RE:Capitatio 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Durch Diocletian eingeführte Art d. Schätzung u. Besteuerung
Band III,2 (1899) S. 15131521
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Capitatio. 1) Griechisch κεφαλητίων (Zachariae von Lingenthal Mémoires de l’acad. de St. Petersbourg, Ser. VII tom. VI nr. 9 S. 13), eine Art der Schätzung und Besteuerung, die durch Diocletian eingeführt ist, zuerst erwähnt im J. 290 (Cod. Iust. IV 49, 9. XI 55, 1; über die Datierung s. Seeck Deutsche Ztschr. f. Geschichtswissenschaft XII 285). Von denjenigen Staaten, welche das römische Reich bildeten, hatte vor Diocletian eine bedeutende Anzahl gar keine Vermögenslasten zu tragen, die der Centralregierung zu gute gekommen wären; ihre Bürger waren also nur für die Zwecke der eigenen Gemeindeverwaltung besteuert. Diese bevorzugte Klasse [1514] umfasste alle Städte Italiens und in den Provinzen die foederierten und die freien, später auch diejenigen, welche durch kaiserliche Gnade das ius italicum erhalten hatten (Marquardt Röm. Staatsverwaltung II² 181). Die unterthänigen Gemeinden, deren Angehörige neben den communalen auch Reichssteuern zahlen mussten, zerfielen in Bezug auf diese in zwei Hauptklassen. Den einen war als Tribut eine feste und unabänderliche Geldsumme auferlegt, die alljährlich nach Rom abgeführt werden musste. Von den einzelnen Bürgern wurden die Steuern durch die Gemeindebeamten erhoben, dann aus dem Ertrage zunächst der Tribut bezahlt und der Rest für die communalen Bedürfnisse verwandt. Bei der zweiten Klasse bestand die Reichssteuer entweder in einem aliquoten Teil der Ernten (Zehnte, Siebente, Fünfte, Röm. Feldmesser 205. Oros. I 8, 9) oder in einem Kopfgelde, oder beide standen auch nebeneinander. So verschieden diese Besteuerungen sein mochten, hatten sie doch im Gegensatz zu der ersten Klasse das Gemeinsame, dass ihre Erträge jedes Jahr wechselten, nicht für das Reich eine immer gleichbleibende Summe ergaben. Da dies der römischen Finanzverwaltung unbequem war, pflegte man derartige Steuern auf eine Reihe von Jahren – gewöhnlich waren es fünf – an den Meistbietenden zu versteigern, wodurch das Einkommen daraus wenigstens für die Dauer des Contractes festgelegt wurde. Doch hatte dies zur Folge, dass, nur wenn die Gemeinden selbst das Meistgebot thaten (Cic. Verr. III 77. 88. 99), ihre Beamten die Steuererhebung leiten konnten; im andern Falle fiel sie den römischen Steuerpächtern (publicani) zu, und dies war die Regel (Cic. Verr. III 12). Solange die Republik sich erhielt, machte die römische Ritterschaft, aus deren Mitgliedern sich die Publicanenverbände meist zusammensetzten, ihren grossen Einfluss dafür geltend, dass diese Art der Besteuerung erhalten blieb. In der Kaiserzeit dagegen schwand sie mehr und mehr zusammen und scheint endlich ganz aufgehört zu haben. Soweit die Städte nicht ganz befreit waren, traten wahrscheinlich bei allen an die Stelle der wechselnden Steuern feste Tribute, deren Eintreibung und Abführung an das Reich den Gemeindebeamten oblag. Zugleich wurden auch meist die Naturalleistungen in Geldsteuern umgesetzt (Röm. Feldmesser 205: in quibusdam provinciis fructus partem praestant certam, alii quintas, alii septimas, nunc multi pecuniam et hoc per soli aestimationem. Heisterbergk Die Entstehung des Colonats 93); doch blieben sie in Africa und Ägypten bestehen, weil auf ihren Kornlieferungen die Ernährung Roms beruhte. Aber auch hier erhob man wohl nicht mehr einen wirklichen Siebenten und Fünften, dessen Höhe mit dem Ergebnis der Ernte wechselte, sondern man scheint den Beitrag jener Quoten nach einem niedrigen Durchschnitt in feste Summen von Modii Korn und Sextaren Wein umgerechnet zu haben, die jede Stadt alljährlich zu entrichten hatte. Der wichtigste Grund dieser Neuerungen lag in der immer zunehmenden Entvölkerung des Reiches (Seeck Geschichte des Untergangs der antiken Welt I 318). Sie führte zunächst ein stetiges Sinken in dem Ertrage der Kopfsteuern herbei, und da immer mehr Ackerland [1515] wüst liegen blieb, wurden auch die Zehnten, Siebenten und Fünften der Ernte immer kleiner. Entsprechend gingen die Angebote der Publicanen herab; zeitweilig hat man sogar zum Zwange gegriffen, um sie nach Ablauf ihrer Contracte zur Erneuerung derselben unter den alten Bedingungen zu veranlassen (Dig. XLIX 14, 3, 6); so empfindlich machte sich der Rückgang der Reichseinkünfte geltend. Einen möglichst grossen Teil derselben in feste Tribute zu verwandeln, die scheinbar keine Minderung erleiden konnten, lag also im Interesse des Reiches, und zugleich fanden auch die Städte dabei ihre Rechnung. Denn erstens fiel ihnen auf diese Weise der Gewinn zu, den sonst die Publicanen zu machen pflegten, und zweitens errangen sie die volle Selbständigkeit für ihr communales Finanzwesen (Max Weber Die römische Agrargeschichte 183. Seeck Ztschr. f. Social- und Wirtschaftsgeschichte IV 334).

Während aber das Publicanensystem im Laufe des 1. und 2. Jhdts. allmählich dem Tributsystem wich, vollzog sich auf einem andern Gebiete des wirtschaftlichen Lebens eine Bewegung, welche die Vorteile dieser Neuerung für die Reichsfinanzen vernichten musste. Seit Nero hatte man begonnen, dem Silbergelde Kupfer beizumischen, und diese Verschlechterung der Münze schritt dann im 2. Jhdt. noch langsam, im 3. aber ganz rapide fort. Unter Gallienus sank ihr Silbergehalt bis auf 4 Procent und darunter, und zugleich waren Gold- und Kupfergeld fast gänzlich aus dem Verkehr verschwunden, so dass jene geringwertigen Silberstücke zum einzigen Zahlungsmittel wurden, in dem sich grössere Forderungen berichtigen liessen (Mommsen Geschichte des römischen Münzwesens 757. 792). Da nun jene festen Tribute nicht in Gold- oder Silbergewichten, sondern in pecunia signata forma publica populi Romani angesetzt waren, so sank, während ihr Nominalwert immer der gleiche blieb, der thatsächliche Wert in demselben Masse, wie die Münze, in der sie gezahlt wurden, sich verschlechterte. Die bedrängten Reichsfinanzen mussten also nach einer Aushülfe suchen und fanden sie in der sog. Annona.

Wenn die Kornverpflegung der Stadt Rom bedroht schien, hatte man schon im 1. Jhdt. den Provinzen neben ihren regelmässigen Steuern ausserordentliche Naturalleistungen abverlangt. Da sie der cura annonae urbis Romae dienten, nannte man diese Zuschlagsteuern annona; ihre Ausschreibung hiess indictio, Ansage, weil sie eben nicht regelmässig waren, sondern ihre Zeit, Art und Höhe immer durch einen besonderen Befehl des Kaisers bestimmt wurde (Plin. paneg. 29. Dig. XIX 1, 13, 6. XXVI 7, 32, 6. XXXIII 2, 28). Sie galten als Reallast der ländlichen Grundstücke; denn Naturalien konnte man natürlich nur dort erheben, wo sie erzeugt wurden, also nicht von städtischem Besitz (Cod. Iust. X 16, 3). Waren sie anfangs nur für die Ernährung Roms bestimmt gewesen, so erhob man sie später auch für andere Zwecke, namentlich für den Unterhalt der Heere, und zugleich mussten sie mit der Verschlechterung des Geldes immer häufiger werden, weil sie ja nicht auf Geld, sondern auf Naturalien gestellt waren, mithin bei dem Schwanken der Münze einen relativ festen Wert darstellten. Indictionen sind nur nachweisbar unter Domitian (Plin. paneg. 29), [1516] Decius und Gallienus (Cod. Iust. X 16, 2. 3) kamen aber gewiss sehr oft vor (Seeck a. O. 329).

Im J. 289 machte Diocletian die Indictio zu einer ständigen Institution, die sich alljährlich wiederholte und daher auch später als Mittel der Zeitrechnung dienen konnte (Seeck Deutsche Ztschr. f. Geschichtswissenschaft XII 285). Damit wurde das Privileg derjenigen Städte, die bisher keine Reichssteuern getragen hatten, beseitigt oder bestand doch nur insofern fort, als sie wahrscheinlich von den festen Tributen, welche die andern neben der Annona entrichten mussten (Aegypt. Urk. d. kgl. Mus. zu Berlin I 94. II 519. Cod. Theod. XI 1, 3. 16, 7. 8), auch fernerhin frei blieben. Nur der südliche Teil Italiens, die Dioecesis urbis Romae oder Regio suburbicaria, wurde noch nicht von Diocletian der Annona unterworfen; doch hatte dieser Vorzug keinen langen Bestand (s. u.). Überhaupt erscheinen jetzt als diejenigen Reichsteile, innerhalb deren die Umlage der neuen Steuer gleichmässig geordnet ist, nicht mehr, wie bei den älteren Abgaben, die Stadtgebiete und nur ausnahmsweise die Provinzen (Cod. Theod. VII 6, 3. Cod. Iust. XI 51), sondern meist die Dioecesen (Eumen. pan. VIII 5: Gallicani census communis formula. Cod. Theod. VII 6, 3. XI 28, 14. XIII 10, 2. Cod. Iust. XI 52. 53). Diese zeigen in der Art der Einschätzung und Besteuerung grosse Verschiedenheiten. Teilweise waren sie durch landwirtschaftliche Eigentümlichkeiten hervorgerufen; z. B. wurde beim Census im Orient das Weinland nach der Zahl der Iugera geschätzt (Bruns und Sachau Syrisch-römisches Rechtsbuch § 121), in Pontus nach der Zahl der einzelnen Stöcke (Lact. de mort. pers. 23: vites et arbores numerabantur), offenbar weil dort die Pflanzen eng auf Beete verteilt waren, hier sich in weiten Abständen um Bäume schlangen. Hauptsächlich aber wurden jene Unterschiede der Dioecesen dadurch bestimmt, welche Lasten dieselben noch ausser der Annona zu tragen hatten. Bestanden z. B. die festen Tribute in Geld, das durch die Münzverschlechterung in seinem Werte herabgegangen war, so konnte die Annona viel höher bemessen werden, als wo noch andere Naturalsteuern erhoben wurden, wie in Africa und Ägypten. Diese beiden Länder sind daher bei der Einschätzung so begünstigt, dass sie den übrigen Dioecesen gegenüber als Ausnahmen erscheinen. Doch diese Verschiedenheiten im einzelnen sollen erst weiter unten dargelegt werden, nachdem wir die allgemeinen Principien der diocletianischen Steuerordnung festgestellt haben.

Da die Umlage und Erhebung der festen Tribute Communalsache waren, berücksichtigte der Reichscensus nur diejenigen Steuerobjecte, die der Annona unterlagen. Diese ist Naturalleistung, kann daher auch nur von der landwirtschaftlichen Production erhoben werden; der städtische Grundbesitz und die städtische Bevölkerung waren davon befreit (Cod. Iust. XI 49. Nov. Iust. 168), wurden aber wahrscheinlich in desto höherem Masse zu den Communalsteuern und den festen Tributen herangezogen. So sind denn auch nur die mancipia rustica, nicht auch die urbana, dem Census unterworfen (Cod. Iust. XI 48, 7: rusticos censitosque servos), Diocletian redet (Cod. [1517] Iust. XI 55, 1) von der rusticana plebs, quae extra muros posita capitationem suam detulit et annonam congruam praestat, und die Schatzungsregeln des syrischen Rechtsbuches (§ 121) beziehen sich nur auf denjenigen Grundbesitz, der landwirtschaftlich ausgenutzt wird. Zwar sind in der Censusperiode, die vom J. 307–312 lief, im Reichsteil des Galerius auch die Städter für die Annona eingeschätzt gewesen, und Iulian brachte aus heidnischem Glaubenseifer dieselbe Massregel gegen die Christen unter ihnen zur Anwendung; aber dies waren vorübergehende Zustände, die mit dem Tode der betreffenden Kaiser ihr Ende erreichten (Cod. Theod. XIII 10, 2. Lact. de mort. pers. 23. Sozom. V 4. Sokrat. III 13, 9. Seeck Ztschr. f. Social- und Wirtschaftsgeschichte IV 290. 308).

Nach dem Ergebnis des Census werden die Steuerobjecte in gewisse Rechnungseinheiten geteilt, die je nach der Dioecese caput, iugum, millena, centuria oder iulium heissen, auch sonst an Art und Umfang sehr verschieden sein können, aber insofern alle gleich gelten, als von jedem derselben der gleiche Steuersatz erhoben wird (caput und iugum gleichgesetzt Cod. Theod. VII 6, 3. XI 16, 6. 20, 6. 23, 1. XII 4. XV 3, 5. Cod. Iust. X 27, 2 § 8, die millena dem iugum Nov. Maior. VII 16, emendiert von Rudorff S.-Ber. Akad. Berl. 1869, 390; centuria und iulium dem iugum Nov. Iust. 17, 8. 128, 1. 3). Sehen wir von Africa und Ägypten ab, so dient als Normalmass des Steuerwertes, nach dem alle anderen Objecte bestimmt werden, das männliche Haupt (caput), wovon ja auch die C. ihren Namen führt. Einem Manne sind zwei Weiber gleichgesetzt (Cod. Theod. XIII 11, 2: cum antea per singulos viros, per binas vero mulieres capitis norma sit censa); weil diese in steuertechnischem Sinne als halbe Männer gelten, können in einer Urkunde vom J. 340 auch die Steuern von 125½ ἄνδρες verrechnet werden (Ägyptische Urk. d. kgl. Mus. zu Berlin I 21). Ähnlich wird in verschiedener Weise, je nach den besonderen Verhältnissen der Dioecesen, eine Anzahl Viehhäupter, Reben oder Ölbäume oder Iugera bebauten Landes mit dem Caput geglichen. Dies klare und einfache Princip ist später freilich von Theodosius dem Grossen verdunkelt worden, indem er 386 verfügte, dass künftig je fünf Männer oder je acht Frauen auf zwei Capita geschätzt werden sollten (Cod. Theod. XIII 11, 2). Daher wird die Eintreibung der C. später technisch binorum et ternorum exactio genannt (Cassiod. var. III 8, 2. VII 20–22), insofern abwechselnd je zwei und je drei Männer für ein Caput zu zahlen haben.

Der Mensch wird besteuert als Wertobject des ländlichen Grundbesitzes, d. h. als Arbeitskraft. Daher unterliegt er dem Census auch nur, wenn er kräftig und gesund ist (Cod. Theod. VII 20, 4: quoniam imbecilli et debiles censibus non dedicantur), und in arbeitsfähigem Alter (Lact. de mort. pers. 23. Basil. epist. 104 = Migne Gr. 32, 512), das wohl in den meisten Dioecesen bei Männern vom 14. bis zum 65., bei Weibern vom 12. bis zum 65. Jahre gerechnet wurde (Dig. L 15, 3. Seeck a. O. 316, 74). Bei männlichen Waisen fixierte Valentinian I. die untere Grenze auf das 20. Jahr, bei weiblichen auf die Zeit der [1518] Vermählung (Cod. Theod. XIII 10, 4. 6). Diejenigen, welche erst nach dem Abschluss des Census das gesetzliche Alter erreichten (adcrescentes), konnten durch Verfügung des Praeses zur Steuer herangezogen werden, aber nur um die Lücken auszufüllen, die unterdessen durch Tod oder Rekrutierung in dem Bestande der Censusliste herbeigeführt waren (Cod. Theod. VII 13, 7, 3. XIII 10, 7). Sclaven und Freie gelten gleich, dafern sie nur Landarbeiter sind; die Steuer trifft also nur die niedern Klassen und heisst deswegen c. plebeia (Cod. Theod. XI 23, 2. XII 1, 36. XIII 10, 4) oder exactio plebis (Cod. Theod. XIII 10, 6). Der Grossgrundbesitzer (possessor), der in der Stadt zu wohnen pflegt, hat wohl für seine Landgüter, aber nicht für seine Person zu zahlen; der Kleingrundbesitzer dagegen, der den Acker mit eigener Hand bebaut, wird nicht nur für sein Grundstück, sondern auch für sein Haupt und die Häupter seiner Familie besteuert (Cod. Theod. XI 1, 14; dass auch die Familienglieder der C. unterlagen, ergiebt sich aus ihrer Befreiung bei denjenigen, welche zum Kriegsdienst eingezogen werden oder Lehrer der Malerei sind, Cod. Theod. VII 13, 6. 7 § 3. 20, 4. XIII 4, 4); vgl. Census, Colonus.

Die Einheiten, in welche der Grund und Boden geteilt ist, gelten an Steuerwert den Häuptern gleich und werden in den occidentalischen Dioecesen auch mit denselben Namen bezeichnet. In den orientalischen dagegen nennt man sie iugum, während die männlichen Häupter und ihr Aequivalent an Weibern oder Vieh caput heissen. Hier unterscheidet man daher auch zwischen iugatio terrena (Cod. Iust. XI 52. Nov. Theod. XXII 2, 12. Cod. Theod. VII 6, 3) und c. humana atque animalium (Cod. Theod. XI 20, 6. Nov. Theod. XXII 2, 12), obgleich Caput und Iugum die gleiche Steuerlast zu tragen haben. Grundstücke, Menschen und Vieh sind die einzigen Objecte, die für die Annona herangezogen werden (Lact. de mort. pers. 23); jeder Besitz anderer Art, auch das bare Geld, wird beim Census unberücksichtigt gelassen. Daher ist Cod. Theod. XI 20, 6 in den Worten terrae sive animarum descriptio der Begriff des Census vollständig erschöpft, und wenn Iustinian (Cod. Iust. XI 48, 23, 5) von publicae functiones sive terrenae sive animales spricht, so hat er damit alle Steuern aufgezählt, die nach solchen Einheiten entrichtet werden.

Die Abschätzung der Bodenwerte war äusserst roh; den Namen einer Bonitierung, den man ihr früher gegeben hat, verdient sie gar nicht. Als Diocletian die Grundsätze dafür aufstellte, ging er einzig und allein von dem Gesichtspunkte aus, das Verfahren der Censusbeamten möglichst einfach und leicht controlierbar zu machen. Daher werden nur solche Kennzeichen berücksichtigt, die auch der Unkundigste auf den ersten Blick wahrnehmen kann, erstens ob das Land Wein, Öl oder Körnerfrucht trägt, zweitens ob es eben oder gebirgig ist. Fette und magere, schwere und leichte Ackerkrume werden nicht unterschieden, die Güte des Productes gar nicht beachtet. Im Orient gelten z. B. fünf Iugera Weinland immer als ein Iugum von gleichem Steuerwert, ob sie Krätzer oder Edelwein tragen. Dem entsprechend mussten auch die Zwischenräume der Steuerstufen sehr [1519] weite und folglich die Belastung sehr ungerecht sein. Genaueres über diese Verhältnisse wissen wir zwar nur aus dem Orient, auf dessen sogleich folgende Besprechung ich verweise; doch ist er ohne Zweifel auch für die meisten andern Dioecesen typisch gewesen. Die Unterschiede derselben sollen, so weit sie uns bekannt sind, im Folgenden in geographischer Reihenfolge aufgezählt werden.

In Ägypten wurden im J. 377 nur iuga terrena, nicht auch capita besteuert (Cod. Theod. VII 6, 3), und schon in einer Steuerquittung, die wahrscheinlich dem J. 345 angehört, wird die Zahlung gewisser Naturalien für 21 Iuga bescheinigt, ohne dass der Capita, die damit verbunden sein könnten, Erwähnung geschieht (Seeck Deutsche Ztschr. f. Geschichtswissenschaft XII 290, 4). Mithin war schon vor der Mitte des 4. Jhdts. nur der unbewegliche Besitz der Annona unterworfen, und dies scheint von Anfang an so gewesen zu sein (Seeck Ztschr. f. Social- und Wirtschaftsgeschichte IV 295). Diese Befreiung von Menschen und Vieh war ein Aequivalent dafür, dass hier auch die festen Tribute der alten Zeit nicht nur in dem entwerteten Gelde, sondern zum Teil noch in Naturalien erhoben wurden (Ägypt. Urk. d. kgl. Mus. zu Berlin I 94: δημόσια παντοῖα σιτικά τε καὶ ἀργυρικὰ καὶ ἀννώναν. Oros. I 8, 9). Wie gross das Iugum war, wissen wir nicht; doch darf man nach der Analogie von Africa auf einen grösseren Umfang schliessen, als er uns aus dem Orient überliefert ist.

In der Dioecese des Orients gingen auf ein Iugum an Weinland 5 Iugera, an Ackerland 20 Iugera, auf gebirgigerem Boden 40, auf Boden dritter Klasse 60; 225 Ölbäume, auf gebirgigem Boden 450. Weide und Wiese waren nicht in Iuga abgeteilt, zerfielen aber wie das Ackerland in drei Klassen, die anfangs wahrscheinlich von jedem Iugerum eine bestimmte Menge Heu zu steuern hatten. Später wurde diese Leistung derart in Geld abgelöst, das für die erste Klasse 3 Denare, für die zweite 2, für die dritte 1 Denar zu bezahlen waren (Syrisch-römisches Rechtsbuch § 121. Mommsen Herm. III 429. Seeck 276). Neben der Iugatio ist die C. unter Diocletian nachweisbar (Cod. Iust. XI 55, 1, die Verfügung ist an den Praeses von Syrien gerichtet; vgl. IX 41, 9) und später noch im J. 311 (Cod. Theod. XIII 10, 2. Seeck 290); aber vor 377 war sie aufgehoben (Cod. Theod. VII 6, 3; auch in dem syrischen Rechtsbuch und in einem Briefe des Theodoret 47 = Migne Gr. 83, 1225 ist nur von Iuga, nicht von Capita die Rede). Den Grund dazu boten vielleicht die Perserkriege des Constantius, die besonders schwer auf dieser Dioecese lasteten und ihr als Ausgleichung wohl diese Steuererleichterung verschafften.

In Asia und Pontus wurden iuga und capita nebeneinander besteuert (Cod. Theod. VII 6, 3). Dem entsprechend berichtet Lactanz (de mort. pers. 23) von dem Census der pontischen Provinz Bithynien: animalia omnis generis scribebantur, hominum capita notabantur, und in der Schatzungsliste der asiatischen Stadt Astypalaia werden neben ζυ(γά) auch ἀνθρ(ώπων) κ(εφαλαί) und ζώ(ων) κ(εφαλαί) verzeichnet (CIG 8657). Zu irgend einer Zeit müssen in Asien die freien Menschen von der C. entlastet worden sein, da die [1520] Schätzungsliste von Tralles ausser den ζυγά nur noch δούλων καὶ ζώων κ(εφαλαί) nennt (Bull. hell. IV 336). In Pontus wurden die Iuga des Weinlandes nicht, wie im Orient, nach der Zahl der Iugera, sondern nach der Zahl der Rebstöcke berechnet (Lact. a. O.).

In Thrakien bestanden gleichfalls im J. 377 Iugatio und C. (Cod. Theod. VII 6, 3), doch scheint von der letzteren das Vieh befreit gewesen zu sein, da hier nur von einer c. humana die Rede ist. Auch diese wurde durch Theodosius den Grossen aufgehoben, um dem von den Gothen verwüsteten Lande einige Erleichterung zu schaffen (Cod. Iust. XI 52).

Über Makedonien, Dacien und Pannonien wissen wir nichts, ausser dass in einer dieser Dioecesen oder auch in mehreren die Einheit der Steuerrechnung iulium hiess (Nov. Iust. 17, 8. 128, 1. 3. Seeck 301).

Die Dioecesis Italiae, d. h. das nördliche Italien, wurde schon von Diocletian der Annona unterworfen (Vict. Caes. 39, 31) und erhielt danach den Namen regio annonaria (Hist. Aug. XXX tyr. 24, 5; vgl. Parthey Hieroclis Synecdemus p. 77). Die Südgrenze dieses Gebietes ist dadurch bezeichnet, dass die Provinzen Tuscia und Picenum geteilt und die nördlichen Teile annonaria, die südlichen suburbicaria genannt werden (Amm. XXVII 3, 1. Not. Dign. Occ. I 56. 58. II 14. 16. XIX 5. Röm. Feldmesser I 346. Mommsen Chron. min. II 107. Iord. Get. 60, 311). Genaueres ist über die Steuerverhältnisse dieser Dioecese nicht bekannt.

Die Dioecesis urbis Romae oder Regio suburbicaria war unter Diocletian noch von der Annona befreit geblieben, weil sie gewisse Lasten für die Ernährung der Hauptstadt zu tragen hatte (Mommsen Röm. Feldmesser II 199). Galerius wollte nicht nur dieses Gebiet, sondern, da er ja auch die Städter zur C. heranzog, sogar Rom selbst der Einschätzung unterwerfen; doch wurde dies 306 noch durch den Aufstand des Maxentius abgewendet (Lact. de mort. pers. 26). Aber das grosse Geldbedürfnis des Usurpators scheint diesen selbst gezwungen zu haben, das Privileg der Regio suburbicaria aufzuheben. Jedenfalls ist uns schon aus dem J. 323 eine Censusliste aus Süditalien inschriftlich erhalten (CIL X 407), und später wird in einem Gesetz von Steuerresten der Annona auch in Bezug auf die Regiones urbicariae geredet (Cod. Theod. XI 28, 14. Seeck 303, 41). Die Steuereinheit hiess hier millena (Nov. Val. 5, 4. Nov. Maior. 7, 16. Cassiod. var. II 37. Iust. Sanct. pragm. pro petit. Vigil. 26. CIL X 407, wo die regelmässige Abkürzung M. in millenae aufzulösen ist), wahrscheinlich weil als Normalmass derselben ein Stück Ackerland galt, das durchschnittlich eine Ernte von 1000 Modii Weizen trug. Bei Kornland erster Klasse scheint man diese Einheit auf 25 Iugera, zweiter Klasse auf 50 Iugera angesetzt zu haben (Seeck 304). Übrigens wird der Name millena nicht nur auf den Grundbesitz angewandt, sondern ebensogut auf die Einheiten der beweglichen Steuerobjecte, die in den orientalischen Dioecesen capita hiessen (Seeck 303).

Auch in den beiden gallischen Dioecesen findet sich der Name caput, doch wird er hier nicht [1521] nur für die beweglichen Steuereinheiten, sondern für alle ohne Ausnahme benutzt (Eumen. paneg. VIII 11. 12. Apoll. Sid. carm. XIII 20). Da Eumenius (VIII 6) als Gegenstand der C. in Nordgallien nur hominum numerum et agrorum modum nennt, so scheint das Vieh hier, wie in Thrakien, frei gewesen zu sein. Wahrscheinlich hatte der Bagaudenaufruhr den Viehstand so heruntergebracht, dass Maximianus zu seiner Hebung dies Privileg für erforderlich hielt. Über dem caput stand als grössere Steuereinheit das capitulum (s. d.), dessen Umfang nicht bekannt ist (Amm. XVI. 5, 14. Seeck Rh. Mus. XLIX 630).

Über die Steuerverhältnisse Spaniens und Brittanniens scheint nichts überliefert zu sein.

In Africa ist von einer Besteuerung der Menschen und des Viehs gar nicht die Rede, und für den Boden dient als einzige Rechnungseinheit die centuria von 200 Iugera (Cod. Theod. XI 1, 10. 28, 13. Nov. Val. 33, 2. Nov. Iust. 128, 1. 3). Diese ausserordentliche Begünstigung ist hier wohl ebenso zu erklären, wie die ähnlichen Privilegien Ägyptens.

Savigny Vermischte Schrift. II 67. Huschke Über Census und Steuerverfassung der früheren römischen Kaiserzeit, Berlin 1847. Zachariae von Lingenthal Mémoires de l’acad. imp. de St. Petersbourg VII 6 nr. 9, 1863. Seeck Ztschr. f. Social- und Wirtschaftsgeschichte IV 275.