RE:Bär

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Band II,2 (1896) S. 27592762
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Bär (gr. ἄρκτος, ἄρκος = lat. ursus für urcsus, altindisch ṛksha von der Wurzel ṛk, die vielleicht das Brummen bedeutet). Er war im Altertum in allen Ländern rings um das Becken des mittelländischen Meeres verbreitet von Spanien bis nach Syrien hinein. Vgl. O. Keller Tiere des klass. Altertums 106f. Ausser dem gemeinen Bären kannten die Alten den Atlasbär, der sich durch grössere Wildheit und längere Behaarung von dem gemeinen Bären unterschied (Herod. IV 191. Verg. Aen. V 37. VIII 368 und Schol. Plin. n. h. VIII 131. Sol. 26, 3) und der in grosser Zahl bei den römischen Tierhetzen verwandt wurde, so 61 v. Chr. bei den Spielen des Domitius Ahenobarbus (Plin. a. a. O.), und den ursus Syriacus mit dem gelblich weissen Pelz, der im Altertum noch in Thracien heimisch war (Paus. VIII 17, 3. Athen. V 201 c). Die Beschreibung des Bären steht bei Aristoteles (h. a. VI 30. VIII 5. 17) und Plinius (a. a. O.). Über seine Lebensweise begegnen uns in der antiken Naturwissenschaft ausser mehreren von der modernen Forschung bestätigten Zügen einige märchenhafte. So behauptet Aristoteles (h. a. VI 30), dass die Glieder der Jungen noch fast unausgebildet seien, und die Späteren lassen insgesamt den Bären unförmliche Fleischstücke gebären, die er erst durch Lecken allmählich forme (Plin. n. h. VIII 126. Ael. II 19. Opp. Cyneg. III 159. Poll. V 80. Gal. XIV 254; Vergil verglich das Feilen an seinen Gedichten mit dieser angeblichen Gewohnheit des Bären, Verg. vit. Suet. reliq. 59 R. Ovid. met. XV 379f.). Ebenso unrichtig ist die Behauptung, dass sie Leichname nicht berühren (Ael. n. h. V 49. Aes. [2760] fab. 69. 311 H.) dass sie das Fleisch erst in faulendem Zustande fressen (Arist. h. a. VIII 5, 56) und dass sie mit besonderer Vorsicht die Höhle aufsuchen, in der sie ihren Winterschlaf halten (Ael. n. h. VI 3. Plut. de soll. an. XVI 6). Auch dafür fehlt die Bestätigung, dass sie nach Beendigung ihres Winterschlafes Aron fressen, um ihre vertrockneten Gedärme zu erweitern und zu öffnen (Arist. VIII 17, 112. Ael. VI 3. Plut. de soll. anim. XX 3), oder dass sie Ameisen fressen, wenn sie krank sind (Plut. a. a. O. Plin. VIII 101. Ael. VI 3 u. ö.). Die Eigentümlichkeit des Bären, an den Tatzen zu saugen, ist alte Beobachtung (Art. V 49, 263 H.). Der Grimm des Bären, besonders der Bärin, wenn ihr die Jungen geraubt sind, galt als furchtbar (Arist. VI 18, 113. Plin. XI 263 u. ö.), und ein altes Sprichwort (Phokylides bei Bergk PLG III⁴ 574) lautet: ἄρκτου παρούσης ἴχνη μὴ ζήτει; vgl. unser Sprichwort: ‚er sucht den Bären, und er steht vor ihm‘. Dass er gezähmt zu allerhand Kunststücken abgerichtet wurde, bezeugt Isokrates (XV 213): von Pythagoras erzählte eine alte Legende, dass er eine daunische Bärin gezähmt habe (Iambl. vit. Pyth. 60 = Porph. 23. E. Rohde Rh. Mus. XXVII 29f.). Auch die Beobachtung ist alt, dass ihre Bärennatur in der Gefangenschaft immer wieder zum Durchbruch komme (Gal. V 40). Eudemos erzählt, dass ein B., der mit einem Löwen und einem Hund zusammen aufgewachsen war, eines Tages beim Spiel in einem plötzlichen Anfall von Wildheit den letzteren zerrissen habe (Ael. IV 45). Gefangen wurde der B. in Fallgruben (Poll. V 81) oder mit Netzen, die vor seiner Höhle ausgespannt wurden (Opp. Cyneg. IV 534f.), gejagt mit Speeren und Hunden (Ovid. fast. II 187. Helbig Pomp. Wandgem. nr. 816–818. 1520. Keller a. a. O. 119) oder auch zu Pferde (Opp. Cyn. I 307). Zu Tausenden wurden die Bären in der römischen Kaiserzeit bei den Tierkämpfen verwandt, wobei gewöhnlich Bären und Menschen oder Bären und Stiere gegen einander losgelassen wurden (Artem. V 49. Helbig Camp. Wandg. 1518. 1519). Das Fell des Bären wurde als Kleidung im Kriege (Strab. XVII 828), auch zum Schutz (Sil. It. IV 558. Orph. Arg. 199) oder als Schmuck getragen (Veg. de re mil. II 16) und als Sattel verwandt. In der animalischen Medizin wurden, wie noch heute, seine Körperteile verschiedentlich verwandt: sein Fett gegen Ausfallen der Haare mit einem Zusatz von Frauenhaar und Ledamunharz (Plin. n. h. XXVIII 163. VIII 127. XXXII 119. Diosc. II 94. Gal. XII 331. Cass. Felix c. 5), mit Wein gegen Kopfgrind (Plin. a. a. O.), gegen Frostbeulen (Diosc. II 94), gegen Drüsenanschwellungen (Plin. XXVIII 177), Nackenschmerzen (Plin. a. a. O. 192), Lendenschmerzen (Plin. a. O. 198), Podagra (Plin. 219), Rose (Plin. 233) u. s. w., seine Galle gegen Augenleiden (Plin. 167) und Husten (Plin. 193), sein Blut gegen Anschwellungen (Plin. 217. Gal. XII 262) und seine Hoden gegen Fallsucht (Plin. 224). Sein Fleisch wurde gegessen mit Ausnahme der Milz (Gal. V 134. VI 664. Petr. 66), besonders im Herbst (Orib. I 181 D.). Mit Bärenfett oder Bärenblut bestrichen die Landwirte die Weinstöcke oder die beim Beschneiden derselben verwandten Messer, um Raupen und Läuse von [2761] ihnen fernzuhalten (Plin. XVII 265. Geop. V 30, 1. Pallad. I 35, 2) und sie gegen Frost zu schützen. Mittel gegen den Biss der Bären stehen bei Aet. XIII 3. Ihr Gehirn galt bei den Spaniern für giftig (Plin. VIII 130); ihre Köpfe wurden deshalb von ihnen verbrannt. Auch der Atem galt für giftig (Plin. XI 277); was sie anhauchten, wurde von andern Tieren nicht angerührt und verfaulte schnell. Ihr Erscheinen im Traum hatte eine üble Vorbedeutung (Art. II 12, 103): es bedeutete Krankheit und lange Reise. Als einmal einer träumte, er habe Bärenklauen bekommen, wurde er darnach zum Tode verurteilt und, in der Arena an einen Pfahl gebunden, von einem Bären gefressen (Art. V 49, 263). In der Sage galt die Bärin in Arkadien und in den attischen Kulten der Artemis Brauronia und Munichia als das heilige Tier dieser Göttin. Sie selbst wurde in Arkadien als Bärin verehrt und galt als solche für die Stammmutter der Ἀρκάδες. Erst spätere Reflexion gestaltete daraus die Sage von der Kallisto (Preller-Robert Griech. Myth. I 304). Auch Atalante, ebenfalls eine Hypostase der Artemis, wurde nach der Aussetzung durch ihren Vater Iasos von einer Bärin gesäugt (Ael. v. h. XIII 1. Apoll. bibl. III § 105 W.). In Brauron erzählte man, dass Artemis bei der Opferung der Iphigenie statt der Hirschkuh eine Bärin unterschob (Phanodem frg. 11. Etym. M. 748, 1), ihre Priesterinnen, wurden in dem Brauronion auf der Burg von Athen unter dem Symbol der Bärin (ἄρκτοι) gedacht (Schol. Arist. Lys. 645. Harp. s. ἄρκτευσαι u. ö.). Dieser Kult galt als Sühne für die Tötung einer der Artemis heiligen Bärin, die sie mit Pest und Hungersnot rächte (Schol. Arist. a. a. O. Suid. s. ἄρκτος). Dionysos schuf auf dem Tyrrhenerschiff eine Bärin (Hom. hymn. Dion. 45f.). Auf dem Diktegebirge Kretas wurde Zeus als Säugling von zwei Bären bewacht, der ausgesetzte Alexandros auf dem Ida von einer Bärin gesäugt (Apoll. bibl. III § 150 W.). Auf dem Idagebirge Kretas hiess die Höhle, in der sich die Kureten vor Kronos versteckten, Arkesion (FHG IV 528). Nach einer andern Sage erhob sich bei Kyzikos das Bärengebirge (ἄρκτων ὄρος), auf dem die Ammen des Zeus sich aufgehalten und in Bären verwandelt sein sollen (Apoll. Rhod. Arg. I 941 mit Schol. Strab. XII 575). Den Ägyptern galt der B. als die Seele des Typhon (Plut. de Is. et Os. 21). Eine thrakische Sage (Boios bei Ant. Lib. 21) berichtete, dass Polyphonte, eine Enkelin des Ares, zur Strafe dafür, dass sie die Werke der Aphrodite verschmähte, von leidenschaftlicher Liebe zu einem Bären ergriffen wurde und von ihm den Agrios und Oreios gebar. Der B. galt den Thrakern als Dämon; den Zamolxis dachten sie sich in Bärengestalt oder in ein Bärenfell gehüllt (V. Hehn Kulturpflanzen und Haustiere 485). Über seine Bedeutung in den Hieroglyphen vgl. Horapollon II 83. Unter den bildlichen Darstellungen wichtig die Bärenjagd auf dem grossen Wandgemälde der Casa della Caccia in Pompeii und die Darstellung des ursus Syriacus auf dem Mosaik von Palästrina. Vgl. im übrigen O. Keller Tiere des class. Altertums 106f. Bachofen Der Bär in den Religionen des Altertums. Basel 1863. Abbildungen auch bei Imhoof-Blumer und Otto Keller Tier- und Pflanzenbilder auf Münzen und [2762] Gemmen des klassischen Altertums Taf. II 3. 4. XVI 8–15.