besessen und trotz der 32jährigen Übung nie erworben – aber schöne Worte allein haben in der Kunst noch nie Früchte gezeitigt. Zeichnen, Darstellen aber konnte er alles in der überzeugendsten Weise und mit einer Beherrschung jeglicher Technik, wie sie nur Wenigen gegeben ist. Was ihm dabei auch die Herzen aller Schüler gewann, war seine grosse Güte und sein liebevolles Eingehen auf jeden Einzelnen, wobei er nur zu oft seine eigene freie Zeit opferte, um einen Hintergrund auf eine fertige Zeichnung zu malen, und seine ganze Befriedigung in dem Danke des Schülers fand. Noch ein anderer Zug trug viel zu seiner grossen Beliebtheit bei den Schülern bei: die fast übergrosse Harmlosigkeit, die ihm manchen lustigen Streich spielte, über welchen er aber selbst zuerst so herzlich lachte, dass jedem Spotte die Spitze abgebrochen war, wie er sich auch über jeden Scherz seiner Schüler freuen konnte, wenn [14] er nicht gar zu sehr über das Mass hinausging. So bildete sich ein förmlich herzlicher Verkehr heraus, der ihm die treue Anhänglichkeit seiner Schüler für das ganze Leben sicherte.

Charakteristisch für ihn war auch ein Zug von Selbstironie, der oftmals wiederkehrte, wie er zum Beispiel seinen Vortrag über Baukonstruktion einmal folgendermassen eröffnete: «Meine Herren, ich habe in meiner Praxis drei grössere Bauten ausführen müssen, – und alle drei sind mir verunglückt! Ich hatte eine Kirche zu bauen mit der Bedingung, dass man die Kanzel von allen Plätzen aus sehen solle – und als die Kirche fertig war und der Pfarrer predigen wollte, sah ihn der grösste Teil der Gemeinde

gar nicht! Dann hatte ich ein Stadttor zu bauen, das den grössten Lastwagen durchlassen sollte. Als jedoch der erste schwerbeladene Heuwagen hindurchfahren wollte, blieb er stecken! Endlich hatte ich ein Rathaus zu errichten mit einem Turme über dem Eingang – und der Turm fiel mir ein!» Ein wahrer Sturm von Heiterkeit erhob sich, wobei er sehr vergnügt mitlachte und schliesslich erklärte: «Und nun meine Herren, will ich Ihnen auch gleich zeigen, warum dies passirte, und wie Sie es bei Ihren zukünftigen Bauten vermeiden können».

Das Colleg über Baukonstruktion wurde nun der Ausgang zu neuen Studien, aus denen sein bedeutendstes Werk hervorgehen sollte. Für das Kapitel über Holzkonstruktionen begann er Aufnahmen an alten Holzhäusern zu machen, in denen die [15] Schweiz es zu einem völlig ausgebildeten eigenen Stile gebracht hat. Auf längeren Studienreisen in den Herbstferien ging er den einzelnen Richtungen nach und brachte Mappen voll der schönsten Aufnahmen und Skizzen mit nach Hause. Die ersten grossen Blätter zeichnete er nur für sein Colleg, doch wurden sie durch Freunde dem Darmstädter Verleger Köhler zugesandt, der sich zur Herausgabe eines Werkes über den Schweizer Holzstil entschloss. (Die beiden vorgedruckten Kunstbeilagen sind diesem Werke entnommen und von dem jetzigen Verleger, Herrn Cäsar Schmidt, bereitwilligst zur Reproduktion überlassen worden). Mit der grössten Selbstlosigkeit gab sich Gladbach dieser Arbeit hin, denn die Bezahlung war geradezu kläglich im Verhältnis zu seiner hervorragenden Leistung. Aber die Arbeitsfreude war um so grösser, und so gelang es ihm, ein Werk zu schaffen, das seinen Namen für immer in der Geschichte der Architektur erhalten wird. Zu gleicher Zeit leistete er aber auch seinem zweiten Vaterlande, der Schweiz, einen nicht hoch genug anzuschlagenden Dienst, dass er diese Holzbauten der Nachwelt überlieferte; mehr als die Hälfte der schönen Bauten ist schon jetzt vom Erdboden verschwunden, und auch die andern werden über kurz oder lang dem alles verzehrenden Feuer erliegen müssen.

Von früheren Publikationen über das gleiche Thema war nicht viel vorhanden; einzig die Holzbauten des Berner Oberlandes waren in Aufnahmen veröffentlicht worden. Gladbach hat das Verdienst, das ganze reiche Gebiet des Schweizer Holzbaues zuerst erforscht, die einzelnen Richtungen unterschieden und in typischen Beispielen wiedergegeben zu haben. Er findet die älteste Weise des Blockverbandes in Uri und Schwyz, wo sich noch spät mittelalterliche Formen daran erhalten haben. Die Blockhäuser von Unterwalden und Luzern nähern sich schon mehr den Bernern, in denen sich der Blockverband zu reichster Blüte entfaltet hat. Die Blockhäuser von Zürich, Zug und St. Gallen zeigen mit ihren hohen, steilen Schuppendächern schon einen entschieden andern Charakter, welchem sich der von Appenzell anschliesst. In den Kantonen Thurgau und Aargau und im Flachlande von Zürich und St. Gallen wird der Blockbau zum Teil verlassen und an seine Stelle ein abgespreiztes und verstrebtes Ständerwerk mit eingeschobener Bohlenwand gesetzt. Daneben tritt das mit Steinen ausgemauerte Fachwerk mehr und mehr auf, wobei aber die Holzverbindungen noch stets in sorgfältigster Weise ausgeführt sind. Einen andern Gebäudetypus findet er in Solothurn, Oberaargau und Emmental, wo Viehzucht und Ackerbau verbunden sind und Menschen und Vieh unter einem weiten Dache wohnen, das den Hauptteil des Gebäudes ausmacht und von Alters her mit Stroh gedeckt war. – Endlich zeigen die Wohnhäuser des Ober- und Unterengadin sowie des Albulatales eine höchst interessante Bauart, indem sich hier [16] das Blockhaus hinter der Steinmauer verbirgt und nur an gewissen Teilen im Äussern, dagegen ganz im Innern zum Vorschein kommt. Wie sich hier italienische und deutsche Einflüsse kreuzen, wird sehr schön nachgewiesen, auch die Einwirkung der Tyroler Holzbauten in den an den Giebeln häufig offenstehenden Dachstühlen gezeigt.

Vor allem geht Gladbach auf das rein Konstruktive der Bauten aus und erklärt daran, wie sie nicht nur schweizerisches sondern ganz allgemeines Interesse bieten und in ihrer Ausbildung Muster für alle Zeiten sein können. «Wir finden im Schweizer Holzstile alles, was die Architektur eines sinnigen Landvolkes anziehend machen kann: Einen Schmuck, der mit der Umgebung harmonirt, der die Pflanzenwelt in vielverschlungenen


Wein- und Obstranken zu der bescheidenen architektonischen Schöpfung heranzieht, Wände und Vordächer mit einem frischgrünen Teppich bekleidet und so Natur und Kunst innig und malerisch mit einander verbindet, einen Schmuck, der ebensowohl von dem noch frischeren poetischen Sinne der letzten Jahrhunderte, wie die Sinnsprüche an den Häusern und die Beziehungen der Ornamente zu den Beschäftigungen der Bewohner, Zeugnis gibt, als auch die kindliche Phantasie der Handwerker spiegelt, denen die Freude an ihrer Arbeit auch noch ein Lohn für dieselbe war. Dabei zeigt sich eine stilistische Formenwelt, welche selbst bei den reichsten, phantastischen Schnitzwerken niemals der Natur des Materials oder der Konstruktion zuwiderläuft und vorzugsweise bei Aufbietung äusserst geringer dekorativer Mittel stets eine verständige Rücksicht auf Massenwirkung zeigt». – Erst in den späteren, barocken Zeiten des 18. [17] Jahrhunderts verschwinden diese gesunden Prinzipien, die Konstruktion versteckt sich hinter vorgenagelten Brettern, oder es treten fremde, sogenannte klassische Formen auf, die der Natur des Materiales zuwiderlaufen.

Neben der konstruktiven Auseinandersetzung gibt Gladbach im begleitenden Texte noch eine Fülle von Details über Einrichtung der Häuser und alte Gewohnheiten, die ebenfalls zu verschwinden beginnen. So beschreibt er zum Beispiel höchst anschaulich die Feuerungseinrichtung der alten Strohhäuser, die mit ihrer sinnreichen Konstruktion weit weniger feuersgefährlich war als die jetzige Vorschrift des gemauerten Kamines mit umgebender Ziegeleindeckung. – Mit seinem Frage- und Sammeleifer kam er freilich bei den alten Bauern oft übel an und mehr als einmal wurde er davongejagt, da man einen Steuerbeamten oder noch Schlimmeres hinter ihm witterte. Mit Humor liess er es über sich ergehen und erfuhr doch schliesslich alles, was er wollte.

In der Art der Wiedergabe ist bei diesem Werke noch ein grosser Fortschritt gegenüber der Fortsetzung des Moller’schen Werkes zu konstatiren. Vor allem bildete er sich in der Technik der Radirung noch weiter aus. Er beschränkte sich nicht mehr auf einen Grund, sondern brachte mit einem zweiten und dritten Grund mit neuen Strichlagen grosse Mannigfaltigkeit und Tiefe in den Schattentönen hervor, ohne jemals darin die Klarheit zu verlieren oder das kleinste Detail zu vernachlässigen. Er behandelte freilich auf diese Weise seine Radirung mehr wie einen Kupferstich und der Reiz des Ätzens war ihm ziemlich ein Geheimnis geblieben – aber für architektonische Darstellungen war seine Art zu arbeiten gerade die richtige.

Auch die feine Ausführung der Zeichnung selbst und das liebevolle Eingehen auf das kleinste Detail steigerte sich noch in diesem Werke gegenüber dem früheren. Während er damals sehr viel nur in Kontouren gab, ist jetzt alles, selbst konstruktive Details in feinster Art schattirt, wobei er bei der Darstellung des Holzes zu einer ganz eigenartigen Technik gelangte. Er studirte die Fasern des Holzes mit der eingehendsten Beobachtung, wie aus der umstehenden Illustration hervorgeht, und charakterisirte jede Holzfläche mit der ihr eigenen Zeichnung, so dass das Ganze den abwechslungsvollen Reiz dieser tieffarbigen Holzbauten in feinster Weise widergibt.

Aber noch etwas kam hinzu, um eine Reihe Blätter dieses Werkes nicht nur zu guten Aufnahmen, sondern zu wirklichen, in sich abgeschlossenen Kunstwerken zu machen. Wie diese schweizerischen Holzhäuser meist sehr charakteristisch in der Landschaft stehen, wie sie in Form und Farbe harmonisch damit zusammenwirken, so fasste auch Gladbach seine Aufgabe höher und gab die ganze Umgebung in der gleichen liebevollen Erfassung zu den Bauten hinzu. Und wie sich der Weinstock üppig um [18] das «Haasehöfle» rankt, das mit seinem Stalle idyllisch an der sanft ansteigenden Berghalde liegt, während das «Pfarrhaus von Steinen» aus dunkeln Ahorngruppen herausschaut und darüber die schroffen Zacken der Mythen sich erheben, – so ist das ganze Werk, Blatt um Blatt, ein Denkmal von Schweizer Kunst und Schweizer Land, das zu Herzen geht und darin nachklingt, wie ein schönes einfaches Volkslied.



In den Kreisen der Sachverständigen wurde die Arbeit ungemein anerkannt, nur der pekuniäre Erfolg war leider höchst gering. Und doch hätte er ihn auch so dringend nötig gehabt. Die Reisen und Aufnahmen kosteten viel Geld, die Kinder wuchsen heran, und der Gehalt war nicht gross. Dazu fehlte die sorgende Hausfrau, und ihm selbst ging das Geld aus den Fingern wie die Milch aus dem zerbrochenen [19] Topfe. Mit viel Humor konnte er später erzählen, wie oft Schmalhans Küchenmeister bei ihm war, und wie er seine ganze Bibliothek, Stück für Stück, beim Antiquar verkaufte, wie selbst der vielgeliebte Merian von seinem alten Gestell herunterwanderte, um in Geld umgesetzt zu werden! Später gelang es ihm dann freilich wieder, ihn zurück zu erwerben. Aber derartige Widerwärtigkeiten des Lebens berührten ihn im ganzen wenig; wie ein Träumer ging er hindurch und freute sich dabei über jedes Blümlein, das am Wege stand. Und kam der Sturm einmal gar arg über ihn, so zog er sich gleichsam seine Kapuze über den Kopf und betrachtete vergnügt das Spiel der Regentropfen am Kapuzenrand – mochte es dann draussen stürmen, so viel es wollte!

Am 19. Mai 1863 verheiratete er sich in zweiter Ehe mit Auguste Buck von Wilpoltsried, und nun beginnen sich die verworrenen häuslichen Verhältnisse langsam zu klären. Nachdem er in verschiedenen Wohnungen in Riesbach und Oberstrass gewohnt, gelang es ihm, ein kleines Häuschen auf dem Zürichberg oberhalb der Kirche Fluntern zu erwerben, das ihm die treue Sorgfalt seiner Frau nach und nach zu einem behaglichen Wohnsitze umgestaltete. Auch die Familie vergrößerte sich, zwei weitere Söhne wuchsen ihm heran und die Tochter verheiratete sich an einen Zürcher Lehrer.

In diese Zeit fällt eine neue Arbeit von Gladbach, Vorlegeblätter zur Baukonstruktion, die bei Meyer & Zeller in Autographie erschienen und nur für den engeren Kreis der Schüler bestimmt waren. Aber zu einer weitern Betätigung seines grossen Talentes kam es lange nicht mehr. Jahre vergingen mit kleinen Arbeiten und vor allen Dingen wimmeln die Tagebücher wieder von mathematischen Notizen. Wiederum spann er sich ganz in geometrische Probleme ein, oder verlor seine Zeit mit schlecht bezahlten Privatstunden.

Endlich war anfangs der achtziger Jahre die erste Auflage des «Schweizer Holzstiles» nahezu vergriffen. Der Verlag desselben ging auf Cäsar Schmidt in Zürich über, der sich entschloss, bei der zweiten Auflage eine weitere Serie mit neuen Aufnahmen hinzuzufügen. So konnte Gladbach aufs neue wieder seinen geliebten Bauten nachgehen, und trotz seiner siebzig Jahre unterzog er sich mit jugendlichem Eifer der schönen Aufgabe. In erster Linie galt es diesmal der Verbindung von Stein- und Holzbau, wie er in einer Reihe von Schweizer Kantonen vorherrscht und vor allem in den reichen Bauten von Stein am Rhein zu mustergültigem Ausdruck gelangte. Aber auch die entlegensten Alpentäler suchte er auf und fand zum Beispiel in den Seitentälern des Rhonetales noch reiche Ausbeute, wie die originellen Bauten aus dem Lötschentale zeigen. Zudem begann er auch die Reste der Malereien an den Häusern möglichst zu sammeln, und es gelang ihm, eine Reihe höchst origineller Studien dafür mit nach [20] Hause zu bringen. In dem Werke findet sich leider wenig davon in Reproduktion und das Wenige fällt sehr ab gegen die schwarzen Blätter. Um so mehr aber befand sich davon in seinen Studienmappen, und es ist ein grosses Glück, dass dieser ganze Reichtum in den Besitz des schweizerischen Landesmuseums übergegangen ist.

Die Wiedergabe der Blätter für diese zweite Serie geschah nun leider nicht mehr durch Originalradirung. Seine Augen hatten durch das zunehmende Alter derart abgenommen, dass sie die anstrengende Technik der Radirung nicht mehr ertrugen. Nach längeren Proben mit photomechanischen Druckverfahren entschloss er sich zur Herausgabe der Blätter in Lichtdruck. Nach den gleichen Prinzipien und mit der alten liebevollen Sorgfalt zeichnete er die Blätter gross in Feder, worauf sie von Römmler & Jonas

in Dresden in mustergültigem Lichtdrucke etwas verkleinert als Facsimile wiedergegeben wurden. An die geradezu klassischen selbstradirten Blätter der ersten Serie reichen sie zwar nicht heran, doch sind auch sie noch immer eine grosse Leistung.

Zwischen diese beiden Werke fällt noch die Herausgabe einer kleinen zusammenfassenden Arbeit über die «Holzarchitektur der Schweiz», die bei Orell, Füssli & Cie. erschien. In reizvollen, kleinen Holzschnitten, die Gladbach selber auf den Stock vorzeichnete, ist hier alles Charakteristische herausgegriffen und der Stoff mehr für ein grösseres Publikum als nur für Fachleute behandelt. Die beigegebenen kleinen Illustrationen sind diesem Werke entnommen, das es verdientermassen zu mehreren Auflagen brachte und auch mehrfach übersetzt wurde.

Eine Menge kleinerer Aufträge und Arbeiten erledigte er nebenbei, unter denen die künstlerische Ausstattung des Werkchens «Klein aber Mein» höchst erwähnenswert [21] wert ist. Herr Schindler-Escher hatte eine Konkurrenz für Erlangung von Plänen für billige Arbeiterhäuser ausgeschrieben und liess die preisgekrönten Pläne durch Professor Gladbach für Reproduktion in Feder zeichnen. Die Blätter erschienen in schönen Lichtdrucken unter dem obengenannten Titel und zeigen in ihrer einfachen Weise aufs anschaulichste, dass auch billige und rein praktische Bauten nur durch gute Verhältnisse und hübsche Gruppirung reizvoll wirken können.

Als Gladbach schon gegen die achtzig Jahre vorrückte, erhielt er noch von dem Berliner Verleger Claesen den Auftrag, ein neues Werk über Schweizer Holzbau herauszugeben, dem sich ein solches über Tyrol anschliessen sollte. Das Alter machte sich nun doch sehr bemerkbar, das Reisen fiel ihm schwer, und seine kindliche Unbeholfenheit wuchs mehr und mehr, – Eines aber blieb ihm unverwandt treu: die Sicherheit der Hand und der Augen. Und so reiste er denn nochmals während dreier Sommer in die Alpen, freilich stets mit einem genauen Reiseverzeichnis sämtlicher einzuschlagenden Routen, Abfahrten und Ankünfte, an die er sich sklavisch hielt, da er nicht mehr im Stande war, selber die Fahrpläne nachzusehen. Und unterwegs liess er sich stets von einem Knaben oder einem Mädchen begleiten, das ihm den Weg zeigen, seine Sachen tragen und während der Arbeit den Schirm halten musste, belohnte dann aber auch seine kleinen Getreuen aufs reichlichste.

Von all den Reisen brachte er wieder wertvolles Material zurück und lieferte in dem neuen Werke: «Charakteristische Holzbauten der Schweiz» einen wertvollen Nachtrag zu seinen ersten Arbeiten, wobei er nun auch Möbel und Innenräume möglichst berücksichtigte. Eine Reihe bekannter Häuser wurde hier noch publizirt, wie das alte Wirtshaus «Treib» am Vierwaldstättersee u. s. w.

In der Technik ging er dabei etwas von der reinen Federzeichnung ab. Er legte das Ganze in weichen Tuschtönen an, um dann erst mit der Feder zu modelliren. Die Blätter erhalten damit oft etwas Weiches, Harmonisches, wie er selbst in seinen alten Tagen immer weicher und stiller wurde. Mit 82 Jahren erlebte er die Freude, dass die letzte Lieferung erschien, und damit war dann auch sein Lebenswerk vollendet. Der Schweizer Ingenieur- und Architektenverein hatte ihn zu seinem Ehrenmitgliede ernannt, während er in seinen letzten Jahren noch die Anerkennung erfuhr, dass der deutsche Ingenieur- und Architektenverein in seiner Publikation der deutschen Holzbauten auch eine Reihe seiner früheren Aufnahmen aus dem hessischen Vogelsberg publizirte.

In seiner Familie hatten ihm die letzten Jahre auch viel Freude gebracht. Der älteste Sohn hatte eine gute Anstellung am Technikum in Hildburghausen (Sachsen) gefunden, der zweite, der Professor an der Kantonsschule in Aarau war, sich glücklich [22] verheiratet; auch die Söhne zweiter Ehe waren herangewachsen, der ältere hatte schon einen eigenen Hausstand gegründet und Gladbach genoss die grosse Freude, zwei lustige Enkelkinder um sich spielen zu sehen; der zweite Sohn hatte eine eigene Töpferei in Deutschland eingerichtet.

Nach 32jähriger Tätigkeit am Zürcher Polytechnikum wurde Gladbach höchst ehrenvoll pensionirt, mit vollem Gehalte auf Lebenszeit und dem Wunsche, dass er diese Pension noch viele Jahre in Gesundheit verleben möge! Über tausend Schüler hatte er herangebildet, von denen viele in engem Verkehr mit ihm blieben und wohl alle in grosser Anhänglichkeit seiner gedenken. Und wie er die Herzen seiner Schüler zu gewinnen wusste, so stand er auch mit seinen Kollegen am Polytechnikum im besten Verhältnisse, – hatte er doch stets nur volle Anerkennung für die Leistungen anderer, denen er sich meist nur allzu bescheiden unterordnete. Dafür war er aber auch für das kleinste Lob höchst empfänglich, und kam es gar aus dem Munde eines Mannes, den er sehr verehrte (wie zum Beispiel von Prof. Jul. Stadler), so konnte er tagelang in rührender Freude strahlen, die jedem nahe ging, der es mit erlebte.

So vergingen ihm die letzten Jahre in sonnigem, sorgenlosem Dahinleben, ohne Krankheit oder Beschwerden des Alters, nur die Kräfte nahmen langsam aber stetig ab, körperlich und geistig. Kurz vor Weihnachten 1896 stellte sich grössere Schwäche ein, doch freute er sich am Weihnachtstage noch auf die Bescherung und wollte daran teilnehmen. Gegen Abend überfiel ihn grosse Müdigkeit, er musste sich legen, und sanft und schmerzlos trat der Tod im Schlafe an ihn heran.

Oben auf der Höhe des Zürichbergs, wo Gladbachs Lieblingsspaziergang war, liegt der neue Friedhof von Fluntern; ringsum rauschen die Tannenwälder und schweigend grüssen die Alpen herüber. Dort wurde er zur letzten Ruhe gebettet, und es war rührend zu sehen, wie neben Familie und Freunden auch die alten Bauern der Nachbarschaft es sich nicht nehmen liessen, trotz Schnee und Sturm dem «alten Professor» das letzte Geleite zu geben.

W. L. Lehmann.


(Vignette)


[23]
Verzeichnis der Publikationen Gladbachs.




1. 1827 erschienen bei Buchhändler Leske 10 Blatt Radierungen in kleinem Format von Ansichten aus Darmstadt.

2. Im Auftrage des Engländers Knight zeichnete er Ansichten aus Mannheim, Wiesbaden, Worms, Speier etc., welche von Kupferstecher Snell radiert wurden.

3. Herausgabe eines 3. Bandes von Mollers Werk über mittelalterliche Baukunst, bei Buchhändler Leske in Darmstadt. 1843.

4. «Der Schweizer Holzstil in seinen kantonalen und konstruktiven Verschiedenheiten vergleichend dargestellt mit Holzbauten Deutschlands». Darmstadt, Karl Köhlers Verlag. 1868.

5. «Vorlageblätter zur Baukonstruktion», Verlag von Meyer & Zeller in Zürich.

6. «Holzarchitektur der Schweiz», Verlag von Orell Füssli & Co. in Zürich. 1. Aufl. 1875, 2. Aufl. 1885.

7. «Der Schweizer Holzstil». Zweite Serie, Verlag von Cäsar Schmidt. 1886.

8. «Charakteristische Holzbauten der Schweiz vom 16. bis 19. Jahrhundert, nebst deren inneren Ausstattung». Verlag von Claesen, Berlin. 1893.




[25]
[27]
Das Haasehöfli bei Steinen.
[29]
Das Pfarrhaus in Steinen von 1653.