RE:οἱ δέκα

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bezeichnung zweier Beamtenkollegien in Athen
Band IV,2 (1901) S. 24092411
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οἱ Δέκα = Zehnmänner. Diesen Namen trugen zwei Beamtencollegien in Athen (Aristot. Ἀθ. πολ. 38), die nach dem Sturze und der Flucht der Dreissig von den Städtern zum Zweck einer Übereinkunft mit den Demokraten im Peiraieus unter Thrasybulos nacheinander gewählt wurden. Das erste [2410] Collegium, welches aus Anhängern des getöteten Theramenes und Feinden des Charikles und des gefallenen Kritias bestand, darunter Pheidon (einem der 30), Hippokles und Epichares (Lys. XII 54f.), und nach den Phylen gewählt war, stand aber den Demokraten ebenso feindselig gegenüber, wie dem nach Eleusis entwichenen Reste der Dreissig (Lys. XII 57); es suchte sich in seiner Stellung zu befestigen, indem es Spartas Hülfe anrief, und als dieselbe versagt wurde, hundert Talente daselbst im Namen des athenischen Staates zur Kriegführung gegen Thrasybulos borgte (Lys. Aristot. a. a. O.), und um die Unzufriedenen in Athen selbst zu schrecken, griff es zu terroristischen Massregeln, wie denn ein angesehener Bürger, Demaretos, aufgegriffen und ungehört hingerichtet wurde; dabei fanden sie Unterstützung von seiten des spartanischen Harmosten Kallibios, der die Akropolis besetzt hielt, und eines Teiles der athenischen Hippeis. Sie konnten sich aber nicht gegen den Andrang der Verbannten und gegen den Unwillen des Volkes halten und an ihre Stelle wurde ein anderes Zehnercollegium mit denselben Aufträgen gesetzt, an dessen Spitze Rhinon von Paiania (Isokr. XVIII 6) und Phayllos von Acherdus (Aristot. a. a. O.) standen; ihnen gelang es, die Parteien zu versöhnen und den Amnestievertrag zu schliessen, der auch die Sanction des spartanischen Königs Pausanias erhielt. Darauf legten sie ihr Amt nieder und meldeten sich zur Euthyne, aber kein Ankläger erhob sich, und ihr Vormann Rhinon wurde gleich darauf zum Strategen gewählt, während ihre Vorgänger, wie auch die Dreissig ausdrücklich von der Amnestie ausgeschlossen waren. So Aristoteles a. a. O., während Lysias nur das erste Collegium in seiner Thätigkeit schildert und Isokrates keine Scheidung macht, Xenophon dagegen sogar ausdrücklich nur ein Zehnmännercollegium als von den Städtern gewählt namhaft macht; dieses hat Athen regiert und gegen die Demokraten im Peiraieus Krieg geführt unter Beistand zuerst des Lysandros und dann des Königs Pausanias, bis letzterer und die ihm aus Sparta zugesandten fünfzehn Berater einen Vertrag zwischen den Parteien stifteten, in welchem auch die ,Zehn‘ nicht von der Amnestie ausgeschlossen wurden (Xen. hell. II 4, 23ff.). Börner (De rebus a Graecis inde ab a. 410 usque ad a. 403 gestis, Göttingen 1894, 55ff.), giebt dieser Darstellung entschiedenen Vorzug, da Xenophon als Augenzeuge besser unterrichtet und unparteiischer sein musste und seine Erzählung klarer und ausführlicher sei, als die kurzen Notizen des Aristoteles; auch diese bewiesen indirect das Vorhandensein nur eines Zehnercollegiums, da von der Amnestie ausgeschlossen würden οἱ δέκα ohne nähere Bezeichnung; höchstens mögen Rhinon und Collegen unter den ἰδιῶται zu verstehen sein, die Kephisophon und Meletos nach Sparta schickten (Xen. hell. II 4, 36), und auf diese Weise zum Friedensschluss beigetragen haben. Richtig ist es, dass Aristoteles durch völliges Ignorieren der militärischen Action eine Unklarheit und chronologische Schwierigkeit in seine Darstellung gebracht hat. Es mag auch zugegeben werden, dass die Legitimität des zweiten Zehnercollegiums nicht über alle Zweifel erhaben war und von den Anhängern des ersten bestritten werden konnte (zu [2411] denen vielleicht mit dem grössten Teile der Hippeis auch Xenophon gehört hat, da er es bald darauf erspriesslich fand, das Vaterland zu meiden), wie ja die Gesetzmässigkeit der Beamten in einer Revolutionszeit stets problematisch ist. Dass aber Xenophons Bericht verfälscht ist, lässt sich noch direct nachweisen: erstens, da das am Friedensschluss beteiligte Zehnercollegium nicht von der Amnestie ausgeschlossen werden konnte und er nur eines nennt, hat er dementsprechend in der Friedensurkunde die Worte καὶ οἱ δ. einfach gestrichen; zweitens war Rhinon kein ἰδιώτης, sondern Mitglied eines Zehnercollegiums nach Zeugnis des Zeitgenossen Isokrates, und nach allem konnte er nicht Mitglied eines oligarchisch gesinnten Collegiums sein — er wäre nicht unmittelbar danach zum Strategen gewählt worden. Überhaupt ist die Tendenz Xenophons darauf zugespitzt, Lysandros und die Dreissig allein für alle Gewaltmassregeln verantwortlich zu machen, dagegen die spartanische Regierung rein zu waschen, ja infolge des durch sie zu Wege gebrachten Friedensschlusses als uneigennützige Wohlthäterin Athens darzustellen, wogegen Aristoteles nachdrücklich und wohl nicht ohne Absicht darauf hinweist, dass König Pausanias ankam, als die Friedensverhandlungen schon in vollem Gange waren und ihm nur übrig blieb, den Vermittler zu spielen und die Interessen wie die Freunde Spartas zu retten, was er durch Abtrennung von Eleusis vom athenischen Staate bewerkstelligte. Eine Bestätigung erhält die Erzählung des Aristoteles durch Harpokr. s. v.: περὶ τῶν μετὰ τὴν κατάλυσιν τῶν τριάκοντα Ἀθήνησι χειροτονηθέντων ἀνδρῶν δέκα καὶ τῶν ἑξῆς εἴρηκεν Ἀνδροτίων ἐν τῇ τρίτῃ, wo augenscheinlich zwei Collegien bezeichnet werden und die mutmassliche Quelle des Aristoteles, der Atthidograph Androtion, genannt ist. Ebenda wird mitgeteilt, dass jedes Mitglied des Collegiums (wohl des ersten?) den Namen δεκαδοῦχος führte, unter Berufung auf Lysias (über die Erbschaft des Diogenes). Bekker Anecd. I 235 und Suid. s. v. fügen nichts zur Entscheidung der Frage hinzu; wohl kennen sie zwei Zehnmännercollegien, aber eines derselben sind die ,zehn‘ Subalternen, die sich die Dreissig als Aufseher über den Peiraieus beigesellten und von denen weiter nichts bekannt ist, als dass sie mit ihren Auftraggebern (oder schon etwas früher bei Besetzung des Peiraieus durch die Demokraten) gestürzt wurden, mit dem Reste derselben nach Eleusis entflohen und der Amnestie verlustig gingen (Aristot. Xen. a. a. O.).