RE:Emodon

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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die Gebirgsmassen von Zentralostasien: Hindukusch, Himalaja
Band V,2 (1905) S. 25022504
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Emodon (Ἠμωδὸν ὄρος oder Ήμωδὰ ὄρη; die richtigste Namensform bei Mela: Haemodes). Unter den Namen E. und Imaon faßt die geographische Literatur der Hellenen und Römer allgemein und unbestimmt die gewaltigen Gebirgsmassen des zentralen Ostasien, vom Pamirplateau und Hindukusch (Paropanisos) ostwärts zusammen soweit dieselben jeweilig ,entdeckt‘ und erkundet waren. Die Erweiterung des geographischen Wissens über den Osten, namentlich während der römischen Kaiserzeit, erweiterte und übertrug auch diese Namen; ihre Bedeutung war demnach zu verschiedenen Zeiten verschieden. Indessen haben die Alten in keiner Periode eine auch nur entfernt klare Vorstellung von der reichen orographischen Gliederung und der wundersamen Gebirgsbildung selbst des ihnen bekannten Ostasien gehabt, wie sie denn überhaupt, einer unglücklichen vorgefaßten Meinung zuliebe, das Relief des gesamten Erdteils in eine unnatürliche Regelmäßigkeit und Schablone zwängten und völlig verzerrten (Parallelgebirge oder Diaphragma des Eratosthenes; s. d.). Bis auf Aristoteles wußte die griechische Erdkunde überhaupt nur Dürftiges von Asien jenseits des Indos, am wenigsten aber über die Gebirge; erst die kühnen Expeditionen Alexanders im Zagros und Hindukusch enthüllten den Blicken der Hellenen die großartige asiatische Gebirgswelt, wenigstens bis zur Indoslinie; nach dem Maßstab, der ihnen zur Hand war, nannten die Makedonier die lange Gebirgsreihe vom Herī-rūd nach Osten Kaukasos. Damals kam auch die erste Kunde vom ,Schneegebirge‘, dem Himalaja, zu hellenischen Ohren; jedoch brachten bestimmtere Nachrichten über diesen erst die Gesandtschaften der Seleukidenkönige an den indischen Hof in Palimbothra, vor allem die von Megasthenes geleitete. Megasthenes führte zweifellos die beiden seitdem für das ostasiatische Gebirge gebräuchlichen Namen E. und Imaon in die griechische Literatur ein und da seine Kenntnis wie die der zeitgenössischen und nachfolgenden griechischen Erdkunde über die Gangesmündung nicht hinausreichte, so bezeichnen diese Namen klarerweise den Himalaja. In diesem Sinne wurden sie von Eratosthenes in seine neue Geographie der Oikumene [2503] eingereiht und blieben durch die Autorität derselben in der geographischen Literatur herrschend bis neue Entdeckungen das Ostende der Oikumene weit über die Gangesmündung hinausrückten. Über die Verteilung der Namen läßt sich nur sagen, daß E. den westlichen, an den Paropanisos angrenzenden, Imaon den östlichen Teil des Himalaja bezeichnete; der Ganges entspringt nach Artemidoros (bei Strab. XV 719) und Mela III 68 noch auf dem E. Aus Plin. n. h. VI 64 (Imaus mons promunturium Emodorum montium) und Diodor. II 35 könnte hervorgehen, daß E. der umfassendere Name war und bisweilen auf das ganze Himalajagebirge ausgedehnt wurde. Strab. XI 511. XV 689. 698. Mela I 81. Plin. n. h. V 98. VI 56. 60. 64. Dionys. perieg. 747. 1146. Arrian. Ind. 23 (die Genannten alle nach Eratosthenes!). Diodor. II 35. Nonn. Dionys. XL 260. Plut. Alex. fort. II 2 p. 235 E. Die eben besprochene von Megasthenes eingeführte Zweiteilung des Himalaja ist willkürlich und beruht gewiß nicht auf irgend welcher Kenntnis der inneren Gliederung des Gebirges; sie muß darum auffallen und dies umsomehr, wenn man bedenkt, daß die beiden Teile im Grunde denselben Namen führen: sowohl E. wie Imaon läßt sich ohne Schwierigkeit aus dem Sanskrit erklären; das erstere das bei Mela die einheimische Form am treuesten bewahrt hat (Haemodes), ist sanskrit haimavata oder prākrit haimōta und bedeutet ,zum Himalaja (Aufenthalt des Schnees) gehörig‘; Imaon ist sanskrit himavaṭ oder prākrit himavañ ,schneereich‘ (die richtige Übersetzung gibt schon Plin. n. h. VI 64: Imaus incolarum lingua nivosum significante). Das erste ist poetisch, das zweite mehr in der Prosa gebräuchlich (vgl. Lassen Ind. Altertumsk. I 21, 1). Es erscheint darnach als das Wahrscheinlichste, daß Megasthenes auf seine Erkundigungen nach dem Namen des Nordgebirges das einemal den Namen Imaon, das anderemal den Namen E. hörte und glaubte, darunter zwei verschiedene Teile des Gebirges verstehen zu müssen. Erst am Ausgange der wissenschaftlichen Erdkunde des Altertums erweiterte sich das geographische Wissen über Ostasien; neue Nachrichten auch über die orographische Gliederung lassen Ptolemaios ahnen, wie wenig dem Reichtum derselben die schablonenhafte Darstellung des Eratosthenes entspräche; er macht, zuerst und zuletzt in der wissenschaftlichen Erdkunde der Alten, den Versuch, tiefer in dieses Labyrinth einzudringen und die Grundformen der Wirklichkeit entsprechender festzustellen (s. Imaon). Der Hauptfortschritt des Wissens lag in der Entdeckung Hinterindiens und Chinas; man erfuhr, daß sich an den Himalaja im Osten noch weitere große Gebirgsreihen anschlossen, die das östliche Skythien von Hinterindien, das Land der Sinen (das eigentliche China) von Serika (der Mongolei und Mandschurei) schieden. Dementsprechend verlängerte sich das Eratosthenische Parallelgebirge (Diaphragma) bedeutend nach Osten. Da große Gesamtnamen für die neuentdeckten Gebirge natürlich fehlten (die neuen Namen Bepyrron, der vom Brahmaputra umflossene östlichste Abschnitt des Himalaja, und Ottokorras an der Grenze der Sinen und Seren, gehörten kleineren Teilen an), so half [2504] man sich dadurch, daß die altbekannten Namen E. und Imaon willkürlich erweitert wurden. Bereits Plinius (wo er nicht von Eratosthenes abhängig ist, VI 88) spricht von den Serae, die im Norden der montes Emodi wohnen; auch Dionys. perieg. 1162 scheint die Erweiterung des E. zu kennen; aber erst Ptolemaios hat ein geordnetes System begründet: ihm bezeichnet Imaon das nördliche Grenzgebirge Vorderindiens, also den Himalaja (VII 1), τὰ Ἠμωδὰ καὶ Σηρικὰ ὄρη das Grenzgebirge zwischen dem östlichen Skythien (ἐκτὸς Ἰμάου) und Hinterindien (ἐκτὸς Γάγγου) einerseits und zwischen Serika und dem Sinenlande (der Mongolei und China) anderseits (VI 15, 1. 16, 2). Ein Versuch, diese übertragenen Namen auf bestimmte Gebirge zu lokalisieren, muß nach dem Ausgeführten als zwecklos erscheinen, da sie in Wirklichkeit für solche nie in Gebrauch waren.