RE:Engonasin

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sternbild d. nördl. Halbkugel
Band V,2 (1905) S. 25632565
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Engonasin Sternbild der nördlichen Hemisphäre zwischen Drache und Ophiuchos, Leier und Krone. Bei den Griechen fast ausschließlich ὁ ἐν γόνασιν, daneben bei Arat 6 ὁ γνύξ; bei den Römern in späterer Zeit nicht selten mit dem jetzt üblichen Namen, entsprechend den geläufigen Globusdarstellungen, Hercules, ursprünglich auch bei ihnen E. (Cicero. Manilius, Hygin), auch Engonasis (Mart. Capella VIII 827), oder latinisiert Nixus, Nisus, Innixus (German. Arat. 673), Nixus genu (Ovid. met. VIII 182), nixa genibus species (Manil. I 315), nixa genu species (Manil. V 645), nixus genibus, in genu, pede (Avien. Arat. 1107. 1138. 1221), Nisus in genibus oder Geniculatus oder Ingeniculatus (Vitruv. IX 4). Ingeniculus (Firmicus math. VIII 171. Seine rechte Hand schneidet nach antiker Astrothesie der Sommerwendekreis (Eudoxos bei Hipp. p. 20, 10. 106, 4; Globus Farnese). Der linke Fuß und das rechte Knie berühren in der Breite von Mittelgriechenland den arktischen Kreis (Hyg. astr. III 5. IV 6; Globus Farnese; zahlreiche Planisphären, vgl. Thiele Ant. Himmelsbilder 49). Die auffällige Gestalt des Bildes, die zu wunderlicher Verwendung in der Astrologie Anlaß gegeben hat (Manil. V 650, vgl. Boll Sphaera 278, 4), mit dem Kopf [2564] nach Süden, kauernd, mit ausgebreiteten Armen, ergibt sich aus der Lage der Sterne, aus denen der E. gebildet ist (vgl. Buttmann Abh. Akad. Berl. 1826, 46, wozu zu bemerken, daß das linke Bein sehr deutlich durch die Sterne η, σ, τ [Knie], φ, χ, der Fuß durch μ, φ Lyrae, ν Bootis bezeichnet ist). Entstanden wird sie sein in archaischer Zeit, als dieses Schema (seit Kalkmann Knielaufschema genannt) der bildenden Kunst vertraut war (Bethe Rh. Mus. LV 426). Die ursprünglichste Gestalt, wie sie Arat (v. 63ff. Hipparch, Ptolemaios synt. VII 5) und der Globus Farnese geben, entbehrt aller Attribute; in der populären Astrothesie dominiert aber bald die Ausstattung mit den Attributen des Herakles, wie denn diese Deutung des Sternbildes, welchem Arat als einem ἀπευθὲς εἴδωλον in affektierter Ratlosigkeit gegenübersteht (v. 64ff. 270), nachdem sie einmal, zuerst wahrscheinlich samt den Attributen in den Eratosthenischen Catast. 4, wo diese Deutung die einzige ist, aufgebracht war, von keiner andern hat verdrängt werden können. Eratosthenes bringt das Sternbild, indem er an den Kampf gegen die Hesperidenschlange denkt, mit dem Sternbild des Drachen in Zusammenhang (vgl. auch Catast. 3). Weitere Deutungen stehen aus gemeinsamer Quelle, wohl Aratscholien, sicher nicht den Catasterismen, geflossen, bei Hyg. astr. II 6 und, summarisch aufgezählt, Schol. Arat. v. 75 (p. 353 M., fälschlich zum Ophiuchos gesetzt): beiden Zeugen gemeinsam sind die Deutungen auf Theseus, der in Troizen den Stein des Aigeus aufhebt, nach Hegesianax, Thamyris, der flehend den Musen zu Füßen liegt, Ixion (wobei dann die Krone als Rad gedeutet wird, vgl. Boll Sphaera 149, 4), Prometheus, an den Kaukasus gefesselt (daß er ursprünglich hier in den Schol. Ar. genannt war, schließe ich daraus, daß zu v. 400 auch mit ihm der südliche Kranz, irrtümlich statt der Krone, in Beziehung gesetzt wird, vgl. Boll a. a O.), Herakles, der sich mit Steinwürfen gegen die Ligurer verteidigt (mit ausdrücklicher Anlehnung an Aischylos, vgl. frg. 199 Nauck²: in den Schol. Ar. lies Λίγυσι statt Λίβυσι). Hygin allein hat die Deutung auf Keteus, des Lykaon Sohn und Vater der Megisto (= Kallisto), der die Verwandlung der Tochter bejammert, nach Araithos, und auf Orpheus, der von den Thrakerinnen getötet wird, die Schol. Arat. allein die auf Tantalos. In allen Deutungen klingt ein von Arat angeschlagener Akkord weiter: es handelt sich immer um einen μογέων ἀνήρ (vgl. auch Harder Astrognostische Bemerkungen 22. Boll Sphaera 543. 545 [Asklepiades von Myrleia]). Das Gleiche gilt von der Deutung auf Atlas und einen rätselhaften Talas, die bei den Astrologen Antiochos und Teukros vorkommt (Boll Sphaera 261. 264. 278f.); vielleicht auch von der einstweilen hypothetischen auf Marsyas mit Zimbeln und Flöten (bei Teukros, Boll ebd. 260. 268. 546); für den Talos des Astrologen Antiochos (ebd. 279) mag das Motiv des Steine werfenden Herakles die Quelle sein.

In die Beschreibungen des Sternbilds ist (z. B. Hyg. astr. p. 105, 2 nach der Überlieferung dextra planta genuque sinistro circulum arcticum iungit und ebd. p. 82, 27 dextro genu) [2565] viel Verwirrung gebracht worden durch das von Arat (v. 69f.) aus Eudoxos übernommene, von dem Aratkommentator Attalos durch eine kecke Konjektur aus dem Text entfernte, von Hipparch (p. 34ff.) eingehend besprochene Versehen, wonach der rechte, nicht der linke Fuß des E. auf dem Kopfe des Drachen ruht. Unabhängig von der literarischen Tradition, aber aus dem gleichen psychologischen Grunde bieten die bildlichen Darstellungen in Hss. zum Teil die gleiche Verwechslung. Es herrscht eben immer die unwillkürliche Neigung, das Einzelbild aus der Rückansicht, wie sie der Globus zeigen muß (und der Globus Farnese richtig zeigt) in die Vorderansicht zu kehren. Die ursprüngliche Gestaltung (Arat, Hipparch, Ptolemaios, Globus Farnese) zeigt einen aufs rechte Knie gestützten nackten Mann mit ausgebreiteten Händen, ohne alle Attribute. In den Hss. ist daraus Herakles geworden, der, bei richtiger Darstellung, in der Rechten die Keule, um die Linke die Löwenhaut trägt (z. B. Boll Sphaera Taf. 1); sehr häufig ist, gewiß in mißverständlicher Anlehnung an die Version der Catasterismen, bei den Einzelbildern, wie schon im Cod. Vat. gr. 1087, dem Herakles der Hesperidenbaum mit der Schlange darauf gegenübergestellt (z. B. Boll Sphaera 102. Thiele Ant. Himmelsb. 145. 159). Daß diese Darstellung, die in verstümmelter Abkürzung noch in den neuesten Sternkarten fortlebt, antik ist und ihren Weg auf die Himmelsgloben gefunden hat, ist jetzt durch astrologische Zeugen erwiesen (Boll Sphaera 101ff.). In der sog. Vossianusklasse (Thiele a. a. O. 84. 92) ist die Gestalt mit derjenigen des Bootes kontaminiert, d. h. aufrecht und bekleidet dargestellt, so daß nur das Löwenfell noch an den ursprünglichen Bestand erinnert. Offenbar liegt, wie auch der begleitende Text zeigt, eine Verwechslung mit dem Bootes vor, wohl dadurch verursacht, daß zu der Beschreibung des E. bei Germanicus (v. 65ff.) die Vorlage des Illustrators durchaus nicht paßte; sie mag etwa ausgesehen haben wie der E. auf der Planisphäre des Harleianus 647 (Archaeologia 1836 Taf. 22).

Die Sternzahl beträgt nach den Catasterismen 19 (die Summe ist in einem Teil der Überlieferung sinnlos in 24 verändert), nach Hipparch (vgl. Bibl. Mathem. 1901, 186) 24, nach Ptolemaios (synt. VII 5 p. 52 Heib.) 28 (mit dem Stern, der auch zum Stecken des Bootes gezogen werden kann, 29).

Kalendarisch war das weit nördlicher stehende und hervorragender Sterne entbehrende Bild bedeutungslos; erwähnt wird nur (wenn meine Ergänzung richtig ist) sein Spätaufgang im ersten milesischen Parapegma unter Widder 9 (S.-Ber. Akad. Berl. 1904, 106).

[Rehm. ]