RE:Exilium

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Verbannung, Verbannungsort
Band VI,2 (1909) S. 16831685
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Exilium bedeutet Verbannung und Verbannungsort; Cic. p. Ligario 33 stellt in diesem letzteren Sinn e. in Gegensatz zu patria und domus; Ovid. Fast. I 540 nennt mit Bezug auf Latium felix, exilium cui locus ille fuit. Verg. Aen. III 4 diversa exilia et desertas quaerere terras; vgl. auch Tac. arm. XIII 55. Die Etymologie des Wortes ist dunkel; entgegen den früheren Ableitungen von e. aus ex solo (Non. p. 12 M. s. exules. Cassiod. orthogr. 10) oder von ex und salio, ex und sul leiten M. Bréal et A. Bailly Dictionnaire etymologique Latin² 1886 e. von sedere ab wie bei consules (diejenigen, welche zusammensitzen) und praesul (der Vorsitzende) ab; diesen Bezeichnungen entspricht auch exul (der Verbannte) Auct. ad Herenn. II 45 und exulare (in der Verbannung leben) Digest. IV 5, 7, 3. XXVII 1, 28, 2. XLVIII 5, 40, 4. L 2, 5. In der älteren Zeit konnte sich der römische Bürger dem Urteil des Volks durch freiwillige Entfernung von Rom mit der Wirkung entziehen, daß über ihn die aquae et ignis interdictio verhängt wurde (s. d.). Als Verbannungsorte wurden Städte in Latium, besonders Tibur, Praeneste, Lavinium, Ardea (Liv. II 2. III 29. 58. V 43. XLIII 2) gewählt, welche mit Rom in einem Bündnisverhältnis standen und deren Exilrecht auf Gegenseitigkeit mit Rom beruhte, Cic. de orat. I 177. Die Aufnahme in die zum Aufenthalt gewählte Stadt sicherte dem Verbannten dort das Bürgerrecht, während er durch die freiwillige Verbannung und die Annahme des fremden Bürgerrechts auf das römische Bürgerrecht verzichtete, Cic. de domo 78; p. Caec. 100. Auch die latinischen Kolonien hatten dieses Exilrecht, Cic. p. Caec. 98; p. Balbo 27; in späterer Zeit dienten noch andere Städte wie Tarquinii, Nuceria, Ravenna usw. als Verbannungsorte, Liv. XXVI 3. Cic. p. Balbo 28. Nachdem infolge des Bürgerkrieges allen italischen Städten römisches Bürgerrecht verliehen worden war, suchte [1684] man Städte außerhalb Italiens, besonders in Gallien, Griechenland und Asien auf, Cic. p. Mur. 89. Diese freiwillige Verbannung war keine Strafe, Cic. p. Caec. 100: exilium enim non supplicium est, sed perfugium portusque supplicii .... confugiunt quasi ad aram in exilium .... non adimitur eis civitas, sed ab iis relinquitur atque deponitur. Ebenda betont Cicero, daß es kein römisches Gesetz gebe, durch welches irgend ein Verbrechen mit e. bestraft werde, und nach Sallust. de Cat. coni. 51, 22 bemerkt Caesar übereinstimmend hiermit in seiner Rede: aliae leges item condemnatis civibus .... exilium permitti iubent; ebd. 51, 40: legibus exilium damnatis permissum est. Hierin kommt zugleich eine wesentliche Änderung des Rechtszustandes zum Ausdruck; das e. diente in späterer Zeit nicht mehr dazu, der Aburteilung, sondern dem Vollzug der Strafe zu entgehen; war ursprünglich die aquae et ignis interdictio Folge davon, daß der Angeklagte ins e. ging, so ging nunmehr umgekehrt der Verurteilte deshalb in die Verbannung, weil aquae et ignis interdictio oder eine andere Strafe gegen ihn erkannt war. Mit der Ausbreitung des römischen Weltreiches und infolge des hierdurch eintretenden Mangels an selbständigen Staaten innerhalb der zivilisierten Welt mag es unmöglich geworden sein, durch den Erwerb eines neuen Bürgerrechts auf das römische zu verzichten. Die oben erwähnte Äußerung von Cicero: confugiunt quasi ad aram in exilium vergleicht das Exil mit dem Asyl. Das Asylrecht, welches besonders von griechischen Städten in Anspruch genommen wurde (s. Asylon), ermöglichte es aber, in der Verbannung zu leben, ohne das römische Bürgerrecht aufzugeben. Mit der Aufhebung des Asylwesens durch Tiberius (Suet. Tib. 37) wurde auch dieser Ausweg abgeschnitten. E. bedeutete von nun an eine Strafe. Der Anfang dieser Umwandlung reicht aber auf Cicero zurück, der im J. 63 v. Chr. ein Gesetz veranlaßte, in welchem die Amtserschleichung (s. Ambitus) mit zehnjähriger Verbannung bedroht wurde; während die Gesetze Caesars die aquae et ignis interdictio androhten, bezeichnete Cicero das in seinem Gesetz gedrohte Strafübel als e.; Cic. p. Mur. 5. 47. 67. 89; p. Planc. 83. Ein anderes auf Cicero selbst berechnetes und angewandtes Gesetz wurde 5 Jahre später von Clodius eingebracht und drohte mit rückwirkender Kraft demjenigen die Strafe der Verbannung an, der einen Bürger ohne Verurteilung durch das Volk getötet habe, Cass. Dio XXXVIII 14. Der Vollzug des Exils als Strafe wurde durch zwangsweise Fortschaffung eingeleitet, soferne das e. die aquae et ignis interdictio vertrat; sonst überließ man es dem Verbannten excedere in exilium, Dig. XLVIII 19, 4: so erwuchsen aus der Exilsstrafe die Strafe der deportatio (s. d.) und der relegatio (s. d.). In der Kaiserzeit, insbesondere in den Rechtsquellen bedeutet e. daher bald deportatio, bald relegatio. Die erstere Bedeutung ist anzunehmen, wo die römischen Juristen das e. im Gegensatz zur relegatio erwähnen, z. B. Paul. rec. sent. V 22, 2: relegantur aut exulare cognuntur. V 28 in exilium mittuntur aut ad tempus relegantur; ebenso V 15, 5: in exilium aguntur aut in insulam relegantur; dagegen nennt Paulus [1685] ebd. V 17, 3 bei Aufzählung der Strafen das e. als besondere Strafe neben deportatio und relegatio. Anderseits scheint Paulus ebd. V 4, 11 e. und insulae relegatio als gleichbedeutende Begriffe zu gebrauchen; ebenso bedeutet Dig. XLVIII 19, 4 e. die relegatio; wohl auch Dig. XLVIII 5, 40, 4. Da die Exilierten nach Ulp. X 3 peregrini wurden, aber im römischen Weltreich kein neues Bürgerrecht erwerben konnten, ging das römische Bürgerrecht nicht durch den Erwerb eines anderen unter, sondern der Verlust mußte durch das Urteil eintreten; sie wurden, nachdem Caracalla allen Peregrinen das römische Bürgerrecht verliehen hatte, peregrini dediticii; diesen Untergang beweist mittelbar ein Gnadenakt des Vitellius, wodurch den aus dem e. Zurückgekehrten die Rechte von Freigelassenen gewährt wurden; Tac. hist. II 92. Nach dem alten Rechte wurde das Vermögen derjenigen, welche in die Verbannung gingen, eingezogen, Liv. II 9. III 58. Die im Verfahren einer quaestio perpetua Verurteilten mußten mit dem römischen Bürgerrecht (capitis deminutio media) notwendig auch ihre römische Rechtsfähigkeit verlieren; das Vermögen und die Ehe blieb nur nach ius gentium erhalten. Nur wenn der Verbannte sich in eine Stadt zurückzog, welche das Asylrecht genoß, konnte er das römische Bürgerrecht bewahren und integris patrimoniis exulare, Suet. Div. Iul. 42. Caesar verband daher mit dem Exil den Verlust des halben Vermögens, Suet. a. a. O.; nach Mos. et Rom. coll. XIV 2, 2 blieb die Strafe des Vermögensverlustes in diesem Umfang in Verbindung mit der dauernden relegatio fortbestehen.

Literatur: L. M. Hartmann De exilio apud Romanos inde ab initio bellorum civilium usque ad Severi Alexandri principatum, Berolini 1887; Ztschr. d. Savigny-Stiftg. IX 42. F. v. Holtzendorff Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit. Leipzig 1859. O. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 266. A. Korn Ist die Deportation unter den heutigen Verhältnissen als Strafmittel praktisch verwendbar, Berl. 1898, bes. 7ff. Mommsen R. G. II 109; R. St.-R. III 48ff. A. W. Zumpt Der Kriminalprozeß der römischen Republik, Leipzig 1871, 455ff.; Das Kriminalrecht der römischen Republik, Berlin 1865-1869, I 2, 417ff. II 2, 2511f.