RE:Diodoros 53

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Physiolog und Mathematiker aus Alexandreia
Band V,1 (1903) S. 710712
Diodoros von Alexandria in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register V,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|V,1|710|712|Diodoros 53|[[REAutor]]|RE:Diodoros 53}}        

53) Aus Alexandreia, Physiolog und Mathematiker nach Achill. isag. in Arati phaenom. 2 (Hipparch. in Arati et Eud. phaenom., Florent. 1567, 82, wiederholt im Uranol. Petav. 124). Seine Epoche ist anzusetzen zwischen Poseidonios und dem Peripatetiker Andronikos (s. d. Nr. 25) einerseits und andererseits den Zeitgenossen des Augustus Areios Didymos (Nr. 12), Ariston (Nr. 55) und Eudoros (Susemihl Litt.-Gesch. II 293. Zeller Philos. d. Griech. III a³ 611); er darf daher als Zeitgenosse Caesars und Ciceros gelten. Wie die bei Achilleus erhaltenen Auszüge aus Eudoros zeigen, hat er in einer Schrift, in welcher er über den engen Zusammenhang zwischen Physiologie und Mathematik handelte, an die μετεωρολογικὴ στοιχείωσις des Poseidonios sich angeschlossen und darin, ausser über stoische Lehren, auch über Physikalisches und Astronomisches nach Anaxagoras, Platon und Aristoteles gehandelt. Achill. isag. 2. 5. 10. 14 (124 C. 129 B. 132 B. 134 C Petav.). Macrob. in somn. Scip. I 15, 4. Diels Doxogr. 19ff. Susemihl I 776. Ob er in demselben Werke, wie Diels 21 f. annimmt, oder etwa in einer anderen, eigens zur Erklärung der Phainomena des Aratos verfassten Schrift über Sternbilder gehandelt hat, lässt sich aus den Andeutungen in den Scholien zu Aratos 223. 254 nicht mit Sicherheit entscheiden.

Anweisungen für die astronomische Praxis und wahrscheinlich auch wissenschaftliche Erläuterungen dazu hat D. in einer von Pappos synag. IV 246, 1 und Proklos ὑποτύπ. τῶν ἀστρον. ὑποθέσ. 103 (Bd. IV der Ausg. des Ptol. v. Halma) erwähnten Schrift ἀνάλημμα gegeben. Polyb. IX 19, 8f. formuliert die Aufgabe, die Höhe der Mauern einer belagerten Stadt aus der Entfernung aufzunehmen (λαμβάνειν), eine Aufgabe, die für einen in der Mathematik Bewanderten leicht zu lösen sei. Dass dies durch Dreiecksmessungen ermöglicht wurde, bezeugen Heron περὶ διόπτρας 2. 12 (Notices et extraits des manuscrits XIX 2, 176. 220 Vincent). Balbus Gromat. I 93 Lachm. (Metrol. Script. II 9f. Hultsch). Iul. Afric. κεστοί 21 (Extraits a. a. O. 408ff.). Geodäsie des sog. Heron von Byzanz 1f. (ebd. 348ff.). Statt λαμβάνειν μεγέθους τινὸς τὸ ὕψος (Polyb. IX 19, 8 und vgl. λῆψις ebd. 9) sagte man aber auch ἀναλαμβάνειν τι, ‚δie Höhe eines Gegenstandes (durch Winkelmessung) bestimmen‘. So liess Marcellus die Höhe der Mauern von Syrakus aufnehmen: προσαναλαβὼν ὁ Μάρκος τὸ τεῖχος Polyb. VIII 37. 2, so wurde auch von den Astronomen ein Instrument, mit welchem man die Höhe der Gestirne bestimmen konnte, ἀνάλημμα genannt. Nun wechselt die Höhe der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Fixsterne mit Ausnahme des Polarsternes, wenn man sie von einem gegebenen Punkte der Erdoberfläche aus beobachtet, mit den Tages- und Nachtstunden; auch erreichen durchaus nicht alle Gestirne zu dem Zeitpunkte [711] ihres höchsten Standes den Zenith. Deshalb wurden, wie Ptolemaios περὶ ἀναλήμματος zeigt, für jeden Beobachtungspunkt zunächst drei ihrer Lage nach unveränderliche Kreise, der Horizont, der Meridian (μεσημβρινός) und ein zu letzterem rechtwinklig stehender Scheitelkreis (κατὰ κορυφὴν κύκλος) unterschieden. Dazu kamen drei bewegliche Kreise, der καταβατικός, der ἑκτήμορος (Ptolem. de anal. 11, 10 Heiberg) und der ὡριαῖος (so ebd. 17, 22 nach der Wiederherstellung Heibergs vgl. mit ὡριαίαν περιφέρειαν 11, 12 und ὡριαί⟨ων κατατομ⟩ῶν 24, 28), nach deren Peripherieabschnitten die Stellung der Gestirne bestimmt wurde. Ptolem. de anal, herausg. von Heiberg Abhandl. zur Gesch. der Mathem. Heft 7, 1ff. (Ztschr. f. Mathem. u. Phys., Suppl. zu Jahrg. XL). Kauffmann Art. Analemma o. Bd. I S. 2052ff. Zu den älteren Mathematikern, welche zwar nicht sachlich, wohl aber in einigen Benennungen einem anderen Brauche als später Ptolemaios (de anal. 2 8, 13–32 Heib.) folgten, hat vielleicht auch D. gehört (Kauffmann a. a. O. 2055, 20). Ohne Zweifel hat er in seinem ἀνάλημμα auch die orthographische Projection des scheinbaren täglichen Sonnenlaufes (ἡμερήσιος κύκλος im Anhange zur heronischen Schrift περὶ διόπτρας 322, Vincent Notices et extraits XIX 2) behandelt und damit zugleich die Grundregeln für die Construction von Sonnenuhren gegeben. Anthol. Pal. XIV 139: γνωμονικῶν Διόδωρε μέγα κλέος, εἰπέ μοι ὥρην u. s. w. Proklos a. a. O., wo die γνωμονικοὶ, d. i. die in der Anfertigung von Sonnenuhren und in der ganzen γνωμονικὴ θεωρία (Papp. synag. VIII 1026, 1. 1070, 1 Hu. Prokl. in I Eucl. elem. libr. 41, 25 Friedl.) Bewanderten, zusammengestellt werden mit οἱ τὰ ἀναλήμματα πρῶτα γράψαντες, ὥσπερ ὁ Διόδωρος. Hultsch zu Pappos Bd. III IXff.; Jahrb. f. Philol. 1897, 51, 8. Bilfinger Festschr. des Eberhard-Ludwigs-Gymnas., Stuttgart 1886, 23ff. Günther Handb. der mathem. Geogr. 178ff. Kauffmann a. a. O. 2054f. Martin bei Daremberg et Saglio Dictionnaire des antiquités I 485f.

Um zu erklären, dass die Gnomonstifte je nach dem Unterschiede der Breiten, unter denen sie aufgestellt sind, zur Mittagszeit Schatten von verschiedener Länge werfen, brauchten die Gnomoniker den schon von Eratosthenes formulierten Satz, dass die gleichzeitig auf die Erde auftreffenden Sonnenstrahlen eine (scheinbar) parallele Richtung haben. Doch scheint der von Eratosthenes dazu gegebene Beweis schon die älteren Gnomoniker (οἱ τὰ ἀναλήμματα πρῶτα γράψαντες) und namentlich den D. nicht befriedigt zu haben, sodass sie diesen Parallelismus vielmehr dadurch erklärten, dass die Erde im Verhältnis zur Grösse und Entfernung der Sonne nur als Punkt zu gelten habe. Dies wird verständlich im Vergleich mit der Theorie des Horizontes. Für die Beobachtungen am Fixsternhimmel kann der scheinbare Horizont, der durch den Beobachtungspunkt gelegt ist, als identisch gelten mit dem wirklichen Horizonte, der parallel zu jenem durch das Centrum der Erde geht. Dies stellten die alten Astronomen durch den Satz dar, dass die Erde im Verhältnis zur Fixsternsphäre nur als Punkt zu setzen sei, und einen analogen Satz hat D., wie Proklos a. a. O. berichtet, auch für das Verhältnis der Erde zur Sonnensphäre aufgestellt. [712] Hultsch Abb.. Gesellsch. d. Wissensch., Göttingen N. F. I 5, 21f. 24, 2. Bei der geometrischen Behandlung dieser Frage musste auch der an Eukl. elem. I 27–29 sich knüpfende Satz, dass, wenn eine Gerade von zwei anderen Geraden so geschnitten wird, dass die Summe der von den schneidenden Geraden mit der ersten Geraden gebildeten inneren Winkel ≶2 R ist, die schneidenden Geraden nicht parallel zu einander sein können, sondern in ihrer Verlängerung einander schneiden müssen, in Betracht kommen. Wie der Araber Anaritius in decem libros priores elem. Eucl. (Suppl. zu Eucl. op. ed. Heiberg et Menge 35, 1. 65, 23 Curtze) berichtet, hat D. diesen Satz durch viele und verschiedenartige Figuren bewiesen.

Einen Commentar zum ἀνάλημμα des D. hat Pappos geschrieben (synag. IV 246, 1). Dass er darin über die Dreiteilung des Winkels gesprochen hat, erklärt sich unter der naheliegenden Voraussetzung, dass schon D. die ἑκτήμορος περιφέρεια, d. i. die in je sechs Stundenabschnitte zu zerlegenden Kreisbögen, deren einen die Sonne vom Aufgang bis zum Mittag, den andern von da bis zum Untergang durchschreitet, behandelt hat. Da diese Bögen je nach der Jahreszeit verschiedene Grösse haben, so konnte es an Gelegenheiten, den Centriwinkel einer Peripherie sechsfach, d. i. die Hälfte dieses Winkels dreifach zu teilen, nicht fehlen, Papp. a. a. O. 246, 1–3 und dazu Hultsch Bd. III, Xf.

Eine rein mathematische Frage hat D., sei es im ἀνάλημμα, sei es in einer andern Schrift, berührt nach Marinos zu Eukl. Data 234, 13 Menge: διὸ τῶν ἁπλούστερον καὶ μιᾷ τινι διαφορᾷ περιγράφειν τὸ δεδομνον προθεμένων οἱ μὲντεταγμένον, ὡς Ἀπολλώνιος . . ., οἱ δὲ γνώριμον, ὡς Διόδωρος (οὕτῳ γὰρ τὰς ἀκτῖνας καὶ τὰς γωνίας δεδόσθαι λέγει καὶ πᾶν τὸ εἰς γνῶσίν τινα ἐλθόν, καὶ εἰ μὴ ῥητὸν εἴη) . . . ἀπεφήναντο.

So lückenhaft auch die Überlieferung über D. ist, so erhellt doch aus dieser möglichst vollständigen Zusammenstellung, dass er ein in vielen Fächern bewanderter und – wie besonders die Anrede in den von Metrodoros gesammelten mathematischen Epigrammen der Anthologie (s. Arithmetica Bd. II S. 1109, 6ff.) zeigt – auch ein namhafter Schriftsteller gewesen ist.