RE:Aelius 133

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Seianus, L., Günstling und Stellvertreter des Tiberius in Rom, † 31 n. Chr.
Band I,1 (1893) S. 529 (IA)–531 (IA)
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133) L. Aelius Seianus, der Günstling des Tiberius. Der vollständige Name auf einer Münze von Bilbilis, Eckhel VI 196. Mionnet I 30, 219 und bei Dio LVII 19, 5. Sonst meist Aelius Seianus.

Seianus wurde geboren in Volsinii in Etrurien (Tac. ann. IV 1), etwa 734–738 = 20–16, da er prima iuventa war im J. 753–757 = 1–4 n. Chr. (l. c). Sein Vater, L. Seius Strabo, gehörte dem Ritterstande (Tac. ann. I 24. IV 1. VI 8. Vell. II 127, 3. Dio LVII 19, 5), seine Mutter dagegen einem vornehmen Adelsgeschlechte an (Vell. II 127, 3). Sein Oheim mütterlicherseits war der Consular Iunius Blaesus (Tac. ann. III 35. 72), also muss seine Mutter eine Iunia gewesen sein. Sein Name zeigt, dass er von einem Aelius adoptiert wurde, wahrscheinlich von (C.) Aelius Gallus (oben Nr. 59). Seine consularischen Brüder (Vell. II 127, 3) scheinen L. Seius Tubero und M. Seius Veranus gewesen zu sein; vgl. Borghesi IV 435ff. und den Stammbaum S. 49. Prima iuventa begleitete er den C. Caesar in den Orient (753–757 = 1–4 n. Chr., Tac. ann. IV 1). Dabei sollte er sich dem M. Gavius Apicius verkauft haben. Tac. ann. IV 1. Dio LVII 19, 5. Bald nach dem Regierungsantritt des Tiberius (19. August 14 n. Chr.) wurde Seianus seinem Vater, der schon unter August Praefectus praetorio war, als Amtsgenosse beigegeben. In kurzem hatte er das Vertrauen des Tiberius gewonnen. Dieser sandte ihn mit Drusus nach Pannonien, um den Militäraufstand zu unterdrücken (Tac. ann. I 24ff.), und als sein Vater mit der Verwaltung Ägyptens beauftragt wurde, erhielt Seian allein die Stelle eines Befehlshabers der Praetorianer (Dio LVII 19, 6), der er die grösste Wichtigkeit dadurch zu geben wusste, dass er die praetorischen Cohorten, [530] die früher in Rom und den benachbarten Städten zerstreut waren (Suet. Aug. 49; Tib. 37), in ein Lager am viminalischen Hügel vereinigte (Tac. ann. IV 2. Dio LVII 19, 6). Die Soldaten machte er sich ergeben, und seinen Einfluss im Senat sicherte ihm des Tiberius Gunst, der an ihm zur Ausführung seiner Pläne stets ein willfähriges und tüchtiges Werkzeug fand und dafür ihn überall als den ihm am nächsten Stehenden rühmte, seine Tochter im J. 20 mit Drusus, dem Sohne des nachherigen Kaisers Claudius verlobte (Tac. ann. III 29. Suet. Claud. 27. Dio LVIII 11, 5), ihm in demselben Jahre (20) die ornamenta praetoria verlieh (Dio LVII 19, 7) und sein Bild im Theater, auf öffentlichen Plätzen und in den Lagern der Legionen zu verehren gestattete (Tac. ann. III 72. IV 7. 74. Suet. Tib. 48. Dio LVIII 4, 4). Die Macht, welche Seian in Händen hatte, reizte ihn, nach Höherem zu streben. Noch standen ihm aber des Kaisers Sohn Drusus und die herangewachsenen Kinder (Nero und Drusus) des Germanicus im Wege. Den Anfang, diese Hindernisse wegzuräumen, machte er mit Drusus, gegen den er wegen verächtlicher Behandlung besonderen Groll hegte. Er verführte dessen Gemahlin Livia (oder Livilla), eine Nichte des Kaisers, zum Ehebruch, verstiess seine eigene Gemahlin Apicata, von der er drei Kinder hatte (Tac. ann. IV 3), eröffnete somit der Livia Aussichten auf die Ehe und Mitbesteigung des Thrones und trieb sie zur Ermordung des eigenen Gemahls. Drusus erhielt langsam verzehrendes Gift und starb im J. 23 (Tac. ann. IV 3–11. Dio LVII 22. Suet. Tib. 62). Da ihn in seinen Plänen gegen die Söhne des Germanicus, welche nun zur Thronfolge berufen waren, die Wachsamkeit ihrer Mutter Agrippina hinderte, verfolgte er vorerst einige Freunde ihres Vaters und vermehrte des Kaisers Abneigung gegen das Haus des Germanicus (Tac. ann. IV 12–19. 54. 60. 67. 68).

Inzwischen richtete Seian an Tiberius das Gesuch, die Witwe des Drusus an ihn zu verheiraten, im J. 25 (Tac. IV 39). Der Kaiser riet ihm davon ab, hauptsächlich weil der Neid über Seians hohe Stellung dadurch Nahrung erhielte (Tac. IV 40). Seian selbst fürchtete dieses, und um der Gefahr, bei Tiberius verdächtigt zu werden, zu entgehen und frei seine Absichten verfolgen zu können, beredete er diesen, Rom zu verlassen und fern von der Hauptstadt in angenehmer Gegend das Leben zu geniessen (Tac. IV 41). In der That folgte ihm der Kaiser im J. 26 und zog zuerst in Campanien umher; die Sorge für die kaiserliche Person, die auf dieser Reise Seian bei einer drohenden Gefahr zeigte, erhöhte des Tiberius Vertrauen auf des Praefecten Freundschaft und Zuverlässigkeit (Tac. IV 59).

Während dann Tiberius auf der von ihm zum Aufenthaltsorte gewählten Insel Capreae dauernd seinen Wohnsitz aufschlug, war Seian sein Stellvertreter in Rom. Er betrug sich mit solchem Stolz und solcher Anmassung, dass er Kaiser (αὐτοκράτωρ), Tiberius Beherrscher einer Insel (νησίαρχος) zu sein schien (Dio LVIII 5, 1). Um Seians Verfolgungen zu entgehen, drängte man sich durch Schmeicheleien jeder Art, ihm seine Ergebenheit auszudrücken (vgl. Tac. ann. IV 74). [531] Wer sein Missfallen erregt hatte, musste fallen. Auch Agrippina und ihre beiden Söhne, Nero und Drusus, wurden zuletzt (im J. 29) Opfer seiner Intriguen (Tac. V 3. VI 23. 25. Suet. Tib. 54. 55). So glaubte denn Seian nicht mit Unrecht, seinem Ziele, selbst den Thron zu besteigen, nahe zu sein.

Er wurde mit des Kaisers Enkelin Iulia, mit deren Mutter Livilla er gebuhlt hatte, verlobt (Zonar. XI 2 p. 550 C: κηδεστὴν ἐπὶ Ἰουλίᾳ τῇ τοῦ Δρούσου θυγατρὶ ποιησάμενος; vgl. H. Schiller Röm. Kaiserzeit I 1, 299; doch ist dies vielleicht eine Verwechslung des Zonaras mit der Witwe des Drusus, der Iulia Livilla selbst; vgl. Pistner L. Aelius Seianus. Tac. ann. VI 8. V 6. Dio LVIII 7, 5. Suet. Tib. 65), erhielt das ordentliche Consulat (für das J. 31) mit dem Kaiser zusammen (Münze s. oben. Suet. Tib. 65. Tac. ann. VI 8. Dio LVIII 4, 3), ferner ein Priestertum und sogar die proconsularische Gewalt (Dio LVIII 7, 4). Nur die tribunicische Gewalt fehlte ihm noch zur vollen Mitregentschaft. Anscheinend sollte eine Verschwörung dem Ungeduldigen die ersehnte Krone verschaffen (Joseph. Ant. XVIII 181. Tac. ann. V 8. VI 47), da ereilte ihn, allen unerwartet, das verdiente Geschick. Antonia, die Witwe des älteren Drusus, teilte ihrem Schwager Tiberius in einem Briefe die Pläne des Seian mit (Joseph. a. a. O.). Sofort traf der Kaiser mit gewohnter Vorsicht die Vorbereitungen zum Sturz seines allzu mächtigen Güstlings; er bestimmte den Befehlshaber der Stadtcohorten, Naevius Sertorius Macro, zu seinem Nachfolger; dieser setzte sich mit dem Praefectus vigilum, P. Graecinius Laco, ins Einvernehmen, lockte den Seian mit der Versicherung, es solle ihm die tribunicische Gewalt übertragen werden, in den Senat und übergab dort den Consuln einen langen Brief des Tiberius, der am Schluss die Verhaftung des Gardepraefecten befahl. Während Macro sodann den Praetorianern den Willen des Kaisers kund that, wurde Seian unter der Bedeckung des Laco ins Gefängnis gebracht, noch an demselben Tage (18. October 31, Tac. ann. VI 25) zum Tode verurteilt und hingerichtet. Sein Leichnam ward der Wut des Pöbels preisgegeben, und seiner Hinrichtung folgte die seiner drei Kinder (darunter Aelius Gallus, oben Nr. 57), seiner Verwandten und einer Menge Anderer, die einer Verbindung mit ihm angeklagt wurden. Das Vermögen des Getöteten wurde grösstenteils eingezogen (Dio LVIII 6–19; vgl. Tac. ann. V 6–9. VI 2–4. 19. XIII 45. Suet. Tib. 65. Seneca de tranqu. 11, 11. Iuvenal 10, 66ff. Io. Antioch. FHG IV 570). Über seinen Charakter haben wir entgegengesetzte Schilderungen bei Velleius II 127 und Tac. ann. IV 1; vgl. auch Seneca ad Marciam 22, 4–7. Monographie von Pistner L. Aelius Seianus, Landshut, Progr. 1880, welcher den Seian gegen Tacitus derart in Schutz nimmt, dass er sogar den Giftmord des Drusus als Verleumdung hinstellt, S. 48ff.