RE:Heliopolis 2

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Stadt in Syrien Baalbek
Band VIII,1 (1912) S. 4749
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2) Heliopolis (jetzt Baʿalbek) liegt 1150 m hoch in der sog. Beḳaʿa, d. h. dem Tal zwischen Libanon und Antilibanon, am Fuße des letzteren bei der Wasserscheide von Liṭâni (Leontes) und Nahr el-ʿÂṣi (Orontes); am bequemsten ist es von der an der Straße Damaskus-Beirut gelegenen Station Rejaḳ per Bahn zu erreichen. Der heutige Name Baʿalbek ist vielleicht der uralte. Er soll nach Hoffmann Ztschr. für Assyr. XI 246ff. aus בעלמלך‎ entstanden, nach Kittel Studien zur hebräischen Archäologie 1908, 138, 2 = Baʿal biḳʿa d. i. der Baʿal der Biḳʿa (= Beḳaʿa) sein, während andere ihn früher aus dem Ägyptischen erklärten: ‚Stadt des Baʿal‘. Winckler D. Keilinschriften und das Alte Testament 1903, 44, 2 setzt Tunib (Dunib) in den Keilinschriften = Heliopolis–Baalbek. Jedenfalls war Baʿalbek ein Zentralsitz des weitverbreiteten Baalkultus. Orientalische Sage läßt wie für andere große Heiligtümer so auch hier Salomo den Gründer sein (Volney Voyage en Syrie II 224ff.). Da bei den Griechen בעל‎ = Ἥλιος ist, nannten sie die Stadt Ἡλιόπολις. Der Name H. wäre alsdann wie die Mehrzahl der griechischen Stadtnamen im Orient – ein Beweis, wie oberflächlich vielfach griechische Kultur am orientalischen Boden haftete – wieder hinter dem alten Namen verschwunden. Bei den Römern gab es einen Iuppiter Heliopolitanus; eine Darstellung desselben findet sich in dem Vorhof des nachher zu besprechenden großen Tempels; vgl. übrigens den Ζεὺς Ἡλιοπολείτης Schürer Gesch. des jüd. Volkes II⁴ 38. Der Kaiser Augustus machte H. zu einer römischen Kolonie (Iulia Augusta Felix) und verlieh ihr eine Garnison. Antoninus Pius (138–161) baute ‚den großen Göttern von Heliopolis‘ ein prächtiges Heiligtum, das von seinen Nachfolgern bis auf Caracalla (211–217) vollendet wurde. Nach jüngeren Nachrichten war dieser Tempel speziell dem Iuppiter geweiht. Außer dem Bacchustempel südöstlich von dem Iuppitertempel wurde auch der Venus (oder Fortuna?) ein Tempel errichtet. Nachdem Constantin d. Gr. (324–337) den Venuskult beseitigt hatte, verwandelte Theodosius d. Gr. (379–395) wie den großen Tempel von Damaskus [48] so auch den Iuppitertempel von H. in eine Kirche. H. wurde später Bischofssitz. Der Araber ʾAbu ʿUbaida eroberte 634 H. Die Araber machten aus dem Iuppiter- und Bacchustempel eine Festung. 1139 erstürmte der Emir Zengi, 1175 Saladin die Stadt. 1260 nahm der Mongole Hulagû von ihr Besitz und zerstörte sie, bis sie 1400 von Timur eingenommen wurde. Die heutige Stadt, zu dem türkischen Wilâjet Sûrîjâ (Syrien) gehörend, zählt etwa 5200 Einwohner (1/5 Christen, 2/5 Moslims, 2/5 Metâwile [Schiiten], Bädeker Palästina⁷ 1910, 298) und liegt östlich von der alten Stadt. Die hehren Denkmäler der Antike sind jetzt ein Trümmerfeld, der Hauptsache nach ein Werk von Erdbeben, die schon vor der Zeit des Theodosius die Stadt arg zerstörten; noch stärker fast in seinen vernichtenden Wirkungen ist das Erdbeben von 1759 gewesen. Jedoch hat auch barbarische Roheit obendrein der Zerstörung die Hand geliehen. Immerhin zeugen die an die östliche Ketten des Libanon sich anlehnenden heutigen Trümmerstätten, die seit dem 16. Jhdt. von Europäern erst wieder entdeckt und 1900–1904 dank den deutschen Ausgrabungen besser zugänglich gemacht werden, von der einstmaligen Größe und Pracht der alten Stadt. Sie sind neben den Ruinen von Palmyra die imposantesten Baudenkmäler des gesamten ausgehenden Altertums; vgl. zu der Beschreibung der Ruinen von Baalbek Puchstein Führer durch die Ruinen von B. 1905; Baalbek, 30 Ansichten d. deutschen Ausgrabungen 1905. Bädeker (Benzinger) Palästina⁷ 1910, 300–305. Von älterer Literatur: Wood and Dawkins The ruins of B. 1757. Volney Voyage en Syrie 1787. Renan Mission de Phénécie 1874. Alouf Geschichte B.s 1896. Die antiken Hauptbauten B.s bestehen 1) in dem Iuppitertempel, der sich selbst zusammensetzt von Osten nach Westen gerechnet aus a) den Propyläen, einer 12 m tiefen und 60 m langen Halle von zwölf Säulen, zu der eine große Freitreppe führt, seit 1905 durch die von Kaiser Wilhelm II. gestiftete Treppe ersetzt. Die drei prachtvollen Pforten der Vorhalle bilden den Eingang zu b) dem 60 m langen Vorhof, einem nur selten vorkommenden Sechseck, ringsum von Säulenhallen und auf vier Seiten von Gemächern umgeben. Gegenüber der Seite des Eingangs gelangt man zu c) dem zweiten oder dem großen Altarhof, 135 m lang und 113 m breit, auf drei Seiten mit Säulenhallen umgeben, hinter denen sich viereckige Säle und halbkreisförmige Nischen anschließen. In der Mitte dieses Vorhofs vor der großen, zum Haupttempel führenden Freitreppe stand der wuchtige Opferaltar, nördlich und südlich davon je ein Wasserbassin. Über dem Altar baute Theodosius seine Kirche. Der zweite Vorhof führte zu d) dem Haupttempel, einem 90 m langen und 54 m breiten Peripteros, auf den Langseiten mit je 19, auf der Vorder- und Hinterseite mit je 10 (also im ganzen 54) 19 m hohen korinthischen Säulen, von denen die bekannten sechs erhaltenen den Wanderer schon längst begrüßen, ehe er Baalbek erreicht. Der Haupttempel stand auf einer etwa 13½ m hohen Terrasse, zu deren Herstellung es großer Unterbauten bedurfte. Die Terrasse ist auf drei Seiten von einer aus drei Schichten Steinen bestehenden Umfassungsmauer umgeben. [49] In der Unterschicht sind die Steine durchschnittlich 9 m lang, 4 m hoch und 3 m dick. Die mittlere, nur auf der Westseite erhaltene Schicht besteht aus drei je 19 m langen Steinriesen, wovon der Tempel den Namen Trilithon erhalten haben soll. Diese ungeheuren Steine sind in den nahen Steinbrüchen von Baalbek gebrochen, wo noch ein Kollege, ca. 20–30 000 Zentner schwer, nur teilweise ausgehauen, zu sehen ist! 2) Dem Bacchustempel, ohne Hof, südöstlich von dem Iuppitertempel. Er ist auf den Langseiten von je 15, auf den Schmalseiten von je 8, also im ganzen von 46 Säulen umgeben. Über eine vorliegende Freitreppe gelangt man a) zu der Säulenhalle, b) dann zu einem Pronaos und c) durch eine herrlich mit Reben und Efeu, Satyrn und Bacchantinnen geschmückte Türe zu der inneren 27 m langen und 22 m breiten Cella. Die Cella selbst besteht aus einem von einem Tonnengewölbe überspannten Raum und dem höher gelegenen, durch eine Treppe zugänglichen Adyton. 3) Dem Venus- oder Fortunatempel, einem Rundbau. Zur Beurteilung des Baustiles des 1. und 2. Tempels vgl. Guhl-Koner Das Leben der Griechen u. Römer⁵ 1882, 410. 424f. Das kunstgeschichtlich Bedeutsame an den eben beschriebenen Bauten von H. besteht darin, daß griechische Kunst, durch Römersinn verändert, der sich u. a. in der Konstruktion der Tonnengewölbe zeigt, den Maßstab der gewaltigen Bauten am Nil nachahmend, hier Wunderwerke des griechischen Baugenies geschaffen hat. Religionsgeschichtlich angesehen sind diese ca. 100–150 Jahre nach der Missionstätigkeit eines Paulus erbauten Göttertempel, wenige Tagereisen von Jerusalem und weite Strecken von Rom dem Zentrum des römischen Weltreiches entfernt gelegen, ein letztes stolzes Zeugnis von dem Selbstbewußtsein, das die klassische Antike noch erfüllte, als ihr durch das aufkommende Christentum schon die Axt an die Wurzel gelegt war! Wie wenig mußte doch erst die neue Religion Herrin der öffentlichen Meinung sein, wenn eine derartige gewaltige steinerne Kundgebung der griechisch-römischen Religion möglich war! Und den kulturgeschichtlichen Maßstab angelegt: wie gesegnet und reich mußten unter griechisch-römischer Herrschaft, obwohl ihr mehr als ein verheerender Völkersturm vorangegangen war, jene Gegenden gewesen sein, wenn dergleichen solide und prunkvolle Bauten hier erstehen konnten – und wie verödet sind diese Länder unter mongolisch-türkischem Regiment!

[Beer.]