RE:Dill

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gewürzpflanze
Band V,1 (1903) S. 639643
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Dill = Anethum graveolens L. = Peucedanum graveolens B. et H., eine bekannte Gewürzpflanze, welche in Italien nur selten verwildert, in Griechenland vielleicht auch nur verwildert vorkommt und daher wohl orientalischen Ursprungs ist. Sie heisst heute albanes. ἀνίθο, ngr. ἄνηθον, auf Kephalonia ἄνηθος, ital. aneto und neto. Neben ἄνηθον (ἄννηθον? Ar. Nub. 982. Ps.-Hipp. II 749 K.) findet sich im Griechischen auch das aeol. ἄνητον (Alkaios bei Athen. XV 674 c. Sappho ebd. e), ferner ἄννητος (Theophr. h. pl. IX 7, 3) und ἄννηττον (Bekk. Anecd. I 403, 3). W. Prellwitz (Etym. Wörterb. d. gr. Spr. 1892) führt das Wort mit ἄνεμος; und animus auf indog. = hauchen (duften) zurück. Bei den lateinischen Schriftstellern finden wir teils anethum teils anetum (bei Plinius mit Ausnahme d. St. XIII 123, bei Plin. Iun., Theod. Priscian., Apic, Anthim., Isid. IV 12. 10, Auct. de virt. herb. 38 bei Gargil. Mart. med. p. 163 ed. Rose). Nach Dioskorides (III 60) nannte man den D. auch ποληίδος, andere ἄνίκητον (während nach Plin. XX 186 so der Anis genannt wurde), die Magier γόνος κυνοκεφάλου sowie τρίχες κυνοκεφάλου (Paviansbrut und -haare), andere γόνος Ἑρμοῦ, die Ägyptier ἀραχοῦ, die Römer ἀνήθουμ, die Africaner σικκέρια, die Dacer πόλπουμ.

Der D. hat, wie der Koriander, eine einfache, [640] holzige und nicht lange (Pfahl-) Wurzel mit nicht vielen dünnen Seitenwurzeln; jener wie dieser sind vielzweigig, weshalb auch bei beiden kein Verhältnis zwischen den oberen und unteren Teilen besteht (Theophr. h. pl VII 2, 8). Der Frucht des D. ähnelt die nur grössere des gemeinen Steckenkrauts, welches wie der D. auch an den Nebenzweigen Blüten und Früchte hat (ebd. VI 2, 8); beide haben einen aufrechten Wuchs (Plin. XIX 62) und dieselbe Natur (ebd. XIII 123). Auch die Frucht von Peucedanum oreoselinum Mönch gleicht, obwohl kleiner, der des D. (Theophr. h. pl. VII 6, 4. Plin. XIX 124). Der Same ist nackt (Theophr. h. pl. I 11, 2. VII 3, 2. Plin. XIX 119), d. h. nicht in Hülsen, Kapseln u. dgl. eingeschlossen. Es giebt nur eine Art des D. (Theophr. h. pl. VII 4, 1. Plin. XIX 123), nach Serenus Sammonicus 578 zwei (eine cultivierte und verwilderte ?). Er ist wohlriechend (Theophr. c. pl. VI 9, 3. IX 7, 3. Verg. Ecl. II 48) und wohlschmeckend (Theophr. ebd. VI 9, 3), von specifischem Geschmack und Geruch (Plin. XIX 188). Er war im Garten zu finden (Mosch. III 101). Gesät wurde der D. in Griechenland im heutigen August (Theophr. h. pl. VII 1, 2), in Italien um das Herbstäquinoctmm gesät (Col. XI 3, 42. Plin. XIX 170. Pall. X 13, 3), in kalten Strichen Mitte Februar umgepflanzt (Col. ebd. X 120) oder gesät (Pall. III 24, 5; vgl. Geop. XII 1, 2). Er verträgt jedes Klima, liebt jedoch das warme; wenn Regen fehlt, möge er bewässert werden; er möge ziemlich sparsam gesät werden, einige bedecken den Samen nicht in der Meinung, dass er von keinem Vogel angerührt werde (Pall. ebd.). Der Same geht schon am vierten Tage auf (Theophr. h. pl. VII 1, 3. Plin. XIX 117). Grüner D. soll zwischen dem 19. Mai und 20. Juli nach der Stadt gebracht werden (Col. X 314).

Verwendung fand der D. vor allem in der Küche (Theophr. h. pl. I 11, 2; c. pl. VI 9, 3. Ps.-Hipp. II 413 K. Plin. XIX 167); er diente den Athenern als Speise (Ar. Nub. 982), so dass griechische Schriftsteller (vgl. Gal. I 682. XI 772) ihm auch eine ernährende Kraft zuschrieben (Garg. Mart. med. 28), konnte als Gewürz jeder gekochten Speise zugesetzt werden (Anthim. 55) und wurde von einigen zum Einmachen der Oliven gebraucht (Geop. IX 28, 2); keine Speise der Athleten war nach Gargil. Mart (ebd.) ohne ihn bereitet. Dem Teige der κύβοι genannten Brote wurde er beigemengt (Herakleides Syracus. bei Athen. III 114 a) und bei der Zubereitung des κάνδαυλος, einer lydischen Speise aus gekochtem Fleisch, geschabtem Brot, phrygischem Käse und fetter Brühe, gebraucht (Hegesippos Tarent. ebd. XII 516 d). Bei Apicius finden wir den D. meist im Gemenge mit andern Ingredienzien als Zusatz zum asaratum (Asa foetida?, 31), zur Gerstengrütze (179), zum Speltbrei (180. 209), zur Erbsensuppe (193. 203. 205), bei der Zubereitung von Geflügel (213), wie des Flamingos (234) und jungen Huhns (250, daher pullus anetatus 239), von Fleischbissen (265), als Gewürz für gekochtes Schweinepökelfleisch (296), Ferkelfleisch (380. 385. 394) und Hasenfleisch (400) und gebratenes Fleisch überhaupt (274); als Zusatz zur Sauce für gebratene Muränen (463), gebratene Zahnbrassen (472) und für Aale (477); der Same zur Sauce für junges [641] Huhn (238) und gekochtes Fleisch (ius anetatum 287), besonders Schweinefleisch (336. 337). Ferner gebrauchte man den D. zu Kränzen (Alkaios bei Athen. XV 674 c. Schol. Theocr. VII 63; vgl. XV 119; bei Gelagen, Gal. XI 832), sowohl die Stengel oder Zweige (beim Opfer, Sappho bei Athen, ebd. e, vgl. Schol. Theocr. VII 63) als die Blüten (Verg. Ecl. II 48). Aus D. und Olivenöl bereitete man eine Salbe (Isid. IV 12, 10).

In der Medicin galt der D. für erwärmend (Ps.-Hipp. I 686 K. Gal. I 682. Auct. de virt. herb. 38 bei Garg. Mart. p. 163 ed. Rose), der grüne für ein mässig erwärmendes und feuchtes Nahrungs- und Heilmittel, weshalb er Blut und daher Milch mache (Gal. XI 772, vgl. Diosc. III 60. Orib. syn. II 52); oder er verdünnt das Blut der Amme (Alex. Trall. I 539 Puschm.). Der D. soll bald stopfen (Ps.-Hipp. Auct. de virt. herb, ebd. Plin. XX 196. Garg. Mart. 28; vgl. Scrib. Larg. 92) bald abführen (Cels. II 29. Diosc. III 60; vgl. Ps.-Hipp. II 413. Plin. XXXII 94. Alex. Trall. II 363. 521). Gerochen beseitigt er das Niesen (Ps.-Hipp. Auct. de virt. herb. ebd.). Als diätetischer Zusatz zur Nahrung diente er bei verschiedenen Krankheiten (Ps.-Hipp. II 265. 696. Aret. p. 235 Kühn. Theod. Prisc. eupor. II 61, vgl. 75. Alex. Trall. I 545. II 221). Sein Genuss macht das Weib empfänglich (Ps.-Hipp. II 594; vgl. Plin. XX 110. XXVIII 97). Er hat schlechten Saft (Cels. II 21; vgl. Sim. Seth I), beseitigt Blähungen (Cels. II 26. Diosc. III 60. Sim. Seth 1; vgl. Scrib. Larg. 109. Ruf. Ephes. p. 272. 336 ed. Daremb. et Ruelle) und treibt Urin (Cels. II 31. Diosc. III 60. Aret. p. 190. 332. Alex. Trall. I 345, vgl. 371). Dioscorides (III 60) schreibt dem D. ausser den erwähnten, noch folgende Wirkungen zu: Ein Decoct der Blätter oder der Samen beseitigt Leibschneiden (ebenso Plin. XX 196. Seren. Sammon. 578. Garg. Mart. 28. Auct. de virt. herb. 38; in Verbindung mit andern Mitteln Plin. XXIX 121. XXXI 119. XXXII 101. Marc. Emp. 27. 117. Alex. Trall. II 339), stillt leichtes Erbrechen, lindert den Schlucken (vgl. Plin. XX 87; der Geruch der heissen Samen, Plin. XX 196. Garg. Mart, 28); zu oft getrunken schwächt er die Sehkraft (vgl. Plin. XX 196. Geop. XII 34) und die Zeugungskraft (Plin. ebd.); man setzt ihn dem Sitzbade hysterischer Frauen zu; die verbrannten Samen werden auf Feigwarzen gelegt. Nach anderen hilft der D. gegen das Rülpsen (Plin. XX 196. Garg. Mart. 28. Auct. de virt. herb. 38. Orib. syn. vers. lat. II bei Bussem. et Daremb. V p. 842), die zerriebene Wurzel in Wein oder Wasser aufgestrichen gegen entzündete Augen (Plin. Garg. Mart. aa. OO. Plin. Iun. I 8); in Wasser getrunken gegen Verdauungsbeschwerden (Plin. Garg. Mart. Auct. de virt. herb. aa. OO.; vgl. Sim. Seth I); seine Asche hebt das erkrankte Zäpfchen im Halse (Plin. Garg. Mart. aa. OO. Seren. Sammon. 276. Plin. Iun. I 15); ein Decoct des Krauts hilft gegen Zahnschmerzen (Plin. XXVIII 182. Plin. Iun. I 13). Nach Galenos (XI 832), welcher bekanntlich vier Intensitätsgrade unterscheidet, ist die erwärmende Kraft des D. stark 2. oder schwach 3. Grades, die trocknende stark 1. oder schwach 2. Grades (vgl. Garg. Mart. 28. Orib. coll. med. XV 1, 1, 69; eupor. II 1, 1, 47; syn. II 4, 15. Aët. I. Paul. [642] Aeg. VII 3. Sim. Seth I); zur Asche verbrannt, gehört er zu den erwärmenden und trocknenden Mitteln 3. Grades (ebenso Orib. coll. med. XV 1, 1, 70; eupor. II 1, 1, 48; syn. II 5, 16. Aët. I. Paul. Aeg. VII 3) und nützt daher aufgelegt gegen feuchte Geschwüre, besonders an den Schamteilen, und vernarbt alte Geschwüre am männlichen Gliede (ebenso Orib. eupor. II 1, 1, 48. Aët. I; vgl. Gal. X 382. XIII 315. Paul. Aeg. VII 3. (Ps.-Apul. 121, 1); der grüne ist weniger erwärmend und saftiger, weshalb er leichter verdaulich ist und mehr den Schlaf befördert, aber weniger abführt (ebenso Orib. coll. med. XV 1, 1, 70; vgl. eupor. ebd. 49 und Paul. Aeg. a. a. O.). In Verbindung mit andern Mitteln und unter verschiedener Application wurde er in verschiedenen Fällen angewandt (Ps.-Hipp. I 478. II 749. 852. Scribon. Larg. 92. 109. Plin. XX 249 = Plin. Iun. I 16. 17. Plin. XXIX 47. Aret. p. 195 K. Orib. syn. vers. lat. bei Bussem. et Daremb. V p. 842 Theod. Prisc. eupor. II 74. 92. Alex. Trall. I 395. Ps.-Apul. 121, 1), auch als eine Art Panacee (Plin. XXIX 70. 80. Apic. 29) und Zaubertrank gegen geheime Ränke, obscura iniuria (G. Wilmanns Exempla 2754). Er konnte durch das ὑπερικόν (Hypericum crispum L.?) ersetzt werden (Gal. XIX 745).

Der D.-Wein, welcher dadurch hergestellt wurde, dass ein Leinwandsäckchen mit D.-Samen in Wein getaucht wurde (Geop. VIII 3), hat dieselbe Wirkung wie der Eppichwein, macht wie dieser Appetit, ist Magenleidenden dienlich, beseitigt Harnzwang und macht den Atem wohlriechend (Diosc. V 75; vgl. Geop. ebd.).

Das D.-Öl wurde entweder durch Auspressung des Blütensafts in Olivenöl (Diosc. I 61. Gal. VI 289) oder aus dem grünen Kraute gewonnen. Letzteres wurde entweder in einem mit Olivenöl gefüllten Gefäss, das man in siedendes Wasser stellte, ausgekocht (Gal VI 291; vgl. Paul. Aeg. VII 20), oder das Öl wurde dadurch gewonnen, dass man eine Unze (= 27,29 g.) junger Blätter in einen Sextar (=0,549 l.) Olivenöls that, die Öffnung des Gefässes dicht verschloss und dieses 40 Tage den Sonnenstrahlen aussetzte (Aët. I ἔλαιον ἀνήθινον; vgl. Paul. Aeg. a. a. O.). Das Öl vermag nach Dioscorides (I 61) die weiblichen Geschlechtsteile zu erweichen und zu erweitern (vgl. Theod. Prisc. eup. III 15), erwärmt (nur mässig nach Gal. XI 766. vgl. 832. Orib. coll. med. XV 1. 1, 69), hilft gegen Wechselfieber und Mattigkeit (Aet. a. a. O.; vgl. Garg. Mart. 28) und Gliederschmerzen (vgl. Gal. XI 766). Nach Galenos (XI 832) scheidet es aus, stillt Schmerzen, macht Schlaf und reift unentwickelte Geschwülste (ebenso Orib. coll. med.; eupor. Sim. Seth ebd.). Ferner wird es als Einreibung gegen Krankheiten infolge Erkältung angewandt, so gegen Harnzwang (Ruf. Ephes. p. 417 = Alex. Trall. II 487), Kolik (Alex. Trall. II 340), Leberruhr (ebd. 413), Sehnenspannung (Garg. Mart. Aët. ebd.), als Einreibung des Kopfes gegen Kopfschmerz (Theod. Prisc. eup. II 41–43; vgl. Garg. Mart. 28. Auct. de virt. herb. 38. Ps.-Apul. 121, 3) und mit Bibergeil gegen Nervenschmerz (Aret. p. 203), als Einreibung der Brust mit andern Mitteln gegen veralteten Husten und Schwindsucht (Alex. Trall. II 183; ein Pflaster davon ebd. 185). Fast alle [643] bisher erwähnten Heilkräfte des D. und seines Öls werden dem D. selbst von dem im 10. Jhdt. schreibenden französischen Arzte Odo Mugdunensis (unter dem Namen des Macer Floridus 395ff. ed. Choulant) zugeschrieben. Das Öl zieht übermässige Säfte aus dem Körper (Gal. VI 291), Eiter (Gal. XI 832. Orib. coll. med. XV 1, 1, 69) oder Schleim (Alex. Trall. II 233), heilt Verdichtungen der Haut (Gal. VI 221) und verhärtete Eingeweide (Alex. Trall. II 309), hilft als Bestandteil einer Salbe gegen Lungenleiden (Marc. Emp. 16, 105) und gegen Phrenitis, wenn der Kopf damit eingerieben wird (Theod. Prisc. eup. II 11). Ein aus D.-Öl und andern Bestandteilen zusammengesetztes Pflaster, ἀνηθίνη), hilft gegen Geschwülste (Herakl. Tarent. bei Cael. Aurel. acut. III 170), harten Unterleib (ebd.; vgl. Orib. syn. III 44. Paul. Aeg. VII 18) und Leberentzündung (Alex. Trall. II 389). Klystiere von D.-Öl giebt man zur Entleerung des schmerzenden Unterleibs (Ruf. Ephes. p. 5), mit andern Beimischungen gegen dasselbe Leiden (Gal. XI 489), Blasenentzündung (Ruf. Ephes. p. 38) und besonders bei Kolik (Marc. Emp. 29, 54. 61. Alex. Trall. II 349. 351).

Die Tierärzte gaben den Pferden ein Getränk von D. in Wein gegen den den Kopf nach hinten beugenden Muskelkrampf (Pelag. 272), mit andern Bestandteilen in Honig gegen Kolik (Pelag. 288. Veget. mul. V 51, 2), in Öl gegen Husten (Pelag. 106), in Wein bei dem Biss einer Spitzmaus (? ebd. 281), in Wein und Öl gegen Leibschneiden (ebd. 128), in Gerstenschleim gegen Erhitzung oder Schwäche in den Gliedern (ebd. 192).

[Olck. ]