Römische Cäsaren/Caligula

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Autor: Johannes Scherr
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Titel: Römische Cäsaren. Caligula
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1–4, S. 11–15, 34–36, 47–49, 67–71
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Römische Cäsaren.

Von Johannes Scherr.
Caligula.[1]

Gaji turbata mens et furiosa inconstantia.     
(Des Gajus Irrsinn und rasende Unstätheit.) 
Tacitus und Seneca. 


1.

Im März des Jahres 37 der christlichen Zeitrechnung zog auf der Straße von Misenum nach Rom eine Procession einher, welche der fünfundzwanzigjährige Gajus Cäsar, genannt Caligula, führte und deren Mittelpunkt der Sarg des Tiberius bildete.

Der Zug glich weit mehr einer Triumphalpompa denn einem Bestattungsgeleite. Die geräuschvoll festlichen Sympathiebezeigungen, womit die Procession den ganzen Weg entlang empfangen und begleitet wurde, galten nicht dem todten Kaiser, sondern dem lebenden, seinem Nachfolger. Bei Gelegenheit von Regierungswechseln haben ja die Menschen von jeher es geliebt, ihren thörichten Hoffnungen überschwänglichen Ausdruck zu geben. Aus allen Ortschaften von rechts nach links strömte das Volk scharenweise herbei, um den Weg Caligula’s mit Blumen zu bestreuen. Ihm zu Ehren dampften an der Straße errichtete Altäre voll Weihrauchsopfern. Die Menge rief Heil und Segen auf sein Haupt herab und überschüttete ihn mit Schmeichelnamen wie „Augenstern“, „Püppchen“, „Bübchen“, „Pflegekindchen“.

[14] Der Gefeierte benahm sich diesen Huldigungen gegenüber anständig und bescheiden. Sein Gebaren ließ das Unvortheilhafte seiner Persönlichkeit vergessen. Um so leichter, als die Vergleichung seiner Erscheinung mit der des finsteren Einsiedlers von Capri doch immerhin sehr zu seinen Gunsten ausfallen mußte.

Als die erste Botschaft vom Tode des alten Tyrannen nach Rom gelangt war, hatte der städtische Janhagel das Gebrüll erhoben: „in den Tiber mit dem Tiberius (Tiberium in Tiberim)!“ Davon war aber keine Rede mehr bei der Auknnft des Leichengeleites in der Hanptstadt. Macro, der kommandirende General des Gardecorps, hatte in Verbindung mit der senatorischen Polizei dafür gesorgt, daß die Exequien dessen, vor welchem noch so eben das römische Reich gezittert hatte, in aller Ordnung vonstatten gingen, Caligula hielt, „bitterlich weinend“ (cum plurimis lacrimis), seinein Großoheim auf dem Forum die Grabrede, in welcher er mehr vom Augustus und vom Germanicus als vom Tiberius sprach und das romische Volk nicht ungeschickt zu bekomplimentiren verstand. Darauf wurde der todte Kaiser unter Entfaltung großen Pompes nach dem Marsfeld getragen und auf den dort errichteten Scheiterhaufen gelegt. Mit der Verbringung der Asche in das cäsarische Mausoleum war die Feierlichkeit zu Ende und hob das Regiment des Caligula an, welches schon nach wenigen Monaten den Römern sehr fühlbar machte, daß „selten etwas Besseres nachkommt".

Der neue Kaiser vereinigte in sich das Blut des julischen und des claudischen Geschlechts und leider hatte er mit diesem Blut zugleich weit mehr die Verkehrtheiten und Laster der Julier und der Claudier als ihre guten Eigenschaften und Vorzüge überkommen. Insbesondere vergeilte sich in ihm der angestammte claudische Hochmuth rasch zu größewahnwitzigem Dünkel und schlug zu so märchenhafter Ueberhebung aus, daß er nicht allein für einen Gott angesehen sein wollte, sondern auch selber alles Ernstes an seine Göttlichkeit glaubte. Er verdient daher als eins der merkwürdigsten Exemplare, welche jemals in dem riesigen Narrenhause der sogenannten Weltgeschichte rumorten, unsere volle Aufmerksamkeit. Auch in modernen Zeiten haben Völker die Regierung von notorischen Narren geduldet, aber Narren von solcher Kolossalitat wie Caligula, Nero und Elagabal hat doch nur das in Geund und Bodens verderbte Römervolk ertragen. Nur aus dem riesigen Sumpfe der kaiserlichen Roma konnten solche Kolosse von Upasbäumen aufschießen.

Von den zwei Schwestern des Octavius Augnstus hatte (die jüngere) Octavia den Mittriumdir ihres Bruders, den Marcus Antonius, geheiratet und demselben zwei Töchter geboren. Die jüngere, Antonia, war dem Prinzen Drusus, dem Bruder Tibers, vermählt worden und hatte zwei Söhnen das Leben gegeben, dem Volksliebling Germanicus und dem Halbtrottel Claudius, von welchem seine Mutter zu sagen pflegte, er wäre „von der Natur nicht fertiggenäht, sondern nur zu Faden geschlagen“, und den sein Oheim Augustus einen „Defekten“ an Leib und Seele, einen „Tropf“ und „Fex“ nante - was alles jedoch den „nur zu Faden Geschlagenen“ nicht hinderte, eines Tages Imperator urbis et orbis, ja sogar der Gemahl der Baleria Messalina zu werden. Germanicus heiratete die kaiserliche Prinzessin Agrippina, welche den großen Minister Agrippa zum Vater und des Augustus Tochter Julia zur Mutter hatte. Diese Agrippina, welche, um sie von ihrer gleichnamigen Tochter, der Mutter Neros, zu unterscheiden, die ältere heißt, gebar ihrem Gemahl am 31. August des Jahres 12 zu Antium den Gajus Cäsar Caligula.

Die Erziehung des Prinzen war sehr mangelhaft. Sein Vater nahm ihn mit in die Feldlager in Germanien und Syrien, starb aber zu vorzeitig (i. J. 19), als daß er auf die Entwickelung des Sohnes hätte einwirken können. Der Knabe kam dann unter die schlaffe Zucht von Frauen: erst seiner Mutter, hierauf, als diese beim Tiberius in Ungnade gefallen und ins Exil geschickt war, seiner Urgroßmutter Livia und endlich, als diese gestorben, seiner Großmutter Antonia. Im Jahre 32 rief ihn sein Großoheim Tiber zu sich nach Capri, wo er bis zum Ableben des Kaisers zumeist verweilte, mit sklavischer Unterthänigkeit in alle Thyrannenlaunen des düsteren Greises sich fügend. Dieser hielt nicht viel von dem Großneffen, sondern sehr wenig, und der Prinz hatte weder das Zeug noch den Willen, diese üble Meinung in eine bessere umzuwandeln. Er war ein beschränkter, aufgeblasener Junge, dem die Vorstellung von seiner Wichtigkeit schon frühzeitig zur fixen geworden war, träge zum Lernen, stumpf für alles Bessere und Höhere, mit einem starken Hang sowohl zur Lüderlichkeit als zur Grausamkeit behaftet, dabei einer Dosis jener gemeinen Schlauheit nicht entbehrend, welche sich zu ducken, zu kriechen und zu heucheln versteht, bis die Zeit gekommen, wo sie stolziren, despotisiren und bramarbasiren darf. Der Urgrund von all seiner Verkehrtheit mag woht in dem ererbten Blut zu suchen gewesen sein. Er litt darum in Knabenjahren an einer schrecklichen Krankheit, der Fallsucht, und obzwar später seine Körperkräfte so zunahmen, daß er Anstrengungen auszuhalten vermochte, so warf ihn maßlose Ausschweifung doch immer wieder in eine solche Schwäche zurück, daß er zeitweilig weder stehen noch gehen konnte und seine Gehirnnerven den Dienst versagten. Es ist kennzeichnend, daß der Prinz schon auf Capri, sobald das kalte Auge des Großoheims nicht auf ihm ruhte, seinen schlechten Instinkten freien Lauf ließ. Seine bevorzugten Gesellschafter waren Komödianten, Schnurranten und Saltanten. Die Qualen Gefolterter oder Hinzurichtender mitanzusehen, war eine seiner Freuden.

Beschmeichler der Prinzenschaft des jungen Menschen haben ihn frühzeitig glauben gemacht, er wäre ein Genie. Die barocken Einfälle, die er mitunter hatte, wurden von seinen Schranzen als Proben höchster Witzigkeit belacht und beklatscht. So, wenn er seine Urgroßmutter Livia einen „Ulysses im Unterrock“ (Ulyssem stolatum) nannte. Der verderblichste seiner Schmeichelfreunde war aber der jüdische Prinz Herodes Agrippa, welcher als Exulant in Rom lebte und mittels maßloser Verschwendung die vornehme römische Jugend in alle Ueppigkeit und Lasterfülle orientalischer Höfe einweihte. Die grüßte Gefahr vonseiten des Einflusses, den er auf Caligula übte, lag darin, daß er die enge Gehirnfülle desselben mit der Wahnvorstellung zu füllen suchte und wußte, ein orientalischer Monarch wäre etwas ganz Anderes, etwas unendlich viel Besseres und Erhabeneres als ein römischer Cäsar und Princeps, dessen Macht ja durch die noch immer bestehenden Formen und Formeln der Republik eingeschränkt sei. Ein orientalischer König der säße auf seinem Thron als der wirkliche und leibhafte Gott seiner Unterthanen, Herr über aller Gut und Leben, unumschränkt, unfehlbar, allmächtig und sacrosanct. Einer derartigen Unterweisung bedurfte es gerade noch, um den schwachen Kopf des Prinzen schwindelig und wirbelig zu machen.

Der alte Tiberius, welcher aller Verdüsterung ungeachtet bis zuletzt ein starkes Bewußtsein seiner Herrscherpflichten besaß, erkannte zum voraus das Unheil, welches das Regiment seines Großneffen über den römischen Staat bringen konnte und würde. Deßhalb trug er sich wiederholt mit dem Gedanken, den Caligula abthun zu lassen. Er hätte auch wohl diesen Gedanken zur That gemacht, wenn sein doch immerhin lebhaftes dynastisches Gefühl anderweitige Hoffnungen hätte hegen dürfen. Aber es sah ja hinsichtlich der Thronnachfolge schlimm aus in der kaiserlichen Familie. Des Kaisers i. J. 19 geborener Enkel Tiberius Gemellus, Sohn des Drusus, stellte sich so sehr als Schwächliug an Geist und Körper heraus, daß er kaum weniger Fex war als sein Vetter Claiidius. Der General Macro, Caligula´s Militärgouverneur, welcher hoffen durfte, unter der Cäsarschaft seines Zöglings die erste Rolle im Staate zu spielen oder vielleicht gar die Entwürfe Sejans mit mehr Glück wieder aufnehmen zu können - Macro wußte seinen Gebieter zu überreden, daß Caligula nicht umgebracht werden dürfe, weil dessen Dasein zur Sicherung der Thronnachfolge nothwendig sei.

Für den General sollte ein Tag kommen, welcher ihn seine hilf- und erfolgreiche Dazwischenkunft bitter bereuen ließ. Der greise Kaiser mag sich den Beweisgründen seines Ministers achselzuckend gefügt haben, und es ist vielleicht gestattet, anzunehmen, daß der grimmige Menschenverächter bei dieser Gelegenheit das grausam schadenfrohe Wort habe fallen lassen. sein Großneffe Gajus „lebe zu seinem und aller Verderben“ und er, Tiberius, „erziehe in Caligula dem römischen Volk eine giftige Natter und dem Erdkreis einen Mordbrenner“ (se natricem populo romano, Phaëthontem orbi terrarum educare).

Er machte auch noch einen Versnch, die Macht, welche er seinem Großneffen hinterlassen mußte, durch Theilung derselben einigermaßen einzuschränken. Denn er setzte ein Testament auf, kraft dessen er den Principat und alle seine Besitztümer seinem [15] Enkel Tiberius Gemellus und seinem Großneffen Gajus gemeinsam vermachte, und sorgte auch dafür, daß die Existenz und der Inhalt dieser seiner letzten Willensbestimmung in Rom bekannt wurde. Aber es half nichts. Macro erkannte zwar, das tiberische Testament ließe sich, weil zum voraus bekanntgeworden, nicht beseitigen. Aber er war entschlossen, einen Mitprincipat des jungen Tiberius nicht aufkommen zu lassen, und setzte zu diesem Zwecke die bekannte Maschinerie des „vernünftigen Volkswillens“ in Bewegung. Er brachte das Testament Tibers in der Sitzung des Senats vor, führte aber zugleich aus, dieser letzte Wille des verstorbenen Kaisers beruhte auf der ganz unstatthaften Voraussetzung, daß sein Enkel, bekanntermaßen ein unreifes, schwächliches, untaugliches Jüngelchen, zum Mitprinceps das Zeug hätte. Während er noch redete, brach der Janhagel als Sprachrohr der „vox populi vox dei“ in die Curie herein, brüllend, das römische Volk wolle den Sohn des Germanicus, nur den Sohn des Germanicus zum Cäsar und Princeps haben, und die „versammelten Väter“ sagten Ja und Amen dazu.

Das Testament des Einsiedlers von Capri wurde in den Papierkorb der Weltgeschichte geworfen und Caligula war von Stund’ an Alleinherrscher.

[34]
2.

Das Gemälde, welches uns Sueton und Seneca von dem Nachfolger des Tiberius geliefert haben, ist vielleicht mehr Zerr- als Ebenbild. So zurückstoßend kann die Persönlichkeit des neuen Kaisers wohl nicht gewesen sein. Wenigstens nicht in der ersten Zeit seiner Herrschaft, wo doch seine Erscheinung und sein Gebaren zu seiner unermesslichen Popularität auch etwas beitragen mußten. Wenn wir die allzu grellen Farben, welche die genannten Gewährsmänner angewandt haben, etwas abtönen, so gewinnen wir dieses Bild: – Hochaufgeschossen, war Caligula ganz ungewöhnlich breit von Schultern und dick von Leib („corpore emormi“). Zur Massenhaftigkeit des Oberkörpers standen aber die dünnen Schenkel und Beine in einem kläglichen Mißverhältniß. Darum war sein Gang, obzwar er auf sehr langen und breiten Füßen lebte, schlotterig und schlenkerig. Die Haare waren ihm, etliche Borsten im Nacken ausgenommen, schon in Jünglingsjahren ausgegangen und diese Kahlheit machte die unschöne Form seines Schädels noch auffallender. Das Antlitz mit seiner schmutzigen Blässe, mit den tiefliegenden und starrblickenden Augen, mit dem harten und mürrischen Ausdruck und mit der häufigen Muskelverzerrung, welche den Epileptiker verrieth, – dieses Antlitz vermochte die Unebenheiten der Statur nicht auszugleichen. Kam nun, wie es der Fall war, zu allen diesen Reizen noch eine heisere, in den höheren Tönen kreischende Stimme, so muß die Liebe, welche das romische Volk dem Sohne des Germanicus entgegentrug, so recht blind gewesen sein und taub obendrein. Aber wann und wo hätte die Liebe oder der Haß der urtheilslosen Menge je nach Gründen gefragt? Zudem suchte sich ja der neue Kaiser dieser selbigen Menge genehm und angenehm zu machen, indem er sich bemühte, in seinem ganzen Thun und Lassen jeder Zoll Pöbel zu sein und einen süddeutsch-mundartlichen Ausdruck zu gebrauchen, als gar „gemeiner“ Herr sich aufzuführen.

Die Verhältnisse, unter welchen Caligula zur Herrschaft gelangte, hätten kaum günstiger sein können, als sie waren. Wir besitzen eine Schilderung derselben, die aus der Feder eines Zeitgenossen geflossen, aus der Feder des alexandrinischen Juden Philo. Das ist ein wahres Loblied auf die Regierung des Tiberius; denn nur der trefflichen Organisation und straffen Handhabung derselben waren Zustände zu verdanken, wie Caligula sie vorfand. „Das römische Reich,“ sagt Philo, „war ruhig und gut verwaltet, wohlgeordnet und festgefügt in allen seinen Theilen. Nord und Süd, Ost und West, Grieche und Barbar, Soldat und Bürger waren mitsammen vereint im Genuß eines gemeinsamen Friedens und Behagens. Ueberall im Reiche war Ueberfluß an aufgesparten Gold- und Silberschätzen, an gemünztem oder künstlerisch gearbeitetem Edelmetall. Eine gewaltige Streitmacht stand bereit, Fußvolk und Reiterei, Landheer und Flotte. Die finanziellen Hilfsquellen flossen in ununterbrochener Fülle. In allen Städten sah man nichts als Altäre und von weißgekleideten und bekränzten Priestern dargebrachte Opfer, überall Festversammlungen und Fröhlichkeiten, Pferde- und Wagenrennen, musische Wettkämpfe und Vergnügungen aller Art. Der Reiche trat nicht den Armen, der Starke nicht den Schwachen, der Herr nicht den Sklaven, der Gläubiger nicht den Schuldner zu Boden. Denn die Unabhängigkeit jeder Bevölkerungsschichte fand die ihr gebührende Achtung und, alles in allem genommen, konnte das von den Dichtern gepriesene saturnische Zeitalter nicht mehr für märchenhaft, sondern für in dieser gesegneten Zeit zur Wirklichkeit geworden gelten.“

Solche Herrlichkeit währte von dem ersten Tage der Kaiserschaft Caligula’s an noch ganze sieben Monate, länger nicht. Gerade so lange nämlich währte es, bis die wildwahnwitzigen Züge des wahren Caligula die Maske des gemachten, gekünstelten und geheuchelten durchschlugen.

Zuvörderst gleißte die Maske gar holdselig. Der Mund des neuen Herrschers trof von Honig. Er sei nichts als das Kind und Mündelkind des Senats, ließ er sich vernehmen; er sei nur dazu da, die Mühen und Sorgen der Regierung mit den versammelten Vätern zu theilen, und er wolle in allem und jedem von ihrer erprobten Weisheit sich leiten lassen. Weiterhin, wie bemühend es für ihn sei, der letzten Willensmeinung des verstorbenen Kaisers in betreff des jungen Tiberius Gemellus leider nicht stattgeben zu können. Aber sein theurer Vetter wäre eben noch viel zu zarten Alters, um die Bürde des Regiments mit ihm, Caligula, theilen zu können. Der theure Vetter hätte noch Vormünder, Lehrer und Leiter nöthig und er selbst wollte ihm alles dieses, ja geradezu Vater sein. In der That, er war dem armen Jungen Vater, so ein Kater-Vater, welcher seine Sprösslinge vor lauter Liebe auffrißt.

Sinnlose Verschwendung verschafft bekanntlich bei der Menge Kredit. Wer „es recht nobel gibt“ – gleichviel, woher die Mittel dazu kommen – der imponirt dem großen Haufen. Caligula erfuhr das auch und die Mittel zur Vergeudung hatte ihm ja sein sparsamer Vorgänger bereitgestellt, welcher einen Staatsschatz von 500 Millionen Mark hinterließ, eine für dazumal, allwo es noch kein Papierschwindelgeld gab, ungeheure Summe. Binnen sehr kurzer Zeit wußte der „freigebige“ Gajus, der „großmüthige“ Gajus damit fertigzuwerden. Er warf das Geld mit vollen Händen aus, an die Gardesoldaten und Legionäre, an die Beamten und Bürger, an die Vornehmen und Geringen, an Gemeinden und Personen, an alle Welt. „Welch ein Kaiser! So einen müssen wir haben. Heil dem Gajus Cäsar!“ jubelte das gesammte Bettelpack in der Hauptstadt und in den Provinzen.

Und wie „liberal“ der neue Besen kehrte, will sagen der neue Kaiser regierte! Er gab eine große Amnestie: die Staatsgefängnisse leerten sich und die Verbannten kehrten aus dem Exil zurück. Das Geschäft der Angeber und Falschzeugen rentirte nicht mehr. Hätte es im damaligen Rom schon eine „Presse“ gegeben, so würde sich Caligula auch als ein Freund der Preßfreiheit aufgespielt haben. Einstweilen mußte er sich damit begnügen, den Wiederverkauf verboten gewesener Schriften zu gestatten. Weiterhin bemühte er sich um die Sicherung der richterlichen Selbständigkeit und Unabhängigkeit und wollte, daß die Bürger Einsicht in den Staatshaushalt bekämen, zu welchem Zwecke er die Veroffentlichung des Budget anordnete. Endlich that er sich auch als Eiferer für die guten Sitten auf, indem er notorische Lasterbuben und ihre gewissenlosen Helfershelfer und Werkzeuge aus der Hauptstadt verweisen ließ. Seine eigenen Sitten freilich, die ließen nicht viel, aber alles zu wünschen übrig. Seine Wüstlingsnatur war zu brutal, um eine Verschleierung ertragen zu können. Sein Verhältniß mit der Frau des Gardegenerals Macro, sein Verhalten zu seinen drei Schwestern, namentlich das zur Drusilla, der zweitältesten derselben, forderten die Kritik heraus. Aber sie schwieg vorderhand. Einem so trefflichen, so liberalen Fürsten mußte man seine kleinen Zerstreuungen nachsehen, ja sogar seine großen. Als die Verordnung erging, daß der dem Kaiser zu leistende Treueid der Unterthanen die Formel enthalten sollte: [35] „Ich selbst und meine Kinder sollen mir nicht theurer sein als Gajus Cäsar und seine Schwestern“ – wurde dieser Senatsbeschluß mit jauchzender Begeisterung aufgenommen. Die verknechteten Römer hatten überhaupt, ein triviales, aber zutreffendes Wort zu gebrauchen, an dem „Soldatenstiefelchen“ einen Affen gefressen. Während der drei ersten Monate seiner Herrschaft wurden für seine Gelangung zum Principat den Göttern 160 000, sage einhundert- und sechzigtausend Dankopfer dargebracht.

Es ist die Art bornirter und halbwissender Menschen, sich für ungemein gescheid und für zu allem geschickt zu halten. Sie lieben es, ihre Unzulänglichkeit hinter einer lärmenden Vielgeschäftigkeit zu verstecken. So auch Caligula. Wenigstens zwei volle Monate durch that er so, als ob er alles verstände und alles allerhöchsteigenhändig anfassen, alles selber thun und machen wollte. Natürlich kam dabei nur „viel Lärm um nichts“ heraus oder, was noch schlimmer, eine bedenkliche Störung und Wirrung der Regierungsmaschine. Der Regieruugseifer des kaiserlichen Konfusionärs ließ auch bald nach und seine fahrige Unruhe warf sich auf ein anderes Feld. Auf das der Lustbarkeiten nämlich. Er machte sich, so zu sagen, zum Maître de plaisir und Oberceremonienmeister des römischen Volkes. Er wollte, sagte er, das goldene Zeitalter des Augustus zurückführen, eine Zeit allgemeiner Ergötzung und Freude, und er bot wirklich alles auf, Rom in eine Schlaraffei zu verwandeln. Wagenrennen, Thierhatzen und Fechterspiele jagten sich in den Cirken und Arenen, alles massenhaft, prunkvoll, riesig verschwenderisch, und der Kaiser ging seinen entzückten Unterthanen in gieriger Hingabe an maßlose Genußsucht voran. Die Folgen kamen rasch. Eine furchtbare Vergemeinerung und Verwilderung riß ein. Unerhörtes geschah: des kaiserlichen Beifalls gewiß, erniedrigten sich römische Senatoren zu Wagenlenkern im Cirkus und römische Ritter zu Gladiatoren in der Arena. Noch mehr, Caligula gab in seiner Schamlosigkeit den Römern das beispiellose Schauspiel, daß er unter der Leitung eines beliebten Komödianten öffentlich als Ballettänzer sich sehen und als Sänger sich hören ließ. Ob er, wie die Sage ging, auch als Cirkuskutscher und Gladiator aufgetreten sei, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Gewiß ist dagegen, daß des taumelvollen Lotter- und Lasterlebens für seine Kräfte zu viel war. Er hatte seinen Muskeln und Nerven mehr zugemuthet, als sie auszuhalten vermochten. Er verlor den Appetit und aus dem kargen Schlaf, den er finden konnte („incitabatur insomnia maxime“), wurde er durch grausige Traumgesichte aufgeschreckt. Dann sprang er vom Lager auf und schwankte oder stürmte wie in Fieberdelirien durch die Hallen des Palastes, mit den dräuenden Schattengestalten ringend, welche seine kranke Phantasie ihm vorgaukelte, und angstvoll nach dem ersten Tagesschimmer rufend.

Im achten Monat seiner Kaiserschaft brach er zusammen und fiel in lebensgefährliche Krankheit. Da kamen seine Beliebtheit und die Knechtschaffenheit seiner Unterthanen drastisch zum Vorschein. In der Hauptstadt, wie in den Provinzen, waren Sorge und Traurigkeit geradezu gränzenlos. Bei Tag und Nacht umlagerte eine Volksmenge das Palatium, ängstlich harrend und theilnahmevoll dem Zustande des Kranken nachfragend. Und dabei blieb es nicht. Die Römer waren bekanntlich von jeher stark in der Leistung von Gelöbnissen aller Art und jetzt fanden sich Leute, welche gelobten, ihr Leben für das des Kaisers zu lassen. Ein gewisser Afranius Potitus gab bekannt, daß er das Gelübde gethan, sein Leben zu opfern, wenn Gajus Cäsar genesen würde, und ein sicherer Atanius Secundus that das Gelöbniß, für die Genesung des Kranken in die Arena hinabzusteigen und als Gladiator auf Leben und Tod zu kämpfen. Der wiedergenesene Caligula hat das, falls dem Sueton (Cal. 27) zu glauben ist, ernsthaft genommen und die beiden unterthänigen Gelober gezwungen, ihre Gelübde zu erfüllen. Das sieht freilich wie ein später erfundener „Witz“ aus; aber so ein Witz war dem Caligula schon zuzutrauen.


3.

Als Lotterbube und Halbnarr war er auf’s Krankenlager gesunken, als Ganznarr und Tyrann der schlimmsten Art erhob er sich von demselben. Aus dem Genußfex war ein Blutfex geworden, ohne daß er aufgehört hätte, ein Schlemmer, Vergeuder und Wüstling zu sein. Was er als solcher verbrach, darüber mag der Schleier des Schweigens gebreitet sein. Auch über das Aergerniß seiner Heiraten und Scheidungen und es genüge, anzugeben, daß er vier Gemahlinnen hatte: Junia Claudilla, Livia Orestilla, Lollia Paulina und Milonia Cäsonia. Die letztgenannte hielt ihn aus, überlebte ihn jedoch kaum um eine Stunde.

Auch so, wie der Kaiser nach seiner Krankheit sich aufführte, blieb er noch lange der Volksliebling. Die Völker haben ja, wie bekannt, stets mehr auf ihre Quäler als auf ihre Wohlthäter gehalten. Diese mußten allzeit froh sein, wenn sie unverhungert, ungesteinigt und ungekreuzigt davonkamen. Jene aber wurden beschmeichelt, bejubelt, vergöttert, namentlich dann, wann sie es nicht verschmähten, mit der unverständigen Menge sich recht „gemeinzumachen“. Caligula machte sich erzgemein. Verrufenes Pack männlicher und weiblicher Sorte war sein liebster Umgang. In der Gesellschaft von Stallknechten und Wagenlenkern verbrachte er Tage und mitunter auch Nächte. Seine Leidenschaft für die Cirkusspiele war toll. Bei einem seiner tobenden Bakchanale machte er einem Cirkuskutscher, Eutychus, welcher im Wettfahren die grüne Farbe – die Parteien des Amphitheaters waren die grüne, die blaue, die rothe und die weiße – siegen gemacht, das kolossale Geschenk von 2 Millionen Sesterzien, weil er, Caligula, zu den „Grünen“ sich hielt. Seinem Lieblingsrenner Heißsporn („Incitatus“) erbaute er einen eigenen Palast, gab ihm einen förmlichen Hofstaat, Purpurdecken, Halsbänder mit Juwelenschmuck und Krippen von Elfenbein. Er soll auch beabsichtigt haben, diesen Gaul zum Consul ernennen zu lassen, und das Biest wäre am Ende aller Enden nicht der schlechteste Consul gewesen, welchen die „stolzen“ Römer sich gefallen ließen.

Caligula’s Cäsarenwahnwitz wechselte zwischen den Erscheinungsformen des sogenannten Verfolgungwahns und des sogeheißenen Größewahns.

In Stunden des Besessenseins von jenem gab er den ihm angestammten Trieben wildester Grausamkeit freien Lauf. Dann war das Morden ihm Wollust und in der Raserei derselben ließ er auch die Rücksichtnahme auf die Volksgunst gänzlich außeracht. So, wenn er, wildgemacht durch den Anblick des strömenden Blutes, bei einem Thierkampfspiel, als die Anzahl der den wilden Bestien vorgeworfenen Verbrecher ihm unzureichend schien, Plötzlich eine Anzahl von Zuschauern hinter den Schranken hervorzerren und die Unglücklichen den Löwen preisgeben ließ. Er quälte sein krankes Gehirn ab, raffinirte Marter- und Hinrichtungsarten zu ersinnen, und liebte es, seine Gräuelthaten mit rohen Spässen zu würzen und seine Opfer zu verhöhnen, bevor er sie schlachtete. Er pflegte sich seine „Gefühllosigkeit“ als höchsten Vorzug anzurechnen, und als ihm seine Großmutter Antonia einmal gerade dieser grausamen Fühllosigkeit halber Vorstellungen zu machen wagte, sagte er barsch: „Vergiß nicht, daß mir alles gegen alle zu thun erlaubt ist.“

Man sieht, die Unterweisungen des jüdischen Prinzen Herodes Agrippa hatten beim Caligula, welcher dafür seinen Präceptor mit Land und Leuten in Palästina ausstattete, ganz prächtig angeschlagen. Der Sultan war fertig, der Allmachtstaumel war tobsüchtig geworden.

Das erste Opfer von des Kaisers Verfolgungswahn ist sein junger Vetter Tiberius Gemellus geworden. Der Prinz war doch immerhin der Enkel des Tiberius und konnte sich einmal – wer weiß? – als Prätendent aufspielen wollen, also möglicherweise gefährlich werden. Schlußfolgerung aus dieser Voraussetzung: „Weg mit ihm! Einer meiner Gardehauptleute soll das in aller Geschwindigkeit und Stille besorgen.“ Und so geschah es. Wozu der Lärm einer gerichtlichen Untersuchung? Der dazu kommandirte Centurio vollzog seine Ordre und der arme Gemellus büßte sein schemenhaftes Dasein ein, ohne daß seine Ermordung etwas anders als ein halb mitleidiges halb verachtungsvolles Achselzucken erregt hätte.

Mehr Aufsehen, großes sogar, machte es, als Caligula dazu verschritt, den Gardegeneral Macro und dessen Gemahlin Ennia zum Orkus hinabzusenden. Die Frau Generalin, welcher er in zärtlichen Stunden versprochen hatte, sie zur Kaiserin zu machen, war ihm verleidet und dem Herrn General konnte er die riesige Summe von Dank, welche er ihm schuldete, nicht verzeihen. Zudem wagte es Macro, welcher ein tüchtiger Soldat und ein [36] fähiger Politiker war, den Kaiser mitunter an die demselben geleisteten Dienste zu erinnern, wie nicht minder, ihn mit Vorstellungen inbetreff kaiserlicher Herrscherwürde und kaiserlicher Herrscherpflichten zu langweilen. Solche Vermessenheit bewies denn doch klärlich, daß der General ein höchst gefährlicher Mensch war, der höchst wahrscheinlich mit Verschwörungsplänen sich trug. Also hinab mit ihm zur Unterwelt und die aufdringliche Frau Ennia, welche unsere kaiserliche Majestät an angebliche Versprechungen zu mahnen sich erdreistet, soll ihm auf dem Wege dahin Gesellschaft leisten!

[47] Mit dem Bluttrinken steigerte sich der caligula’sche Blutdurst. Nach Macro und seiner Frau kam die Reihe des „Expedirtwerdens“ an den hochangesehenen Marcus Junius Silanus, dessen Tochter Junia Claudilla die erste Gemahlin des Kaisers gewesen war. Diese Schwiegervaterschaft schützte den alten Herrn nicht vor dem Befehl, sich mit einem Rasirmesser den Hals abzuschneiden, weil er seinen kaiserlichen Schwiegersohn, „als dieser bei stürmischer See zu Schiffe ging, nicht habe begleiten wollen, offenbar in der Absicht, sich, so dem Kaiser im Sturme ein Unglück zustieße, der Herrschaft zu bemächtigen." Nun folgten einander die Hinrichtungen um so zahlreicher und rascher, als mit denselben die höchst einträglichen Confiscationen der Vermögen der Hingeschlachteten verbunden waren und der Wegfall gerichtlicher Weitläufigkeiten das lohnende Mordgeschäft so höchst bequem erscheinen ließ. Reich zu sein, wurde ein Verbrechen in dem immer rascher sich vergrößernden Maß, in welchem die rasende Verschwendung des Kaisers sein Geldbedürfniß unersättlicher machte. Die „stolzen“ Römer ließen diese Raubmördereien über sich ergehen ohne zu mucksen.

Mitten in seiner blutigen Finanzerei traf nun den Wütherich ein Schlag, welcher den kaiserlichen Narren zu neuen Tollheiten stachelte. Seine Lieblingsschwester Drusilla erkrankte und starb. Der Kaiser wurde toll darob. Er befahl nicht nur, der Todten eine Bestattungsfeier von beispielloser Pracht zu rüsten, sondern verordnete zum Zeichen allgemeiner Landestrauer einen vollständigen Gerichts- und Geschäftsstillstand, während dessen es als ein todeswürdiges Verbrechen angesehen und bestraft werden sollte, so jemand lachte, badete oder Familientafel hielte. Dann verbarg er sich in der Einsamkeit seiner Villa zu Albano, in allerhand Kindereien Zerstreuung suchend, brach plötzlich von dort auf, durcheilte wie im Fluge Campanien, fuhr von dort hinüber nach Syrakus und kehrte stracks nach Rom zurück. Hier erklärte er die Trauerzeit für geschlossen, befahl aber dem Senat, für die allerhöchstselige Drusilla göttliche Ehren einzusetzen. Hören und gehorchen war für diese Versammlung von Lakaien dasselbe. Einer der Herren Senatoren – Livius Geminus hieß der Wackere – that sogar noch ein übriges in der Niedertracht. Er leistete aus freier Hand einen feierlichen Eid, daß er mit seinen eigenen Augen die allerhöchstselige Drusilla gen Himmel fahren gesehen habe. Ein Senatsschluß erging, Drusilla sollte im Himmel Panthea, d. i. Allgöttin, heißen und es sollte ihr ein Tempel gebaut werden; ein goldenes Standbild der neuen Göttin sei in der Senatscurie, ein zweites von gleicher Art im Tempel der Venus aufzustellen, denn sie sollte der gleichen Verehrung genießen wie diese Tochter Jupiters. Darum sollten die römischen Frauen fortan nur noch bei der Panthea schwören. Der Kaiser selbst schwur von jetzt an nur noch bei der Gottheit Drusilla („per numen Drussilae“). In das Finale dieser ekelhaften Posse mischte Caligula eine Dosis brutalen Humors, indem er dekretirte, von Stund’ an sei jeder zu bestrafen, wer noch über den Tod der Drusilla traure; denn freuen müsse man sich vielmehr darüber, maßen sie ja dadurch eine Göttin geworden.

Die Bereitwilligkeit, ja Beeiferung, womit Senat und Volk den Drusilla-Cult angenommen hatten, forderte zu weiteren Leistungen in dieser Richtung auf. War es doch allzeit und überall die Knechtschaffenheit der Völker, was den Despotismus zur Veranstaltung seiner Orgien ermuthigte, und nur auf der Basis des Sklavensinns der Menschen vermag sich ein Schwindelbau der Tyrannei zu erheben. Das Rom, welches einen Narren von Despoten wie Caligula ertrug, verdiente ihn.

Wenn ich – so mochte der Kaiser kalculiren – im Handumdrehen aus der theuren Drusilla eine Göttin und die Leute an diese Gottheit glauben machen konnte, warum sollte ich nicht mich selber zu einem Gott machen können?

[48] Gedacht, gethan. Hätte es dazumal einen shakspeare’schen Polonius in Rom gegeben, so würde er wohl auch in diesem Wahnsinn „Methode“ gefunden haben – („Thought this be madness, yet there’s method in it“). Denn, in Wahrheit, der caligula’sche Größewahn ging schrittweise und, so zu sagen, logisch vor: zuerst erhob er sich in seiner Einbildung über alle andern Menschen, dann machte er sich zum Halbgott und von diesem ließ er sich zum Ganzgott vorrücken. Beim Alexandriner Philo finden wir diesen Narrenlauf in aufsteigender Linie in seinen Anfängen so gegeben: „Seine, Caligula’s, ihm von der Natur überwiesene Aufgabe und Bestimmung sei die Obhut über die Menschen. Wie nun aber der Geißhirt kein Geißbock, der Rinderhirt kein Stier, der Schafhirt kein Widder sei, sondern ein Wesen höherer Ordnung, so stehe auch er, der Imperator urbis et orbis, der Herr der Welt, seiner Wesenheit nach hoch über den Menschen.“ Die Praktik dieser Theorie war, daß er sich den größten und besten Kaiser („Caesarem optimum maximum“) nannte und die „stolzen“ Römer, ohne alle Rücksicht auf Stand und Rang derselben, wie eine Heerde von Ziegen, Rindern und Schafen behandelte. Mit Vorliebe that er den Vornehmen, den Herren senatorischen und consularischen Ranges, an, was von Demüthigungen nur immer auszusinnen war. Wir werden an den Uebermuth Napoleons erinnert, welcher Rheinbundsfürsten neben seinem Wagenschlag hergaloppiren ließ, wenn wir hören, daß Caligula römische Senatoren zwang, in ihren schweren Togen neben seinem Wagen herzurennen. Alle die grausamen Tollheiten und mörderischen Spässe aufzuzählen, welche er als „Völkerhirt" verübte, müßte Langeweile und Ekel erregen.

Er fand es jetzt an der Zeit, der eigentlichen Vergottungsprocedur Raum zu geben, und spielte sich zuvörderst als Halbgott Hercules auf. Dann legte er sich den Namen und die Attribute des Bacchus und weiterhin die des Apollo bei. Schließlich fand er, daß damit seiner Göttlichkeit noch immer kein rechtes Genügen gethan wäre, und ließ die Erklärung ausgehen, er sei der höchste römische Nationalgott, nämlich der Jupiter Latiaris, und folglich an Rang dem Jupiter Capitolinus, mit dessen Standbild Zwiesprache zu halten er sich den Anschein gab, durchaus ebenbürtig und gleichstehend. Er erbaute seiner Gottheit einen prächtigen Tempel, in welchem als Priester amten zu dürfen für Römer der adeligsten Geschlechter eine eifrig gesuchte Ehre war. In der Cella dieses Tempels stand seine aus Gold gegossene Porträtstatue, welche täglich mit einem dem seinigen ganz gleichen Anzuge bekleidet wurde, und vor welcher täglich Flamingos, Pfauen, Fasanen, Perlhühner und andere kostbare Vögelarten als Opfer fielen. Dem Gotte ziemte auch eine Göttin zur Gemahlin. Daher lud der „Jupiter Latiaris“ in Vollmondnächten die Selene-Luna zum Ehebündniß ein.

Der Senat, Rom und die Provinzen fügten sich dem Willen und Befehl des tollen Tyrannen, daß sein Jupitersstandbild in allen Tempeln aufgestellt werde und daß die Anbetung seiner Göttlichkeit vor den Culten aller andern Götter den Vorrang haben müßte. Nur ein Volk unter allen im römischen Reiche gab es, welches den ehrenwerthen Muth hatte, dieser wahnwitzigen Ueberhebung sich nicht fügen zu wollen: das jüdische. Den Juden, deren strenger Monotheismus und Spiritualismus nicht einmal eine bildliche Darstellung ihres Nationalgottes Jahve duldete, mußten die Vergötzung eines Menschen und die Aufstellung von Standbildern des Vergötzten in ihren Synagogen der Gräuel aller Gräuel sein. Ueberall, wo sie in größerer Zahl niedergelassen waren, erklärten sie kühn und entschieden, der Vollziehung des bezüglichen Senatsbeschlusses Widerstand entgegenstellen zu wollen. Und sie thaten so, wo immer sie es vermochten. Namentlich in Alexandria, in welcher Welthandelsstadt sie ja ein Drittel der Bevölkerung bildeten. Ihr mannhafter Widerstand gegen den befohlenen Blödsinn führte zu einem heftigen Tumult und blutigen Straßenkampf, wodurch die Juden allerdings besiegt, aber doch nicht zur Idololatrie bekehrt wurden. Als für ihre Volksgenossen in Judäa selbst sowohl als für die überall zerstreuten nochmals der förmliche Befehl erging, das caligula’sche Idol im Tempel zu Jerusalem und in allen Synagogen aufzustellen, machten die alexandrinischen Israeliten noch einen Versuch, diese Todsünde von Israel abzuwenden, indem sie wagten, den tollen Kaiser die Sprache der Vernunft und Gerechtigkeit vernehmen zu lassen.

Das versuchte jene alexandrinisch-jüdische Abordnung, an deren Spitze der berühmteste Jude von dazumal, der gelehrte Philo, als Sprecher stand. Dieser griechisch schreibende jüdische Autor hat uns einen Bericht über seine Sendung hinterlassen, welcher fraglos zu den interessantesten zeitgenössischen Aufzeichnungen gehört. Nach vielen vergeblichen Bemühungen gelang es endlich den jüdischen Abgeordneten, eine Audienz bei dem fahrigen Kaiser zu erlangen, aber nur zugleich mit einer andern alexandrinischen Deputation, einer heidnischen, antisemitischen, welche, geführt von einem gewissen Isidorus, den Auftrag hatte, die Juden zu verklagen und denselben entgegenzuwirken. Die feindlichen Abordnungen wurden in den weitläufigen Villen- und Parkanlagen der sogeheißenen Gärten des Mäcenas bei Sr. verrückten kaiserlichen Majestät vorgelassen, welche gerade jetzt neben ihren übrigen Suchten auch noch die Bausucht hatte und beständig von einem Schwarm von Bau- und Gartenkünstlern umgeben war, Pläne besichtigend, den und jenen billigend, um denselben im nächsten Augenblick wieder zu verwerfen, stündlich etwas wollend und wieder nicht wollend, Befehle hervorsprudelnd und sofort widerrufend, umgetrieben wie ein Kreisel, unstät wie Wind und Welle. „Da fanden wir – meldet Philo – den Tyrannen, umgeben von Höflingen, Intendanten, Architekten und Werkleuten aller Art. Alle Sääle und Hallen waren weit aufgethan und er rannte aus einem Gelaß ins andere. Als wir vorgerufen wurden und der Kaiser in seinem wilden Herumfahren einen Augenblick innehielt, begrüßten wir ihn ehrerbietig als Augustus und Imperator.“ Er runzelte sie an mit den Worten: „Aha, ihr also seid die Gotthasser, welche meine doch von der ganzen Welt anerkannte Göttlichkeit leugnen?“ Sprach’s, hob die Hände gen Himmel und fluchte gräulich. Die alexandrinisch-antisemitischen Abgeordneten klatschten Beifall, sprangen und tanzten vor Freude, begrüßten schmeichlerisch-sklavisch den Gott-Kaiser und ihr Sprecher Isidor sagte: „Du wirst, o Herr, die Juden noch mehr verabscheuen, wenn du erfährst, daß sie sich geweigert haben, für deine Wohlfahrt zu opfern.“ Darauf schrien ihrerseits die Juden: „Herr Gajus, wir werden verleumdet. Wir haben geopfert für dich, haben dargebracht Hekatomben für dich, und zwar nicht einmal, sondern dreimal." Worauf Caligula: „Nun wohl, gesetzt, ihr habt geopfert, so habt ihr doch nur für mich geopfert, nicht aber mir.“ Damit wieder auf und davon. Die Juden und die Antijuden ihm nach, Trepp’ auf Trepp’ ab, von Gemach zu Gemach, immer hinter dem Kaiser her und einander mit umgekehrten Liebenswürdigkeiten überhäufend. Plötzlich blieb Caligula wieder stehen und schnarrte, zu den Juden gewendet: „Sagt mir mal, warum eßt ihr kein Schweinefleisch?“ Die Antisemiten lachten, aber Philo gab auf die höhnische Frage des Tyrannen die ganz verständige Antwort: „Jedes Volk hat seine besonderen Sitten, auch unsere Feinde haben ihre Eigenheiten und es gibt ja auch Völker, welche Lammfleisch nicht essen mögen.“ Darauf der Herr Gajus: „Das begreift sich, Lammfleisch schmeckt schlecht.“ Er lachte, überzeugt, daß er einen guten Witz gemacht hätte, und fügte nach einer Pause hinzu. „Laßt mal hören, wie stellt ihr euch denn eigentlich zum römischen Staat?“ Eine verfängliche Frage, allein ein so gewandter Wortschaumschläger wie Philo schrak vor der Beantwortung derselben nicht zurück. Er stellte sich in Positur und begann eine gelehrte Auseinandersetzung der religiösen und politischen Anschauungen und Grundsätze seines Volkes, kam aber damit nicht weit. Denn der Kaiser rannte abermals weg, um die Einsetzung eines aus durchsichtigem Stein geschnittenen Fensters in einem der Sääle zu überwachen. Die Juden immer hinter ihm her. Wieder zu ihnen gekehrt, befahl er: „Fahrt fort.“ Allein kaum hatte der jüdische Redner angesetzt, so stürzte der Kaiser wieder fort, um die Aufstellung von etlichen Gemälden anzuordnen. „Wir gingen ihm immer nach – sagt Philo – mehr todt als lebendig vor Angst, und während wir rechtfertigende und flehende Worte an den Kaiser zu richten wagten, wandten wir uns im stillem Gebet an den großen Gott unserer Väter. Und siehe, der blickte gnädig und erbarmungsvoll auf uns und lenkte des Kaisers Herz zum Mitleid.“

In der That endete die Audienz besser, als zu erwarten war. Nach langem Hin- und Herlaufen blieb Caligula schließlich vor den Juden stehen und entließ sie, halb mitleidig halb vorwurfsvoll, mit den Worten: „Menschen, welche mich nicht [49] für einen Gott halten, sind im Grunde mehr nur unverständig und unglücklich als bösartig und straffällig.“

Freilich, die Juden hatten mittels ihres Muthes und ihrer Zähigkeit nur einen Aufschub der ihnen angedrohten Tempelschändung erlangt, allein dieser Aufschub währte doch gerade lange genug, d. h. bis zum Untergang des Tyrannen, mit welchem natürlich auch seine Göttlichkeit starb. Immerhin haben sich die Juden durch ihren Widerstand gegen den nichtswürdigen Götzendienst vor der übrigen Bevölkerung des römischen Reiches höchst vortheilhaft ausgezeichnet. Denn nicht dieses war das Aergste, daß der Narr Caligula sich für einen Gott hielt – so etwas kommt in jedem Irrenhause vor – sondern das Aergste war vielmehr, daß Millionen und wieder Millionen von „vernunftbegabten“ und „denkenden“ Wesen in feiger Niedertracht so thaten, als glaubten sie an eine Gottheit solcher Sorte.

[67]
4.

Was vom „Gott Gajus“ noch zu melden, ist nur eine ununterbrochene Reihe von Tollheiten. Wenn die römische Gesellschaft von damals nicht gewesen wäre, wie sie war, müßte man noch jetzt, nach achtzehn Jahrhunderten, erstaunt fragen: Aber warum hat man denn das Unthier nicht in eine Zwangjacke gesteckt und in eine Tobzelle gesperrt? Daß man daran nicht entfernt dachte, beweist unwidersprechlich den Umfang und die Abgrundtiefe der moralischen Pestilenz, von welcher die antike Welt durchseucht war. Man muß die römischen Cäsarenwirthschaft kennen, um die Möglichkeit vom Aufkommen des Christenthums zu verstehen. Die Entwickelung der Menschheit schreitet ja nicht auf dem göthe’schen Wege „ruhiger Bildung“ voran, sondern sie wirft sich vielmehr in Extremen hin und her und macht sich gar nichts aus Sprüngen, wie, beispielsweise zu reden, der Sprung von einem Caligula zu einem Simeon Stylites einer war.

Dies gesagt, werfen wir noch einen Blick auf den kaiserlichen Narren, von dem zu berichten ist, daß er in seiner Art auch ein zärtlicher Vater gewesen. Da seine drei ersten Ehen kinderlos geblieben, hatte er eine unbändige Freude, als ihm seine vierte Frau, die Milonia Cäsonia, eine Tochter gebar – am dreißigsten Tage nach der Hochzeit. Das wäre, erklärte er, ein Wunder, was eben wiederum bewiese, daß er, der Vater, ein Gott. Er ließ das Kind, welchem er die Namen Julia Drusilla gab, in den Tempelm aller Göttinnen herumtragen und es dann in dem der Minerva dem Bilde derselben auf den Schoß legen, weil diese Göttin die richtige Amme für einen Sprössling des Jupiter Latiaris sein müßte.

Die Bauwuth des Kaisers ging auf das Kolossale, nämlich auf das kolossal Verrückte. Was sonst soll und kann man von dem berühmten, rein nur einer tollen Laune entsprungenen Brückenschlag über den Golf von Bajä sagen, wodurch Bauli und Puteoli für kurze Zeit mitsammen verbunden wurden? Warum? Weil während Caligula’s Jugend der angesehene Wahrsager Thrasyllus geweissagt hatte, der Knabe Gajus würde so wenig Kaiser werden, als derselbe jemals zu Wagen über den Golf von Bajä fahren könnte, und der Kaiser Gajus diese Prophezeiung lügenstrafen wollte. Er that so, ritt, angethan mit der angeblichen Rüstung Alexanders des Großen, unter großem Gepränge und mit zahlreichem Heergefolge von Bauli auf der mit unsinnigem Aufwand improvisierten Brücke nach Puteoli, allwo er wie ein Eroberer einzog, und dann fuhr er im Anzug eines Cirkuskutschers der „Grünen“ auf einem Triumphatorwagen von Puteoli zurück nach Bauli, laut sich rühmend, daß er das Meer besiegt und Größeres vollbracht habe als Dareios und Xerxes mit ihrem Brückenschlagen über den „miserabeln“ Hellespont. Es mag erlaubt sein, zu vermuthen, daß er, zu seinen vertrauten Höflingen gewandt, noch hinzugefügt habe: „Dem alten Esel, dem Thrasyllus, hab’ ich seine Orakelei tüchtig versalzen – hab’ ich nicht?“

Auch Fraß und Völlerei – man darf, so man bei der Wahrheit bleiben will, dafür keinen anständigeren Ausdruck gebrauchen als diesen biblischen – trieb er ins Ungeheuerliche, ins Gargantuahafte. Seine Narrheit war, im Tafelluxus zu leisten, was vor ihm noch nie geleistet worden, und so brachte er es glücklich dazu, die Kosten einer einzigen Mahlzeit auf die unglaubliche Höhe von 2 Millionen Franken hinaufzurasen. Um die Möglichkeit einer solchen Vergeudung begreiflich zu finden, muß man sich erinnern, daß ein älterer Zeitgenoß Caligula’s, der Eßkünstler Apicius, ein Vermögen von hundert Millionen Sesterzien (20 Millionen Franken) verschleckt und verschlemmt hatte und sich das Leben nahm, weil er die ihm noch verbleibenden 2 Millionen Franken zur anständigen Ernährung für unzulänglich hielt.

Seine Großthat von Bajä scheint dem Kaiser-Narren Geschmack an Triumphalpompen erregt zu haben. Großmannssucht und immer wachsende Geldnoth vermochten ihn, Feldzüge oder vielmehr Raubzüge nach Germanien und Gallien zu unternehmen. Was uns darüber überliefert ist, klingt so unerhört, so absonderlich, so läppisch, daß wir versucht sind, anzunehmen, wir hätten es hier nicht mit Berichten von Thatsachen, sondern nur mit mehr oder minder witziger Karikaturmalerei zu thun. Wir wollen darum diese Schnurrpfeifereien, welche den Uebergang von Caligula’s Wahnwitz zum Blödsinn angekündigt haben würden, hier nicht wiederholen. Diese Dummheiten, wahr oder erfunden, waren doch gar zu dumm. Daß der Kaiser für seine „Feldzüge“ in Germanien und Gallien, sowie für seine sogenannte „britische Expedition“ – er kam gar nicht nach Britannien – die Ehre eines Triumphes beanspruchte, verstand sich von selbst. In einem lichten Moment scheint ihm aber die ungeheuerliche Lächerlichkeit dieses Anspruchs doch so eingeleuchtet zu haben, daß er, was ja nur eine possenhafte Travestie gewesen wäre, unterließ und bei seiner Rückkehr nach Rom mit einer „Ovation“ sich begnügte. Uebrigens ist der Erwähnung werth, daß es, wenn nicht im versklavten Rom, so doch in den Provinzen da und dort einen Menschen gab, welcher die caligula’sche Gottheitsposse für das [70] hielt, was sie war. Beim Dion ist zu lesen, daß ein Gallier spottlächelte, als er eines Tages den Kaiser, mit allen Insignien des höchsten Gottes Jupiter angethan auf seinem Tribunale sich spreizen sah. Caligula bemerkte es und that an den Mann die Frage, was selbiger von ihm dächte. „Daß du ein abgeschmackter Narr seiest,“ lautete die unverblümte Antwort. Auch dazumal mag der nachgeäffte Jupiter einen lichten Moment gehabt haben, denn der aufrichtige Provinzbewohner kam nicht nur mit dem Leben, sondern überhaupt ungestraft davon.

Soweit die Lückenhaftigkeit des uns zu Gebote stehenden Quellenmaterials es gestattet, mit einiger Sicherheit zu urtheilen, scheint nach der Rückkehr des Kaisers von seinen „Feldzügen“ der Wahnwitz desselben die letzte Kraft angespannt und ausgetobt zu haben. Caligula, nur auf die theuer erkaufte Zuverlässigkeit seiner aus „barbarischen“, d. h. gallischen, belgischen und germanischen Landsknechten bestehenden Leibgarde sich verlassend, machte jetzt den herkömmlichen Formen und Normen des römischen Staatswesens keinerlei Zubilligung mehr, sondern gab sich auch äußerlich als das, was er innerlich war, als vollendeter Sultan und Tyrann. Der Schrecken herrschte in Rom, und wie so ganz dieser Terrorismus dem Sinne des Kaisers entsprach, läßt sich daraus errathen, daß er häufig und gern die bekannte Phrase aus einer Tragödie des Attius im Munde führte: „Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten.“ Das Material zu unausgesetzten Hinrichtungen mußten ihm Komplotte liefern, wirkliche oder auch à la Bonapartismus gemachte. Delatoren und Denuncianten hatten einen größeren Stand als je. Der gesammte Senat kroch und wedelte hündisch vor dem Freigelassenen Protogenes, dem infamsten der Angeber. Die Mordsucht Caligula’s gefiel sich immer mehr in der Austiftelung von Grausamkeiten. Er pflegte den Abschlachtungen anzuwohnen und, so der Henker ein Opfer unter den Händen hatte, zu jenem zu sagen: „Triff ihn so, daß er das Sterben auch recht fühle (ita feri, ut se mori sentiat)!“ Jeder Schuljunge weiß dem Sueton nachzuerzählen, daß, als eines Tages im Cirkus ein Wettfahrer von einer andern Farbe als der kaiserlichen den Preis errungen hatte und die Zuschauermenge dem Sieger zuklatschte, der Kaiser wüthend aufgeschrieen habe: „Oh, ich wollte, das ganze römische Volk hätte nur einen Hals!“

Der gute Sueton, dessen starke Seite die Kritik bekanntlich nicht gewesen ist und der die gränzenloseste Leichtgläubigkeit mit seinem antiquarischen Wissen und Gewissen in Harmonie zu bringen verstand, weiß von allerhand Vorzeichen des bevorstehenden Untergangs Caligula’s zu berichten. Unter anderem, daß im Tempel zu Olympia das weltberühmte Zeusbild, welches auseinanderzunehmen und nach Rom zu schleppen der Kaiser-Narr befohlen hatte, plötzlich in ein schütterndes Gelächter ausgebrochen sei, so daß die Arbeiter entsetzt von dem wankenden Abbruchsgerüste wegflüchteten. Es bedurfte jedoch weder dieses noch eines anderen „Omens“, um erkennen zu lassen, daß es mit der Dauerhaftigkeit eines Kaisers wie Caligula übel bestellt sei und sein Ende schwerlich ein friedliches sein werde. Zumal mit dem wachsenden Steuerdruck die Popularität des Tyrannen sichtbarlich abgenommen hatte.

Indessen hätte Caligula bei der jämmerlichen Verknechtung von Senat und Volk wohl noch lange den Presser, Prasser und Wütherich spielen können, falls er es über sich gewinnen konnte, seinen Witz zu zügeln. Ja, es ist kennzeichnend für das damalige Rom, daß nicht die schandbare Mißregierung des Kaisers seinen Fall herbeiführte, sondern vielmehr die plumpe Spottsucht, welche er auch an den Herren seiner nächsten Umgebung auszulassen liebte, an Leuten, von welchen doch seine Sicherheit vorzugsweise abhing.

Da war ein Bataillonskommandant von der Garde (tribunus cohortis praetoriae), Cassius Chärea, welchen der Kaiser zur Zielscheibe seines Spottes gemacht hatte. Dieser schon in vorgerücktem Alter stehende Officier besaß ein mangelhaftes Sprachorgan, eine dünne Weiberstimme, welche beim Kommandiren leicht in widrige Fisteltöne umschlug. Caligula, welcher doch selber mehr kreischte und krächzte als sprach, ließ keine Gelegenheit vorübergehen, den Gardetribun darob zu verhöhnen. Selbst bei dienstlichen Vorkommnissen, wann der Kommandant die Tages- oder Nachtparole bei dem Kaiser holte, mußte er sich bitterkränkend-unsaubere Anspielungen gefallen lassen. Cassius Chärea war aber nicht der Mann, das zu verzeihen oder lange zu dulden. Er faßte den Entschluß, sich selbst von seinem Verspotter und Rom von seinem Tyrannen zu befreien. Zu diesem Zwecke Mitverschworene zu finden, konnte ihm nicht schwer fallen. Denn das Wüthen Caligula’s war zuletzt so launisch geworden, daß niemand mehr auch nur für eine Stunde seines Lebens versichert sein konnte. Hatte der verrückte Wütherich doch kürzlich den Lieblingsgenossen seiner Wüstlingschaft, den Komödianten Apelles, in einem Augenblick des Unbehagens umbringen lassen. Und hatte er nicht unlängst zu seiner Frau Cäsonia, während er ihren Hals betrachtete, gesagt: „So hübsch er ist, ein Wink von mir und er wird abgeschnitten“ –? Auch der Günstling des Tages, der Freigelassene Callistus, traute der kaiserlichen Gunst so wenig, daß er sich schon einmal in ein Komplott eingelassen hatte und jetzt den Eröffnungen Chärea’s williges Gehör schenkte. So that weiterhin Chärea’s Waffenkamerad, der Bataillonskommandant Cornelius Sabinus, und so thaten noch verschiedene Stabsofficiere und Hauptleute von der Garde. Es war die richtige Militärverschwörung. Auf die kürzeste Formel gebracht, war ihre Losung: Morden, um nicht gemordet zu werden.

Verschiedene Mordanschläge erwiesen sich als unausführbar. Aber zögern durfte man nicht länger. Denn schon ging ein Geraune vom Bestehen des Komplotts im Palast und in der Stadt um. Also sollte bei Gelegenheit der zum Gedächtniß des Augustus und der Livia Augusta eingesetzten sogenannten palatinischen Festspiele, für welche eigens ein Theater neben dem kaiserlichen Palatium erbaut worden war, der Schlag geführt werden.

Er wurde am 24. Januar des Jahres 41 geführt, dem fünften und letzten Festtag.

Der Kaiser saß in seiner Loge, von denselben Officieren und Kämmerlingen umgeben, die zu seinem Verderben verschworen waren. Er hatte am vorhergegangenen Abend bis tief in die Nacht hinein geschlemmt und litt daher an jenem Uebelbefinden, welches man die Reue des Magens nennt. Er war appetitlos und hatte, als es Mittag geworden, keine Lust, zum Prandium (Frühmahl) ins Palatium zu gehen. Auf Zureden der Hofleute that er es aber doch, erhob sich und verließ das Theater, welches mittels einer unterirdischen Galerie mit dem Palast in Verbindung stand. In dieser Galerie hielt gerade ein aus Asien verschriebener Chor vornehmer Jünglinge, welcher auf der Bühne mitwirken sollte, eine Gesangprobe ab. Caligula, dem sein Oheim Claudius und sein Schwager Vinicius, welche von dem Bevorstehenden keine Ahnung hatten, voranschritten, hielt inne und hörte dem Gesange zu, welcher eine auf seine liebwerthe Person komponirte Lobhudelhymne war. Er wollte dieselbe wiederholen lassen, als die verschworenen Officiere, welche derweil ihre Schwerter in den Scheiden gelockert hatten, sich an ihn herandrängten. Der Tribun Sabinus sprach den Kaiser an, damit derselbe geruhte, das Losungswort für den Tag auszugeben. „Jupiter,“ sagt Caligula. „Nimm das von seinem Zorn (accipe iratum)!“ schreit Chärea und durchhaut von hinten mit einem Schwertstreich dem Kaiser den Nacken. Der Getroffene macht eine halbe Wendung, da ruft Sabinus „Noch eins!“ und durchbohrt ihm die Brust. Caligula stürzt zu Boden und „Noch eins!“ schreien die übrigen Verschworenen und machen mit dreißig Hieben und Stößen ihrem zappelnden und wimmernden Opfer den Garaus.

So starb Gajus Cäsar Caligula, neunundzwanzigjährig, nachdem er 3 Jahre 10 Monate und 8 Tage lang geherrscht hatte. Auch er ging nicht allein zum Orkus hinab: seine Frau Milonia Cäsonia erstach ein Gardehauptmann, der armen kleinen Julia Drusilla zerschmetterte ein anderer den Kopf an einer Mauer.

So war denn auch hier die zaudernde Nemesis schließlich doch erschienen. Freilich, das ist eine recht altfränkische Anschauung, welche in der jetzt, namentlich in Deutschland, modischen „Geschichtewissenschaft“ keinen Kurs mehr hat. Was soll uns noch die „wissenschaftlich abgethane“ Vorstellung von Schuld und Sühne als von Motiven der Tragödie Weltgeschichte? Die Propheten neuester Sorte haben uns ja den Staar gestochen, haben uns belehrt, daß der Mensch keinen freien Willen, keine Wahl zwischen recht und schlecht, gut und bös, Tugend und Laster hätte und folglich auch keine Verantwortung seines Thuns und Lassens. Demzufolge sei die Weltgeschichte nichts anderes als eine mechanische [71] Aufeinanderfolge von naturnothwendigen Geschehnissen. Der Mensch könne weder etwas dazu noch etwas davonthun, und darum sei es einfach lächerlich, die Geschichte vom „sogenannten“ sittlichen Standpunkt zu betrachten, zu fassen, zu lehren und zu schreiben. Das sagen zwar die Herren nicht so gerade heraus, aber sie glauben und bethätigen es.

Nun, die Menschheit mag zusehen, wohin sie mit einer solchen „Geschichtewissenschaft“ kommen wird.


  1. Verkleinerungswort von caliga, Soldatenstiefel. Caligula bedeutet also Soldatenstiefelchen. Der Sohn des Germanicus und der (älteren) Agrippina hat, wie jedermann weiß, diesen Spitz- oder vielmehr Kosenamen in seiner Kindheit im Feldlager von Germanien von den Soldaten zugelegt bekommen, weil seine Mutter den Knaben kleine Soldatenstiefel tragen ließ. Später war ihm aber die Benamsung Caligula sehr unliebsam. Die alten Quellenschriftsteller nennen ihn übrigens nicht Caligula, sondern Gajus Cäsar. Der Caligula, der Ueberschrift von Suetons Biographie ist ein späterer Zusatz. – Ich will gerade noch anmerken, daß die Quellen zur Geschichte dieses Kaisers leider nicht so reichlich fließen, wle zu wünschen wäre. Am empfindlichsten trifft uns, daß die Bücher 7–10 der „Annalen“ des Tacitus bekanntlich verloren gegangen. Davon waren zwei oder drei Bücher der Regierung des Gajus Cäsar gewidmet und wir dürfen kecklich annehmen, daß uns hier ein Bild desselben geboten war, wie es eben nur Tacitus zu malen vermochte. In Ermangelung dieses Führers sind wir auf Dion und Sueton angewiesen und zur Ergänzung derselben auf die gelegentlichen Mittheilungen, Bemerkungen und Winke, die sich in den taciteischen „Historien“, sowie bei den beiden jüdischen Autoren Philo und Josephus, endlich beim Seneca, dem älteren Plinius und anderen finden.