RE:Conductio

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Miete
Band IV,1 (1900) S. 859862
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Conductio ist, wörtlich übersetzt, die Mitnahme einer Sache oder Person, daher auch [860] die Mitnahme einer Sache zu vorübergehendem Gebrauche gegen Mietslohn oder einer Person zu vorübergehender Benutzung ihrer Dienste oder auch die Mitnahme einer fremden Sache in die eigene Werkstätte, um sie gegen Lohn zu bearbeiten, mit einem Worte: ,die Miete‘. Inst. III 24. Dig. XIX 2. Cod. IV 65. Dieser Sprachgebrauch scheint sich für bewegliche Sachen entwickelt zu haben und dann auf Grundstücke übertragen worden zu sein, auf die er nicht passt (ähnlich wie das Wort traditio); vgl. Dernburg Pand.⁵ II 302. § 110, 4, dessen Deutung (Anm. 7) des Wortes conducere als ,sich etwas Vorteilhaftes zu Gemüte führen‘ mit dem Geiste der lateinischen Sprache nicht vereinbar ist. Die c. erscheint in drei Formen: als conductio rei, operarum, operis, und zwar steht hier jedesmal dem conductor ein locator (Vermieter) gegenüber. Der Mietsvertrag heisst daher locatio conductio, die Klagen aus diesem Vertrage sind die actio locati und die actio conducti. Inst. III 24 de locatione et conductione Dig. XIX 2 locati conducti. Die conductio rei geht auf Benutzung der gemieteten Sache, z. B. eines Zugtiers, das der Mieter mit sich nimmt (conducit) und der Vermieter bei ihm einstellt (locat). In der Redeweise der Dichter kommt auch eine Miete von Geld (Kapitalsmiete) vor, Horat. sat. I 2, 9. Den juristischen Schriftstellern ist diese Ausdrucksweise fremd, sie reden vielmehr in einem solchen Falle von einem Darlehen mit hinzugefügtem Zinsversprechen, Cod. Iust. IV 32, 3. Der Wohnungsmieter heisst inquilinus, Dig. XIX 2, 24, 2. 58 pr. Der Mieter fruchttragender Grundstücke heisst in der Regel colonus (Pächter), obwohl eine scharfe Scheidung von Miete und Pacht sich in den Quellen nicht vorfindet (Dernburg a. a. O. II 304, 2), und wenn er einen Teil der Früchte als Pachtzins liefern muss, colonus partiarius. Dig. XIX 2, 25, 6 quasi societatis iure et damnum et lucrum cum domino fundi partitur. Der Pächter hatte in unfruchtbaren Jahren ein Recht auf verhältnismässigen Erlass des Pachtzinses, Dig. XIX 2, 15, 2 u. 7 oportere enim agrum praestari conductori, ut frui possit.

Das Recht der Sachmiete scheint sich aus dem Rechte des Kaufes abgezweigt zu haben und zwar zunächst für Verträge des Staates, die einen publicistischen Charakter besassen und unter dem Zwange der Magistrate standen (v. Czyhlarz Institutionen³ 187 und Karlowa R. Rechtsg. II 40 über die leges censoriae und das auf sie bezügliche SC. Oropium), Festus p. 376: venditiones olim dicebantur censorum locationes, quod velut fructus publicorum locorum venibant.

Für die Sachmiete entwickelte sich eine stillschweigende Mietsverlängerung über die verabredete Zeit hinaus (relocatio tacita). Für praedia non urbana = rustica (gemeint ist damit die Grundstücksmiete mit Fruchtbezugsrecht, also die Pacht) ist diese Mietsverlängerung auf ein Jahr anerkannt, Dig. XIX 2, 13, 11. XIX 2, 14. Ob und wie weit sie auch bei praedia urbana gegolten habe, ist Gegenstand eines lebhaften Streites (vgl. v. Vangerow Pandekten⁷ III 455ff. § 644. Dernburg Pandekten⁵ II 310 § 111, 46). Wahrscheinlich war dem römischen Rechte die stillschweigende Mietsverlängerung bei Wohnungsmieten [861] in Häusern unbekannt, was mit der gedrückten Lage der ärmeren, wohnungsmietenden Classen zusammenhing (vgl. Behn Archiv f. civ. Praxis LXVIII 52ff. und Dernburg a. a. O.). Besondere Endigungsgründe der Sachmiete sind: eine causa cur periculum timeret (conductor) Dig. XIX 2, 27, 1, Untergang der Sache, Dig. XLX 2, 30, 1, Heraustreibung des Mieters, der zwei Jahre lang mit dem Mietzinse rückständig ist, Dig. XIX 2, 54, 1, oder die Mietssache schädigt, Cod. IV 65, 3, notwendige Ausbesserungen, Dig. XIX 2, 35 pr., und ein plötzlich eintretendes Bedürfnis des Vermieters, die Sache selbst zu benützen, Cod. IV 65, 3. Eine Abart der colonia war der Erbnutzungsvertrag (s. Emphyteusis).

Neben dieser Sachmiete steht die Gewährung von Arbeitsleistungen gegen Lohn in zwei Formen, entweder als conductio operarum oder als conductio operis. Beiden Geschäften gemeinsam ist, dass sie sich nur auf operae locari solitae bezogen. Miete von seltenen Leistungen oder von höheren Leistungen (s. Mandatum) fielen daher nicht unter den Begriff der c., Dig. XIX 5, 5, 2. Das Unterscheidungsmerkmal beider Arten von c., die Arbeitsleistungen betrafen, besteht darin, dass der conductor operarum mehrere in gleicher Art besoldete Arbeiten mietet, der conductor operis aber eine einheitlich besoldete Arbeitsleistung verspricht oder mit andern Worten die Gelegenheit zu einem einheitlich besoldeten Arbeitserfolge erlangt. Daher ist der Arbeitgeber dort conductor, hier locator. Dig. L 16, 5, 1 (Paulus) opere locato conducto, his verbis Labeo significari ait id opus, quod Graeci ἀποτέλεσμα vocant, non ἔργον, id est ex opere facto corpus aliquid perfectum. Unter dieser Vollendung des Werkes, die bei der conductio operis zu besolden ist, verstand man jedoch nur die vertragsmässige Herstellung des Werkes, nicht seine Ablieferung. Dig. XIX 2, 37 detrimentum ad locatorem ita pertinet, si tale opus fuit, ut probari deberet. Irreführend ist Paul. Dig. XIX 2, 22, 2 locat enim artifex operam suam, id est faciendi necessitatem; denn nach dieser Stelle würde der artifex bei der locatio operis locator heissen müssen, während er in Wahrheit conductor heisst, wahrscheinlich nach dem Handwerker, der den Arbeitsgegenstand in seine Werkstätte trägt. Bei der locatio operarum heisst dagegen der Arbeiter locator, weil er im Hause des locator eine Stellung annimmt, also seine Dienste dort anbringt (placiert). Liefert der Arbeiter auch den Stoff, so gilt die Werkverdingung als Kauf, Dig. XIX 2, 2, 1.

Der Lohn musste bei beiden Geschäften in Geld bestehen, widrigenfalls ein Innominatcontract vorlag, Dig. XIX 5, 17, 3, keine Miete. Es hängt dies damit zusammen, dass nur besonders häufige Geschäfte als Consensualverträge durch die Verpflichtungskraft der formlosen Abrede angezeichnet waren (s. Consensus), darunter auch die locatio conductio, seltenere Geschäfte also, wie die Gewährung von Diensten gegen etwas anderes als Geld, nicht dazu gerechnet wurden (vgl. Bernhöft Kauf, Miete und verwandte Verträge 1889, 64).

Der Lohn wird bei beiden Arbeitsverträgen (locatio operarum und operis) erst nachträglich gezahlt, und zwar bei der conductio operarum [862] nach römischem Rechte auch dann, wenn der Arbeiter ohne seine Schuld ausser stande war, die Arbeiten zu leisten. Paul. Dig. XIX 2, 38 pr. qui operas suas locavit, totius temporis mercedem accipere debet, si per eum non stetit quo minus operas praestet; vgl. auch Dig. XIX 2, 19, 9. L 13, 1, 13. Dieser Satz, der die Arbeitsunternehmer, die fremde Kräfte benützten, sehr schwer belastet haben muss, wird vielfach bestritten, scheint aber in Rom deshalb erträglich gewesen zu sein, weil die Hülfskräfte der Arbeitsherren dort in der Regel Sclaven, nicht freie Vertragsgenossen waren.

Litteratur: Mommsen Die römischen Anfänge von Kauf und Miete, Ztschr. der Savignystiftung, Rom. Abt. VI 260. Chr. Burkhard Zur Geschichte der locatio conductio, 1889. Degenkolb Platzrecht und Miethe, 1867, 127ff. Karlowa Röm. Rechtsgesch. II 1, 18ff. 632ff. Voigt Röm. Rechtsgesch. I 657ff. Brinz Pandekten² II 752, 4. Windscheid Pandekten⁷ II 399ff. § 451ff. Dernburg Pandekten⁵ II 110ff. § 301ff. Puchta-Krüger Institutionen10 360ff. § 275. Leonhard Institutionen 425ff., und über die colonia partiaria Zachariae von Lingenthal Ztschr. der Savignystiftung, Rom. Abt. XII 80. Waaser Die colonia partiaria und dagegen Dernburg Pandekten⁵ II 304 § 111, 4; vgl. auch die dort Angeführten. Über die conductores vectigalium, vgl. Karlowa Röm. Rechtsgesch. II 18ff.